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2009 ist nie zu Ende

Diskurs
2009 ist nie zu Ende

Das einjährige Mammut-Event »Europäische Kulturhauptstadt« ist Geschichte. Doch in der oberösterreichischen Industriestadt Linz ist das bauliche und kulturelle Echo bis heute nicht verhallt. Profitiert haben vor allem der öffentliche Raum und die kulturellen Einrichtungen. Wojciech Czaja unternahm einen Spaziergang durch die institutionellen Überreste und den Versuch, eine Bilanz zu ziehen.

~Wojciech Czaja

Szene 1:
Die A7 ist die meistbefahrene Autobahn Oberösterreichs. Über den Autokolonnen erhebt sich ein fünfgeschossiges Haus aus Holzschalungstafeln. Farbe und Aussicht sind Programm: Im Gelben Haus Bellevue werden Filme aufgeführt, Ausstellungen gezeigt, Konzerte gegeben. Nach 200 abgehaltenen Veranstaltungen in 84 Tagen ist der gelbe Kunstturm das meistfotografierte Linz-Motiv auf der Internet-Plattform flickr.
Szene 2:
Mitten auf dem Hauptplatz steht ein blecherner Pavillon mit Inhalten von Weltformat. Die Installation »80+1 Eine Weltreise« der Linzer any:time Architekten entführt die Besucher auf eine digitale Reise rund um den Globus. Rund 170 000 Besucher verschaffen sich ein Bild über Klimawandel, Energieversorgung, Gentechnik, Migration und Terror. Mehr als jedes andere Projekt in diesem Jahr lockt 80+1 vor allem Kindergruppen und Schulklassen an.
Szene 3:
Auf dem Dach des City-Parkhauses hat das japanische Atelier Bow-Wow eine hölzerne Landschaft mit dem bezeichnenden Titel Höhenrausch geschaffen. Krönender Abschluss nach oben ist ein knallrotes, 26 m hohes Riesenrad, das von der ganzen Stadt aus sichtbar ist. Laut einer Umfrage des Linzer market-Instituts ist Höhenrausch der mit Abstand bekannteste Programmpunkt von Linz 09.
Mehr als nur ein Durchzugsort
Das Kulturhauptstadtjahr ist zu Ende, die temporären Bauwerke längst Geschichte, der Alltag wieder Herr der Straße. »Für mich ist das Projekt Europäische Kulturhauptstadt eine unglaublich große Chance für den Standort Linz an der Donau«, hatte der Linzer Vizebürgermeister Erich Watzl noch vor einem Jahr gesagt. In der Tat, die Ambitionen waren groß: Von 20 bis 25 % mehr Übernachtungen war die Rede, von der Ansiedelung hochwertiger Kulturinstitutionen und wirtschaftlicher Betriebe, kurzum, von einem nachhaltigen Imagewandel der einstigen Industrie- und Arbeiterhochburg mit der schlechtesten Luftqualität Österreichs.
Der tatsächliche Profit und die Umwegrentabilität der 72-Mio.-Euro-Veranstaltung lässt sich zum heutigen Tag noch nicht beziffern. Fest steht jedoch: Durch Sponsoring, Ticketing und Merchandising konnten Einnahmen in Höhe von rund 19 Millionen verzeichnet werden. Das ist mehr als geplant war. Auch der Arbeitsmarkt hat profitiert: Durch Linz 09 konnten auf direktem und indirektem Wege 4 600 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Offenkundig enttäuscht zeigt sich lediglich die Tourismusbranche: Trotz 2,8 Mio. Besuchern im Jahr 2009 wurde ein Zuwachs bei den Übernachtungen von nur 9,5 % verzeichnet. Die Zahlen, die weit unter den Erwartungen liegen, seien in erster Linie auf die Finanzkrise zurückzuführen, heißt es von Seiten der Veranstalter. Doch welche Bedeutung hat Linz 09 für die Architektur? »Temporäre Bauten spielen eine extrem wichtige Rolle in der Großstadt«, sagt Elke Krasny, »sie geben jeder einzelnen Bewohnerin, jedem einzelnen Bewohner für kurze Zeit die Möglichkeit, den öffentlichen Raum zu besetzen.« Für das Kulturhauptstadtjahr 2009 treffe das im Besonderen zu, erklärt die Wiener Kulturtheoretikerin. »Indem ich einen Ort verändere und ihn mit neuer Identität auflade – sei es mittels eines Riesenrads, mittels eines Veranstaltungshauses über der Autobahn oder einfach nur mittels eines Ausstellungspavillons auf dem Hauptplatz – stärke ich die Wahrnehmung und Sensibilität der Bevölkerung. Ich sehe darin sogar einen gewissen Bildungsauftrag.« Insgesamt schlagen die Baukosten für die temporären Bauten im Rahmen von Linz 09 mit rund 1,4 Mio. Euro zu Buche.
