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Ingenieurporträt: Joseph Paxton

Ingenieurporträt
Joseph Paxton, Erbauer des Londoner Kristallpalasts

»Die Menschheit wird eine völlig neue Art von Architektur hervorbringen, sobald die von der Industrie neu geschaffenen Methoden angewandt werden. Die Verwendung von Eisen erlaubt, ja erzwingt viele neue Formen, die man bei Bahnhöfen, Hängebrücken und den Wölbungen von Treibhäusern sehen kann«, erklärte Théophile Gautier 1850. Nur ein Jahr später entstand diese »völlig neue Art«: Der Londoner Kristallpalast gilt als eines der wichtigsten Gebäude der Architektur – entwickelt von Joseph Paxton, ursprünglich Gärtner.

„Mankind will create a completely new type of architecture when the new methods developed by industry are applied. The use of iron allows, even dictates, many new forms, which one can observe in railway stations, suspension bridges and the domes of tropical greenhou-ses“, declared Théophile Gautier in 1850. And only one year later this “completely new type“was erected: the Crystal Palace, regarded as one of the most important buildings in architecture – developed by Joseph Paxton, originally a gardener.

Es war weder ein Architekt noch ein Ingenieur, der den Kristallpalast für die Londoner Weltausstellung 1851 schuf. Joseph Paxton, ein vielseitig begabter Mann, Gärtner, Dahlienzüchter, Schriftsteller, Investor, Teilhaber an Eisenbahnunternehmen und Entwickler von Gewächshäusern, war sein genialer Erbauer. Für diesen Verdienst wurde er später zum Sir Joseph Paxton ernannt.

Paxton wurde am 3. August 1803 in Milton Bryant im englischen Bedforshire als siebter Sohn eines Bauern geboren. In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, arbeitete er nach der Schule auf dem Bauernhof seines Bruders. Dort wurde er so schlecht behandelt, dass er flüchtete und eine Gärtnerlehre begann. Diese führte ihn in die Gärten der »Horticultural Society von Chiswick«. Hierher rührt auch die Unsicherheit um sein wahres Alter: Um die Lehre beginnen zu können, machte er sich zwei Jahre älter. So wird heute noch häufig der 3. August 1801 als Geburtsdatum genannt. Paxton soll dies aber später zugegeben haben und auf seinem Grabstein in Edensor auf den Ländereien von Chatsworth ist als Geburtsdatum der 3. August 1803 eingraviert. Auch wurde er 1803 getauft, am 24. August, so dass dieses Geburtsjahr wahrscheinlicher ist.
1824 war er Vorarbeiter des Arboretums, einem Baumgarten in den Gärten von Chiswick mit einer Sammlung verschiedenartiger, auch exotischer Gehölze. Es wurde von William Cavendish, dem sechsten Herzog von Devonshire, gefördert. Dieser machte Paxton 1826 zum Obergärtner von Chatsworth. Dort lernte er auch Sarah Brown kennen, die Nichte der Haushälterin und seine spätere Frau, mit der er acht Kinder hatte. Das jüngste davon, seine Tochter Anni, brachte ihn später angeblich zur Idee der Versteifung von Glashäusern, indem er sie auf ein Seerosenblatt setzte und dieses aufgrund der »Rippen« dennoch schwamm. Paxton bekam ein freundschaftliches Verhältnis zum Herzog und hatte zunehmend Einfluss auf dessen Ländereien, 1832 wurde er zu ihrem Verwalter ernannt.
Seine vielseitige Begabung zeigte sich bereits in Chatsworth: Er schuf dort ein Arboretum und begann mit dem Bauen. Seine ersten Werke waren große Brunnen; später, 1844, baute er den »Emperor Fountain«, mit 85 m einer der höchsten Europas. Auch auf wissenschaftlichem Gebiet war er tätig. Er schrieb ein »Horticultural Register«, 1831 erstmals erschienen, und 1834, nach einer Studienreise nach Paris, das »Magazin of Botany and Register of Flowering Plants«. 1838 erschien »Practical Treatise on the Cultivation of Dahlia«, 1840 »Packed Botancial Dictionary, comprising the Names of all Plants known in Britain«, ab 1841 die Zeitschrift »Gardener’s Chronicle« sowie 1850 »Paxton’s Flower Garden«.
