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Die Katastrophe, die Stadt heißt

Zur 10. Architekturbiennale in Venedig
Die Katastrophe, die Stadt heißt

Man wird sich diese Biennale merken: Sie geht als jene in die Annalen ein, die mehr als nur ein freundliches Familientreffen von Baukunstfürsten wie Calatrava oder Hadid oder der verlängerte Seminartisch von HdM oder OMA ist. Der englische Kurator Richard Burdett hat es vermocht, die Architektur von ihrem selbst gebauten Sockel zu stoßen und mit dem Thema »Città. Architettura e società« alle selbst ernannten Welt- und Raum-Gestalter zu einem Moment der Selbstreflexion zu zwingen. Burdett machte die Annahme zum Thema, dass im Jahr 2050 gut 75 Prozent der Menschheit in Städten wohnen werden – wobei nicht klar ist, in welchen. Klar ist nur, dass den Status, den man humanes Wohnen nennen könnte, bei Weitem nicht alle erreichen werden. Wenn man weiß, dass sich bis dahin in Brasilien, Indien oder China Mega-Citys, deren Namen uns heute noch gar nicht geläufig sind, mit mehr als zehn Mio Einwohnern in die globale Landkarte gefressen haben, dann heißen die neuen Themen: Grundversorgung mit Wasser und Energie, Abwasser, Massentransport, Nachhaltigkeit – nicht unbedingt das, was auf einer typischen Architekten-Agenda steht. Burdetts Ausstellung zeigt an 16 Beispielen (von São Paulo über London, Barcelona bis Shanghai) Siedlungs- und Dichtestrukturen, deren Ausdruck im Stadtbild und (eingeschränkte) Entwicklungsmöglichkeiten. Das ist zunächst einmal spröde, wird aber spannend, sobald angesichts der Probleme des drohenden Mangels, der Segregation und Verslumung der Handlungsbedarf deutlich hervortritt.

Das Schlachtschiff der Ausstellung, die 300 Meter langen Corderie dell‘ Arsenale, vereint die jeweils unterschiedlichen Aggregatzustände der Städte: Wie an einer Perlenkette aufgeschnürt, werden die Metropolen vergleichbar, obwohl sie doch so unterschiedlich sind (z. B. Berlin mit 3,5 Mio Einwohnern, Tokio dagegen mit 35 Mio).
Wen es nach mehr verlangt, der muss in den Italienischen Pavillon, wo führende Architekturinstitute und Protagonisten wie OMA-AMO (Rotterdam) oder ETH Studio Basel nachtgearbeitet haben. Erfrischend dabei der britisch-zynische Kommentar von Nigel Coates, der unter dem Motto »Babylon: don« kleine, bunte Dioramen als City-Provokationen basteln ließ. London als Babylon, das mit englischer Kultur und Sprache nur noch minderheitliche Gemeinsamkeiten hat und in Europa die Inkarnation der Multikulti/Absteiger/Aufsteigergesellschaft ist, wird als Miniaturtheaterstück inszeniert – man begreift hier schnell, wie weit fort sich die globale Stadt von der intakten europäischen entwickelt hat. Das gilt auch für die visuelle Oper »C on City« von »C Photo Magazine«, die beklemmende Sinnzusammenhänge offen legt; u. a. in einem provozierenden »stil life«, worin nackte Menschen in einer riesigen Collage aus Käfig-Betten zusammenleben. Besser kann der gefühlte Zustand von Millionen von Menschen, die wohnen wollen und doch nur vegetieren, nicht illustriert werden.
Infolge solcher Fakten und Bilder war dann die Frage einer ORF-Reporterin an Wolf D. Prix die richtige, ob denn angesichts dieser verheerenden Entwicklungen Architekten und Planer überhaupt die Chance einer ordnenden Intervention hätten. Prix war überrascht, sagte: »natürlich«, stockte, fügte dann »nicht« hinzu und offenbarte das Dilemma: Wo sind die Auswege? Sicher nicht in seiner Show »Stadt = Forum Raum Netz«; wo wieder einmal die gestrigen Erfolge Österreichs gefeiert werden. Holleins eindrucksvoll präsentierte Stadtutopie als Flugzeugträger hätte man sich schon immer in Venedig gewünscht – nur nicht diesmal.
Angesichts der autistisch wirkenden Auswahl von Themen der Selbstbespiegelung in den Nationenpavillons wie von Israel (Mahnmalkultur) oder USA (New Orleans) verstärkt sich der Eindruck, dass das überkommene Nationalstaaten-Leistungsmodell nicht mehr dazu taugt, die komplexen Probleme zu erfassen. Pläne für den Wiederaufbau von Orleans zu zeigen ist wichtig. Letztlich werden dort aber nur Schäden beseitigt, die durch Umweltignoranz entstanden sind. Schade Mr. Bush, dass Ihre Intelligenzija erst jetzt antreten darf.
Der Deutsche Pavillon kommt gut weg. Nachverdichtung, Upgrate, spielerische Inbesitznahme – die Stadt wieder zum Lebensraum machen – das passt auch nach Burdetts Einschätzung vorzüglich zum Gesamtthema. Die größte Energie und den größten Teil des Budgets haben die Kommissare Armand Grüntuch und Almut Ernst in die eigentliche »Konversion« des Deutschen Pavillons gesteckt. Dem kann man nun aufs Dach steigen und eine grandiose Aussicht genießen. Und damit ist endgültig der Beweis erbracht, dass dieser Pavillon auch jenseits traditioneller Hängungen »bespielbar« ist. Leider hatten die Franzosen eine ähnliche Idee für die Eroberung ihres Hauses, und weil sie in ihrer »Métavilla« französisches Savoir-vivre in Wohngemeinschaftsmanier präsentieren, besitzen sie die größere Popularität auf der Biennale.
Das sollte indirekt auch den Deutschen Mut machen: Mit »Deutschlandschaft« (2004) und jetzt »Convertible City« wurde zweimal (recht ähnlich) die Reflexion der Architektur auf deutsche Stadtverhältnisse anhand der besten Bauprojekte präsentiert. Jetzt wünscht man sich für das nächste Mal einen anderen Diskurs mit mehr Humor.
Den zeigt auf eigentümliche Weise Neapel. Unter dem Etikett » Metrò-Polis« will Bella Napoli beweisen, dass nur Architekten den »USP«, den Unique Selling Point, schaffen können. Von Botta, über Eisenman, Souto de Moura bis Hadid sind sie alle angetreten, um den neuen U-Bahn-Stationen Gestalt zu geben. Auffälligste Skulptur ist Anish Kapoors amorph-elliptischer Eingang, der in guter alter Future-Systems-Manier genitale Formen zu Bauskulpturen verarbeitet – wie gesagt: Insgesamt zeigt die Biennale, dass wir schon viel weiter sind. Dirk Meyhöfer
Der Autor ist freier Journalist für Architektur, Design und Städtebau. Er lebt und arbeitet in Hamburg.
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