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Victoria and Albert Museum in Dundee (GB) von Kengo Kuma and Associates mit PiM.studio

Schatzkästchen aus Beton
Victoria and Albert Museum in Dundee (GB)

Dass Dundee in Schottland liegt, muss man seit dem 16. September wohl nicht mehr erklären. An diesem Tag öffnete das Victoria and Albert Museum Dundee, und seitdem strömen die Massen in die Stadt zwischen Edinburgh und Aberdeen. Nach drei Wochen wurde bereits die 100 000. Museumsbesucherin gezählt – eine Einheimische. Bilbao-Effekt? Die Architektur ist jedenfalls ungewöhnlich und rätselhaft, aber zugleich pragmatisch, alltagstauglich und v. a.: nicht überdimensioniert für die Stadt.

Architekten: Kengo Kuma and Associates, PiM.studio Architects
Tragwerksplanung: Arup

Kritik: Dagmar Ruhnau
Fotos: Hufton + Crow

Das Auffälligste an dem neuen Museum ist zunächst einmal, dass es nicht auffällt. Zumindest nicht, wenn man mit der Bahn anreist. Mit vielen Renderings und PR-Bildern im Kopf sucht man von der langen Brücke über den Tay aus vergeblich das Ufer der Stadt nach einem leuchtend weißen Monolith ab. Und auch wenn man vor dem neu gestalteten Bahnhof von Flaggen mit dem V&A-Logo begrüßt wird, muss man erst gezielt an einer großen Baustelle und der mehrspurigen Straße vorbeischauen, bevor man das dazwischen merkwürdig klein wirkende, aber eigentlich nur wenige Schritte entfernte Museum entdeckt.

Die Stadt am Meer
Sicher, die Baustellenzäune werden irgendwann verschwinden und einen unverstellten Blick auf den Bau ermöglichen. Doch noch befindet sich die 8 km lange Uferzone in einem 30-jährigen Umgestaltungsprozess, der gut 1,1 Mrd. Euro kosten wird. Ein Uferweg verbindet die fünf Abschnitte vom Naturschutzgebiet über die innerstädtische Uferzone bis zum brummenden Hafen. Das V&A steht mittendrin, im Central Waterfront genannten Abschnitt. Auf diesem flachen Gelände vor der am Hügel liegenden Stadt befanden sich einst Docks; nachdem sie aufgegeben worden waren, blieben die Auffahrt auf die Straßenbrücke über den Tay – die übrigens ganz dicht am V&A vorbeiführt –, ein riesiger Kreisverkehr und ein Freizeitcenter übrig. Erklärtes Ziel der Umgestaltung ist es, die Stadt und den breiten Fluss (auch Firth of Tay genannt) wieder zu verbinden. Die Straßenführung ist nun halbwegs verträglich und definiert den neuen Park Slessor Gardens sowie diverse weitere Baufelder, auf denen bis zu sechs Geschoss hohe Bauten mit Büro-, Hotel-, Freizeit- und Wohnnutzungen entstehen werden.

Stadt und Fluss enger zu verknüpfen, war auch eine wesentliche Anforderung im Wettbewerb für das V&A, bei dem die Jury 2010 aus sechs Finalisten einstimmig den Entwurf von Kengo Kuma and Associates wählte. Ein Glücksgriff, selbst wenn Kumas Entwurf gerade nicht demonstrativ mit dem Thema Wasser spielte. Stattdessen: »Stein in Bewegung«. An der schottischen Ostküste ist mit Stürmen, Hochwasser und Nebel durchaus zu rechnen. Insofern ist die Wahl des Materials vollkommen einleuchtend – allerdings strahlt das Ergebnis nicht so durchgängig weiß wie erwartet. Mit ein Grund dafür ist die schwarz beschichtete Außenseite der gewundenen Betonwände, die hinter den schwebenden, bis zu 4 m langen Betonsteinen der Fassade zu sehen ist. Doch trägt gerade das zu ihrer Wirkung bei: Je nach Tageszeit und Wetter erscheint sie glatt oder tief zerklüftet und – wie so viele Häuser in Schottland mit Natursteinfassade – dumpf grau, warm ockerfarben oder doch glitzernd hell. Inspiration dafür bezog Kuma aus dem »Dialog von Erde und Wasser«, der an der schottischen Küste streifenförmig ausgewaschene, von Löchern perforierte Felsen hinterlässt.

