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Dichtes Wohnen am Stadtrand

Diskurs
Dichtes Wohnen am Stadtrand

Mit der Musterhaussiedlung »9=12« startete Adolf Krischanitz in Wien-Hadersdorf ein hochambitioniertes Bauprojekt, bei dem der Baustoff Beton im Vordergrund steht. Neben den Anforderungen des geförderten Wohnbaus waren auch die Ideen weiterer acht Architekturbüros unter einen Hut zu bringen. Es entstanden einzelne erfrischende Lösungen, bei der Gesamtbetrachtung bleiben jedoch einige Fragezeichen.

~Barbara Feller

Angesichts des internationalen Wettbewerbs sehen sich viele Städte dem Druck ausgesetzt, neue Angebote zu schaffen, die den Bedürfnissen der Menschen entgegenkommen. Auch in Wien versucht die Stadtpolitik mit unterschiedlichen Maßnahmen und Initiativen die mannigfachen Wohnwünsche zu erfüllen und für spezielle Zielgruppen und Erfordernisse Projekte anzubieten.
Wesentlich in diesem Zusammenhang war die 1992 beschlossene Änderung des Kleingartengesetzes, mit der ganzjähriges Wohnen in Kleingärten (Grundstücksgröße durchschnittlich 200 bis 250 Quadratmeter) erlaubt wurde. Mit diesem Gesetz ist die gegenüber Siedlungen traditionell skeptische Sozialdemokratie über ihren eigenen Schatten gesprungen und hat das Angebot in Richtung »durchgrüntes Wohnen« ausgedehnt.
Daneben entstanden und entstehen, insbesondere seit zehn, fünfzehn Jahren, eine Reihe von thematischen Wohnprojekten, die unterschiedliche Bedürfnisse abdecken und vom Wohnen im Hochhaus bis zur autofreien Siedlung reichen. Die Angebotspalette hat sich damit ein wenig differenziert, wobei jedoch nicht übersehen werden darf, dass die Mehrzahl der neuen Wohnungen – seien es direkt von der Stadt errichtete Gemeindewohnungen oder mit Mitteln der Wohnbauförderung unterstützte Projekte – noch immer nach traditionellen städtebaulichen Mustern und mit wenig innovativen Grundrisslösungen entstehen.
Ein bemerkenswertes aktuelles Projekt ist die als Mustersiedlung »9=12« bezeichnete Wohnanlage in Wien-Hadersdorf am westlichen Rand der Stadt. Bereits im Jahr 2000 hatte die Planung dafür begonnen, im Oktober 2007 konnten die 42 Wohnungen schließlich bezogen werden. Die lange Zeitspanne, die insbesondere in der Planungsphase aufgewendet wurde, macht bereits deutlich, dass hier keine gewöhnlichen Häuser entstanden sind, vielmehr ist die Anlage gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Bereits auf den ersten Blick sticht die für Wohnbauten dieser Größe recht ungewöhnliche Außenhülle aus Sichtbeton ins Auge. So auch die große Dichte, die sich durch zehn Mehrgeschosshäuser (mit je drei bis sechs Wohnungen) auf einer Fläche von nur 7800 Quadratmetern ergibt. Diese Dichte, die speziell in West-Ost-Richtung zwischen den einzelnen Häusern oftmals nur schmale Erschließungswege mit Ausblick auf eine kaum sechs Meter entfernte graue Betonwand ergibt, wirkt insbesondere im Kontext der umgebenden Einfamilienhäuser befremdend und dem Ort nicht wirklich angemessen. Etwas weniger wäre hier wohl mehr gewesen.
Die Idee zur »Mustersiedlung«, die mit dieser Begrifflichkeit Assoziationen zu Modellprojekten wie etwa den in den zwanziger und dreißiger Jahren entstandenen Werkbundsiedlungen heraufbeschwört, entstand aus persönlichen Kontakten des Architekten Adolf Krischanitz sowohl zum Baustoffproduzenten Lafarge Perlmooser als auch zum Bauträger ÖSG (Stadtentwicklungs- & Wohnbaumanagement GmbH). Die Betonproduzenten wollten ihren weit verbreiteten Baustoff, der jedoch zumeist unsichtbar hinter Wärmedämmung und Verputz verschwindet, in seiner Vielfalt und mit seinen unterschiedlichsten Gestaltungsmöglichkeiten zeigen und Adolf Krischanitz konnte damit ein weiteres innovatives Siedlungskonzept entwickeln. Eine klassische Win-win-Situation, die durch die Beiziehung ausgezeichneter Architekten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz sowie die Unterstützung weiterer Firmen aus der Bauindustrie möglich wurde. Dass das Ergebnis dennoch nicht in allen Details überzeugt, liegt an der schon erwähnten Dichte und den in ihrer Massivität zumindest gewöhnungsbedürftigen Betonflächen. Insbesondere die südliche Grundstücksgrenze vermittelt mit den Umfassungsmauern der Tiefgarage und den ›
