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Kraftmaschine gegen Piefigkeit

Technik
Kraftmaschine gegen Piefigkeit

Text: Rosa Grewe Fotos: Thomas Ott

Beitrag der TU Darmstadt beim Solar Decathlon 2009
Es war wieder Solar-Decathlon-Zeit: Alle zwei Jahre konkurrieren 20 Hochschulteams in einem solaren Zehnkampf um das beste Wohnhaus. Dabei geht es um Energieeffizienz, aber auch um Architektur. Manchen ist beides gleich wichtig, wie der Beitrag der Darmstädter Studenten demonstriert. Sie haben bereits vor zwei Jahren gewonnen – und auch diesmal hat das aktuelle Plusenergiehaus gepunktet und den ersten Platz belegt.
2007 konnten sich erstmals zwei europäische Hochschulen für den nordamerikanischen Solar Decathlon qualifizieren, die Universitäten von Darmstadt und Madrid. Und nicht nur das: Darmstadt gewann den Wettbewerb auf Anhieb. Beide waren auch dieses Jahr wieder als einzige Europäer am Start, die Erwartungen somit entsprechend hoch. Am 16. Oktober standen nach einer kleinen Zitterpartie die Sieger fest: Mit 908 von 1000 möglichen Punkten knapp vor Team Illinois (Zweite, 897 Punkte) und dem Team California (Dritte) hieß es: »Congratulations to Team Germany!«
Alle Hochschulen haben im Lauf der Jahre voneinander gelernt: Muteten die Entwürfe vor sieben Jahren noch sehr heimelig an, wählten dieses Jahr mehr Teams eine modernere Architektur. Auch technisch hat sich einiges verändert: Diesmal sprachen manche lieber vom »German Passivhausstandard« als vom US-Zertifikat LEED. Und während die einen in Washington um den Sieg 2009 fieberten, lugten andere bereits auf das Jahr 2010 und den ersten europäischen Solar Decathlon in Madrid [1].
Obwohl der Solar Decathlon spätestens seit 2007 auch in Deutschland bekannt ist, war im Krisenjahr 2009 die Suche nach Sponsoren nicht einfach. Darmstadt konnte u. a. das Bundesbauministerium für das Projekt gewinnen, aber auch zahlreiche weitere Baufirmen unterstützten es finanziell, materiell und durch Fachleute – der Wettbewerb wurde zur Bundessache.
Washingtoner Zehnkampf – Die Anforderungen
Beim diesjährigen Wettkampf sollten die Studenten ein Haus für zwei Personen und mit max. 74 m2 Grundfläche entwerfen und bauen. Dabei ging es wie immer zum einen um Architektur und Wohnkomfort, zum anderen um den Energiewert des Hauses. Zehn Kriterien lagen der Jury für ihre Beurteilung zu Grunde, die mit unterschiedlicher Gewichtung in das Endergebnis einflossen. Gegenüber dem Wettbewerbsjahr 2007 gleich blieben die Kriterien Architektur, Marktreife, Bautechnik, Lichtdesign, Kommunikation, Raumklima, Warmwasserbereitung und energetische Ausstattung. Neu hinzu kamen die Bewertung der Lebensqualität und die Forderung nach einem besonders hohen Energiegewinn. 15 Experten aus der US-amerika-nischen Wissenschaft und der Industrie bildeten die Jury, darunter Architekten, Professoren, Fachjournalisten, Unternehmer und Marketingspezialisten. Sie gruppierten sich in fünf Kompetenzteams und griffen auch zu ungewöhnlichen Praxistests wie einem Probedinner im jeweiligen Haus.
