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Fassaden und Sehnsüchte

Diskurs
Fassaden und Sehnsüchte

Fassaden und Sehnsüchte
Holz in seiner ursprünglichsten Form Foto: Karsten Handke, Düsseldorf
Zur Eröffnung der Akademie der Bildenden Künste in Berlin wiederholte sich in den Feuilletons der großen Tageszeitungen der zuvor erbittert geführte Streit um die Fassade: Glas oder Stein? Ein Streit, wie er eigentlich nur über prominente Gebäude geführt wird.

Für die Architektur des Alltags gilt dies nicht, obwohl sie es wert wäre, kritisch geprüft zu werden. Ihre Bilder sind inzwischen mächtig geworden. Sie sind das Klischee der Klassenzugehörigkeit, sie sagen, wer zu den Gewinnern und zu den Verlierern in der Gesellschaft zählt. Um das nachzuvollziehen, müssen keine soziologischen Studien mehr angestellt werden, RTL sei Dank. Denn seit Anfang März wird auf RTL 2 die neue Big Brother-Staffel gesendet: »Big Brother – Das Dorf«. Auf den ersten Blick scheint sich ein Bruch zu vollziehen: vom der ortsunabhängigen Container-Behausung zurück in eine Umgebung der Vertrautheit, der solidarischen Gemeinschaft des Dorfes, die als Schutz vor der Globalisierung taugen könnte, die der (Cargo-)Container symbolisiert. Doch eigentlich stricken die Produzenten nur weiter, was im RTL-Container angelegt ist: Sie spielen die gegeneinander aus, die sich durch die Globalisierung in ökonomisch und räumlich se- gregierten Situationen wiederfinden. Im Big Brother-Dorf gibt es drei Klassen: »Chefs«, »Assistenten« und »Hiwis«, sie werden in getrennten Bereichen untergebracht, deren Gestaltung für den jeweiligen sozialen Standard steht. Die Hiwis müssen in enger Kelleratmosphäre mit bröckelnden Putz leben, mit einem Holzofen und einer Zinkwanne statt einer Dusche auskommen. Die Assistenten bekommen eine pastellfarbenen Wohnung zugewiesen, deren biedere Durchschnittlichkeit präziser nicht inszeniert werden kann, die Reichen schließlich verbringen ihre Zeit in einer nicht annähernd luxuriösen, aber doch ausreichend großzügigen »Wohnlandschaft« in orangenen und braunen Tönen, dessen loungeähnliches Aussehen vom lockeren Leben erzählt, wie es Chefs angeblich führen. Hier wird allerdings nicht der Stil der hohen Manager beschrieben, denn dieser fordert Kenntnisse und Erziehung, die der, der im »Dorf« möglicherweise einmal Chef wird, nicht hat. Der Luxus ist gerade so groß, dass noch damit umgehen kann, wer aus dem Keller der »Hiwis« hierher aufgestiegen ist.
Das Dorf hat einen Stall, eine Kfz-Werkstatt und ein Atelier (die drei so genannten »Spielwelten«), eine Kneipe und ein Fitnessstudio. Der Stall hat noch am ehesten etwas mit einem Dorf zu tun. Gemolken wird allerdings an einem künstlichen Euter, so gibt es keine Probleme mit dem Tierschutz. Die Kühe sind für diese Geschicklichkeitsübung nur Staffage. In echten Dörfern wird schon lange nicht mehr von Hand gemolken. Im RTL-Dorf sind die Container (denn letztlich leben die Beteiligten in nichts anderem) mit Fassaden beklebt und um einen kleinen Platz gruppiert, mit Kirchturm im Hintergrund und einem Brunnen, der zumindest so aussieht, als sei er aus Plastik. Während die Idylle des Dorfes beschworen wird, verkörpern die Fassaden eher das Bild des Vororts oder der Kleinstadt. So wohnen die Chefs hinter den »Mauern« eines kleinen, propperen Gründerzeithauses, das normalerweise in keinem Dorf zu finden ist.
Mal abgesehen von der Frage, ob man Laien in den Rollen der segregierten Gesellschaft aufeinander hetzen darf, stellt sich die Frage, was diese keineswegs zufällig gewählte Zuordnung von Fassade, Wohnmobiliar und sozialem Standard zu bedeuten hat. Es ist zumindest eine feine Lektion in Sachen Architektur: Der gnadenlose und gnadenlos überwachte Konkurrenzkampf wird von architektonischen Bildern der einfachen Sehnsucht kaschiert. Unterschichtfernsehen wird das inzwischen genannt, nicht zuletzt deshalb, weil hier mit Sehnsüchten der Menschen kalkuliert wird, die nicht verstehen, warum über eine Fassade an einem anderen Ort derart gestritten wurde. Christian Holl
Der Autor ist freier Architekturkritiker und Partner von frei04 publizistik, Stuttgart
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