Gewächshäuser Ab 1828 begann Paxton mit dem Bau von kleineren Gewächshäusern. Er entwickelte dabei um 1831/32 das historisch bedeutende Prinzip von Grat und Rinne für die Glaseindeckung, das »Ridge-and-furrow«-System. Es hatte sich nämlich im Gewächshausbau unter dem Einfluss des Architekten John Claudius Loudon (1783–1843) bereits die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Neigung der Glasflächen für die Reflexion beziehungsweise die optimale Transmission der Sonnenstrahlen eine wesentliche Rolle spielt. Paxton dazu in einem Bericht: »… Vor etwa drei Jahren widerfuhr es uns, dass Holzdächer mehr Licht zuließen, wenn Fenster im Winkel befestigt waren. Wir errichteten ein kleines Glashausensemble nach diesem Prinzip, die Fensterrahmen längswärts befestigt und Sparren, um oben das Fenster zu tragen. Diese Häu-ser waren sehr hell und der Plan schien ernste Vorteile zu besitzen. 1. Mehr Morgen- und Abendsonne wurden empfangen und zu früherer Stunde als bei einem Haus mit flachem Dach und 2. die Kraft der Mittagssonne war gemildert durch die Anordnung der Winkel-Fenster, welche die Sonnenstrahlen in der gebrochenen Richtung erhielten …« Das Prinzip des gefalteten Daches hat er dann bei den folgenden Gewächshausbauten umgesetzt und in Kombination mit dem unterspannten Rinnenträger und dem Wasserablauf für Regen- und Kondenswasser perfektioniert (Bild 2).
Das große Gewächshaus in Chatsworth Zwischen 1836 und 1840 baute er aus Holz, Gusseisen und Glas in Chatsworth »The Great Conservatory«, das Große Gewächshaus beziehungsweise »Palmenhaus« (Bild 3). Mit einer Grundfläche von 37,50 m x 84,50 m und einer Höhe von 20,50 m war es das größte seiner Zeit. Es wurde wegen seiner hohen Unterhaltskosten um 1920 gesprengt. Aufgrund der steifen Konstruktion benötigte man fünf Versuche, um die Zerstörung zu vollenden. Das Große Gewächshaus zeigte bereits einige wesentliche Entwicklungsstufen zum Kristallpalast. Neben der »gefalteten« Glaseindeckung, der Entwässerung durch die Rinnenträger und die hohlen Stahlstützen mit minimierten Querschnittabmessungen waren dies die ersten Ansätze zur industriellen Fertigung der einzelnen Bau- elemente. Die Standardisierung der Elemente und deren detaillierte zeichnerische Darstellung waren eine Neuerung in der Bauplanung. Für die Fenstersprossen und Rahmen entwickelte er eine Holzbearbeitungsmaschine, die mit einer 3-PS-Dampfmaschine angetrieben wurde. Diese Maschine bearbeitete für das Große Gewächshaus bereits Profile mit einer Gesamtlänge von 64 km. Um den Sparrenabstand zu maximieren, nahm er Einfluss auf die industrielle Fertigung der Glasscheiben: Mit dem Glashersteller Chance aus Birmingham gelang es, die bis dahin nur 1,17 m langen Scheiben durch Optimierung des Herstellungsverfahrens auf 1,22 m (4 Fuß oder 49 Zoll) zu verlängern. Die Breite der Scheiben betrug etwa 25 cm (10 Zoll), die Dicke nur etwa 2 mm (1/16 Zoll). Auf diese Maße richtete er das Raster des Großen Gewächshauses und später auch des Kristallpalastes aus. Wo Holz die erforderlichen, statischen Funktionen nicht erfüllen konnte, setzte Paxton Eisen ein: gusseiserne, hohle Stützen, Zugglieder, Schrauben und Verbindungsmittel in den Balken sowie Gitterträger bei größeren Spannweiten. Wo allerdings außenliegende Tragelemente unmittelbar der Witterung ausgesetzt waren, blieb er bei Holz, denn von der Dauerhaftigkeit des Eisens war er aufgrund des damals noch nicht optimalen Korrosionsschutzes nicht überzeugt.
