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Rücksicht, aber keine Anbiederung

Sportanlagen in Laas und Tschengls, Vinschgau
Rücksicht, aber keine Anbiederung

Wie vielerorts in Südtirol herrscht auch in der westlichsten Region, dem Vinschgau, seit einiger Zeit architektonische Aufbruchstimmung. So hat seit Inkrafttreten des Autonomiestatus‘ Südtirols 1992 die öffentliche Hand viel Geld in neue Infrastrukturbauten wie Schulhäuser, Verwaltungsbauten oder Sportplätze investiert.

  • Architekt: Arnold Gapp
    Tragwerksplanung: Siegfried Pohl
  • Text: Judit Solt
    Fotos: Jürgen Eheim, Ludwig Thalheimer
Dem Reisenden, der von der Schweiz über den Ofenpass ins Vinschgau fährt, fällt in erster Linie nicht die zumeist bemerkenswerte Qualität der Gebäude auf, sondern vor allem ihre feinfühlige Einbindung in den landschaftlichen und baulichen Kontext. Wer die ausfransenden Ortschaften und die zersiedelten Hänge des Engadins kennt, kann sich über die Sorgfalt, mit der Siedlung und Landschaft voneinander geschieden sind, nur wundern: Bereits seit 1972 regelt in Südtirol ein restriktives Gesetz das Bauen im Landwirtschaftsgebiet und in der Landschaft. Ebenso erstaunlich erscheint die Selbstverständlichkeit, mit der sich moderne Gebäude in historische Dörfer einfügen. Die Vorschriften verlangen zwar eine Anpassung von Neubauten an ihre Umgebung, schließen eine zeitgenössische Architektursprache aber nicht aus. Tourismusbunker im »Alpinen Stil«, Jumbochalets und pseudo-vernakuläre Einkaufszentren sieht man im Vinschgau daher relativ selten – was wohl auch damit zu tun hat, dass diese Region den wirtschaftlichen Aufschwung später zu spüren bekommen hat als der Rest Südtirols. Der Hauptort des Vinschgaus, die von Apfelkulturen umgebene Gemeinde Schlanders, zählt gerade einmal etwa 6000 Einwohner.
Selbstbewusster Pavillon
Besonders gelungene Beispiele für die Symbiose von Landschaft, historischem Umfeld und moderner Architektur stellen zwei Sportanlagen in der Gemeinde Laas beziehungsweise in deren Fraktion Tschengls dar. Beide stammen vom Architekten Arnold Gapp, sind im Auftrag der öffentlichen Hand entstanden und wurden kürzlich fertiggestellt. Und beide zeichnen sich durch eine einfache Anordnung sowie eine reduzierte Formensprache aus – interessanter sind indes die Unterschiede der Anlagen, welche die individuellen Anforderungen der jeweiligen Ortschaften widerspiegeln.
Das Sportzentrum in Laas ist schlicht: ein Fußballfeld und ein länglicher Glaspavillon mit ausladendem Flachdach, das von filigranen schwarzen Stahlstützen getragen wird und zu schweben scheint. Tatsächlich handelt es sich um eine Holzkonstruktion mit zwei Flächen und dazwischen liegenden Stegen, wie sie auch im Flugzeugbau zur Anwendung kommt. Die feingliedrigen Fensterrahmen sind ebenfalls schwarz und tragen dazu bei, das Gebäude trotz seiner beachtlichen Größe gleichsam in der Landschaft verschwinden zu lassen; tagsüber blickt man mühelos hindurch.
Doch so sehr sich die Anlage formal zurücknimmt, so selbstbewusst behauptet sie sich in ihrer Umgebung. Sie steht leicht erhöht am Rande des Dorfes, wo der unerwartet karge und trockene Südhang des Tals beginnt – seit der Wald von den Venezianern abgeholzt wurde, um Pfähle für die Lagunenstadt zu liefern, hat sich der Baumbestand nicht mehr erholt. Trotz Wiederaufforstungsversuchen aus neuster Zeit hebt sich die in Ocker-, Braun- und Gelbtönen schimmernde Gesteinswelt des Berges scharf vom landwirtschaftlich genutzten Talboden ab. Diese Grenze unterstreicht der Neubau: zum Berg hin eingeschossig, steht er talseitig auf einer gemauerten Terrasse, die als Sockel und als Untergeschoss fungiert. Die aus lokalem Granit gefertigte Mauer fügt sich farblich in den Hang ein – eine fast perfekte Mimikry, die jedoch nichts Anbiederndes hat, weil sie durch die klare Geometrie des Bauwerks gebrochen wird. Gleichzeitig erweist die Mauer ihre Reverenz an die benachbarte romanische Kapelle St. Sisinius, die auf einem ähnlichen Sockel steht; die Nähe dieses Baudenkmals war einer der Gründe für die besonders unaufdringliche Gestaltung des Sportzentrums.
Im Untergeschoss des Neubaus, das sich direkt zum Spielfeld öffnet, befinden sich ein Gymnastiksaal, ein Schießstand und diverse Nebenräume für den Sportbetrieb. Der Glaspavillon dagegen ist öffentlich und enthält ein großes Klublokal mit Bar und Restaurant, die sich allseitig zur Landschaft öffnen. Hinter dem Pavillon gibt es ein älteres Schwimmbad, bestehend aus einem Außenbecken und einem Garderobengebäude, das in den nächsten Jahren einem Ersatzneubau von Arnold Gapp weichen soll. Weil das neue Garderobengebäude deutlich näher an das Sportzentrum rücken wird als dies bisher der Fall ist, werden die beiden Bauten eine Art Tor bilden, welches das Schwimmbecken abschirmt, die Sichtachse zur Kapelle jedoch betont.
Dorfzentrum statt Sportzentrum
Ganz anders präsentiert sich die Situation in Tschengls. Das 500-Seelen-Dorf bildet eine der vier zur Gemeinde Laas gehörenden Fraktionen, befindet sich jedoch auf der gegenüberliegenden Talseite. Am Fuß des feuchten, dicht bewaldeten Nordhangs gelegen, bleibt Tschengls im Winter monatelang im Bergschatten; dicht aneinandergedrängt gruppieren sich die weiß verputzten Häuser um die Kirche, die Gassen sind eng und steil, ebene Flächen gibt es kaum. Das neue Sportzentrum liegt am Dorfrand, etwas unterhalb des eigentlichen Siedlungskerns. Das Konglomerat von unterschiedlich hohen Kuben, die im Gegensatz zu den meisten Häusern im Dorf Flachdächer aufweisen, ist von Weitem sichtbar und fällt sofort als Neubau auf. Dennoch fügt es sich harmonisch in seine Umgebung ein: Einerseits konnte dank der Gliederung in mehrere Baukörper der im Dorf übliche Maßstab gewahrt werden, andererseits knüpfen die weiß verputzten, schlichten Volumina an die romanisch geprägte lokale Bautradition an. Zudem hat Tschengls auf ein reguläres Fußballfeld verzichtet und sich auf eine Sportarena von 40 mal 60 Metern beschränkt, womit der Bau von massiven Stützmauern vermieden werden konnte. Dafür hat die Gemeinde die Gelegenheit wahrgenommen, das Sportzentrum auch für andere Einrichtungen zu nutzen. Es umfasst neben den eigentlichen Sportanlagen ein ärztliches Ambulatorium für die medizinische Nahversorgung, Räumlichkeiten für die Dorfmusik, einen Schiessstand für den lokalen Sportschützenverein, eine Kegelbahn, einen Gemeinschaftsraum mit Bar und einen Jugendtreff. Damit ist es von vitaler Bedeutung für das Dorf – die soziale Integrationskraft etwa der Dorfkapelle, der immerhin jeder zehnte Bewohner von Tschengls angehört, ist nicht zu unterschätzen. Diese Erweiterung des Raumprogramms hat Arnold Gapp dazu bewogen, die Nutzungen auf mehrere Baukörper zu verteilen. Dadurch wurde nicht nur eine sensible Reaktion auf die bewegte Topografie möglich, sondern auch eine Optimierung der vielfältigen Nutzungen. Obwohl jede Einrichtung über maßgeschneiderte Räume und eigene Eingänge verfügt, ist die Grundform des Zentrums denkbar einfach: Es besteht aus zwei rechtwinklig zueinander angeordneten Riegeln und dem Spielfeld. Einzig die Differenzierung der Höhen führt dazu, dass die strenge Anordnung gelockert und das Ganze als Komposition von drei Volumina wahrgenommen wird.
Vom Dorf aus kommend, gelangt man vorerst zum höheren, senkrecht zum Hang stehenden Riegel. In diesem befindet sich erstens das Ambulatorium – dessen Eingang fürsorglich so platziert ist, dass er vom nicht allzu steilen Vorplatz aus erreicht werden kann – und zweitens die Räumlichkeiten der Dorfmusik. Letztere betritt man eine Ebene tiefer vom Durchgang aus, der zwischen den beiden Riegeln zum Spielfeld hinunter- führt; das zweigeschossige Probenlokal nimmt die nordöstliche Hälfte des Gebäudes ein und öffnet sich mit einem riesigen Fenster zum Tal. Auch der zweite, parallel zum Hang verlaufende Riegel endet in einem hohen Raum: dem zum Hang orientierten Jugendtreff, dessen Volumen in den liegenden Baukörper geschoben wurde. Zudem beherbergt der niedrige, längliche Bau sinnigerweise die Kegelbahn und den Schießstand, während die Nebenräume des Sportplatzes auf der Ebene des Spielfelds liegen.


