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Vom Acker in die Wand

Bauen mit Stroh
Vom Acker in die Wand

Die Zahl mit Stroh gebauter oder gedämmter Häuser beläuft sich in Deutschland mittlerweile auf über 200 – das Baumaterial ist dennoch relativ unbekannt. Grund genug, genauer hinzuschauen, was der inzwischen bauaufsichtlich zugelassene Nischen-Baustoff leistet.

Text: Dierk Jensen Fotos: Georg Aerni, Fliri & Aschoff, Dirk Scharmer

Stroh ist ein uraltes Baumaterial. Strohballen hingegen gibt es erst seit Ende des 19. Jahrhunderts, als Landmaschinentechniker sogenannte Hochdruckballen erfanden. Die ersten Strohballenhäuser entstanden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hauptsächlich im Mittleren Westen der USA; das erste, bei dem Stroh auch tragende Funktionen hatte, wurde in Nebraska errichtet; der Strohballenbau blieb aber nur eine Randerscheinung. Das änderte sich erst 1984, als der Architekt Jon Hammond im Magazin Fine Homebuilding über ein Haus in Holzständerbauweise mit Strohdämmung schrieb. Der Artikel inspirierte viele Umweltbewusste, Bauherren und Architekten und gab dem Strohballenbau einen kräftigen Schub. Experten gehen davon aus, dass in den USA inzwischen über 14 000 Gebäude aus Strohballen entstanden.
In Deutschland steht das erste Strohballen- Einfamilienhaus seit 1998. U. a. Gernot Minke, bis 2005 Architektur-Professor an der Universität Kassel und Leiter des Forschungslabors für Experimentelles Bauen, beschäftigte sich zusammen mit seinen Studenten intensiv mit dem Thema. Etwa zu gleicher Zeit entstanden die ersten Strohballenhäuser im Ökodorf Siebenlinden in Sachsen-Anhalt, an denen der Architekt Dirk Scharmer maßgeblich beteiligt war. Er gründete 2002 den Fachverband Strohballenbau Deutschland (FASBA). Der Verband zählt mittlerweile mehr als 150 Mitglieder, darin vertreten sind Architekten, Handwerker, Bauherren und Baubiologen. Die Mitglieder kümmern sich seither um alle Fragen zur baurechtlichen Zulassung, des Brandschutzes, der Baustoffqualität und der Logistik.
Gekürt statt abgerissen
Fasziniert vom archaisch einfachen Material und dessen multipler Vorteile gegenüber herkömmlichen Baustoffen packte das Thema immer mehr Zimmerer, Planer, Bauingenieure und Architekten. Für Aufsehen sorgte 2004 in Deutschland der Bau eines eingeschossigen Gebäudes mit lastabtragenden Strohwänden in Trier. Erst drohte das Baudezernat mit Abriss, zwei Jahre später heimste Bauherr Peter Weber den Bundessieg im Wettbewerb Energiesparmeister 2006 ein. Doch blieben derartige Konstruktionen bislang die Ausnahme, auch wenn Minke ein- geschossige, tragende Strohballenhäuser seitens der Statik (bei einem Vorspannen der Ballen mit 1 t Last auf den laufenden Wandmeter) mittlerweile als erprobt und bewährt betrachtet. Der Schweizer Architekt Werner Schmidt geht indes noch weiter in die Höhe: Er baut mehrgeschossige Häuser mit Großballen in der Abmessung 2,40 x 1,20 x 0,7 m. Trotzdem: Noch fehlt es an allgemein gültigen Bemessungs- werten, die einen Nachweis über die tragende
Eigenschaften eines Strohballenhauses geben.
nicht mehr nur im Einzelfall
Den deutschen Pionieren des Strohballenbaus hingegen gelang zumindest baurechtlich 2006 der Durchbruch. Damals erteilte das Deutsche Institut für Bautechnik in Berlin eine allgemeine Baustoffzulassung für Strohballen. Seither sind die bautechnischen und bauphysikalischen Eigenschaften verbindlich definiert: Zugelassene Strohballen müssen eine Dichte zwischen 85 und 115 kg/m³ aufweisen. Sie dürfen bei 23 ° C und 80 % Luftfeuchte nicht mehr als 18 Masseprozent Feuchte aufnehmen.
Diese Baustoffzulassung ist zwischenzeitlich bis 2014 verlängert und Grundlage dafür, dass es keine Schwierigkeiten mehr bereitet, eine Baugenehmigung für ein Strohballenhaus zu erhalten. Auch werden Strohballen als normal entflammbare Baustoffe (Klasse B2) eingestuft. Für lasttragende Konstruktionen ist jedoch nach wie vor eine Zulassung im Einzelfall erforderlich.