Das Tragsystem des Großen Gewächshauses besteht aus einem zentralem Tonnendach und seitlichen Halbtonnen. Damit das Gebäude von allen vier Seiten gleich aussah, ordnete er nach dem gleichen Prinzip an den beiden Stirnseiten wiederum Halbtonnen an, die mit den Tonnen der Längsseiten verschnitten wurden. Die Spannweite der Haupttonne war mit 21,40 m für die damalige Zeit enorm. Die gekrümmten Rippen des Tragsystems, gleichzeitig die Kehlen des gefalteten Glasdaches, bestanden aus Holzlamellen, die zusammengenagelt und verbolzt wurden. Diese Träger, ausgesteift mit dazwischenliegenden Querpfetten, waren mit einem Seilsystem unterspannt, das einzelne Punkte der Rippen miteinander verband, um auch einseitige Lasten aufnehmen zu können. Eine umlaufende Mauer aus Sandstein diente als Auflager für die Rippen. Die Haupttonne, zusätzlich von Eisenstützen getragen, steifte ein horizontal auf den Stützen umlaufender Rahmen aus Eisenbalken aus. Um eine Einspannwirkung zu erzielen, wurden die Stützen durch gespreizte Streben im Fundamentbereich ausgeführt.
Das Victoria-Regia-Gewächshaus 1849 erarbeitete Paxton mit dem Bau des Victoria-Regia-Gewächshauses, einem eher kleineren Treibhaus in Chatsworth, einen weiteren wichtigen Zwischenschritt auf dem Weg der Entwicklung des Kristallpalastes. Die Victoria- Regia-Pflanze, eine Seerose aus British Guyana, benötigte aufgrund ihres schnellen Wachstums im Großen Gewächshaus eine neue Bleibe. Paxton entwarf dafür ein Haus, 16,30 m breit, 18,75 m lang und 5,50 m hoch, in dessen Mitte sich ein kreisrundes Becken von 12,20 m Durchmesser befand. Den Raum umschloss ein gefaltetes Dach nach dem »Ridge-and-Furrow«-Prinzip und eine elementierte Fassade aus Gusseisenstützen (Bild 4). Die wesentliche Weiterentwicklung war neben der Fassade vor allem die Anordnung von Hauptbalken senkrecht zum »Ridge-and-Furrow«-Rinnenbalken in einer weiteren, darunter liegenden Ebene. Die Rinnenbalken lagen mit 3,50 m Spannweite auf den Hauptbalken auf und bildeten das Nebentragsystem. Die mit einem Rundstahl von 2,5 cm unterspannten, schmiedeeisernen Hauptbalken von 12,5 cm Höhe im Abstand von 10,20 m leiteten ihre Last auf acht hohle, gusseiserne Stützen mit 8,75 cm Durchmesser ab. Zu beiden Seiten kragten sie etwa 3 m aus, dann schloss die Fassade an. Diese bestand aus Gusseisensäulen, die untereinander mit Gusseisenbögen verbunden waren und dahinter liegenden Holzrahmen, die die Scheiben mit Abmessungen 12,1 cm x 25 cm einfassten. In diesem Haus begann im November 1849 die Vicoria-Regia-Pflanze das erste Mal in Europa zu blühen. 1850 meldete Paxton ein Patent für sein Dachsystem an, bekannt als »Paxton’s Gutter«, in dem dann die Nebenträger unterspannt sind und in dem auch das Entwässerungssystem weiter entwickelt wurde: Auch die Hauptträger waren als Rinne ausgeführt und leiteten das Wasser in die Hohlstützen (Bild 5).