Felsen? Auster? Beton-Kokon?
Ohne direkt sichtbare Fenster und Türen, mit verschiedenen Ab- und Einschnitten, die z. T. aus der Fassade herausgedreht sind, ist das Gebäude nicht einfach zu lesen. Auch deshalb sollte man sich einen Erkundungsgang um den schweren Betonbau gönnen, zwischen seinen zwei massiven Sockeln hindurch, um Kurven und Ecken, über helle und dunkle, geschützte und windige Stellen. Dabei eröffnen sich unterschiedliche Perspektiven auf Stadt, Brücken und Hafen – und schließlich entdeckt man doch den Eingang. Ungeduldige können ihn durch eine Art Schnitzeljagd finden: Die Flaggen vor dem Bahnhof geleiten bis zu den in gleicher Weise gestalteten Plakaten vor dem »Schlupfloch« an der stadtzugewandten Ecke des Gebäudes. Wer aber das raue Äußere nicht aufgenommen hat, kann auch das geradezu heimelige Innere nicht richtig goutieren. Hier wird es plötzlich ruhig. Selbst wenn Hochbetrieb herrscht, ist die Akustik angenehm, es riecht nach Kaffee, die holzbekleideten Wände verbreiten Wärme. Kasse, Cafeteria und Shop befinden sich, großzügig verteilt, in der offenen Eingangsebene, die sich dreigeschossig auch nach oben öffnet. Mit ein, zwei Blicken ist der Innenraum erfasst. Die Treppe zeichnet die Drehbewegung der Wände nach, ein Aufzug steht mitten im Raum, oben ist es heller als unten. Es fühlt sich ein wenig an wie in einem Schiffsbauch. Diese Assoziation ist nicht zufällig, und abgesehen von der überdeutlichen Koggenform, die das Gebäude außen zeigt, finden sich auch im Innern diverse hübsche Analogien: die geschuppten, unterschiedlich gekippten MDF-Planken mit Eichefurnier, die langgestreckten Fenster, vor denen gerne mal Kinder liegen und das Wasser draußen beobachten, und der Bodenbelag aus Irischem Blaustein, in dem fossilierte Meerestiere und -pflanzen auszumachen sind. »Ein Wohnzimmer für die Stadt« wollte Kengo Kuma bauen, und das ist ihm gelungen. Enttäuschend banal allerdings wirken in diesem sorgfältig gestalteten Interieur die Verglasungsflächen im OG – zum Glück liegen sie großenteils hinter der Fassade versteckt.
Ein Tea Room von Charles Rennie Mackintosh
Außer für Sonderausstellungen kostet das Museum – wie viele in Schottland – keinen Eintritt. Man kann also kommen, sich in die Leseecke setzen, arbeiten, sogar sein Butterbrot selbst mitbringen. Als »Klassenzimmer für jedermann« in Sachen Design, wie sich das V&A seit seiner Gründung 1852 versteht, bietet es außerdem Lernräume für Kinder, Bildungsmaßnahmen für junge Erwachsene und Studenten, Design-Workshops, Designer-in-Residence-Programme und weitere Kooperationen. Entsprechend umfasst das Kuratorium, das das V&A Dundee neu gegründet und eine eigene Sammlung aufgebaut hat, u. a. die zwei lokalen Universitäten und die staatliche Arbeitsförderungs-Agentur Scottish Enterprise. Die Ausstellungsflächen nehmen den größten Teil des OGs ein. Sie erstrecken sich über beide Sockel und bestehen aus einem offenen Bereich auf der Galerie, einem Sonderausstellungsraum und den »Scottish Design Galleries«. Hier werden wechselnde Stücke mit schottischem Design aus der Sammlung gezeigt – von Schiffsbau und maritimer Infrastruktur über Zeitungen, Comics und Computerspiele bis hin zu Textil- und Möbeldesign, überraschend vieles davon direkt aus Dundee. Ein besonderes Schmuckstück der beeindruckenden Sammlung ist das Teestuben-Interieur »Oak Room« von Charles Rennie Mackintosh, das hier nach 40 Jahren im Lager originalgetreu restauriert, aufgebaut und begehbar gemacht wurde. Obwohl aus Glasgow, muss Mackintosh als berühmtester schottischer Architekt selbstverständlich hier, im allerersten Designmuseum Schottlands, vertreten sein. Passenderweise ist Kengo Kuma gegenwärtig das sozusagen letzte Glied in einer Kette von Wechselbeziehungen zwischen Japan und Schottland: Während eines Aufenthalts in Glasgow befasste er sich intensiv mit der Architektur Mackintoshs, der sich seinerseits von japanischen Gestaltungsprinzipien inspirieren ließ.
Wirbelndes Tragwerk
Namhaft sind nicht nur der Architekt und die ausgestellten Designer. Bereits zum Wettbewerbsentwurf lieferte Arup die grundlegenden Ideen zur Realisierung der »verwirbelten« Form des Baus – die während der Ausarbeitungsphase lediglich etwas steiler wurde. Die Form entstand durch die Aufnahme der Richtungen aus der Hauptstraße, die senkrecht auf das Gebäude zuführt, und aus dem um ca. 25 ° dazu gedrehten, benachbarten Liegeplatz von Scotts Forschungsschiff »Discovery« (1901 in Dundee vom Stapel gelaufen). Die nach außen gekippten Wände sind über hohe Stahlbinder an zwei Betonkerne angebunden, und die Verwindungen wurden so entwickelt, dass sie sich gegenseitig stabilisieren. Mithilfe eines 3D-Modells entstanden 21 unterschiedliche Wände, die vor Ort (!) betoniert wurden und über Spannschlösser miteinander verbunden sind. Gegründet ist das Gebäude auf Pfählen, außerdem entschied man sich für eine geothermische Heizung und Kühlung mit 65 m tiefen Bohrungen – ergänzt durch eine Luftwärmepumpe auf dem Dach.
Identifikationspunkt für die Einwohner

