1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Architektur » Kultur | Sakral »

Pfarrzentrum Christkönig in Schweinfurt

Ökologische Neuinterpretation
Pfarrzentrum Christkönig in Schweinfurt

Kirche und Gemeinde Christkönig in Schweinfurt sind eine Entdeckung. Wer vermutet schon im schlecht beleumundeten Stadtteil Bergl eine solch städtebaulich, architektonisch und künstlerisch anspruchsvolle Anlage der 60er Jahre? Dabei wirkt die um ein Atrium konzentrierte Gebäudegruppe aus Kirche, Gemeindesaal, Jugendheim mit Hausmeisterwohnung und Kindergarten immer noch zeitgemäß – erst recht nach der Sanierung, die zwar das ursprüngliche Farbkonzept der Fassaden umkehrte und deren Strukturierung teilweise veränderte, den Charakter des Gebäudeensembles aber dennoch bewahren konnte.

    • Architekten: Brückner & Brückner Architekten
      Tragwerksplanung: Dorband

  • Kritik: Ira Mazzoni
    Fotos: Ira Mazzoni, Jessica Siegel, u. a.
Als die Bergl-Siedlung gebaut wurde, war Schweinfurt noch vom Krieg schwer gezeichnet, es fehlte Wohnraum für Angestellte und Arbeiter der wiederaufstrebenden Industrie, für Vertriebene, für junge Familien. So entstand westlich des Industriegebiets ein neuer Stadtteil, zu dem auch die katholische Gemeinde Christkönig gehört. In dem eingeladenen Wettbewerb für deren Gemeindezentrum konnte sich der Schweinfurter Architekt Günther Mömken gegen sechs Mitbewerber durchsetzen. Der Bau begann 1962 mit der Hof-Gruppe aus Pfarrsaal, Kindergarten, Jugendheim und einer Schwesternwohnung. Das Notwendige zuerst, schon damals die Devise. Die für den Anschluss und zunächst als ambitioniertes Betonfaltwerk geplante große Hallenkirche wurde nach vereinfachtem Plan ab 1965 als 22 m hohes Dachwerk aus Betonstreben über 14 riesigen Dreieckstützen errichtet und die trapezförmigen Giebelwände hochbetoniert, sodass nach Einbringen der ergänzenden Holzkonstruktion ein großer zeltartiger Raum entstand.
Rechtzeitig zum diesjährigen 50. Weihejubiläum sollte der Pfarrsaal endlich renoviert werden. Denn er war nicht nur unansehnlich geworden – Betonabplatzungen zeigten, dass Gefahr in Verzug war. Die einfachverglasten Betonwabensteine der beiden langen Außenwände an der Süd- und Nordseite ließen Behaglichkeit gar nicht erst aufkommen. Irgendwann hatte die Gemeinde in Eigeninitiative eine Holzbrüstung vor die Fensterwand gesetzt und Rippenheizkörper installiert, um sich vor Kälte und Zugluft zu schützen. So wurde der Raum dunkler. Richtig warm wurde er nicht. Unbemerkt begannen zwischen Holzverschalung und Wabensteinen Schimmelpilze zu wuchern. Hinzu kam, dass das Flachdach an vielen Stellen nicht mehr dicht war. Der Saal wurde immer seltener genutzt und kaum noch vermietet.
Auf Empfehlung des Diözesan-Baumeisters beauftragte die Gemeinde das Architekturbüro Brückner & Brückner mit der heiklen Aufgabe der energetischen Sanierung mit architektonischem Anspruch. Da der Kindergarten erst 2001 saniert worden war und 2007 Einzelmaßnahmen im Bereich des Jugendzentrums gefördert worden waren, musste das Team um Christian Brückner einen Weg finden, diese Gebäudeteile in das Gesamtkonzept zu integrieren, ohne sie aber im Detail neu zu planen. Das Gesamtkonzept wiederum entwickelte sich aus der ausführlichen Analyse des Gemeindesaals, der bis auf den Beton-Rohbau zurückgeführt wurde. Ein vor rund 15 Jahren nachträglich errichteter Küchenanbau im Nordwesten wurde durch die Neuaufteilung der Räume und die Umorganisation der inneren Struktur überflüssig und daher komplett zurückgebaut.