Temporäre Architektur hat Bestand
»Jeder ephemere Eingriff in eine bestehende Struktur hat das Potenzial, in Erinnerung zu bleiben«, sagt der Wiener Architekt Peter Fattinger. Er ist der Vater des Gelben Hauses Bellevue. »Ob es sich dabei um Kunst oder Architektur handelt, ist nebensächlich. Wichtig ist nur, dass das Projekt eine stadtkulturelle Bereicherung ist und dass es nicht nur in den Medien, sondern auch in der Bevölkerung diskutiert und wahrgenommen wird.« Es reicht ein Blick auf flickr: Obwohl das Gelbe Haus bereits Mitte September 2009 abgebaut wurde, ist es nach wie vor im kollektiven Gedächtnis der Stadt verankert.
Doch warum nicht länger beibehalten? »Genau aus diesem Grund«, sind sich Krasny und Fattinger einig. »Temporäre Architektur funktioniert nur dann, wenn mit einem einfachen und handfesten Konzept in kürzester Zeit, doch dafür mit geballter Kraft ein Dialog mit der Bevölkerung eingegangen wird. Mit langfristiger Architektur funktioniert so etwas nicht.« Außerdem dürfe man nicht vergessen: »Das größte Potenzial temporärer Architektur ist das Experimentieren am Rande der Bauordnung«, so Fattinger. »Da die Gebäude nur für kurze Dauer bestehen müssen, kann man Risiken eingehen und neue Dinge ausprobieren, die sonst niemals möglich wären.«
Dementsprechend vorsichtiger und erwachsener präsentieren sich freilich jene Bauten, die »für die Ewigkeit« geschaffen sind. Dazu zählt die Erweiterung des Ars Electronica Centers (28 Mio. Euro), die bauliche Komplettierung des Linzer Stadtschlosses (18 Mio. Euro), der Bau des sogenannten Wissensturmes mitsamt Volkshochschule und Linzer Stadtbibliothek (28 Mio. Euro) sowie für die Sanierung und Verlängerung der so genannten Pöstlingbergbahn (35 Mio. Euro). Das Linzer Musiktheater (143 Mio. Euro) war aufgrund politischer Geplänkel etwas spät dran. Für das Jahr 2009 konnte lediglich der Baubeginn avisiert werden. Das Debakel wurde gelöst, indem man im Rahmen von Linz 09 Baustellenführungen anbot. Ein peinlicher Ersatz. Am halbherzigen und nicht allzu streng genommenen Bauzeitplan rund um das Musiktheater zeigt sich, was sowohl im Marketing des Kulturhauptstadtjahres, als auch im medialen Niederschlag erfolgreich verschleiert wurde: Vom offiziellen Linz-09-Budget floss in die 2009 eröffneten Architekturprojekte kein einziger Cent. Hier fungierte der einjährige Ausnahmezustand lediglich als institutioneller Motor.
Ein strategisch cleverer Schachzug: Allen finanziellen Umständen zum Trotz war die Eröffnung des neuen Ars Electronica Centers (AEC) am 1. Januar 2009 der erste offizielle Programmpunkt von Linz 09. Bis heute gilt das AEC insgeheim als das neue Wahrzeichen der Stadt. Wie ein grob gepixelter Kristall steht das gläserne Ding direkt am Donauufer und macht sich seine Fernwirkung zunutze. Die Wirkung ist imposant, endlich spielt der Standort sein ganzes Können aus: Sobald die Dämmerung einbricht, beginnt das Bauwerk, in das das alte, unaufregende AEC einfach miteinverleibt wurde, in den prächtigsten Farben zu blinken und zu leuchten. Jede einzelne Glasplatte ist ein Farbpixel in der Größe XXL und kann einzeln gesteuert bzw. programmiert werden. Über LED-Leisten dringt das farbige Licht in die Glasplatten.
Und es blinkt noch immer
»Ich wollte nicht, dass das AEC wie ein Stückelwerk aus Alt und Neu dasteht«, sagt Architekt Andreas Treusch, »daher haben wir über alle Bauteile eine homogene Schicht gezogen, die sowohl Hülle, als auch Kommunikationsfläche ist.« Die Bespielung wird von Künstlern programmiert, die Auswahl der Beteiligten wird von Kuratoren getroffen, wie Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter des AEC, auf Anfrage bestätigt: »Die Erweiterung des Museums schafft in erster Linie zusätzlichen Raum für künstlerische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit neuen ›
› Technologien und Entwicklungen.« Das Konzept ist aufgegangen. Auch nach 2009 zählt das farbenfrohe Aufflackern des Gebäudes zum allabendlichen Repertoire der schlafenden Stadt.
