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Brandschutz und Entrauchung des Mercedes-Benz Museums

Technik
Brandschutz und Entrauchung des Mercedes-Benz Museums

~Rüdiger Detzer, Holm Klusmann

Ein Tornado, der Menschenleben retten kann: Im Mercedes-Benz Museum entsteht im Brandfall der größte künstlich erzeugte Wirbelsturm der Welt. Er erstreckt sich über eine Gesamthöhe von 40 m und dient der Rauchfreihaltung von Rettungswegen und Ausstellungsbereichen. Entwickelt wurde dieser Tornado im Labor in einem verkleinerten Gebäudemodell.

Allgemeine Problematik Öffentlich genutzte Gebäude besitzen häufig großzügig gestaltete Atrien, die offen mit den Nutzflächen zusammenhängen und so Transparenz und Sichtbeziehungen für den Besucher ermöglichen. Atrien mit hineinragenden Galeriebereichen oder Deckendurchbrüche mit darüber angeordneten Nutzungsbereichen stellen aber für die Entrauchung im Brandfall ein ganz besonderes Problem dar. Aus brandschutztechnischer Sicht ergibt sich für die Entrauchung also eine anspruchsvolle Aufgabe. Denn wenn unterhalb dieser Galerie ein Feuer entsteht, breitet sich der Rauch an der Raumdecke, die gleichzeitig die Bodenplatte für den darüberliegenden Galeriebereich darstellt, in Längsrichtung aus und umströmt großflächig die Gebäudekante. Der Thermikstrahl strömt an der Kante aufwärts und »saugt« über der Galeriebrüstung aus dem angrenzenden Raum Luft an, die durch Nach-strömen in den Galeriebereich ersetzt wird. Hierdurch entsteht eine Raumwalze mit intensiver Verrauchung des betroffenen Bereiches. Um derartige Bereiche rauchfrei zu halten, sind besondere strömungstechnische Lösungen erforderlich.
Aufgabenstellung und Anforderungen an die Entrauchung des Museums Obwohl das gesamte Gebäude einen durchgängigen Rauchabschnitt darstellt, sollte die Rauchausbreitung auf den betroffenen Ausstellungsbereich beschränkt bleiben, um den Besuchern die Rauchfreihaltung der Rettungswege sicherzustellen und eine Kontamination von Ausstellungsgegenständen in anderen Ebenen zu verhindern. Der Rauchaustrag, der aus der Ausstellungsebene über die Öffnung in das Atrium abströmt, sollte von dort auf natürlichem Weg durch natürliche Rauch- und Wärmeabzugsan- lagen oder durch Rauchabsaugung im Kopfbereich des Atriums erfolgen. Mit der Entwicklung des Entrauchungskonzeptes für das Museum wurde die Firma Imtech in Hamburg beauftragt, gemeinsam mit dem Brandschutzsachverständigen Halfkann + Kirchner sowie dem Projektsteuerer Drees + Sommer eine geeignete Lösung zu finden. Dazu wurde eine Untersuchung an einem Gebäudemodell im Maßstab 1:18 aus Plexiglas im Labor von Imtech durchgeführt (Bild 21). Der gewählte Maßstab sollte unter anderem aus Kostengründen nicht zu groß werden, aber auch nicht zu klein sein, damit zum Beispiel Grenzschichteinflüsse an Wänden nicht das Strömungsbild verfälschen.
Modellstudie Die Entwicklung von Entrauchungskonzepten in Modellstudien erfordert die geometrische Ähnlichkeit aller die Strömung beeinflussenden Details des Gebäudes und die Ähnlichkeit der Strömungsvorgänge in einem Originalbaukörper und den Verhältnissen im Modell. Die notwendigen Bedingungen für die Gleichartigkeit der Strömungen werden durch so genannte Ähnlichkeitskriterien definiert.
Die unter Einhaltung von geometrischer und physikalischer Ähnlichkeit durchgeführten Versuche mit dem Entrauchungskonzept der Ursprungsplanung für das Museum zeigten zunächst allerdings kein befriedigendes Ergebnis. Aufgrund der zuvor beschriebenen Strömungsprozesse an den Galerieebenen und thermischer Ausgleichsströmungen zwischen dem Atrium und den einzelnen Ausstellungsebenen stellte sich bei allen Entrauchungsversuchen über den Kopfbereich des Atriums ein vollständiges Verrauchen des Gebäudes ein (Bild 22). Um die vom Bauherrn gewünschten Anforderungen zu erfüllen und die architektonische Lösung überhaupt genehmigungsfähig zu machen, musste ein neues innovatives Konzept entwickelt werden, das im Atrium eine zur Mitte hin orientierte Strömung gewährleistet. Derartige Strömungsformen lassen sich in der Natur nur bei Wirbelstürmen beobachten. Sie stellen im Prinzip die Eigenschaften zur Verfügung, die für das Entrauchungskonzept benötigt werden.
Es wurde daher versucht, ein derartiges Strömungsfeld im Atrium des Museums künstlich zu erzeugen. Dabei erfolgte die Anregung des Tornados mit regelmäßig angeordneten Treibstrahlen, die mit hoher Geschwindigkeit in Richtung der zu erzeugenden Drallströmung blasen. Die Düsen sind in sechs vertikalen Reihen am Rand des Atriums angeordnet und ermöglichen so die stabile Entwicklung des Tornados. Dadurch entsteht ein starkes Druckgefälle vom Randbereich zum Auge des Wirbelsturmes. Dieses Druckgefälle bleibt längs der Drehachse konstant und hält damit die erforderlichen Druckdifferenzen über die gesamte Atriumhöhe aufrecht. Der aus einer Ausstellungsebene austretende Rauch mischt sich in die rotierende Strömung ein und wird mit Hilfe des Druckgefälles zur Mitte transportiert (Bild 23). Im Wirbelkern wird der Rauch schließlich über die Plattform in Höhe der Ebene 8 und die entsprechenden Entrauchungsventilatoren nach außen befördert. Die Absaugöffnung befindet sich mittig unterhalb der Plattform. Die Zuluft wird aus den Ausstellungsebenen gleichmäßig über die ganze Höhe am Rand des Atriums zugeführt; dabei werden ausschließlich die zur Belüftung der Ebenen vorgesehenen Anlagen eingesetzt.
Als beeinflussend auf die Entwicklung und die Stabilität des Tornados erwiesen sich die Informations- und Ticketschalter im Atrium sowie die Fahrstuhleinhausungen. Sie alle mussten in zahlreichen Details untersucht und strömungstechnisch angepasst werden. So wurde etwa für die Fahrstuhleinhausung ein ausklappbares Leitelement entwickelt, das störende Strömungsabrisse beseitigt.
Mit diesen Maßnahmen konnte das gewünschte Schutzziel in vollem Umfang erreicht werden, auch wenn noch weitere Ausbreitungswege, zum Beispiel im Bereich der Auffahrtsrampen, abzuschirmen waren. Sie konnten jedoch weitgehend mit konventionellen Methoden gelöst werden, beispielsweise mit der Art und Weise der Zuluftführung und Rauchschürzen.
Umsetzung in die Praxis Das in den Modellversuchen entwickelte Entrauchungskonzept für das Mercedes-Benz Museum bestätigte sich bei den Vor-Ort-Versuchen in vollem Umfang (Bilder 26, 27). Die nicht vom Brand betroffenen Ausstellungsbereiche können durch die Bildung des Tornados und die im Labor entwickelten Maßnahmen zur Strömungsstabilisierung im Brandfall dauerhaft abgeschirmt werden. Auch die Abschirmungsmaßnahmen im Rampenbereich erfüllten sich wie geplant. Neben der außergewöhnlichen Idee für ein innovatives Entrauchungskonzept des komplexen Museumsgebäudes ist diese Entwicklung ein ausgezeichnetes Beispiel für die Übertragbarkeit der Modellversuche in den realen Baukörper.