Der Prototyp 2009: mehr Raum, mehr Technik
Der Wettbewerbsbau der TU Darmstadt heißt Surplushome [2] und unterscheidet sich deutlich von seinem Vorgänger von 2007, einem Pavillon mit Holzlamellen und Veranda: Für 2009 entwarfen die Studenten einen Würfel mit bauhaustypischen Übereckfenstern und dunkel glänzender Hülle aus Photovoltaik-Schindeln. Caroline Fafflok, Mitarbeiterin am Lehrstuhl Energieeffizientes Entwerfen der TU und »PR-Beauftragte« beim Solar Decathlon, erklärte hierzu: »Das Haus sollte deutlich anders sein als sein Vorgänger: technoider in der Gestalt und großzügiger im Innenraum.« Nicht Wände, sondern Splitlevels zonieren die knapp über 80 m2 Wohnfläche: Eine Treppe führt von der Wohnebene im EG auf eine Schlafgalerie und bildet gleichzeitig ein Raummöbel, das die Technik enthält. Unter der Galerie und ein paar Stufen unterhalb der Wohnebene liegt der Arbeits- bereich, daneben befindet sich der einzig abgetrennte Raum, das Bad. »Die Zielgruppe für unser Haus kristallisierte sich im Entwicklungsprozess heraus: »double income, no kids«, erklärt Fafflok den offenen Grundriss.
Die Studenten verstehen ihr Haus als urbane Erweiterung von bestehendem Wohnraum oder als Keimzelle auf ungenutzten Flächen wie etwa auf einem Flachdach. So soll es als Hightech-Würfel den Bestand inhaltlich, optisch und energetisch ergänzen und »neue effiziente Lebensstile generieren«, wie es werbewirksam auf der Projektwebseite heißt. Ob das Haus gleich einen neuen Lebensstil beflügelt? Zumindest zeigt es, was technisch bereits möglich ist, und wie sich Energietechnik in Architektur eingliedert. »Wir haben von Anfang an die energetischen Maßnahmen in die Architektur integriert, es sind keine nachträglich aufgesetzten Systeme. Das unterscheidet unser Haus von anderen Wettbewerbsbeiträgen.«
So ist der Bau bis ins konstruktive Detail energetisch durchdacht: Die Holzständerkonstruktion ist mit OSB-Platten ausgefacht, an die außen Vakuumisolationspaneele angefügt sind. Als Sandwichplatte, mit einem Vakuumisolationskern zwischen zwei Spanplatten und einer äußeren ›
› Aluminiumschicht, sind sie in ihrer Dämmwirkung sehr effizient; die Wandelemente daher extrem dünn, platz- und gewichtsparend. Die gesamte Konstruktion lässt sich in vier Modulen auseinandernehmen und so transportieren.
PCM, CIS und c-Si
Aber auch im Unsichtbaren steckt viel Technik: In Gipskartonwände eingearbeitete Wachskügelchen – sogenanntes Phase-Change-Material (PCM) – bewirken eine gleichmäßige Temperierung des Innenraums. Denn leichte Konstruktionen sparen zwar Gewicht und Material, haben aber nur eine geringe Temperaturspeicherfähigkeit. Eine zeitversetzte, passive Nutzung von gespeicherter Nachtkühle oder Tageswärme funktioniert dort nicht, und sofern keine Heizung dagegen steuert, sind die Temperaturschwankungen im Raum hoch. Ein Phasenwechselmaterial ist dagegen ein effizienter Temperaturspeicher: Die integrierten Wachskügelchen (Paraffine) reagieren bei Temperaturen um 20-25 8C. Steigt die Umgebungstemperatur, schmelzen sie und entziehen ihrer Umgebung Wärmeenergie, die Raumtemperatur sinkt. Sinkt diese aber unter die Schmelztemperatur, erhärten die Kügelchen und setzen dabei Wärmeenergie frei. Das Prinzip ist um ein Vielfaches wirkungsvoller und sensibler als die Speicherfähigkeit massiver Wände. Ein weiteres PCM entwickelte das Team speziell für diesen Wettbewerb: Eine auf Salzhydraten basierende PCM-Kühldecke, deren Temperaturverhalten für eine Raumkühlung günstiger ist als das der Paraffine. So bleiben auch im Hochsommer Temperaturspitzen aus, ohne dass eine Klimaanlage aktiv ist.
