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Das Ohr isst mit

Akustik in Gaststätten
Das Ohr isst mit

Betritt ein Besucher eine Gaststätte, nimmt er viele unterschiedliche Dinge wahr, die miteinander verflochten sind und deren er sich im Einzelnen zunächst nicht differenziert bewusst ist. Dabei nimmt in seinem Gesamteindruck die akustische Wahrnehmung einen hohen Stellenwert ein. Klang und Nachhallzeit wiederum lassen sich durch verschiedene Stellschrauben beeinflussen, nicht zuletzt durch ein angemessenes Raumvolumen und die Integration schallabsorbierender Materialien.

Text: Gernot Kubanek, cf, Fotos: Kira Bunse u. a.

Wer kennt das nicht? Man beschließt, in einem neuen Restaurant gemütlich zu Abend zu essen, doch spätestens nach zwei Stunden will man nur noch eines: so schnell wie möglich wieder hinaus. Der Geräuschpegel ist zu hoch, das auserwählte Restaurant akustisch eine Fehlplanung, über die allenfalls das zweite Glas Wein hinwegtäuschen kann. Der Klang, der in anderen Gaststätten für Stimmung und Atmosphäre steht, hat sich hier ins Negative verwandelt, die Reizschwelle wurde überschritten, der Klang zu Lärm. Dabei lässt sich die Akustik steuern, wenn man einige konzeptionelle und organisatorische Aspekte beachtet, die Akustik beeinflussende Faktoren und deren Abhängigkeiten voneinander berücksichtigt und schallschluckende Materialien einsetzt.
Brauhaus oder Spitzenrestaurant?
Zunächst muss zwischen Architekt und Auftraggeber die Frage geklärt werden, welche Akustik überhaupt für das geplante Restaurant »gut« ist: Welche Art von Gastronomie (Brauhaus, Pizzeria oder Sterne-Restaurant, Club, Bar oder Café?) wünscht der Betreiber, welche Atmosphäre soll dort entstehen, und was sind die Bedürfnisse der Gäste? Gerade diese sind maßgeblich an der akustischen Wirkung beteiligt, da sie mit einer entsprechenden Erwartungshaltung – entspannter Abend mit Gesprächen, Geschäftsessen oder Feiern mit Freunden – die Lokalität auswählen und sich dem Ambiente entsprechend laut oder leise verhalten. Die Gaststätte muss dann akustisch differenziert betrachtet und geplant werden: In einem Brauhaus oder einem Club etwa mit einer sehr lebendigen, tendenziell lauteren Geräuschsituation gilt es, ein zu großes Aufschaukeln von Geräuschpegeln zu vermeiden. In einem Restaurant dagegen, wo eher eine ruhigere Stimmung herrschen soll, muss diese aufrechterhalten werden und eine gewisse Diskretion zu Nachbartischen im Vordergrund stehen. Das konkrete Maß der entsprechenden Bemessung sollte bestenfalls in Abstimmung mit einem Akustiker vorgenommen werden, damit eine zielgerichtete und damit auch wirtschaftliche Bemessung erfolgt. Denn manchmal sind nur wenige, sparsame oder gar keine schallabsorbierenden Maßnahmen notwendig, wie das Lokal Le Moissonier in Köln (Abb. 4) gelungen beweist. In diesem Restaurant gehobener Klasse verhalten sich die Gäste grundsätzlich derart zurückhaltend, dass ein angenehmer, ruhiger Gesprächsteppich aus einer Vielzahl von Einzelgesprächen entsteht – ohne dass besondere, schallabsorbierende Maßnahmen an den Raumoberflächen vorhanden sind. Diese lebendige, aber nicht aufdringliche Geräuschsituation wirkt sich psychoakustisch als Verdeckungsgeräusch aus, die in positivem Sinne Diskretion und Privatheit erzeugt.
Die Ausstrahlung macht‘s