Gut 90 Mio. Euro hat das neue Museum gekostet. Finanziert wurde es durch die Gründungspartner, die schottische Regierung und zu einem großen Teil auch aus Spenden. Der Unterhalt wird auf die gleiche Weise bestritten – für Besucher steht im Museum eine fahrbare Spendenbox bereit. Insofern hörte man von den Dundonians nicht viel darüber, dass man von dem Geld auch Krankenhäuser oder Schulen hätte bauen können, wie bei öffentlich finanzierten Bauten sonst oft geklagt wird. Stattdessen nur Lobesworte – die Bürger identifizieren sich schon jetzt mit dem neuen V&A. Auch als die Wettbewerbsergebnisse ausgestellt wurden, kamen mehr als 15 000 Neugierige, ein Zehntel der Einwohnerzahl Dundees. Explizit setzten die Initiatoren auf den »Bilbao-Effekt« – und von den ersten Wochen nach der Eröffnung ausgehend, könnte das funktionieren.

Grundriss EG: Kengo Kuma and Associates
Grundriss OG: Kengo Kuma and Associates
Schnitt AA: Kengo Kuma and Associates
Schnitt BB: Kengo Kuma and Associates

  • Standort: 1 Riverside Esplanade, GB-Dundee DD1 4EZ

    Bauherr: Dundee City Council
    Architekten: Kengo Kuma and Associates, Tokio/Paris
    Verantwortliche Architekten: Kengo Kuma, Yuki Ikeguchi, Teppei Fujiwara
    Projektarchitekt, z. T. auch Möblierung: PiM.studio Architects, London, Maurizio Mucciola
    Tragwerks-, Fassaden-, Brandschutz-, Licht- und Akustikplanung: Arup
    Projektmanagement: Turner & Townsend
    Bauleitung: James F Stephen Architects
    Freiraumgestaltung: Optimised Environments (OPEN)
    NGF: 8 445 m²
    Baukosten: 80,11 Mio. Pfund (ca. 91,5 Mio. Euro)
    Bauzeit: März 2015 bis März 2017, Eröffnung September 2018
  • Beteiligte Firmen:
    Generalunternehmer: BAM Construct UK
    Leitsysteme: Cartlidge Levene
    Grafik: Why Not Associates
    Interaktives Design: ISO
    Möblierung Gastronomie und Shop: Lumsden Design
    Ausstellungsbau: Elmwood Projects, setWorks, kennedytwaddle
    Abdichtung: Max Frank
    Glas im Oak Room: Glashütte Lamberts, Waldsassen, www.lamberts.de

Der Uferweg verbindet alle fünf Regenerationszonen in Dundee (im Hintergrund die mobilen Bohrinseln im Hafen), durch Hochwassertore gut geschützt. Davor hatte db-Redakteurin Dagmar Ruhnau an diesem sonnigen, windigen Tag aber keine Angst.

Dagmar Ruhnau (~dr)
Studium der Kunst, Anglistik, Architektur, 2001 Diplom. Berufstätigkeit in mehreren Architekturbüros, Redaktionen und einer PR-Agentur. Seit 2006 Freie Redakteurin der db.

Kengo Kuma and Associates


Kengo Kuma

1979 Abschluss in Architektur an der Universität Tokio. 1987 Bürogründung, 2008 auch in Paris. Professuren an japanischen und amerikanischen Hochschulen, seit 2009 an der Universität Tokio. Eigene Publikationen.

PiM.studio

Maurizio Mucciola

M.Arch. am Politecnico di Milano, M.Sc. an der Columbia University. Mitarbeit u.a. bei OMA, dann bei Kengo Kuma and Associates in Tokio, Edinburgh und Paris. 2016 Bürogründung mit Maria-Chiara Piccinelli.


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