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Herberge 4.0

Das Hotel von morgen ist vernetzt – ein Gespräch mit Vanessa Borkmann vom Fraunhofer IAO
Herberge 4.0

Das Wunschzimmer bestellt, keine Wartezeit beim Einchecken und eine schicke Lobby mit flexiblen Arbeitsplätzen – das Wiener Hotel Schani ist eine Zwischenetappe in die vernetzte Zukunft, die Betreibern wie Gästen gleichermaßen neue Optionen bietet.

Text: Armin Scharf; Fotos: Bernd Müller; Kurt Hoerbst

Das Hotel Schani in direkter Nachbarschaft des neuen Wiener Hauptbahnhofs überrascht – mit einem modernen, hippen Ambiente im Industrial Style. Und mit einem offenen Coworking Space, in dem sich Gäste einen temporären Arbeitsplatz samt IT-Anbindung mieten können. In der hohen Lobby befindet sich auch die frei eingestellte Rezeption, die aber ihre traditionelle Funktion als erste Anlaufstelle nicht mehr wirklich ausübt. Denn beim Hotel Schani kann sich der Gast selbst ein- und auschecken, sein präferiertes Zimmer im Vorfeld wählen, für das dann sein Smartphone als Schlüssel dient. Unter den ingesamt 135 Zimmern befinden sich auch fünf sogenannte »Leading Edge«-Zimmer, die mit zusätzlichen Sensoren und Technikkomponenten ausgerüstet sind – und im Rahmen des Forschungsprojekts »FutureHotel« vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO betreut werden. Denn die Zukunft des Hotels ist vernetzt, nach innen wie nach außen. Das Hotel Schani ist ein Schritt dorthin, weitere werden folgen – sagt Vanessa Borkmann, Projektleiterin am IAO.
Frau Borkmann, was treibt die Hotellerie zur Digitalisierung und Vernetzung?
Es gibt zwei wesentliche Gründe dafür: erstens die Möglichkeit, Prozesse effizienter zu gestalten, zweitens den Komfort für den Gast zu verbessern. Der erhält per Smartphone mit NearFieldCommunication nicht nur den schlüssellosen Zugang zu seinem Zimmer, das er bereits bei der Buchung ausgesucht hat. Das Smartphone erlaubt dem Gast auch die Steuerung aller Funktionen im Hotel und das bargeldlose Bezahlen. Das Hotelteam wiederum wird von Routinetätigkeiten wie dem Check-In entlastet und kann sich besser dem Gast selbst widmen. Und es kommuniziert viel besser intern.
Also steht doch die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund?
Nicht nur, aber die Hotellerie steht vor dem Problem des Fachkräftemangels und muss Ressourcen anders nutzen. Im vernetzten Hotel der Zukunft weiß das Team, was der jeweilige Gast wünscht und wo er sich gerade aufhält.
Möchte man das als Gast?
Das ist eine individuelle Entscheidung. Wir gehen davon aus, dass die Freigabe persönlicher Daten künftig vom Nutzer selbst bestimmt wird. Und das durchaus situativ unterschiedlich – mal gebe ich meine Daten frei, um bestimmte personalisierte Dienstleistungen zu nutzen, mal bleibe ich inkognito. Diese beiden Optionen stehen nicht im Widerspruch. Wir sehen eine zunehmende Akzeptanz der Nutzung personalisierter Dienstleistungen auf Basis vernetzter Daten, nicht nur im Hotelbereich und nicht nur bei besonders technikaffinen Menschen.
Geben Sie doch ein Beispiel für solch eine neue Dienstleistung.
Das Hotel bietet Services an, die räumlich weiter reichen und bereits die Anreise oder den Aufenthalt in der Stadt selbst einbeziehen. Das kann etwa die automatische Berücksichtigung von Reiseverzögerungen sein. Das Hotel-Managementsystem bezieht die Information vom Gast oder externen Verkehrsinformationssystemen und passt Reservierungen selbstständig an die Verspätung an.