› an dieser Stelle massigen und wenig gegliederten grauen Betonfassaden einen hermetischen und abweisenden Eindruck. Einmal diese Schwelle überschritten, eröffnet sich jedoch in der Mitte der Anlage ein grüner »Anger«, der einen großzügigen Eindruck hinterlässt.
Angenehm fällt das Fehlen von Zäunen auf, und sobald die Bepflanzung ein wenig mehr gewachsen ist, wird der von Anna Detzlhofer konzipierte Camouflage-Effekt (mit unterschiedlichen Blattstrukturen und jahreszeitlich wechselnden Farben) noch stärker zu erleben sein.
Die nunmehr zehn, von neun Architekten geplanten Häuser (ursprünglich waren am linken oberen Eck drei frei stehende Einzelhäuser geplant, woraus sich auch der Name der Anlage ableitet), die sich in zwei leicht versetzten Reihen zu je fünf Häusern rund um die grüne Mitte gruppieren, zeigen sowohl in ihrer Außengestaltung wie auch der inneren Erschließung eine große Bandbreite von unterschiedlichem Aussehen und vielen Varianten an Grundrisslösungen. Viele Wohnungen haben – zumeist kleine – private Freiräume wie Loggien, Balkone oder Terrassen und sind so angelegt, dass die Fenster immer in zumindest zwei Richtungen gehen, womit differenzierte Ausblicke geboten werden. Bei Größen zwischen 80 und 130 Quadratmetern ergeben sich damit ganz unterschiedliche Wohnumgebungen: vom weitgehend frei gestaltbaren Raumkontinuum bis zu vordefiniert kleinen Räumen, von Wohnungen auf einer Ebene bis zu dreigeschossigen Maisonetten.
Ganz aus dem Rahmen fällt eine von Hans Kollhoff geplante klassizistische Villa mit ihrer streng symmetrischen Anordnung und dem überstehenden Dach. Die anderen neun Häuser folgen – bei aller Individualität – einen gemeinsamen Duktus, der sie trotz der unterschiedlichen Handschriften zu einem homogenen Ensemble vereint. Dass schließlich doch nicht alle Häuser in Sichtbeton errichtet wurden, lag sowohl an gestalterischen Entscheidungen einzelner Architekten als auch an den engen finanziellen Rahmenbedingungen, die diese Einsparung erforderten. Die Auswahl der Architekten erfolgte auf Vorschlag des Gesamtleiters Adolf Krischanitz, der aus Österreich Hermann Czech und Heinz Tesar, aus Deutschland Max Dudler, Otto Steidle und Hans Kollhoff sowie aus der Schweiz Peter Märkli, Roger Diener und Marcel Meili/Markus Peter einlud. Die einzelnen Bauplätze wurden in der Folge verlost und in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Baustoffpartnern konzipiert. Diese brachten sich einerseits mit der Entwicklung und Erprobung von neuester Technologie ein und leisteten damit eine wichtige Forschungsarbeit im Bereich von innovativem Baustoffeinsatz, andererseits unterstützten sie das Projekt auch durch die Übernahme von Planungskosten sowie durch Maßnahmen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit.
Die Stadt Wien beteiligte sich an den Gesamtbaukosten von rund 6,7 Millionen Euro durch die Gewährung von ca. 2,5 Millionen Euro aus Mitteln der Wohnbauförderung. Denn eine wesentliche Auflage war es, die Anlage unter den Bedingungen des geförderten Wohnbaus zu errichten und den Mietern die Wohnungen zu erschwinglichen Konditionen anbieten zu können. Dies erklärt auch die lange Planungsphase, die notwendig war, um die Rahmenbedingungen für eine auch wirtschaftliche Realisierung zu schaffen. Das große Interesse – die Genossenschaftswohnungen mit Eigentumsoption waren innerhalb kurzer Zeit vermietet – und die Zufriedenheit, die sich aus Gesprächen mit Bewohnern heraus hören lässt, zeigt, dass es Bedarf an derartigen Angeboten gibt, wenn auch diese Mustersiedlung mit ihren spezifischen Rahmenbedingungen wohl nur Anregungen, aber kein Modell für eine breite Realisierung bieten kann. •
Zur Autorin: Studium der Geschichte, Philosophie, Psychologie und Pädagogik. Kuratorin und Autorin, Schwerpunkte Architektur, Stadt und Leben im 20. Jahrhundert. Geschäftsführerin der Architekturstiftung Österreich.
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