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Der Reiz komplexer Randbedingungen

Gespräch mit Volker Staab
Der Reiz komplexer Randbedingungen

Kaum ein deutscher Architekt hat in den letzten Jahren so viele bedeutende Preise erhalten wie Volker Staab – zuletzt den Großen BDA-Preis 2011 und den Preis des Deutschen Stahlbaus 2012. Auch die Vielfalt und Komplexität der von ihm bearbeiteten Bauaufgaben ist ziemlich einzigartig in der deutschen Architekturszene. Und doch steht Volker Staab, der seit 1991 ein eigenes Büro in Berlin führt (seit 1996 gemeinsam mit Alfred Nieuwenhuizen), längst noch nicht so sehr im Fokus wie manch anderer, zunehmend auch im Ausland tätiger Kollege. Höchste Zeit, den vielversprechendsten Baumeister des »neuen Deutschland« näher kennenzulernen.

Interview: Oliver G. Hamm

Oliver G. Hamm: Sie hatten ihre ersten Wettbewerbserfolge und dann auch ihre ersten Aufträge vor rund 20 Jahren in Bayern – und Sie sind dort auch im Moment mit fünf laufenden Projekten stark engagiert. Sind die Rahmenbedingungen für Architekten in Bayern besser als, sagen wir mal, in Berlin, wo Sie vergleichsweise wenig gebaut haben?
Volker Staab: Ich muss gestehen, dass die öffentlichen Projekte in Bayern zu den angenehmsten in Deutschland gehören, weil es dort – noch, muss man sagen – eine mindestens z. T. sehr gute Bauverwaltung gibt, die oft auch ein inhaltliches Interesse verfolgt und ihre Rolle nicht nur als Managementaufgabe versteht. Insofern bin ich nicht unglücklich darüber, dass wir so viel in Bayern bauen. Der Ausgangspunkt war aber eher zufällig: zwei Wettbewerbserfolge in Nürnberg (Neues Museum, 1991-99) und München (Erweiterung des Bayerischen Landtags, 1992-94).
Dass wir allerdings in Berlin nicht so sehr zum Zuge gekommen sind war dagegen kein Zufall. Zur Zeit von Hans Stimmann (Senatsbaudirektor 1991-96 und 1999-2006, Anm. d. Red.) gehörten wir nicht zu den stramm Linientreuen und damit nicht zum Kreis jener, die in dieser Stadt als wohlgelitten angesehen wurden. Deshalb sind wir seinerzeit auch nie zu irgendwelchen Verfahren eingeladen worden – was sich unter der gegenwärtigen Senatsbaudirektorin Regula Lüscher allerdings geändert hat.
Haben die guten Rahmenbedingungen der Bauverwaltung in Bayern auch mit der – noch – guten Personalausstattung zu tun?
Es ist generell zu beobachten, dass Bauverwaltungen bundesweit immer mehr von Juristen »unterwandert« werden. Dieser Prozess schreitet auch in Bayern voran. Die Bauverwaltungen sind landauf, landab in die Kritik geraten, weil manche den inhaltlichen Anspruch schon ganz ad acta gelegt haben. Das hängt ja auch von Personen ab, die z. B. ein Bauamt leiten. Früher waren das oft Architekten, die ein echtes Interesse an der Architektur hatten, aber sie werden immer weniger. Das ist ein bundesweites Phänomen.
Ist für Sie die Kommunikation über Architektur dadurch schwieriger geworden?
Eindeutig ja. Ein Gebäude wie das Neue Museum in Nürnberg könnten wir heute so nicht mehr bauen. Die Kontaktfrequenz mit unserem Anwalt hat sich vervielfacht.
Wie gehen Sie grundsätzlich an den Entwurf Ihrer Projekte heran? Fangen Sie immer einfach »bei null« an?
Wenn man unsere Arbeiten anschaut, dann kann man eine gewisse Vorliebe feststellen und zwar für Arbeiten mit komplexen Randbedingungen. Es fällt mir einfach leichter, daraus ein spezifisches Projekt zu entwickeln als beispielsweise bei einem Bürogebäude auf der grünen Wiese. Man kann es einen Verdichtungsprozess nennen, die vielen, sich z. T. widersprechenden Anforderungen – des ganz physischen Kontexts, der inhaltlichen Vorgaben – diese vielschichtigen Randbedingungen so zusammenzudenken, dass sich daraus ein für diese Aufgabe originäres Projekt entwickelt.
Sie haben auffallend viele Museen, aber auch Institutsbauten realisiert, bei denen es jeweils oft sehr komplexe und detaillierte Raumanforderungen einerseits und den Wunsch nach dem »großen Ganzen« andererseits gibt. Reizen Sie solche Aufgaben mehr als andere?