Oder die Heizung geht erst später an.
Richtig. Idealerweise ist das Hotel-Managementsystem, das für Buchungen und Abrechnungen zuständig ist, mit dem System der Gebäudeautomatisierung verknüpft. So lässt sich die Heizung entsprechend der Gastwünsche oder -anwesenheit ansteuern. Darin steckt unglaublich viel Potenzial. Im Hotel Schani haben wir fünf Zimmer mit zusätzlicher Technik ausgestattet, um eben diesen Aspekt zu verifizieren. So können wir den Verbrauch an Wasser und Strom exakt erfassen und ›
› optimieren – das spart Betriebskosten ohne den Komfort für den Gast einzuschränken. Einen großen Mehrwert für den Betreiber bieten Sensoren, die über den Status bestimmter haustechnischer Komponenten informieren und Wartungszyklen überwachen oder bei Fehlfunktionen ein Signal zur Benachrichtigung des Wartungsunternehmens senden.
Auf welchen Standards basieren diese Vernetzungen?
Für die Basis-Vernetzung der Haustechnik dient in Europa der KNX-Bus. Darüberhinaus existieren wenige Standards, häufig haben wir es mit proprietären, also herstellerbezogenen Systemen zu tun. Schnittstellen zwischen solchen Systemen existieren kaum oder werden projektspezifisch entwickelt. Momentan muss man sich bei der Planung noch für einen bestimmten Hersteller sowie dessen Systemkonzept entscheiden. Und man muss einkalkulieren, dass die heute installierte Technik nur vorläufigen Charakter hat. Wir stehen am Anfang einer Innovationskette, die sich in kurzen Zyklen erneuert und erst nach und nach übergreifende Standards hervorbringt.
Wo bleiben da die Planungs- und Investitionssicherheit?
Wer heute in vernetzte Systeme investiert, darf sich als Pionier fühlen, der Neuland betritt und gewisse Risiken bewusst eingeht. Auf der anderen Seite schafft man sich einen Vorsprung und Differenzierungsmerkmale im Werben um den Gast. Sich zurückzulehnen und abzuwarten wäre unternehmerisch falsch.
Haben Sie im Rahmen Ihrer Arbeiten auch den Return on Investment betrachtet?
Generelle Aussagen lassen sich schwer treffen, weil sich die Konzepte und die Hotel-Situation ganz spezifisch darstellen. Wir arbeiten auf Basis der Erfahrungen unseres Forschungsprojekts an einer entsprechenden Studie, die zehn bis 15 Pionierhotels analysiert.
Prinzipiell lässt sich sagen, dass die Vernetzung die Basis für umsatzrelevante Mehrwerte oder für neue Business-Modelle bieten kann. Derlei Nebeneffekte sind im Vorfeld meist nicht absehbar, bringen aber interessante Wirtschaftlichkeitsschübe.
Welche Hotelsegmente sind besonders vernetzungsaffin?
Das Interesse lässt sich nicht auf ein bestimmtes Segment eingrenzen, das geht durch alle Hoteltypen durch. Tendenziell aber sind Businesshotels im urbanen Kontext näher dran – und von denen die Economy-Ketten, die auf ein sehr hohes Preis-Leistungs-Verhältnis setzen. Solche Hotels sind bereits konzeptionell auf höchste Effizienz aller Abläufe ausgelegt. Das Thema ist global relevant, wobei Deutschland sicherlich zu den Treibern gehört. Denn hier sind viele der führenden Hersteller und Hotelfachschulen versammelt, Technik und Qualifikation der Mitarbeiter befinden sich auf einem hohen Niveau.
Spielen die Hotelketten also eine Vorreiterrolle?
