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Der Ingenieur als Weltenretter

Für die Weltrettung fehlt nur noch das Datum
Für die Weltrettung fehlt nur noch das Datum

Für die Weltrettung fehlt nur noch das Datum
Foto: Aigot
Ein Interview mit Werner Sobek macht derzeit keinen Spaß. Im Gegenteil, man verlässt den Ort des Geschehens einigermaßen niedergeschlagen. Denn was er in seiner ruhigen, lapidaren, eindringlichen Art zu sagen hat, lässt für Optimismus wenig Spielraum. Das Weltklima ist nicht mehr zu retten. Eigentlich.

~Falk Jaeger

Der Ingenieur Werner Sobek ist kein Wanderprediger der Apokalypse. Die Arbeit an innovativen Tragwerken, die Erforschung neuer Baumaterialien und smarter Konstruktionsweisen, wofür er bekannt und weltweit renommiert ist, überlässt er inzwischen weitgehend seinen Nachfolgern am Lehrstuhl und im Büro. Weil er Wichtigeres zu tun hat, denn es geht um das Wohlergehen zukünftiger Generationen, und zwar schon der allernächsten.

Im Rahmen der Entwicklung energiesparender Bauweisen und Nullenergiehäuser hatte er den Blick aufs Ganze gewagt und festgestellt: Umweltbezogene Daten und Fakten, mit denen allgemein gearbeitet und argumentiert wird, sind häufig falsch. Und es fehlt an Verknüpfungen, an Bewertungen, ganz zu schweigen von Konsequenzen und Handlungsanweisungen für Politik und Gesellschaft. Nur ein Beispiel aus dem Bereich Externalisierung landwirtschaftlicher Flächen: In Brasilien werden große Waldflächen gerodet, um Soja für deutsche Mastbetriebe anzubauen. Wegen des Ertragsgefälles gegenüber Deutschland mit dem Faktor 3,5 muss die 3,5-fache Fläche dessen gerodet werden, was in Deutschland aufgegeben wurde. Hinzu kommt, dass die ehemaligen Regenwaldböden rasch ausgelaugt sind und intensiv gedüngt werden müssen. Die erschütternden Zahlen hier wie dort sind bekannt, man muss sie nur zusammendenken. Die Konsequenz, den das Weltklima schädigenden Unsinn sofort zu stoppen, sieht und zieht niemand.

Weltbevölkerung und Erderwärmung, globale Materialverfügbarkeit, Ressourcenverbrauch, Energieverbrauch regional und weltweit, Energiebilanzen der einzelnen Baustoffe von Beton bis Bambus, Emissionen beim Bauen von Produktion bis Entsorgung und Transportvorgänge – Sobek trug zwei Jahre lang Daten und Fakten zusammen und versuchte akribisch, sie zu verifizieren, zu korrelieren, zu bewerten und zu interpretieren. Fazit: Die Statistiken sind oft lückenhaft, fehlerhaft, tendenziös usw. und werden von Politik und Wirtschaft fehlinterpretiert. Beispiel: Seit zwei Jahrzehnten weiß jedes Kind, dass der Gebäudebestand 40 % des Primärenergieverbrauchs verursacht. Es sind zwar nur 38 %, doch eine andere Zahl klingt weitaus dramatischer, denn das Bauwesen ist in signifikant höherem Maß für den CO2-Ausstoß verantwortlich. Herstellung der Baumaterialien, Transport, Bau, Abriss und Recycling sind mitzurechnen, und schon ist man für das Bauwesen einschließlich Tief- und Verkehrsbau bei 55 %!

Selbst wenn Weltbevölkerung und Lebensstandard stagnieren würden, wäre die Emission von Treibhausgasen nicht zu bremsen. Sieben Jahre weiter so, dann ist Schluss, dann ist der Temperaturanstieg unumkehrbar. Doch wer wollte den Menschen in Schwellenländern die Teilhabe an Fortschritt und Lebensqualität verwehren?

Sobeks Erkenntnis: Die Menschheit hat kein Energieproblem, sie hat ein Problem mit den klimaschädlichen Emissionen. Das Bauwesen betreffend, könne man den gesamten Katalog an Energiesparmaßnahmen durch einen Satz ersetzen: Das Emittieren von Treibhausgasen ist bei Herstellung, Betrieb und Abbau der gebauten Umwelt (ab einem zu vereinbarenden Zeitpunkt) verboten. Unvermeidbare prozessbedingte Emissionen sind durch Kompensationsmaßnahmen auszugleichen. Dem ist nichts hinzuzufügen. »Nur« noch das Datum.

Werner Sobek skizziert die Folgen der Erderwärmung – nicht als Erster natürlich – , aber er beklagt, dass sich die gesamtgesellschaftliche Interaktion als unfähig erwiesen hat, die heraufziehenden Probleme, vor allem den unabweisbaren Zeitdruck, auch nur ansatzweise anzusprechen, geschweige denn zu lösen.

Über Sobeks Arbeit, zunächst die Bestandsaufnahme, ist nun ein Buch erschienen, der erste Band einer Trilogie: »non nobis – über das Bauen in der Zukunft. Band 1: Ausgehen muss man von dem, was ist«. Sehr poppig kommt es daher, der Stuttgarter Kommunikationsdesigner Andreas Uebele hat es in der Manier Roy Lichtensteins durchgängig gestaltet. Man ist es nicht gewohnt, wissenschaftliche Grafiken, Statistiken und Schaubilder in fröhlichen Farben präsentiert zu bekommen, aber das Buch soll, es muss unbedingt, junge Leute anfixen. Es ist verstörend. Wir warten nun auf die Bände 2 und 3, in denen Sobek Konsequenzen und Handlungsoptionen aufzeigt.

Der Autor lebt und arbeitet als freier Architekturkritiker in Berlin.

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