Das gesamte Ensemble bekam eine neue, wärmedämmende Gebäudehülle. Prinzipiell wurden Gliederung und Materialität der Altbauten übernommen, d. h., die umlaufenden Bänder von Sockelzone und Attika, die Klinkerfassaden und die stets mit wandhohen Metallelementen verschlossenen Türen und Tore wurden als charakteristische Merkmale des Bestands akzeptiert. Allerdings wurde das Farbprinzip komplett umgekehrt. Statt der hell betonsichtigen Sockel- und Attikazone gibt es nun in Fortführung der mineralischen Dachdämmung eine 22 cm dicke, EPS-gedämmte, sorgfältig glatt verputzte und dunkelgrau gestrichene Attika. Entsprechend ist auch der ebenfalls mit EPS perimetergedämmte Sockel dunkel gestrichen, was auch einer Algenbildung vorbeugt. Die vormals stark strukturierte, dunkle Klinkerfassade, die in einem tiefen Mörtelbett saß, wurde komplett abgenommen, um die Betonwände mineralisch zu dämmen und ein neues, gut hinterlüftetes Klinkermauerwerk hochzuziehen. Im Kontrast zu der dunklen Sockel -und Gesimszone wurde ein sehr heller, sandiger Klinker gewählt, der dem ganzen Ensemble ein freundliches Gesicht verleiht. Die neue Tiefe des Wandaufbaus führte dazu, die Fenster- und Türlaibungen zu einem augenfälligen baukörperlichen Thema zu machen: Ein dunkles Metallband zieht sich außen um die Fenster und Türelemente und fasst so den Bau noch einmal linear zusammen. Bei den kleinen Toilettenfenstern des Kindergartens ragen die Laibungsbleche ausnahmsweise aus der Fassade heraus und bilden so kleine Boxen. Auch im Pfarrsaal spielt die Leibung eine große Rolle: Hier gliedern tiefe, helle Holzrahmen die Fensterfronten, am Boden konnten, leicht aufgesockelt, neue Unterflur-Konvektoren eingebaut und mit dunklen Metallgittern abgedeckt werden. Da bei der Baumaßnahme systematisch ganzheitlich gedacht wurde, sind auch die Laibungen der Deckenschotten mit hellem Holz gefasst.
Lichte Würde, innere Ruhe
Christkönig ist kein Baudenkmal. Insofern bestand die Freiheit, nicht an den Betonwabensteinen festzuhalten. Alle Überlegungen, diese strukturgebenden und zeittypischen Wände zu halten und mit einer zweiten, inneren Glaswand zu hinterfangen, schienen bauphysikalisch heikel und in der Reinigung problematisch. Also entschieden sich die Architekten für eine Pfosten-Riegel-Konstruktion mit Isolierverglasung. Die neue Fassadengliederung durch hofseitig vorgestellte Lerchenholz-Planken überrascht zunächst wenig, da Brückner & Brückner ihren Häusern immer wieder gerne durch massive Lamellen Haltung verleihen. In diesem Fall entwickelt sich die Struktur aus den Betonunterzügen des Pfarrsaals. Denn die Architekten entschlossen sich, die gesamte Raumhöhe zur Wirkung zu bringen und keine Decke mehr abzuhängen. Sie bestimmten ferner, die gesamte Lüftungstechnik und Wärmerückgewinnung in neuen Schotten unter der Decke einzubauen. Der Querschnitt der Schotten entspricht dem Querschnitt der parallelen Betonunterzüge. Aus der verdoppelten Frequenz der Deckengliederung ergibt sich die Gliederung der Fensterelemente. Und aus der Weiterentwicklung der Parallelführung auch im Lichtkonzept die Lamellenstruktur. Dabei schließen die massiven Lamellen vor den Fenstern die neue Gebäudehülle bündig nach außen ab und verleihen – konsequent an allen Fassaden des Atriums umgesetzt – dem Hof eine lichte Würde und innere Ruhe. Auch sind die Übergänge von Außen- und Innenraum jetzt fließender, was nicht nur dem Gemeindeleben nützt, sondern auch der »Sicherheit« (wenngleich der jüngste Diebstahl zweier Leuchter dennoch unbeobachtet vonstatten ging …). Besonders gewonnen hat die kleine Kapelle im Narthex der Kirche: Durch die raumhohe Fensterfront zum Hof steht der Altarblock jetzt in einem stofflich gedämpften Gegenlicht und der gesamte Raum, der häufiger genutzt wird als die viel zu große Kirche, ist taghell.
Denkmalwürdig
Wer heute den Pfarrsaal durch das mit einer kleinen Bar ausgestattete Foyer betritt, kommt in einen warmen, lichtdurchfluteten Raum. Die fehlende Decke und die Gliederung durch Unterzüge, Schotten und Lichtröhren geben dem Saal eine angenehme Weite. Dabei fallen die Versorgungskanäle durch den kontrovers mit der Gemeinde diskutierten dunklen Farbanstich gar nicht auf. Helle, schwer fallende, schwer entflammbare Stoffvorhänge können den Saal auch tagsüber vollständig verdunkeln und in zwei Raumabschnitte teilen.