Der Kristallpalast Im Herbst 1849 hatte die »Society of Arts«, eine Versammlung britischer Bankiers und Industrieller, beschlossen, eine Weltausstellung in London zu veranstalten. England als größter Weltproduzent sollte so die Möglichkeit erhalten, seine Produkte in Konkurrenz zu denen der übrigen Nationen zu stellen, um Qualität zu demonstrieren und neue Märkte zu erschließen. Die Vorgaben waren enorm: Auf einem Grundstück im Hyde Park sollte in kurzer Bauzeit ein Ausstellungsgebäude errichtet werden, das – mit möglichst geringen Kosten – eine Fläche von 64 ha überdeckt. Ferner sollte es demontierbar sein und einen ungeteilten Raum bilden, um später die Unterteilungen für die Ausstellungsparzellen frei wählen zu können. Zusätzlich wollte man die auf dem Bauplatz im Park vorhandenen Baumgruppen mit teilweise mächtigen Bäumen weitgehend erhalten. Aus einem nur einen Monat dauernden internationalem Wettbewerb gingen 233 Entwürfe hervor, davon drei aus Deutschland. Alle Entwürfe wurden wegen Überschreitung des Budgets von 100 000 Pfund Sterling abgelehnt. Zwei Entwürfe von Ingenieuren, einer von Richard und Thomas Turner aus Dublin und einer von Hector Horeau aus Paris, die beide Erfahrungen aus dem Glas-Eisenbau aufnahmen, erhielten eine lobende Erwähnung. Daraufhin bildete die Jury ein eigenes Baukomitee. Die hieraus entstandene Planung war konventionell in Massivbauweise mit betonter Repräsentation und ebenso zu teuer: Bereits die Materialkosten wurden auf 120 000 bis 150 000 Pfund Sterling geschätzt. Soviel kostete später das fertige Gebäude von Paxton. Zudem war das geplante Gebäude des Komitees weder demontabel noch bis zum 1. Mai 1851 baubar, was den eigenen Wettbewerbsbedingungen widersprach. In der Öffentlichkeit, die diese Planung ablehnte, geriet das Baukomitee in die Defensive. Paxton, der persönliche Verbindungen zum Baukomitee hatte, wurde aufgefordert, nachträglich in einem neuen Wettbewerb einen Entwurf zum Ausstellungsgebäude zu liefern. Auf der Basis seiner Erfahrungen mit den Gewächshäusern in Chatsworth entwickelte er schnell das Grundprinzip des Kristallpalastes, das sich auch auf der berühmt gewordenen Löschblattskizze (Bild 6) findet. Paxton beriet sich mit dem Glashersteller Chance und der Firma Fox and Henderson, beide aus Birmingham, um einen Kostenvoranschlag zu erarbeiten. Fox übernahm die Ausarbeitung der Konstruktionszeichnungen und Henderson erarbeite eine Ablauf- und Terminplanung. Mit 150 000 Pfund Sterling war das Budget zwar immer noch höher als die angestrebte Summe, aber die Baufirma verpflichtete sich, im Falle von Demontage und Rücknahme des Materials nur 79 800 Pfund Sterling zu berechnen. Der Zeitplan konnte mit Paxton’s Entwurf ebenso eingehalten werden wie alle anderen Wettbewerbsbedingungen. Die konservativen Kräfte im Baukomitee lehnten den Entwurf eines Mannes, der weder Architekt noch Ingenieur war, jedoch mit den verschiedensten Gründen ab und favoritisierten weiter den eigenen Entwurf – obwohl der Eisenbahningenieur William Henry Barlow (1812–1902) beispielsweise eine statische Berechnung durchgeführt hatte und auch der Ingenieur Robert Stephenson die Idee unterstützte. Daraufhin ging Paxton in die Offensive: Er lancierte mit seinen guten Verbindungen zur Presse einen Artikel, der seinen Entwurf im Detail der Öffentlichkeit erläuterte. Diese war sofort auf seiner Seite und am 25. Juli 1850 wurden seine Pläne offiziell vom Baukomitee angenommen. Dieses hatte noch durchgesetzt, dass die alten, großen Ulmen in der Mitte des Bauplatzes auch überdacht werden müssen, woraufhin Paxton seinen ursprünglichen Entwurf mit abgetrepptem, aber geradem Dach im Zentrum des Gebäudes abwandelte und noch eine Tonne in Querrichtung (Transept) einfügte (Bild 8). Dass ein Gebäude dieser bisher nie da gewesenen Größe (der Petersdom weist etwa ein Viertel der Grundriss-fläche auf) von der Zustimmung des Baukomitees bis zur Eröffnung durch Königin Victoria am 1. Mai 1851 in nur acht Monaten geplant und erstellt werden konnte, ist auf die industrielle Fertigung, elementiertes Bauen und den exakt durchgeplanten Bauablauf mit einem vernetzten Zeitplan zurückzuführen.