Doch ganz ohne aktive Systeme kommt das Haus natürlich nicht aus: Eine Wärmepumpe mit Wärmetauscher steuert und temperiert sowohl die Raumluft des Hauses als auch den Heizkessel, eine konventionelle Heizung ist nicht notwendig.
Strom für die Technik des Hauses und für den Haushalt liefern PV-Module. Das Dach trägt herkömmliche, monokristalline Siliziumzellen (c-Si), die einen hohen Energieertrag garantieren. Für die Fassade wählten die Studenten aber Dünnschichtsolarzellen auf rahmenlosen Glaspaneelen, sogenannte CIS-Solarzellen. Diese haben zwar einen geringeren Energieertrag, eignen sich aber gut für eine Fassadenintegration, weil sie extrem dünn, leicht und semitransparent sind. Im Gegensatz zu den amorphen Dünnschicht-Siliziumzellen, die 2007 die Südfassade des Wettbewerbshauses kleideten, basieren CIS nicht auf Silizium, sondern sind aus polykristallinem
Material. So sind sie günstiger in der Produktion und haben eine höhere Lichtausbeute und damit einen höheren Energieertrag als amorphe Sili- ziumzellen. Was erst wie schwarz glänzende Schieferschindeln aussieht, sind also auf den zweiten Blick PV-Module. Zwischen die PV-Paneele wurden farbige Blindmodule aus Plexiglas gesetzt. Zum einen konnten so die aktiven Paneele besser an die Kubatur des Hauses angepasst werden, zum anderen lockern sie die dunkle Fassade auf.
Techno und Emotion
Ergebnis der Rundum-PV-Fassade und der ausgeklügelten Wandkonstruktionen sind extreme Energieerträge weit über dem eigentlichen Jahresprimärenergiebedarf des Hauses von 54,8 kWh/m²a. Die Jahresprimärenergieerzeugung liegt bei 300 kWh/m²a. Das Team rechnet für die Wettbewerbsphase mit einem Gesamtstromverbrauch von 20 kWh/Tag und einem Stromgewinn von 50 kWh/Tag. Der Wettbewerb um den höchsten Energieertrag gleicht einem Energie-Wettrüsten; wer bietet mehr? Bewiesen ist dabei längst, dass Plusenergiehäuser technisch realisierbar sind. Der Knackpunkt aber, die Serienreife, wird wohl an den hohen Baukosten scheitern. Für den Endverbraucher müsste man das Haus technisch abspecken und damit die Kosten verringern. Die Vorgabe für die Prototypen ist »Living 2015« – gegenwärtig müssen die Wettbewerbshäuser also gar nicht dem Endverbraucher genügen. Nachweisen müssen die Studenten allerdings, dass alle Materialien und Technologien auf dem Markt existieren.
In Zukunft geht es aber weniger um die Frage der Machbarkeit als darum, wie wir die Technik in unsere Architektur und Städte integrieren möchten. Wie wird energetisches Bauen unsere Architekturvorstellungen langfristig verändern? Das Surplushome ist eine radikale Gegenarchitektur zu piefigen Solaranlagen auf deutschen Einfamilienhäusern. Die technoide Kraftmaschine – für die einen die Zukunft, für andere ein Albtraum.
In Vorausahnung, dass die Entscheidung in Washington nicht nur von den energetischen Fakten abhängt, sondern auch vom subjektiven Wohnempfinden der Jury, setzten einige Konkurrenten daher weiterhin auf vertraute, amerikanische Wohnbilder: geneigte Dächer, Holzfassade und Veranda. Doch die Darmstädter waren zuversichtlich: »Wir hoffen auf jeden Fall, un-ter die ersten fünf zu kommen: Das ist, denke ich, auch realistisch. Klar, dass wir gerne aufs Treppchen möchten«, erklärte Fafflock noch im September. Klar, dass man hierzulande die Daumen drückte und mitfieberte – es hat sich nun gelohnt. Gratulation! •
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