Tatsächlich nimmt von dieser Seite die Aktivität zu, da werden Digitalisierungsstrategien mit Umsetzungsfristen von zwei Jahren aufgestellt. Allerdings ist die Komplexität groß, weil die Realisierung international erfolgen soll und damit der Aspekt der Standards besonderes Gewicht erhält. Privathoteliers haben es da etwas einfacher, weil sie auch mit Insellösungen arbeiten können. Die Zeit jedenfalls arbeitet für die Vernetzung, weil die Rahmenbedingungen stimmen. Seit 2008 lässt sich der Check-In automatisieren, doch die Zeit war noch nicht reif, weil die Endgeräte bei den Gästen fehlten. Jetzt ist die Hardware da, digitale Dienstleistungen wie Mobilitätsanbieter oder Bezahldienste kommen nun sehr schnell auf den Markt, die wiederum mit den Hotels zusammenlaufen und dieses mit seinem gesamten Umfeld verbinden.
Ist die klassische Planung eines Hotels damit obsolet?
Nein, aber der Architekt muss das Hotel sicherlich neu denken. Mit dem Entfall des Check-Ins ändert sich die traditionelle Rolle der Lobby, andere Funktionen kommen hinzu wie der Coworking-Space im Schani. Die Raumplanung steht vor der Aufgabe, neue Erlebnisbereiche zu schaffen, Flure eingeschlossen. Der bisherige Zuschnitt des Hotelzimmers ist schon jetzt nicht mehr zeitgemäß, seit dem Einzug des Flachbildschirms verschwindet das Sideboard. Dafür taucht die Integration von Tablets jetzt in der Agenda auf. Die Architektur bekommt neue Freiheiten, ist aber auch gefordert, andere, erlebnisorientiertere Gestaltungen zu schaffen.
Hat der Architekt künftig neue und andere Fachplaner zur Seite?
Nein, davon gehe ich nicht aus. Die Digitalisierung bringt uns aber Systemanbieter mit hohem Know-how, die in der Lage sind, die technischen Einzelaspekte über die Gewerke hinweg zu einem Ganzen zusammenzufügen.
Was leistet das Fraunhofer IAO dabei?
Seit 2008 beschäftigen wir uns mit dem Projekt »FutureHotel« mit Partnern aus der Industrie und der Hotelbranche. Es geht darum, Lücken ›
› und Defizite zu diskutieren und Innovationsbedarf zu identifizieren. Dabei geht natürlich auch um die Erwartungen seitens der Gäste. So haben wir schnell erkannt, dass eigentlich niemand an der Rezeption anstehen will, was den Anstoß für den automatisierten Check-In gab. Die Gastbefragung ergab außerdem, dass die Mehrheit der Reisenden ihr Hotelzimmer selbst bestimmen möchte – besonders wichtig ist dies im 5-Sterne-Segment.
Wir suchen nach Optimierungsansätzen mit Blick auf gesellschaftliche und technische Entwicklungen, erstellen Trendstudien und stoßen Innovationen an. Außerdem dienen unsere Labore als neutrale Plattform zur Umsetzung von Systemlösungen, zum Zusammenführen von Unternehmen und zur Begleitung von Pilotprojekten. Wir sind Ansprechpartner für alle Beteiligten, die Lösungen suchen – für Hersteller, Planer und auch Hotelbetreiber. Und schließlich begleiten wir Pilotprojekte wie das Hotel Schani auch in der Umsetzungsphase. Die Betreiber des Hotels, die Familie Komarek, sind übrigens schon seit 2012 als Forschungspartner dabei. •
Frau Borkmann, herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Armin Scharf am 21. Mai.
Hotel Schani, Wien Standort: Karl-Popper-Straße 22, A-Wien Bauherr: H5 GmbH & Co KG, Wien Architektur: Archisphere, Wien Gebäudetechnik: Reinhold A. Bacher, Wien Projektsteuerung: Martin Lee, Wien

Technik aktuell (S. 62)
Armin Scharf
s. db 5/2015, S. 88
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