  • Sportzone Laas
    Bauherr: Gemeinde Laas, Laas
    Architekt: Arnold Gapp, Schlanders
    Mitarbeiter: Leo Gurschler
    Tragwerksplanung: Siegfried Pohl, Latsch
    Nutzfläche: 2 058 m² Umbauter Raum: 9 700 m²
    Baukosten: 2, 2 Mio Euro Bauzeit: 2000–heute
  • Beteiligte Firmen: Holzbau: Kaufmann Holz AG, Reuthe (A), www.kaufmannbausysteme.at
    Rohbau: Alber Alfred, Eyrs (I)
    Fassadenelemente: De Simone GmbH, Bozen
  • Sportzone Tschengls: Bauherr: Gemeinde Laas, Laas
    Architekt: Arnold Gapp, Schlanders
    Mitarbeiter: Christian Kapeller
    Tragwerksplanung: Siegfried Pohl, Latsch
    Nutzfläche: 606 m² Ubauter Raum: 3 759 m²
    Baukosten: 1,0 Mio Euro Bauzeit: 2002 bis 2005
  • Beteiligte Firmen: Rohbau: Baumänner GmbH, Kastelbell
    Außenelemente in Holz: Wolf Fenster, Schabs, www.wolf-fenster.it
    Holzbau: Blaas Konrad, Tschengls
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