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Literaturmuseum der Moderne in Marbach

Flirrende Lichter im Halbdunkel
Eröffnung des Marbacher Literaturmuseums

Eröffnung des Marbacher Literaturmuseums
Dauerausstellung: Im Halbdunkel (Manuskripte können nicht mehr als 50 Lux Lichtstärke ausgesetzt werden, da sich sonst Papiere und Tinten verfärben und ausblassen) sind neben Manuskripten auch Lebenszeugnisse der Schriftsteller des 20. Jahrhunderts in Reihen angeordnet
Vor wenigen Wochen wurde das Literaturmuseum der Moderne in Marbach – marketingtechnisch prägnant LiMo genannt – eröffnet. Nachdem die Entscheidung der Ausstellungsverantwortlichen 2002 dazu geführt hatte, nicht einen der beiden nach einem geladenen Wettbewerb zweitplatzierten Entwürfe (Wilson Schupp Architekten Stuttgart / Heinle Wischer und Partner, Düsseldorf), sondern den Entwurf des damals Viertplatzierten realisieren zu lassen, da – so die Meinung – die Konzepte und Architektur der Zweitplatzierten es nicht erlaube, eine Ausstellung mit für die sensible Materie geeigneten und flexiblen Vitrinen zu inszenieren, durfte man sehr gespannt sein, wie sich die Literatur des 20. Jahrhunderts in den neuen Räumen darstellen würde und ob die Präsentation diesen doch sehr kontrovers diskutierten Schritt gerechtfertigen würde.