Die baurechtliche Zulassung hat Mühe gekostet. »Die Untersuchung des Tragverhaltens und des Feuchteverhaltens war nicht ohne weiteres mit bestehenden Prüfverfahren durchführbar«, erklärt Scharmer. Erst durch aufwendige Experimentier- und Methodenarbeit in zwei Forschungsprojekten, finanziert zum einen vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) und zum anderen von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), gelang es, die erforderlichen Werte zu erarbeiten. Seiner Meinung nach fehlt es in der Bauwirtschaft noch an Akzeptanz gegenüber dem neuen und doch so alten Baustoff. Ist diese Abneigung vielleicht auch nur pure Eifersucht gegenüber der energetischen Einmaligkeit des strohigen »Newcomers«? Wie dem auch sei, festzuhalten ist, dass der Energieaufwand, der für die Herstellung der Materialien einer Strohballenwand mit Lehm- und Kalkputz verwendet wird, im Vergleich zu herkömmlichen Gebäudehüllen nahezu unschlagbar gering ist. Laut Scharmers Berechnungen weist z. B. eine Stahlbetonwand mit WDVS auf EPS-Basis ungefähr einen fünffachen Primärenergieverbrauch auf. »Es gibt nichts Besseres. Existiert doch kein anderer Baustoff, der so einen niedrigen Primärenergiebedarf wie Stroh hat: Nichts verdeutlicht dies besser als die Tatsache, dass bei einem Ballen rund die Hälfte des Energiebedarfs von rund 7 KWh/m3 Stroh allein für das Bindegarn anfällt.« Die Wärmeleitfähigkeit der Strohballen beträgt, wenn die Halme quer zum Wärmefluss gelegt werden, 0,052 W/mK; ansonsten liegt der Wert bei 0,080 W/mK. Mit diesen Werten lässt sich durch ein Strohballenhaus leicht der Passivhausstandard erreichen.
Vermauert
Mittlerweile gibt es in Deutschland über 200 Strohballenhäuser. Die daraus gewonnenen handwerklichen Erfahrungen bilden die fachliche Basis für die gegenwärtig angewandten Verarbeitungstechniken. Die in Deutschland gebräuchlichsten und bauaufsichtlich zugelassenen Ballen sind 0,36 x 0,48 x 1,00 m groß und werden meist aufrecht stehend verbaut, hin und wieder auch aufrecht liegend (beide Male also je 36 cm Tiefe), selten wird im Verbund »gemauert«. Bei Restflächen bzw. Schrägen wird der Ballen mit der Säge passend zugeschnitten. Das gängige Tragwerk ist eine Bohlenständerkonstruktion mit wandtiefen (36 cm) Ständern und seitlich daran angeschlossener Holzdecke. Zum Putz: Innen wird in der Regel mit Lehm verputzt, außen bevorzugt man wegen der Schlagregenfestigkeit Kalkputz.
Um für den Strohballenbau geeignetes Stroh zu erhalten, wurde in den letzten Jahren ein Netzwerk von Landwirten, Händlern und Bauunternehmen aufgebaut, das sich um die Qualität des Bauprodukts kümmert. Bereits auf dem Feld wird über die spätere Qualität entschieden: Wichtig sind ein optimaler Druschzeitpunkt, ein zweitägiges Austrocknen des Strohs und ein gleichmäßiges Pressen; darüber hinaus sind ein fachgerechter Transport und die Lagerung entscheidend. Im Bereich der Produktionslogistik gibt es sicher noch Optimierungspotenzial. Inwieweit eine Fertigung nach industriellem Muster möglich sein wird, bleibt abzuwarten. Dass der nachwachsende Rohstoff auch als Strohfaserplatte für Innenwände noch Karriere machen wird, schließt zumindest Dirk Scharmer nicht aus, »wenn die baubiologische Qualität stimmt, wieso nicht?« •
Weitere Informationen und Literaturhinweise:
Website Verband (mit aufgelisteten Projekten in Deutschland): www.fasba.de
Schweizer Architekten mit Projekten, in denen Stroh dämmend und teilweise mit tragender Funktion verwendet wird: www.strohhaus.net, www.strohhaus.net
Bezug der Ballen: www.baustroh.de. Der Strohballenpreis frei Baustelle liegt z. Z. bei 30-35 Euro/m³
In Kassel findet am 13. Januar ein von Gernot Minke referiertes Seminar zum Thema nachhaltiges Bauen mit natürlichen Baustoffen statt, darunter das Bauen mit Strohballen, www.zub-kassel.de
Das jüngste, zum Thema erschienene Buch: Gernot Minke und Benjamin Krick, Handbuch Strohballenbau – Grundlagen, Konstruktionen, Beispiele, Ökobuch Verlag, Staufen 2009

Technik aktuell (S. 64)
Dierk Jensen 1964 auf der Nordseeinsel Pellworm geboren. Studium der Geschichte, Geografie und Volkswirtschaft. Seit 1993 Tätigkeit als freiberuflicher Journalist für Tageszeitungen und Zeitschriften, mit den Schwerpunkten Energie, Nachhaltiges Wirtschaften, Kultur und Entwicklungspolitik. Publikation mehrerer Sachbücher, Kunst- und Ausstellungsprojekte. Lebt und arbeitet in Hamburg.
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