Freude für Abenteuer-Touristen und Business-Reisende: Auch das von Sabine Funk, Michael Grugl, Jürgen Haller, Christian Leeb, Richard Steger und Christoph Weidinger initiierte Pixelhotel (Gesamtinvestitionsvolumen 180 000 Euro) – in diesem Fall sogar mit finanzieller Beteiligung von Linz 09, weil ursprünglich als temporäres Projekt gedacht – bleibt der Donaumetropole noch längere Zeit erhalten. Sechs Hotelzimmer sind quer über die Linzer Innenstadt verstreut, nutzen einerseits den Leerstand in der Erdgeschosszone, decken andererseits den Bedarf an einzigartigen und originellen Übernachtungsmöglichkeiten. »Meistens lebt man in einem Hotel in einer fremden Blase, die mit der Stadt nichts zu tun hat«, erklärt Richard Steger. »Unser Wunsch war daher, mit den vielen unterschiedlichen Zimmerpixeln ein facettenreiches Bild vom Linzer Alltagsleben zu vermitteln.«
Die Nachfrage nach den implementierten Auslagen- und Werkstättenzimmern ist groß. Mit 35 bis 50 % liegt die Auslastung im Rahmen der Erwartungen. »Natürlich richtet sich das Hotel in erster Linie an Kulturinteressierte. Aber wir sind überrascht, dass wir auch Geschäftsreisende ansprechen«, so Steger, »sie ziehen lieber in ein Pixel, anstatt ins öde 08/15-Hotel am Bahnhof.« Während das Revitalisierungsprojekt letztes Jahr von Linz 09 mitgefördert wurde, muss sich der Betrieb nun auch ohne fremde Hilfe wirtschaftlich rechnen. In einigen Monaten weiß man mehr.
Nach Linz 09 liegt die Latte hoch
Mit dem nachhaltigen Erfolg der Architektur- und Kulturprojekte geht einer der Leitsätze des Linz-09-Intendanten Martin Heller in Erfüllung: »In der Planung und Konzeption ist für uns das Jahr 2010 genauso wichtig wie das Jahr 2009. Der kulturelle Eingriff muss nach Ende der einjährigen Frist weiterhin spürbar bleiben. Ich stelle mir vor, dass Linz sogar noch im Jahr 2015 die interessanteste Stadt Österreichs sein soll, weil sie sehr beweglich ist und sich nicht an alte, überkommene Traditionen gebunden fühlt.«
Die Linzer Architektenschaft kann dem nur zustimmen: »Linz 2009 kam wie gerufen«, sagt Bettina Brunner vom Linzer Büro x architekten. »Was die kulturelle Auseinandersetzung und die Qualität der Architektur betrifft, war Linz bisher nämlich eine absolute Provinzstadt.« In der Vergangenheit sei man für architektonische Fragen einfach nicht sensibel genug gewesen. Häuser wurden gesprengt und bis zur Unkenntlichkeit umgebaut, Projekte von fragwürdiger Qualität, insbesondere jene rund um den Bahnhof, sprossen wie die Schwammerl aus dem Boden, während sehr sensible und behutsame Bauvorhaben wie etwa die Passivhaus-Wohntürme von Adolf Krischanitz oder die Aufstockung der Brückenkopfgebäude aus der NS-Zeit mir nichts, dir nichts vom Tisch gefegt oder in der Schublade des Vergessens zwischengelagert wurden. »Nach Linz 09 gibt es kein Entkommen mehr. Ich habe das Gefühl, dass eine gewisse baukulturelle, stadtplanerische und soziale Qualität ab sofort in jedem Projekt gewährleistet sein muss.«
Roland Gnaiger, Architekt und Leiter der Architekturausbildung an der Kunstuniversität Linz, gibt jedoch zu bedenken: »Oberösterreich, und im Speziellen Linz, hat in den letzten Jahren zwar eine rege Architekturszene entwickelt. Es fällt aber auf, dass weder lokale Architekturbüros, noch internationale Architekten wirklich zum Zug kommen.« Meist seien es Architekturbüros aus dem restlichen Österreich, die in Linz mit den großen Projekten beauftragt werden. Gnaiger fordert: »Linz braucht einerseits mehr Lokalkolorit und andererseits mehr Spitzenarchitektur aus dem Ausland. Das gute österreichische Mittelmaß gibt es schon zur Genüge. Der Durchschnitt ist ganz gut, um einen Standort am Laufen zu halten. Profilieren kann man sich mit dieser Form der Architektur allerdings nicht.«
76 % aller Oberösterreicher sahen in der Kulturhauptstadt Linz 09 einen großen Nutzen für Kultur, Tourismus und Wirtschaft. Das geht aus einer Studie des Linzer Meinungsforschungsinstituts market hervor. Ob das auch auf eine nachhaltige Veränderung in der Architekturszene und Baubranche zutrifft, wird sich erst weisen. •
Der Autor ist freischaffender Architekturjournalist für Tagespresse und Fachmagazine.
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