Bauherr: Daimler Chrysler Immobilien GmbH, Berlin
Bruttogeschossfläche: 30 000 m2, Grundstücksfläche: 28 5500 m2
Bruttorauminhalt: 270 000 m3

Planer und Ausführende (Auswahl):
Architekten: Entwurf: UN Studio, Amsterdam
Ausführungsplanung: UN Studio und Wenzel + Wenzel, Karlsruhe
Museumsgestaltung: HG Merz, Stuttgart
Projektmanagement: Drees & Sommer, Stuttgart
Technisch-wirtschaftliches Controlling: DS-Plan, Stuttgart Ingenieure
Tragwerk: Werner Sobek Ingenieure mit Boll & Partner, Stuttgart
Ausführungsplanung Gebäudeleittechnik: Baumgartner GmbH, Kippenheim (BW)
Klimatechnik (Generalplanung haustechnische Gewerke, 3D-Planung Lüftungszentralen der Ausstellungsebenen): Transplan Technik Bauplanung, Stuttgart
Ausführungsplanung Heizung / Lüftung / Sanitär / MSR-Technik: Schreiber Ingenieure, Ulm
Ausführungsplanung Elektrotechnik: Ingenieurbüro Werner Schwarz GmbH, Stuttgart
Lichtplanung: Ulrike Brandi Licht Lichtplanung und Leuchtenentwicklung GmbH, Hamburg; Delux AG, Zürich
(Beratung, Lichtplanung und Ausleuchtung) HG Merz, Stuttgart; UN Studio Amsterdam
Brandschutzgutachten: Halfkann + Kirchner Sachverständigenbüro, Erkelen
Entrauchungsversuch: Imtech Deutschland GmbH & Co KG, Hamburg

Hersteller und ausführende Firmen (Auswahl): Anlagenbauer Heizung/Lüftung/Sanitär/MSR-Technik und Lüftungsgerätehersteller: Siegle+Epple GmbH & Co. KG, Stuttgart Eingesetztes Fabrikat Gebäudeleittechnik: Neuberger Gebäudeautomation, Rothenburg o. d. Tauber Rauchschürzen: Colt International GmbH, Leinfelden-Echterdingen Sprinkler: Stangl AG, Deggendorf Stahltüren: Sommer Fassadensysteme – Stahlbau – Sicherheitstechnik GmbH & Co.KG, Döhlau bei Hof/Saale Aufzüge: ThyssenKrupp Aufzüge Süd GmbH, Niederlassung Stuttgart Fassadenarbeiten: Josef Gartner GmbH, Gundelfingen Preshow Membran Atrium: covertex GmbH, Obing Rohbauarbeiten: Ed. Züblin AG Niederlassung Stuttgart

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