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Geister, die man rief …

Diskurs
Geister, die man rief …

93 Meter bis zur Spitze! Da thront sie nun wieder über dem Elbpanorama, jene phänomenale Steinkuppel, die Hofkirchen-, Schloss- und Rathausturm plötzlich klein werden lässt. In die Silhouette, jahrzehntelang von filigranen Vertikalen bestimmt, muss man sich neu hineinsehen, und selbst entschiedene Gegner »archäologischer Rekonstruktionen« beginnen die Hartnäckigkeit zu verstehen, mit der alte Dresdner sich all die Jahre an ihr Erinnerungsbild geklammert hatten.

Dass die Frauenkirche nun wieder steht, ist mehr als eine bautechnologische Meisterleistung. Indem ihr Wiederaufbau zu einer Angelegenheit von beispielloser gesellschaftlicher Breite und somit zum zentralen Identitätsprojekt der Stadt wurde, hat die Nachwendegeschichte Dresdens nicht nur eine symbolische Adresse bekommen, sondern auch ein Leitmotiv. Das muss genau mit dieser Entschiedenheit gelesen werden: als Absage an den Trümmerhügel, das Antikriegs-Mahnmal, zu Gunsten der Attraktion makelloser Bilder.
Was hier erbracht wurde, ist der Beweis grenzenloser Machbarkeit. Und dieser war es, der auf die singuläre Affäre hin stadtbildpolitische Konsequenzen ohne Ende zur Folge hatte. Die 1990 eröffnete Grundsatzdebatte über die beliebige Reproduzierbarkeit jedes als vermisst geltenden Vorkriegsgebäudes hat nicht nur bundesweit an vielen Orten Spuren hinterlassen. Sie hat vor allem die nachfolgenden Dresdner Diskussionen in einer Weise dominiert, dass man zeitweise an der stadtplanerischen Regierbarkeit der sächsischen Residenz zu zweifeln begann. Kaum waren die Kirchentrümmer sortiert, trat eine Bürgerinitiative für den originalgetreuen Wiederaufbau aller 170 Parzellen des gesamten Neumarktviertels ein. Weil ja – quod erat demonstrandum – jede Replikation verschwundener Bauformen rein technisch zu bewerkstelligen ist, wird seither in hoch emotionalen Konfrontationen für eine Rückkehr der historischen Platzfronten rund um die Kirche gekämpft: »Ein anderer, modern wiederaufgebauter Neumarkt wird uns eine andere Frauenkirche wiedergeben. Wir wollen dies nicht und die vielen Hunderttausende im In- und Ausland wollen dies – da sind wir uns sicher – auch nicht.« Die touristische Perspektive der Neumarkt-Aktivisten war jederzeit unverkennbar.
Im hinhaltenden Widerstand billigte die selber unentschiedene Bauverwaltung schließlich dreißig »Leitbauten«; damit sind Komplettrekonstruktionen von Objekten gemeint, für die sich alte Bauunterlagen noch auftreiben lassen. Wozu das im Realisierungsfall führen könnte, lässt sich heute schon am völlig uninspiriert hingeklotzten Cosel-Palais mit Schaudern betrachten: die Zeitlosigkeit der reinen Attrappe. Doch da selbst das nobelste Barockpalais heute schlicht ein Nutzerinteresse braucht, nehmen die Dinge überwiegend den üblichen Lauf: Gebaut wird, was dem Investor frommt, und da schmückt sich so mancher eben doch lieber mit Behnisch als mit Neo-Neobarock.
Ließ sich der Streit um die Frauenkirche noch unter die großen Dispute der jüngeren deutschen Baugeschichte einreihen, so bestätigen die Neumarkt-Scharmützel allenfalls Karl Marx, nach dessen Diktum große Tragödien sich als Farce wiederholen. Das ist für Dresden um so fataler, als es Kräfte und Aufmerksamkeiten für weit wichtigere Fragestellungen seit Jahren blockiert: Reflexion und Streit um die Prager Straße – jenes auch international bedeutende Fanal der Nachkriegsmoderne – begannen erst, als deren Schicksal durch zerstörerischen Umbau besiegelt war. Gleich nebenan dümpelt vor dem Hauptbahnhof ohne Lust (weil ohne Bedarf) die Großbaustelle eines völlig überambitionierten Wiener Platzes vor sich hin – nichts als Geld verschlingendes Relikt alten Denkens in »Leuchtturmprojekten«. Und wo mit organisatorischem Feingefühl Reparatur am lebendigen Stadtorganismus dringend zu bewerkstelligen wäre, wartet man am Postplatz auf »bessere Zeiten«, um die Visionen eines längst verjährten Wettbewerbs irgendwann vielleicht doch noch zu realisieren.
Ach Dresden, deine Jugend tanzt im Dschungel in der Neustadt. Dein Geld wird in Hightech-Fabriken verdient, draußen an der Autobahn. Und gleich hinter den Vorstädten laufen deine Landeskinder davon. Könntest du es mit der Frauenkirche nicht bewenden lassen? Wolfgang Kil
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