Heute wird man »zwangsspezialisiert«, das heißt, wenn man einmal ein Museum gebaut hat – oder ein Institutsgebäude –, wird man immer wieder zu entsprechenden Wettbewerben oder Bewerbungsverfahren eingeladen. Diese Fokussierung habe ich mir nie ausgesucht. Ich finde gerade die Differenz an thematischen Inhalten spannend. Wenn man z. B. ein Institut für Nanotechnologie plant, kommt man nicht umhin, sich auf die Welt eines Forschers einzulassen. Insofern hätte ich nichts dagegen, wenn wir mal ein Theater bauen dürften.
Welche bislang noch nicht realisierte »Lieblingsbauaufgabe« würde denn Ihr besonderes Interesse wecken?
Ich würde eigentlich gerne mal einen Wohnungsbau planen, insbesondere wenn er inhaltlich anspruchsvoll wäre.
Denken Sie dabei an ein Einfamilienhaus?
Nein, eher an ein Wohnprojekt, in dem wir über eine räumliche Umsetzung z. B. neuer Wohnformen nachdenken könnten.
Wie beurteilen Sie die Rolle des Architekten in der Gesellschaft in der heutigen Zeit permanenter Umbrüche, verglichen mit den 20er und 30er Jahren? Würden Sie mir zustimmen, dass seinerzeit Architekten sehr viel stärker als sich verbal äußernde und auch handelnde Subjekte der Gesellschaft in Erscheinung getreten sind?
Ich glaube, dass wir heute politische Aktivitäten vielleicht anders verstehen und ideologischen Ansätzen mit einer gewissen Skepsis begegnen. Natürlich waren die 20er Jahre von gesellschaftlichen Visionen geprägt, mit einem ganz anderen Glauben an Veränderungsmöglichkeiten und an den Beitrag von Architektur. Dieser Glaube existiert heute nicht mehr, insofern erscheint mir die gesellschaftliche Rolle des Architekten heute eher begrenzt. Als Bürger sind wir natürlich Teil der Gesellschaft und damit auch, wie sie es nennen, »handelnde Subjekte«. Natürlich können wir mit all unseren Projekten auch ein räumliches Potenzial schaffen, welches auch soziale Interaktion ermöglicht.
Wie nehmen Sie den gegenwärtigen »Nachhaltigkeitswahn« wahr und wie reagieren Sie mit Ihrer Architektur auf das Erfordernis energetischer Einsparungen?
Ich habe ein Problem damit, wenn isolierte Parameter von Architektur herausgenommen werden und plötzlich zum einzig Relevanten erklärt werden. So geht es mir mit der Nachhaltigkeit, die natürlich in allen gesellschaftlichen Bereichen ein enorm wichtiges Thema ist. Gerade in der Architektur kann man am besten sehen und auch an vielen Beispielen belegen, dass da unheimlich viel Unseriöses betrieben wird. Da gibt es eine ganze Lobby der Haustechnikbranche, die versucht, ihre letztendlich wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen. Zu einer guten Architektur gehört natürlich die Nachhaltigkeit, aber eine Architektur, die sich nur auf Nachhaltigkeit konzentriert, vernachlässigt so viele andere Aspekte. Was für mich den Reiz der Architektur ausmacht, ist gerade ihr komplexes Anforderungsfeld: gesellschaftliche, städtebauliche, ästhetische und auch nachhaltige Aspekte. In der Neigung, immer wieder ein Thema isoliert herauszustellen, wie derzeit eben die Nachhaltigkeit, sehe ich eine große Gefahr.
Lassen Sie uns über ein paar neue Bauten Ihres Büros sprechen. ›
› Ganz aktuell sind zwei Bauten in Kassel, das Besucherzentrum am Herkules und die sanierte und umgebaute Neue Galerie. Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus den ersten Reaktionen auf beide Werke?
Es gibt natürlich immer sehr unterschiedliche Reaktionen. Zur Wiedereröffnung der Neuen Galerie Ende November 2011 gab es, neben sehr positiven Reaktionen, auch manche kritische Stimme, etwa zum Umgang mit der Fassade, weil wir die originale Fensterteilung nicht wieder aufgenommen haben. Die Einfügung des offenen Treppenhauses im Eingangsbereich und auch der neue Rundgang wurden dagegen durchweg positiv aufgenommen.
Sie haben sich aber sicher eng mit der Denkmalpflege abgestimmt, oder?
Ja. Aber die Denkmalpfleger sprechen ja auch nicht immer mit einer Stimme. Für uns war die Arbeit an der Neuen Galerie kein klassisches denkmalpflegerisches Thema, weil es innen so gut wie keine originalen Oberflächen mehr gab. »Das Original« bestand für uns in dem Rhythmus der Raumfolgen: der Kabinetträume, der Oberlichtsäle und der Ausblicksräume. Wir haben versucht, über die gemeinsame Oberfläche mit den Neubauteilen daraus wieder ein Gemeinsames zu machen.
