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Backsteinstadt Hamburg – bald nur noch als Fototapete zu haben?

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Backsteinstadt Hamburg – bald nur noch als Fototapete zu haben?

Backsteinstadt Hamburg – bald nur noch als Fototapete zu haben?
Luftbild von Halle mit dem Multimedia- zentrum (siehe S. 51): Bertram Kober, PUNCTUM Leipzig Titelbildgestaltung: Stefan Pangritz, Atelier für Gestaltung, Lörrach
Der gebrannte Ziegel hat sich im Norden Deutschlands seit dem Mittelalter mit seiner Backsteingotik als ein besonderes Merkmal der dortigen Baukultur etabliert. Seine bautechnischen Vorzüge und stadtbildprägende Qualität erkannten in den zwanziger Jahren auch der Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher und sein Kollege Gustav Oelsner aus der damals noch eigenständigen Nachbarstadt Altona. Sie schufen in dieser Zeit das, was Schumacher für seinen Zuständigkeitsbereich die »Wohnstadt Hamburg« nannte: die durch Klinkerfassaden geprägten Stadtteile wie Barmbek, Winterhude oder Dulsberg. Heute muss Altona dazugezählt werden. Sowohl die Speicherstadt und das innerstädtische Kontorhausviertel der Zwanziger Jahre mit dem weltberühmten Chilehaus als auch die Ära des Hamburger Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg formten die norddeutsche Metropole weiter als eine Backsteinstadt. Eine Tradition, auf die sich der heutige Oberbaudirektor Jörn Walter und sein Amtsvorgänger Egbert Kossak gerne beriefen und berufen. Das dürfte ihnen demnächst schwerer fallen. Immer mehr Backsteinbaufassaden verschwinden hinter Wärmedämmverbund-systemen, die den expressiven Ausdruck, die handwerkliche Besonderheit und die Reliefstruktur der stadtbildprägenden Außenwände verkleben. Mancherorts werden die neuen Oberflächen wie eine Tapete mit Steinmustern nach dem fotografischen Abbild des Originals erstellt oder mit einem Gemisch aus Kunststoff und Ziegelmehl nachgebildet. Dort, wo die Denkmalpflege oder bewegte Bürger als Wächter der Stadtgestalt nicht mitreden können oder mitreden wollen, wird die Backsteinstadt Hamburg sogar gnadenlos im Weißputz erstickt. Das betrifft dann vornehmlich Bauten, denen kein besonderer Denkmalwert zugestanden wird, die für das Bild der Stadt aber relevant sind. Ausgerechnet das städtische Wohnungsunternehmen SAGA schreitet bei dieser von ihr so genannten »bewahrenden Modernisierung« allen Entscheidungsträgern voran. Das als »Gemeinnützige Siedlungsaktiengesellschaft Altona« in den Zwanziger Jahren vom Altonaer Bürgermeister Max Brauer gegründete Unternehmen tat sich erst kürzlich mit der Schwestergesellschaft GWG zusammen und verwaltet nun einen Bestand von mehr als 130 000 Wohnungen. Zu den ersten Aktionen der SAGA gehörten damals eben jene von Brauers politischem Mitstreiter Oelsner entworfenen Wohnbauten. Als Zeichen des kommunalen sozialen Verantwortungsbewusstseins erhielten sie eine robuste Fassade, deren Backsteinästhetik gleichzeitig von Identität stiftenderWirkung war. Die Textur der Fassaden vor allem aber die für Oelsners Bauten typische Mischung von gelben und roten Klinkern werden zwar an vielen Stellen in Kunststoff kopiert – um zumindest ihr Bild zu erhalten –, dafür bekommen allerdings die Fenster wesentlich tiefere Laibungen, die das neue Bild der Häuser nun maßgeblich bestimmen (siehe Abbildung). Kurzfristig machen sich die Maßnahmen durch schnell zu wärmende Wohnungen und niedrigere Betriebskosten bemerkbar. Wenn dieser Vorteil aber, wie absehbar, ausgeglichen sein wird, ist für eine kurzfristige Ersparnis viel bauliche Qualität und baugeschichtliche Identität zerstört worden. Aus Kostengründen beschränkt, hat die SAGA nur an wenigen Stellen eine Sanierung im Bestand durchgeführt. Für eine eigene Entwicklung alternativer Methoden zur kostengünstigen Erhaltung des Stadtbildes mangelt es offenbar an Ideen und für eine externe Untersuchung mag man nach eigenem Bekunden kein Geld ausgeben. Das ist eine überaus fragliche Haltung zur Baukultur der Stadt. Denn auch wenn die Verantwortlichen den wesentlich wartungsaufwändigeren Ersatzputz für die Klinkeroberfläche mit dem Hinweis auf Sachzwänge bedauern sollten, wird eine Fotokopie natürlich nie das Original der Backsteinstadt Hamburg ersetzen. Sie geht unwiederbringlich verloren. Olaf Bartels

Der Autor arbeitet als Architekturkritiker und Architekturhistoriker in Hamburg.
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