Neben der Erwartungshaltung, die mit der Art der Gaststätte verknüpft ist, können weitere Faktoren wie die Innenraumgestaltung in Form von Licht und Farben die akustische Wirkung beeinflussen. So werden Räume mit einer nüchternen, tendenziell kühlen Ausstrahlung oder auch strengeren Raumgestaltung subjektiv als halliger empfunden – unabhängig von den physikalisch akustischen Eigenschaften. Das betrifft z. B. weiß gehaltene Räume (im Gegensatz zu wärmeren Farben und Leuchtmitteln). Diese übergreifenden psychoakustischen Zusammenhänge lassen sich auch auf klimatische Einflussgrößen wie die Temperatur übertragen: Räume mit einem tendenziell kühleren, unbehaglicheren Klima werden ebenfalls als halliger empfunden als tatsächlich wärmere Raumbereiche.
Lärmspirale
Es klingt plausibel und wird dennoch häufig vergessen: Wer eine Gaststätte plant, sollte versuchen, störende Geräuschquellen wie etwa eine lärmende Espressomaschine, Küchenklappe o. Ä. von den Bereichen fernzuhalten, wo Gäste eine ruhige Atmosphäre erhoffen. Bleiben derartige organisatorische Maßnahmen unbeachtet, sind durch das Aufschaukeln von Geräuschpegeln schnell höhere Schalldruckpegel möglich, deren Spiralwirkung (Abb. 3) nicht leicht aufgebrochen werden kann. Die Belastung für die Gäste, aber insbesondere auch der Bedienung, wird dann höher sein. Auch kann die Klangqualität von Musik, sei es im Hintergrund oder als Event, durch einen zu hohen Schallpegel begrenzt sein. Weiterhin sollte überlegt werden, ob zusätzliche separate Bereiche sinnvoll sind: Auch in Musikclubs werden z. B. sehr gerne akustisch abgetrennte Räume mit niedrigeren Schalldruckpegeln zum Chillen angenommen.
Regelwerke und Nachhallzeiten
Je höher der zu erwartende Geräuschpegel in der konkreten Nutzung zu erwarten ist, desto höher sollte die Raumdämpfung sein bzw. desto niedriger die Nachhallzeit. Eine Orientierung für Gaststätten bieten die Empfehlungen der DIN 18041 (Hörsamkeit in kleinen bis mittelgroßen Räumen; Cafés, Bars und Restaurants zählen zum Raumnutzungstyp B). Hieraus resultieren Größenordnungen der Nachhallzeit von ca. 0,6 bis 0,9 Sekunden.
Bei großen Räumen kann die obere Grenze der zulässigen Nachhallzeit auch durchaus noch etwas erweitert werden – das sollte aber immer im Kontext zur individuellen Ausrichtung der Gastronomie gesehen werden. Ein gelungenes Beispiel hierzu ist das Restaurant Meerbar in Düsseldorf (Abb. 5), das sehr unterschiedliche Gastronomie-Arten (Bar, Lounge, Restaurant, Livemusik) innerhalb eines offen miteinander verbundenen Raums vereint. Der Restaurantbereich ist gekennzeichnet durch ein auffällig hohes Luftraumvolumen mit einem angemessenen Verhältnis schallabsorbierender Maßnahmen. Durch eine großzügige räumliche Separierung wird eine gute »akustische Separierung« der unterschiedlichen Nutzungsbereiche erzielt.
Die Nachhallzeit T definiert die Halligkeit eines Raums: T = 0,163 (V/ A), wobei sich A, als gesamte Absorption des Raums, durch die Summe der Absorptionsfläche multipliziert mit dem Schallabsorptionskoeffizienten zusammensetzt. Durch entsprechende Schallabsorptionsflächen kann die Nachhallzeit also geeignet justiert werden. Beispiel: Für einen Raum mit einer Grundfläche von 200 m² und einer Raumhöhe von ca. 3,5 m ergibt sich bei einer anzustrebenden Nachhallzeit von ca. ›
› 0,8 Sekunden eine erforderliche gesamte Absorptionsfläche von ca. 140 m². Dies entspricht in der Größenordnung der Raumgrundfläche.
Materialvielfalt