Interessant finde ich, dass das Besucherzentrum am Herkules (s. db 11/2011, S. 26-31) beinahe mehr Aufmerksamkeit bekommen hat als die Neue Galerie. Vermutlich, weil es als Objekt funktioniert. Architektur als Objekt ist heute medial anscheinend viel leichter vermittelbar, weil sie über die Fotografie viel leichter zu begreifen ist als räumlich komplexere Konstrukte. Es gibt zwei Bauwerke in unserem Portfolio, die als kleine, fast skurrile Objekte funktionieren: das »Wiesengebäude« (Servicezentrum auf der Theresienwiese, München, 2002-04, Anm. d. Red., s. db 12/2004, S. 10) und das Besucherzentrum am Herkules. Sie haben die größere mediale Aufmerksamkeit bekommen als manche Projekte, die ihre Eigenart eher durch ihre innenräumliche Qualität entwickeln. Aber in der medialen Vermittelbarkeit von Architektur hat dieses Objekthafte, Zeichenhafte ein leichtes Spiel.
Mir ist aufgefallen, dass Sie bislang kaum im Ausland gebaut haben – und wenn, dann immer im Auftrag des deutschen Staats. Gibt es dafür Gründe?
Für mich gibt es einen großen Unterschied zwischen dem europäischen Ausland und, sagen wir, China. Diese Lust, in Shanghai, oder meinetwegen auch in Dubai oder Abu Dhabi zu bauen, habe ich nie verspürt. Wir haben die Deutsche Schule in Sydney gebaut (2003-08), das fand ich als Erfahrung ganz interessant, aber es kam mir auch absurd vor, wegen dieser kleinen Schule um die halbe Welt zu fliegen.
Orientieren Sie sich dennoch auch daran, was im Ausland gebaut wird?
Das Ziel wäre eigentlich immer, ganz unvoreingenommen auf die Suche nach der Architektur zu gehen. Aber man muss das realistisch sehen: Die Dinge, die man sieht, wenn man durch die Welt reist, lassen einen nicht unbeeinflusst. Wir alle sind eine Art Verarbeitungsmaschine von visuellen Einflüssen, insofern gehen alle diese Bilder, die man mitkriegt, nicht spurlos an einem vorüber. Doch versuchen wir dem Reflex zu widerstehen uns am Formalen zu orientieren, sondern vielmehr aus dem Inhalt heraus eine zeitgemäße und sinnfällige Form zu entwickeln.
Sie haben schon an verschiedenen Hochschulen gelehrt. Weil Sie eben das Plakative angesprochen haben: Stellen Sie eine Veränderung in der Wahrnehmungsfähigkeit von Architekturstudenten und angehenden Architekten fest?
Ich denke, dass sich in den letzten Jahren schon etwas geändert hat. Das hängt sowohl mit der Arbeitsweise als auch mit den medialen Bildern zusammen. Mich beunruhigt, dass über das stark auf CAD konzentrierte Arbeiten der Glaube genährt wird, dass der Computer auch das Konzept also die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Aufgabe mit erledigt. Ich erlebe manchmal eine gewisse Hilflosigkeit, was das komplexe Bearbeiten von Architektur anbelangt.
Gibt es so etwas wie den Fluch der Machbarkeit jeder erdenklichen Form?
Ja. Vor allem der Irrglaube, dass jede mit dem Computer generierbare Form schon Architektur sei, ist eines der größten Probleme, das wir heute an den Hochschulen haben.
Herr Staab, vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit.
  • Das Interview führte Oliver G. Hamm am 16. April 2012 in Berlin. Er war Chefredakteur des Deutschen Architektenblatts (2000-07) und arbeitet seit fünf Jahren als freier Autor, Herausgeber, Redakteur und Kurator in Berlin.
  • Volker Staab, 1957 in Heidelberg geboren, ist zusammen mit Alfred Nieuwenhuizen Inhaber des Architekturbüros Staab Architekten mit Sitz in Berlin. Er ist Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und nach Gastprofessuren in Berlin, Münster und Stuttgart seit 2012 Professor an der TU Braunschweig.
»V. a. der Irrglaube, dass jede mit dem Computer generierbare Form schon Architektur sei, ist eines der größten Probleme, das wir heute an den Hochschulen haben.«
»Bauverwaltungen sind in die Kritik geraten, weil manche den inhaltlichen Anspruch schon ganz ad acta gelegt haben.«
Eine Architektur, die sich nur auf die Nachhaltigkeit konzentriert, vernachlässigt so viele andere Aspekte.
Die Lust, in Shanghai, oder meinetwegen auch in Dubai oder Abu Dhabi zu bauen, habe ich nie verspürt.
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