Stolz verkündet der Pfarrpfleger Robert Schmitt, der die Baumaßnahme vor Ort intensiv begleitet und unterstützt hat, er habe dieses Jahr noch nicht einmal geheizt. Die passive Nutzung der Sonnenenergie macht sich bemerkbar. In der kühleren Jahreszeit wird die Wärmerückgewinnung greifen. Die Gasversorgung wurde komplett gekappt, der Bau ist nun an das Fernwärmenetz angeschlossen. Die neue Heizanlage, die sich wie die alte in Halbkellern unter der Bühne befindet, läuft mit 4 W, während die alte Heizpumpe 100 W benötigte. Nur die Kirche muss noch verschwenderisch mit Öl beheizt werden. Zu gerne würde Christian Brückner dieses Betonzelt restaurieren und energetisch ertüchtigen. Nötig wäre es, denn die östlichen Pfeiler zeigen starke Betonschäden und auch der östlich angehängte Querriegel aus Pfarrhaus und Verwaltung sieht arg heruntergekommen aus. Doch jetzt hat die schrumpfende Gemeinde erst mal kein Geld mehr und in der Diözese gibt es noch ganz andere Probleme. Vielleicht bekommt Mömkens Baukunstwerk ja eine zweite Chance, wenn sich die Denkmalpflege seiner annimmt. Zu wünschen wäre es dem Bauwerk und dem Ort.


  • Standort: Albert-Schweizer-Straße 1, 97424 Schweinfurt

    Bauherr: Katholische Kirchenstiftung Christkönig in Schweinfurt, vertreten durch den Kirchenverwaltungsvorstand Hochw. Hr. Pfarrer Öchsner
    Architekten: Günther Mömken (Bestand); BRÜCKNER & BRÜCKNER ARCHITEKTEN, Tirschenreuth / Würzburg Mitarbeiter: Kristin Heurich-Lösch ( Projektleitung), Christian Häckner (Bauleitung), Christian Krutina Tragwerksplanung: Dorband Ingenieure Büro Baustatik, Schweinfurt
    HLS- Planung: Schreier Ingenieure, Würzburg
    Elektroplanung: EP Elektroplanung, Schwanfeld
    BGF: 3 494 m² Pfarrsaal EG, 150 m² UG (Nettogrundfläche Pfarrsaal EG ca. 500 m2, UG ca. 98 m2)
    BRI: 3 283 m3 Pfarrsaal EG, 264 m³ UG
    Baukosten: 2,15 Mio. Euro gesamt (KGR 300: ca. 1,215 Mio. Euro, KGR 400: ca. 510 000 Euro)
    Bauzeit: September 2010 bis November 2011
  • Beteiligte Firmen: Beleuchtung: ZUMTOBEL LICHT, Nürnberg; www.zumtobel.com
    WDVS: Schwenk Putztechnik, Ulm, www.zumtobel.com
    Dachabdichtung: Sika, Stuttgart, www.zumtobel.com
    T30-Türen Metall: Hörmann, Freisen/Steinhagen Klinkerfassade: GIMA, Girnghuber, Marklkofen/Langenzenn, www.zumtobel.com
    Fenster, Außentüren, Pfosten-Riegel-Fassade: Schreinerei Vogel, Theres Metall- und Schlosserarbeiten, Blechlaibungen, Sonnenschutzlamellen: Stahl + Metallbau Weigand, Bad Königshofen Schreinerarbeiten/Innenausbau, Bekleidungen Pfarrsaal: haimerl, Ebensfeld, www.zumtobel.com
    T30 Element Holz/Glas: Neuform – Türenwerk, Erdmannhausen Schreinerarbeiten/Innenausbau, Theke, Bühne: Brückner, Hofheim, www.zumtobel.com

Brückner & Brückner Architekten


Christian Brückner
1971 in Tirschenreuth geboren. Architekturstudium an der Kunstakademie Stuttgart. Seit 1996 gemeinsames Büro mit Peter und Klaus-Peter Brückner. 2003 Gastprofessur an der FH München. 2007-08 Gastprofessur an der FH Regensburg, 2007 Gastkritik an der FH Würzburg.
Peter Brückner
1962 in Tirschenreuth geboren. Architekturstudium an der TU München. 1990 Gründung des Architektur- und Ingenieurbüros mit Klaus-Peter Brückner. 2003 Gastprofessur an der FH München. 2004-06 Mitglied des Baukunstbeirats der Stadt Augsburg, seit 2008 in Landsberg am Lech. 2005 Gastkritik an der Bauhaus-Universität Weimar. 2007 Gastprofessur an der FH Regensburg. Seit 2008 Mitglied im Gesamtvorstand der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst.

Ira Mazzoni
1960 in Wiesbaden geboren. Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaften in Mainz und München. Freie Journalistin.

Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de