Der gesamte Kristallpalast basiert auf einem quadratischen Grundmodul von 24 Fuß, also 7,32 m. Dieses Maß ergab sich aus einem Vielfachen der maximalen Glaslänge von 1,22 m und bildete im Kristallpalast ein modulares System mit drei verschiedenen Trägertypen: 7,32 m (24 Fuß), 14,64 m (48 Fuß) und 21,96 m (72 Fuß). Das hieraus gebildete dreistöckige Gebäude war 77 Felder/563 m lang und im Erdgeschoss 17 Felder/124 m breit. Das erste Obergeschoss sprang um jeweils 3 Felder je Seite zurück, war also 80 m breit, das zweite Obergeschoss wiederum um je 3 Felder, was dort eine Breite von 37 m ergab. Das drei Felder (22 m) breite Querschiff lag wegen der zu überdeckenden Bäume etwas außermittig der Symmetrieachse. Die gesamte überdachte Grundfläche ergab etwa 72 000 m². Mit den Galerien des ersten Obergeschosses, die anfänglich auch für das zweite Obergeschoss angedacht waren, wurden sogar 92 000 m² Ausstellungsfläche erreicht.
Alle Träger mit Ausnahme derjenigen an der Durchdringung Längsschiff – Querschiff (Spannweite 21,96 m) sind 3 Fuß, also etwa 91 cm, hoch. Die freie Länge der Stützen zwischen den Trägern beträgt im Erdgeschoss 5,84 m, in den beiden anderen Geschossen 5,18 m. Damit ergibt sich eine Gesamthöhe des Gebäudes von etwa 19 m zuzüglich der Konstruktionshöhe des Daches. Das Tonnengewölbe des Querschiffes, deren Hauptträger im ursprünglichen Kristallpalast wie im Großen Gewächshaus aus Holz gefertigt waren, überragt das flache Dach nochmals um etwa 13 m.
Die Fundamente bestanden aus einer Art Beton und waren mit einer gusseisernen Auflagerplatte mit integrierter Röhre zur Aufnahme der Stützen und Ableitung des Regenwassers versehen. Die etwa 1000 Stützen des Erdgeschosses wiesen alle denselben standardisierten Außendurchmesser auf, waren aber von der Wand- dicke je nach Belastung abgestuft. Die Verbindungsstücke zwischen den Stützen waren gleichzeitig Auflager für die Träger, die durch einen einfachen Mechanismus eingehängt und mit Keilen kraftschlüssig verbunden werden konnten. Ebenso konnten dort bei Bedarf auch diagonale Aussteifungselemente befestigt werden.
Die 91 cm hohen gusseisernen, doppelt ausgekreuzten Fachwerkträger waren ebenso nur in ihrer Wandstärke abgestuft, sie wogen etwa 500 kg und überspannten meist das Regelmaß von 7,32 m. Alle wurden vor Einbau in einer hydraulischen Presse auf der Baustelle mit dem zweifachen der berechneten Maximallast belastet. Die Träger bildeten das Auflager für die mit einem schmiedeeisernen Zugstab unterspannten Rinnenträger aus Holz des »Ridge and Furrow«-Daches. Diese wurden mit der Unterspannung leicht überhöht, um die Entwässerung zu den Hauptrinnen hin sicherzustellen, die direkt auf den Fachwerkträgern auflagen. Von den Hauptrinnen wurde das Wasser in die hohlen Stützen abgeleitet.
Die Verglasungsarbeiten beschleunigte ein überdachter Verglasungswagen, der auf den Rinnenträgern entlangfahren konnte (Bild 9). Das Querschiff wurde bereits auf dem Boden aus je zwei hölzernen Hauptbindern liegend mit Querpfetten und Aussteifung montiert und dann an den bereits stehenden Stützen schräg über Winden hochgezogen und eingedeckt.
