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Die Akustik der Hamburger Elbphilharmonie

Von Weinbergen und weißer Haut
Die Akustik der Hamburger Elbphilharmonie

Begleitet von Querelen um Kostenexplosionen und Baumängel sowie einem immer wieder nach hinten geschobenen Eröffnungstermin (ursprünglich 2010, jetziger Stand 2013) entsteht in Hamburg die vielfach als spektakulär bezeichnete Elbphilharmonie. Das Herzstück des Bauwerks ist der Große Konzertsaal mit 2 150 Plätzen. Er wird 50 m lang, 40 m breit und 25 m hoch sein. Seine Akustik soll sich einmal mit den besten Sälen der Welt messen können. Die Verantwortung dafür trägt Yasuhisa Toyota von der japanischen Firma Nagata Acoustics, der zu den renommiertesten Vertretern seiner Zunft zählt.

  • Architekten: Herzog & de Meuron
  • Text: Bernd Hettlage
    Fotos: Oliver Heissner, Christine Fritzenwallner
Einen Saal dieser Größe und für mehr als 2 000 Zuschauer akustisch auf höchstem Niveau einzurichten, ist eine große Herausforderung, nicht nur für den Akustiker, sondern auch für die Architekten und die ausführenden Baufirmen. Die ausgeklügelten Maßnahmen, die dazu bei der Elbphilharmonie erforderlich sind, tragen ebenfalls ihren Teil zur Kostensteigerung und den Bauverzögerungen bei. Der Aufwand dafür wurde wohl unterschätzt. Um den großen Konzertsaal zunächst einmal akustisch von seiner Umgebung abzuschirmen – etwa um das Dröhnen der Schiffe im Hamburger Hafen draußen zu halten –, bekommt er eine doppelte Hülle aus einer Beton-Außenschale und einer mit Beton gefüllten Stahl-Innenschale. Beide sind durch insgesamt 362 Federpakete, in denen sich jeweils bis zu 20 Stahlfedern befinden, vonein- ander getrennt.
Weinberg oder Schuhschachtel?
Der Saal selbst orientiert sich stark am sogenannten Weinbergkonzept. Da er sich aber nicht wie eine Landschaft ausbreitet, sondern wesentlich steiler organisiert ist, sprechen Herzog & de Meuron von einer Höhle oder einem Bienenkorb. Das Podium liegt fast in der Mitte, die Ränge werden wie leicht herausgezogene Schubladen um das Orchester herum gruppiert. Durch diese Anordnung kann man die Musiker von allen Plätzen aus gut sehen. Das Weinberg-Konzept gilt deshalb auch als »demokratischer« Konzertsaal. Das Vorbild dafür ist die Berliner Philharmonie (1963) von Hans Scharoun. Allerdings sehen im Weinberg – und so auch in der Elbphilharmonie – rund 20 % der Zuschauer nur die Rücken der Musiker. Dafür können sie dem Dirigenten direkt ins Gesicht schauen. Das Gegenmodell zum Weinberg ist die »Schuhschachtel«, die klassische Form eines Konzertsaals. Sie ist lang, vergleichsweise schmal und oft sehr hoch. Die Bühne liegt an der Stirnseite. Als beispielhaft gilt der »Goldene Saal« des Wiener Musikvereins, der 1870 eingeweiht wurde. Eine gelungene »Schuhschachtel« aus neuerer Zeit ist der 1998 eröffnete Konzertsaal des Kultur- und Kongresszentrums in Luzern von Jean Nouvel. Der Vorteil der Schuhschachtel sind die vielen frühen Reflexionen – Schallwellen, die von den Seitenwänden zurückgeworfen werden und das Ohr in weniger als 60 Millisekunden erreichen. Sie sorgen für Raumgefühl, weil das menschliche Gehör innerhalb dieser Zeit noch die Richtung bestimmen kann, aus der die Töne kommen. Der große Nachteil der Schuhschachtel ist, dass die letzten Reihen bei großen Sälen sehr weit von der Bühne entfernt sind. Das beeinträchtigt den Klang zwar kaum, aber dafür die Sicht. Bei Hallen mit mehr als 2 000 Plätzen gibt es wegen der Sichtverhältnisse keine Alternative zum Weinberg-Konzept.
Ein Problem beim Weinberg ist allerdings, dass man die erwünschten frühen Reflexionen nur sehr schwer erzielen kann – zumindest die vorderen Reihen sind einfach zu weit von den Wänden entfernt. Oft schaffen Reflektoren an der Decke hier Abhilfe. Die komplexe Akustik eines solchen Saals ist außerdem weit schwerer zu errechnen als die einer Schuhschachtel, für deren wenige gerade Wände die einfache Formel gilt: Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel.
Kein Wunder also, dass man für die Elbphilharmonie den »Weinberg-Spezialisten« Yasuhisa Toyota engagierte. Schuhschachtel versus Weinberg – da treffen schon fast zwei Glaubensrichtungen aufeinander: Während sich bei der Schuhschachtel nämlich der Saal der Musik anpasst, müssen sich beim Weinberg die Musiker dem Saal anpassen. Toyota hat das, bezogen auf die Elbphilharmonie, noch einmal explizit betont: Für die Musiker werde es anfangs ungewohnt sein, in dem neuen Saal zu spielen. »Sie müssen ihre Spielweise neu auf den Saal und die anderen Musiker abstimmen.« Die frühen Reflexionen fehlen im Weinberg nämlich auch den Musikern, die sich und ihre Kollegen deshalb nur schlecht hören können.