Die schallabsorbierenden oder auch diffus reflektierenden Elemente können dabei sowohl in den Raumoberflächen wie der Wand, der Decke und dem Boden, aber auch in der Inneneinrichtung wie dem Mobiliar, in der Dekoration oder in Vorhänge integriert werden. Hierbei können sehr differenzierte bis hin zu »unsichtbaren« (z. B. unter den Tischen) Maßnahmen in Abhängigkeit vom gewünschten Design vorgenommen werden, neben gängigen Absorber-Materialien können auch individuell zugeschnittene (z. B. fugenlose, transparente, mikroperforierte) Absorbertypen zum Einsatz kommen.
Bei den fugenlosen Akustiksystemen wird sichtseitig vor einem schallabsorbierenden Material wie Mineralwolle, Holzfaser oder auch perforierter Gipskartonplatte mit Akustikhinterlegung ein dünner akustisch transparenter Putzauftrag aufgebracht. Um die akustische Funktion aufrecht zu erhalten, muss bei Renovierungen sorgfältig mit der Oberfläche umgegangen werden [1].
Bei den mikroperforierten Systemen wird der Lochdurchmesser einer dünnen Trägerschicht aus Metall oder Holzfurnier sehr gering gewählt, sodass in entsprechender Entfernung die Perforation nicht mehr auffällt [2]. Über die Anzahl der Perforationen wird in Verbindung mit der akustischen Hinterlegung in Form von Mineralwolle o. Ä. das Absorberverhalten erreicht. Auch können großformatige Bilder, mit dahinter liegendem Absorberaufbau, auf eine solche mikroperforierte Trägerschicht aufgebracht werden.
Eine vielversprechende Weiterentwicklung der Mikroperforation sind optisch transparente Absorber [3]: Hierbei werden transparente dünne Materialien wie Folien oder Plexiglas mit sehr geringen Lochdurchmessern versehen. Die akustischen Luftschwingungen müssen sich durch die sehr engen Lochdurchmesser hindurchzwängen und erfahren so einen permanenten Widerstand in ihrer Bewegung. Der permanenten Luftschwingung wird somit Energie entzogen, die physikalisch einer Schallabsorption entspricht. Eine Akustikhinterlegung ist hier deshalb nicht erforderlich.
In Verbindung mit den bereits genannten Maßnahmen können weitere Mittel zum akustischen Komfort gewählt werden, sei es zur allgemeinen Geräuschreduzierung von Störgrößen (z. B. Körperschalldämpfung unter den Stuhlfüßen) oder aber auch – zur Erhöhung der Diskretion z. B. in Restaurants – durch Einfügen eines künstlichen, unmerklichen Verdeckungsgeräuschs (Hintergrundmusik, Sounddesign o. Ä.). •
Auswahl Hersteller:
[1] Lieferanten für diese Putzoberflächen sind z. B. die Firmen Stotmeister, Scherff, Caparol oder Baswa. Seitens der Firma Baswa wird dieses System auch für gewölbte Flächen als Systemlösung dargestellt. Akustikputzsysteme von Stotmeister, Scherff und Caparol können unmittelbar auf die vorhandene Konstruktion aufgebracht werden, aufgrund der geringen Aufbauhöhen von ca. 10-20 mm kommen sie bei nachträglichen Maßnahmen oftmals zum Einsatz.
[2] Siehe z. B. die Anbieter Lahnau, Topakustik und decoustics
[3] Siehe z. B. die Firma Kaefer Des Weiteren siehe die perforierten Holzoberflächen verschiedener Hersteller wie z. B. Lignotrend oder Egger sowie eine Akustik-Schaumstofflösung von BASF (Produkte aus der Praxis, S. 86).

Technik aktuell (S. 74)
Gernot Kubanek
1965 in Leverkusen geboren. Studium der Elektrotechnik an der RWTH Aachen , 1992 Diplom. 1992-2004 Tätigkeit als Projektingenieur für Bauphysik und Akustik, seit 2004 als geschäftsführender Gesellschafter der ISRW, Düsseldorf/Berlin. Seit 2005 Lehrtätigkeit an der Universität Krems und der FH Münster.
Christine Fritzenwallner (cf)
1975 geboren. 2001 Diplom FH Kaiserslautern. Bis 2002 Bürotätigkeit. 2002 in der Redaktion von xia Intelligente Architektur, 2002-04 bei Detail. Seit 2004 bei der db.
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