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Für und Wider der Dichteobergrenzen – Dialog nötig

Frage- statt Ausrufezeichen
Es braucht eine Debatte zur Stadtentwicklung, keine Positionspapiere

Es braucht eine Debatte zur Stadtentwicklung, keine Positionspapiere
Die »Düsseldorfer Erklärung« fordert u. a. den Wegfall der Dichteobergrenzen laut BauNVO. Die Verfasser einer Gegenposition sehen in dieser Deregulierung die Gefahr der Unterwanderung des Gemeinwohls.

~Enrico Santifaller

Ein wenig fühlt man sich an Miss Sophie und ihren Butler James erinnert: The same procedure as every (five) years. 2014 wurde aus dem Umfeld des an der TU Dortmund beheimateten Instituts für Stadtbaukunst eine »Kölner Erklärung« veröffentlicht. Wenige Wochen danach kam von namhaften Stadtplanern eine Retourkutsche namens »100 % Stadt«. Thema war damals die aus Sicht der Stadtbaukünstler mangelhafte städtebauliche Ausbildung an den Hochschulen. Im Mai dieses Jahres schickten dieselben Verfasser eine »Düsseldorfer Erklärung« in alle Redaktionen, worauf postwendend ein paar Dutzend Hochschullehrer eine Erklärung mit dem Titel »Gegen die Düsseldorfer Deregulierung« in Umlauf brachten. Diesmal geht es um eine äußerst reduzierte und entsprechend einseitige Interpretation der »Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt«, die auf Initiative des damaligen Bundesbauministers Wolfgang Tiefensee erarbeitet und 2007 von den 27 in der Europäischen Union für Stadtentwicklung zuständigen Ministern unterzeichnet wurde. Alle vier Positionspapiere gleichen sich: steile Thesen, Ausschließlichkeit der Positionen, ein bisschen Drama – und natürlich eine Menge Ausrufezeichen.

Nun ist ein Manifest, und darum handelt es sich bei all diesen Erklärungen, etwas anderes als eine wissenschaftliche Publikation. Insofern sei den Verfassern Vehemenz und Verve, selbst Pathos und Polemik zugestanden. Insbesondere dann, wenn man mit der ein oder anderen Position sympathisiert. Aber so holzschnittartig, wie die Damen und Herren argumentieren, so vereinfachend und zugleich generalisierend, kann nur der Verdacht aufkommen, dass es nicht um Debatte und Diskussion, nicht um Für und Wider geht, sondern um Profilierung und Zurschaustellung – und auch um ganz kleines Karo und persönliche Animositäten. Nach (nun wirklich nicht vergnügungssteuerpflichtiger) sprachlicher und inhaltlicher Analyse der Papiere, stellt sich schnell heraus, dass die Autoren jenseits von Ideologie und Buhlen um Aufmerksamkeit gar nicht so weit auseinander liegen, wie sie tun. Dass sie sich manchmal sogar gegenseitig die Bälle zuwerfen, dass sie aber andererseits – und das ziemlich ungelenk – eine Sprachlosigkeit wiedergeben, die im Wesentlichen der historischen Ausdifferenzierung der verschiedenen Disziplinen und dem im Zuge der Selbstbehauptung fehlenden Willen zur Interdisziplinarität geschuldet ist.

Basierend auf der Tatsache, dass 75 % der EU-Einwohner in Städten wohnen, ist die Leipzig Charta ein ebenso umfassendes wie vielschichtiges, diskutierenswertes Modell einer europäischen Stadt der Zukunft. Von Modernisierung der Infrastrukturnetze und der Steigerung der Energieeffizienz ist die Rede, von sozialer und kultureller Vielfalt, von einer aktiven Innovations- und von der Qualität der Bildungspolitik, von lokaler Wirtschaft und Arbeitsmarktpolitik. Nichts davon, aber auch gar nichts in der Düsseldorfer Erklärung und entsprechend wenig bei den Deregulierungsgegnern – außer ein paar oberflächlich diffusen Aussagen. Oder glauben die Verfasser und die Unterzeichner im Ernst, man könne allein mit einer Änderung der Baunutzungsverordnung, der TA Lärm und dem »kleinen Einmaleins des Städtebaus« die entscheidenden Zukunftsweichen in den angesprochenen Bereichen stellen? Meint man denn wirklich, das Klimaproblem ließe sich mit ein paar aufgewerteten Grünanlagen lösen?

