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städtebauliche Aufholjagd in Aarhus zum Kulturhauptstadtjahr

Die zweitgrößte Stadt Dänemarks setzt große Pläne in die Tat um
Aarhus holt auf

Mehr und mehr Küstenstädte entdecken die Vorzüge ihrer Lage am Wasser und verbannen die industriellen Hafennutzungen an die Peripherie. Die Jütland-Metropole Aarhus ging die Planungen dazu gezielt an und hat bereits erste Erfolge zu verzeichnen. Mit Blick auf den Status als europäische Kulturhauptstadt 2017 wird der Stadtorganismus jedoch noch weiteren Veränderungen unterzogen.

Aarhus? Doch, das kennen Sie – von dem wunderschönen Rathaus her, das Arne Jacobsen mitten in den Kriegsjahren als wundersame Mischung aus repräsentativer Monumentalität und bescheidener Übersichtlichkeit errichtet hat, mit freundlichen, fast wohnzimmerartigen Innenräumen, die wir in einer solchen Ausformung eigentlich erst aus den 50er Jahren kennen.

Und Sie sollten auch den nichts weniger als wunderschönen Universitätscampus kennen, ein von C.F. Møller und Kay Fisker bereits in den 30er Jahren mit simpel wirkenden, prismatischen Klinkerhäusern gesprenkeltes Parkgelände – in Kriegszeiten Sitz deutscher Besatzer, deshalb gezielt beschossen, anschließend unauffällig wiederhergestellt und über die Zeiten behutsam erweitert.
Unauffällig darf man auch das gesamte Stadtbild nennen, nicht schön, nicht hässlich, mit vielen putzigen Ecken, aber auch voller veritabler städtebaulicher Brüche, die der Großspurigkeit von Investoren geschuldet sind. 2017 wird Aarhus – neben Paphos (Zypern) – europäische Kulturhauptstadt sein. Seit einiger Zeit schon rüstet man sich für das große Event und überhaupt für die Zukunft dieser 320 000-Einwohner-Stadt, die jährlich einen Zuwachs von etwa 4 000 Zuzüglern erfährt.
Neue Ufer
Der Containerhafen – der größte in ganz Dänemark und Teil der Stadtseele – wurde um mehrere Hundert Meter auf künstliches Land ins Meer hinausgeschoben und der industriell geprägte bisherige Hafenbereich für neue Bebauung freigeräumt. Auf einer Fläche von 800 000 m² sollen dereinst 7 000 Bewohner und 12 000 Arbeitsplätze unterkommen.
Direkt an der Schnittstelle zwischen der Altstadt, dem ehemaligen und dem neuen Hafen entsteht momentan, quasi als Scharnier, die Mediathek »Dokk1« (schmidt hammer lassen architects), ein einladender Bau, der seine angestrebte Durchlässigkeit allerdings erst noch unter Beweis stellen muss. Von weit draußen grüßt der »Eisberg« herüber, ein Wohnblock, den SeARCH, CEBRA, JDS und Louis Paillard gemeinsam planten und sich dabei im Laufe der Entwurfsphase erstaunlicherweise nicht auseinanderdividierten, sondern auf ein einheitliches Erscheinungsbild mit vielen Durchblicken aufs Meer einigten. Aus der Ferne wie aus der Nähe ein frappierend attraktiver Blickfang, der, Anfang des Jahres fertig geworden, nun in einigen Details Fragen der Wohnqualität aufwirft und nach einer Bewohnerschaft verlangt, die keine Öffentlichkeit scheut. Die einzelnen Wohntürme stehen zwar erhöht auf einer Plinthe, der forsche Stadtwanderer wird seiner Neugier aber nachgeben und die wenigen Stufen vom Wasser her erklimmen – und sich wahrscheinlich auch durch den Wechsel des Bodenbelags nicht vom Betreten der privaten Terrassen abschrecken lassen. Die wie Starenkästen vor die schneeweißen Fertigteil-Fassaden gehängten Balkone mit eisblau getönten Glasbrüstungen machen keinen besonders stark frequentierten Eindruck – ganz im Gegensatz zu manchen tief eingeschnittenen Loggien, die ausreichend Privatheit bieten.
Auf den Flächen zwischen Eisberg und Altstadt tut sich noch nicht viel. Nebenan entstand in jüngster Zeit ein weiterer Wohnblock (3XN), der seinem Namen »Lighthouse« alle Ehre machen wird, sobald das projektierte Hochhaus an der äußersten Geländeecke bezogen sein wird. Der Bürgermeister ermunterte die Architekten, doch ruhig noch ein paar Geschosse draufzusetzen – 142 m hoch soll es nun werden.