Die Belüftung des Gebäudes basierte wieder auf den Erfahrungen aus dem Gewächshausbau: In jedem Geschoss waren im oberen Teil Luftklappen angebracht, im Erdgeschoss waren diese in der 1,20 m hohen Brüstung integriert. Auch im Dach gab es Lüftungsklappen, insgesamt ergaben sich so 3 800 m² Lüftungsöffnungen. Um die Hitze bei direkter Sonneneinstrahlung zu mildern, wurden an besonders kritischen Dachstellen Leinwände aufgelegt, die aus einem Wasserleitungssystem befeuchtet werden konnten. Wegen der Zwangsbeanspruchung aus dem Werfen der Holzträger kam es bei dem dünnen Glas allerdings immer wieder zu Schäden und Undichtigkeiten.
Insgesamt wurden etwa 3500 t Gusseisen, 500 t Schmiedeeisen und etwa 20 000 m³ Holz eingebaut. Für die 83 200 m² Glasfläche wurden 270 000 Einzelscheiben von etwa 2 mm Dicke hergestellt. Dies entsprach 30 % der gesamten englischen Jahresproduktion.
Paxton war für die gesamte Bauausführung der entwerfende Architekt und Ingenieur, Fox und Henderson die ausführenden Ingenieure, Cubitt (1785–1861) übernahm auf Bauherrenseite das, was man heute Projektsteuerung nennt. Außer Henderson wurden alle 1852 für ihre Verdienste um den Kristallpalast in den Adelsstand erhoben.
Wirtschaftlich war die Weltausstellung wegen des Kristallpalastes im Unterschied zu späteren Weltausstellungen ein großer Erfolg. Täglich kamen im Durchschnitt 42 000 Besucher, 17 000 Aussteller waren vertreten. Den Gebäudekosten, die letztlich 176 030 Pfund Sterling betrugen, und sonstigen Ausgaben von insgesamt 164 000 Pfund Sterling standen Erlöse von über 500 000 Pfund Sterling gegenüber. Somit ergab sich ein ansehnlicher Überschuss.
Der Kristallpalast wurde vertragsgemäß bis zum 15. Mai 1852 wieder demontiert und von einer von Paxton eigens gegründeten Gesellschaft in Sydenham bei London wieder aufgebaut. Dabei wurde das Längsschiff ebenso mit einer Tonne versehen und ein Geschoss sowie zwei weitere Querschiffe hinzugefügt. Der allerdings deutlich teurere, neue Kristallpalast wurde am 18. Juni 1856 eingeweiht und stand bis 1936, als er einem Brand zum Opfer fiel. Paxton erhielt 1854 einen Sitz im Unterhaus für Coventry, 1858 noch ein Patent auf die Konstruktion transportabler Gewächshäuser. Er starb am 8. Juni 1865 auf Rockhill bei Sydenham.
~Jens Schneider
Literatur:
– Kohlmaier, Georg und Barna von Sartory: Das Glashaus, Prestel-Verlag, München, 1988 – Ricken, Herbert: Joseph Paxton (1801–1865) und der Kristallpalast in London (1851). In: Bautechnik 78 (2001), Heft 10, S. 740–744 – http://welcome.to/crystalpalacefoundation – Hobhouse , Hermione: The Crystal Palace and the Great Exhibition, Athlone-Verlag, London, 2002 – McKean, J., S. Durant, S. Parissien und B. Dunlop: Lost masterpieces : Joseph Paxton – Crystal palace ; Ferdinand Dutert – Palais des machines ; McKim, Mead and White – Pennsylvania station, Phaidon-Verlag, London, 1999 – Friemert, Chup: Die gläserne Arche, Prestel-Verlag, München, 1984 (mit Fotodokumentation von Delamotte von 1855) – Werner, Ernst: Der Kristallpalast zu London 1851, Werner-Verlag, Düsseldorf, 1970 – Chadwick, George F.: The Works of Sir Joseph Paxton 1803–1865, London, 1961 – Colquhoun, Kate: A Thing in Disguise: The Visionary Life of Joseph Paxton. HarperCollins Publishers, London, 2003 – www.chatsworth-house.co.uk


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