Spezialentwicklung »Weisse Haut«
Doch das ist nur ein Aspekt in der komplexen Akustik, die den perfekten Klang in einem Konzertsaal erzeugen soll. Das fängt bei der Form des Saals und der Anordnung der Ränge an und geht bis in Details wie den Bezug der Stühle. Der direkte Schall, der vom Orchester das Ohr des Zuhörers trifft, klänge alleine viel zu kalt und trocken. Erst die Wände und die Decke des Saals erzeugen einen satten, warmen Klang im Ohr.
Um die gewünschten Reflexionen zu erzielen, haben die Akustiker eine Menge Tricks auf Lager: Da werden Wände großporig verkleidet, um den Schall genau in der gewünschten Stärke zu reflektieren. Wandpaneele können in verschiedene Richtungen gedreht werden, je nachdem, wie groß das Orchester ist. Auch Balkone, Brüstungen, Verzierungen und Logen tragen ihren Teil bei, weil sie den Schall streuen und damit Echos verhindern.
Für den großen Konzertsaal der Elbphilharmonie entwickelte Toyota die sogenannte »Weiße Haut«: Sie besteht aus mehr als 12 000 unterschiedlich geformten Gipsfaserplatten mit hoher Dichte, deren Oberflächen nach aufwendigen 3-D-Berechnungen individuell gefräst wurden, so dass keine Platte der anderen gleicht. Diese Reliefe sollen den Schall in jeden Winkel des Raums reflektieren und dabei akustische Löcher und ungewollte Echoeffekte vermeiden.
In der Elbphilharmonie wird die Nachhallzeit im Konzertsaal nahezu 2,2 Sekunden betragen. Um zu diesem Wert zu kommen – und um den perfekten Klang zu finden –, verließ Toyota sich nicht allein auf aufwendige 3D-Modelle am Computer. Für angeblich 200 000 Euro ließ er ein 5 x 5 m großes Sperrholzmodell des großen Konzertsaals im Maßstab 1:10 bauen. Um die Bedingungen im vollbesetzten Saal zu simulieren, wurde jeder der 2 150 Sitzplätze mit einer kleinen Figur besetzt, die ein Filzgewand trägt. Die Techniker installierten Dutzende Lautsprecher und Mikrofone und schickten Töne durch das Modell – und zwar maßstabsgerecht mit zehnfacher Frequenz. Während der Analyse spielten sie die Aufnahmen dann ums Zehnfache verlangsamt ab.
Wochenlang beschäftigten sich Toyota und seine Mitarbeiter mit den so gewonnenen Daten, veränderten hier noch eine Neigung der Brüstung und änderten dort etwas an der Struktur der Gipsfaserplatten. Das größte Problem bleibt wohl der nicht umsonst höhenverstellbare, trichterförmige Reflektor unter der Decke mit 15 m Durchmesser, der in seinem Innern zudem große Teile der Technik beherbergt. Die Feinjustierung wird Toyota am Ende persönlich vornehmen. Hängt er zu hoch, fehlen die frühen Reflexionen, v. a. für die Musiker. Hängt er zu tief, behindert er möglicherweise die Sicht von den oberen Rängen. Variabler wird die Akustik des Saals mit dem Trichter nicht. Toyota ist bekannt dafür, dass er kompromisslose Klassiksäle baut.
Akustik, Musik und Psychologie
Ob er den perfekten Klang erreicht hat, wird Yasuhisa Toyota erst nach der ersten Orchesterprobe wissen. »Für mich ist der heikelste Moment, wenn der erste Ton erklingt«, sagt er und lacht dazu. »Denn vorher wissen wir gar nichts.« Ohnehin sei der perfekte Klang ein höchst subjektives Erlebnis. »Das ist immer ein auf den Moment bezogenes Zusammenspiel aus Akustik, Musik und Psychologie.« Musiker fühlen sich z. B. wohler mit Holz als mit Beton, erzählt Jürgen Reinhold vom Münchner Ingenieurbüro Müller-BBM. »Wenn man eine Betonwand mit Holz verkleidet, ohne dass sich an den akustischen Werten etwas ändert, meinen die meisten Musiker, der Klang sei besser geworden.« Ob die Gipsfaserplatten, mit denen die Wände in der Elbphilharmonie bestückt werden, da wohl neutralere Gefühle auslösen? •

Konzertsaal-Akustik (S. 62)
Bernd Hettlage
1960 in Karlsruhe geboren, Studium der Politikwissenschaft und Geschichte in Stuttgart. Freier Autor in Berlin mit Schwerpunkt Architektur, Stadtplanung und Immobilien. 2000/01 Mitglied der Redaktion von Skyline, 2000-02 Betreuung der Immobilienbeilagen des Berliner Tagesspiegels. Seit 2004 Beiträge für die Architekturführer des Stadtwandel Verlags, Berlin. Regelmäßige Beiträge u. a. für die FAZ am Sonntag.
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