Weiter stadteinwärts steht ein Geviert niedriger Wohntürme, von denen drei mit unterschiedlichem Erfolg neue Formen kommunikativer Erschließungsräume als Ersatz für denkbar minimalisierte Studentenunterkünfte ausprobieren (CEBRA, Arkitema, Cubo/Terroir). Das Grundfos-Gebäude darunter dient zusätzlich der Universität Aarhus als Forschungsobjekt in Sachen Energieverbrauch und Gebäudesteuerung.
Neben dem wenig mondänen Yachthafen wächst das stark gerasterte Hauptquartier des Bekleidungskonzerns »Bestseller« in die Höhe (C.F. Møller, Fertigstellung: 2014), daneben zersticht das sternförmig ausgreifende Navitas-Gebäude (centre for innovation, education and energy) den öffentlichen Raum (Architekten: Kjaer & Richter mit Christensen & Co, Fertigstellung: 2014). Es gibt noch reichlich Fläche, auf der sich Investoren austoben können, sofern sie sich dem Auswahlverfahren unterordnen, bei dem nicht der Preis, sondern die Projektqualität entscheidet. Seit der Immobilienkrise kommen leider viele von ihnen jedoch nicht mehr aus dem Knick und so auch die Stadtentwicklung in Aarhus nicht.
Dabei wird die bislang noch recht beschaulich wirkende Stadt immer attraktiver, hinter jeder Ecke wartet mindestens eine Überraschung, sei es in Sachen Historie, Aufenthaltsqualität, Topografie oder Stadtkultur: Den über lange Zeit hinweg mit mehrspurigen Straßen überdeckten Fluss hat man freigelegt und mit Restaurantterrassen belebt, die Universität genießt einen hervorragenden Ruf, und die Kultur blüht. Vom gut ausgestatteten Kunstmuseum leuchten die Farben der einnehmenden Installation »Your Rainbow Panorama« von Olafur Eliasson herab, unweit davon wurde gerade das alternative Kulturzentrum Godsbanen (3XN) fertig und lockt mit robuster Betonarchitektur und einer begehbaren Dachlandschaft. Man ist dabei, den Straßenverkehr neu zu ordnen und neue Quartiere gezielt entlang der projektierten Straßenbahnlinie einzurichten. Neben dem berühmten Freilichtmuseum »Den Gamle By«, das inzwischen dazu übergegangen ist, auch Nachkriegsbauten museal zu bewahren, lockt der Botanische Garten mit tropischer Atmosphäre unter einer mit Folienkissen ausgefachten Stahlkonstruktion (C.F. Møller, Eröffnung: Oktober 2013, s. db 5/2014, S. 32). Außerhalb der Stadt wurden neue Gewerbegebiete erschlossen und im Süden hat das Büro Henning Larsen Architects aus einem Hügel den gewaltigen Neubau für das kulturhistorische Moesgård Museum herausgeklappt (Fertigstellung: Herbst 2014, s. db 9/2015, S. 36). Jährlich pilgern Kulturhungrige in die zweitgrößte Stadt Dänemarks, um die Festwoche zu erleben, die unter der Schirmherrschaft ihrer Majestät Königin Margrethe II. steht und gerne von ihr persönlich eröffnet wird. Den Vergleich zu vielen Städten ähnlicher Größe muss Aarhus ganz sicher nicht scheuen. Viele, z. T. international tätige Architektur- und Designbüros haben hier ihren Sitz. In Bezug auf Kommunikation und Netzwerken werden sie von and+ unterstützt, dem von der Stadt gegründeten Zentrum für Architektur, Neue Technologien und Design, welches mithilft, den auf der ganzen Welt bereits gut eingeführten Begriff »dänisches Design« weiter auszubauen.
Je näher das Kulturhauptstadtjahr rückt, umso mehr sollte man sich überlegen, einen Abstecher nach Aarhus zu machen, um vor Ort die Ergebnisse der ambitionierten Planungen zu überprüfen und die dänische Lebensart zu genießen. Entgegen anders lautender Meinungen wissen die Dänen durchaus mit Lebensmitteln umzugehen – notfalls hält man sich mit den roten Würstchen (pølser) über Wasser und trinkt dazu, ganz nach Dänenart, einen kalten Kakao. •
~Achim Geissinger
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