Interessant auch bei beiden Kontrahenten das totale Desinteresse am Ökonomischen, das bei den Düsseldorfern bis zu einem Null-Verhältnis zu aktuellen bodenpolitischen Fragen reicht. Und die Europäische Stadt, auf die sich stets bezogen wird: Sind das denn die noch erhaltenen Gründerzeitviertel rund um einen mittelalterlichen Kern, ist das die Stadt der Gegenwart mit Vierteln, die anderen Planungsphilosophien entspringen, oder die in der Leipzig Charta angesprochene europäische Stadt der Zukunft?

Der Eindruck drängt sich auf, dass die Berufung auf die Leipzig Charta nur als Vehikel dient, altbekannte Positionen – verknüpft mit einem Tabubruch – spektakulär darzustellen und für Schlagzeilen zu sorgen. Bei all dem geraten die wirklichen Verhinderer einer »schönen und lebensfähigen Stadt« aus dem Blick: die zwischen Indolenz, Selbstüberschätzung und permanentem Wahlkampf schwankende Politik, die teils politisch instrumentalisierte, an ihrer eigenen Bürokratie scheiternde (Planungs-)Verwaltung und den monothematischen Investoren, die ausschließlich am Kontostand interessiert sind. Und dazwischen die Architekten, zu Planungsdienstleistern degradiert, deren Einkommen laut FAZ von allen akademischen Berufsgruppen nur noch von Sozialarbeitern untertroffen wird.

Was tun also? Nicht nur übereinander, sondern miteinander reden, haben einige vorgeschlagen. Doch das wird wohl nicht reichen. Wichtig v. a. ist der Schritt vom Echoraum der eigenen positionstreuen Kaste hinaus. »Städtebau benötigt den Austausch mit Gesellschafts-, Wirtschafts-, Politik- und Umweltwissenschaften«, heißt es in der Kölner Erklärung. An der Stadtplanung sind auch »Politiker, institutionelle und private Investoren, Kreative, Soziologen« und noch ein paar weitere Berufsgruppen beteiligt, schreiben die Kontrahenten von »100 % Stadt«. Alles schön, alles richtig – nur, warum bleiben Architekten und Stadtplaner dann beim Verfassen dieser Erklärungen unter sich? Warum findet zuvor kein fachübergreifender Dialog statt, wenn er denn so wichtig ist? Dass man dabei mal – wie Butler James – ins Straucheln gerät, ist nicht weiter schlimm. Und vielleicht können wir uns dann auch freuen, wenn es in ein paar Jahren wieder heißt: The same procedure …


Der Autor, Enrico Santifaller, studierte Geschichte und Soziologie. Er war Redakteur der Frankfurter Neuen Presse, der Offenbach Post und bei der DBZ. Seit 1994 ist er als freier Architekturjournalist und Autor tätig.


Sehen Sie auch die Diskussion des Für und Wider der gegenläufigen Positionen im »BDAtalk« (BDA Bayern):


die einzelnen Positionspapiere:


Sehr bedenkenswerte Ansätze hat das Projekt »Fachlicher Nachwuchs entwirft Zukunft« hervorgebracht:
So fordert die Generation Y z.B. im Manifest für eine »neo-euro­­päi­­sche Stadt« eine menschengerechte, selbstorganisierte Stadtentwicklung (zufällige Allianzen anstelle von Planungshierarchien) und einen stabilen, staatlichen Rahmen für den digitalen Raum.


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