Die Schillerhöhe mit dem mittig gelegenen und axial auf den Platz ausgerichteten Schiller-Nationalmuseum von Eisenlohr und Pfennig von 1903, seit den siebziger Jahren zur Rechten flankiert vom Literaturarchiv, einem sich eindrucksvoll aus dem Hang erhebenden, terrassierten Betonbau der Stuttgarter Architekten Jörg und Elisabeth Kiefner mit Wolfgang Lauber, hat nun zur Linken ihren Abschluss mit dem von David Chipperfield Architekten entworfenen LiMo erhalten.
Vom Platz aus erhebt sich, umsäumt von einem niedrigen Mauersockel und an archaische Tempelformen erinnernd, ein von im engen Raster stehenden Betonsäulen getragenes Dach, unter das als Eingangshalle eine hölzerne Schatulle eingestellt scheint. Dach, Mauer und eine ins Tal hinausragende Aussichtsterrasse lassen nichts von der Größe des in weiten Teilen in den Hang gebauten Bauwerks erahnen.
Im Inneren sucht man die sich auch in der talwärts gerichteten Fassade dominierende strenge Rasterung allerdings vergeblich. Der archaische Ersteindruck wird hier allenfalls subtil über die Materialien weiter in das Haus getragen. Zu Beton, Holz und Glas tritt im Inneren ein heller Filz, mit dem Bereiche der Wände im Eingangsgeschoss sowie die Sitzbänke bekleidet sind.
Eine großzügige Treppenanlage leitet den Besucher in das Zwischengeschoss. Über Oberlichter und die Treppenanlage gelangt Licht in diese Ebene, Ausblicke himmelwärts in die Baumkronen geben diesem Bereich eine an ein Gewölbe anmutende Atmos-phäre. Im Zusammenspiel der glatten Betonwände mit den Holzvertäfelungen aus tropischem Ipé ist hier eine kontemplative Zwischenzone entstanden, die, gleichwohl archaisch, nichts von der rigiden Strenge der äußeren Hülle zeigt und zur Entdeckungsreise in die Ausstellungen einlädt. Und damit ist vielleicht auch schon der schwächste Teil dieser Museumsarchitektur bezeichnet – die augenscheinliche Divergenz zwischen Außen und Innen.
Vom Zwischengeschoss steigt der Besucher in das dunklere, mit Kunstlicht beleuchtete Ausstellungsgeschoss; zur Linken die drei Räume der Dauerausstellung, zur Rechten die der Wechselausstellung. Hier unten herrscht ruhige Gelassenheit, die sich aus dem Zusammenspiel der großzügigen Raumhöhen mit den fast plankenartig die Ausstellungsräume umfassenden Holzverkleidungen sowie den hohen hölzernen Flügeltüren entwickelt und eine sehr eigene, abgeschlossene Welt bildet.
Aus den ineinander übergehenden Sammlungsräumen kann man in einen arkadenartig vorgelagerten, verglasten Gang treten, der entlang des Hangs Ausblicke ins Neckartal ermöglicht. Hier wird die »Rasterung« des Eingangsbereichs in der Fassade weitergeführt und bildet zur Landschaft hin eine streng gegliederte Ansicht.
Die Antwort auf die Frage, wie moderne Literatur überhaupt ausstellbar ist, findet man in den Ausstellungsräumen.
Nicht wissen, sondern entdecken und erleben, so beschreibt Heike Gfrereis, die Leiterin der Museumsabteilung des Literaturarchivs Marbach, das Konzept der Dauerausstellung, das sie gemeinsam mit dem Baseler Büro Element entwickelt hat. Während die Räume der Wechselausstellung noch darauf warten bespielt zu werden, wird in der Dauerausstellung deutlich, was sie darunter versteht. Stilus, Nexus und Fluxus – unter diesen drei Begriffen lädt sie ein zum Erleben moderner Literatur.
Am Eingang erwartet den Besucher im Halbdunkel mit Stilus eine interaktive Raumplastik, ein Kubus, an dessen Innen- und Außenwänden Buchstaben entlanggleiten. Aus diesem Buchstabenfluss lassen sich mit einem eigens für das Museum entwickelten, M3 genannten, multimedialen Museumsführer einzelne Lettern »herausangeln«, worauf nach einem Zufallsprinzip ein Text erscheint. Dazu sind über den M3 Informationen zu Autor und Entstehungszeit abrufbar. So spielerisch auf das Entdecken eingestimmt, fällt es leichter, sich in die Welt des Nexus zu begeben, zu den 1300 ausgewählten Exponaten aus den Beständen des Archivs.
Der dunkle Raum des Nexus wird erhellt durch auf den ersten Blick wie Irrlichter anmutende, stabförmige Lichtquellen in den streng aufgereihten Vitrinen. Fast erinnert es an ein Spiegelkabinett an, wenn die aufgereihten gläsernen Vitrinen gegenseitig das Licht reflektieren und so, umhüllt von den Holzbeplankungen der Wände, einen eigen Raum erschaffen – einen Cyberspace der Literatur. Auch hier wird der M3 zum unverzichtbaren Begleiter auf der Entdeckungsreise. Er fungiert als Navigations- und Informationssystem innerhalb der Ausstellung, erkennt selbstständig, vor welcher Vitrine der Betrachter steht und ermöglicht das Stöbern und Entdecken innerhalb der gläsernen Schatztruhen. Und zu entdecken gibt es vieles. Chronologisch aufbereitet finden sich in der Dauerausstellung neben dem Manuskript von Heideggers »Sein und Zeit« auch Kästners »Emil und die Detektive« sowie Döblins »Berlin Alexanderplatz«. Manuskripte, Erstausgaben sowie Lebenszeugnisse sind jeweils in unterschiedlichen Vitrinenalleen untergebracht.
Im nur 35 Quadratmeter großen Fluxus werden künftig prominente Kuratoren ihre persönliche Literatursicht präsentieren. Den Anfang hat hier Klaus Wagenbach gemacht.
Diese stringente Ausstellungskonzeption in Verbindung mit den innenräumlichen Qualitäten stellt die eigentliche Stärke des Museums dar.
Dass der Computer das Literaturschaffen verändert hat, davon ist auch Heike Gfrereis überzeugt. Wenn bislang das manuelle Erzeugnis dominierte, werden künftig ausgedruckte Versionen und darin vermerkte Korrekturen die Genesis eines Werkes verraten. Längst, weiß sie mit einem Lächeln zu berichten, sind hoffnungsvolle »Computer-Literaten« dabei, einzelne Fassungen eines Werkes nachvollziehbar zu machen. Denn einige Vitrinen des Nexus sind noch leer.
~elp
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