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Kunst und Natur: Das Museum Insel Hombroich

… in die Jahre gekommen
Museum Insel Hombroich

»Das Inselgeschehen war nie vorausberechenbar, meistens nicht vorstellbar. Es kam Vielfältiges unter ein Dach, von einer unsichtbaren Haut zusammengehalten; […]. Vielleicht ist die Insel nur zu erleben, nicht zu beschreiben. […] Die Inselarbeit ist kein Wettbewerb mit anderen, die anderswo auf gleichen Gebieten tätig sind. niemand will hier etwas besser machen, als es dort geschieht. Es ist nur anders, und es ist, wie die Menschen sind. […] Stetige Veränderung und Wandel ist das Wesen der Insel. Dadurch bleibt ihre Zukunft im Dunkel.«
So beschrieb Karl-Heinrich Müller, der geistige Vater der Insel, in den Anfangsjahren seinen Wunsch nach dem Wesen des Ortes, den er in den Erftauen initierte.

Die Insel ist urweiblich. Sie gebärt, hält zusammen, stützt, dient und läßt frei. Sie ist kein Muß, sondern ein Darf. Sie ist nicht entweder – oder, sondern sowohl – als auch. Sie fordert jeden zur täglichen Auseinandersetzung mit sich selbst. Sie ist kein männliches Feld für Organisation, Hetzjagd, Anhäufung, Macht und Demonstration. Die Insel duldet und wünscht neue Menschen, Frauen und Männer. Sie lockt, verführt und nimmt ein, zwingt aber zum Dienen. Sie huldigt dem Dürfen. Sie vertraut dem, der ernsthaft ist. Sie ist ein Weg, auf dem man durch unterschiedliche Versuche in unterschiedlichen Bereichen gemeinsame Erfahrungen und Ergebnisse sammelt.´Die Insel hat kaum Platz für Männlichkeit.
~Karl-Heinrich Müller

  • [hom|bro:x]
  • Architektur: Erwin Heerich mit H. Hermann Müller
    Landschaftsgestaltung: Bernhard Korte
  • Text: Jürgen Braun
    Fotos: Tomas Riehle
Auch wer den Namen nicht korrekt artikuliert – das niederrheinische Dehnungs-i wird nicht mitgesprochen – macht alles richtig, wenn er hinfährt an diesen besonderen Ort. Seit den frühen achtziger Jahren lohnt sich ein Besuch in dem »Museum Insel Hombroich« in dem etwas außerhalb von Neuss gelegenen Stadtteil Holzheim. Hombroich versetzt heute seine Besucher in eine an keinem anderen Ort erlebbare Stimmung. Die komplexe Wechselbeziehung zwischen Natur, Architektur und Kunst wird exemplarisch dargeboten zur Erbauung seiner Besucher. Hombroich ist kein Skulpturengarten, kein Landschaftspark und kein Museum. Es ist eine geglückte Symbiose dieser drei Funktionen, und durch die Synergiewirkung entstand ein Organismus ganz eigener Qualität.
Der Düsseldorfer Immobilien-Unternehmer Karl-Heinrich Müller (1936–2007) konnte 1982 eine verwilderte, fast 30 000 Quadratmeter große Auenlandschaft an der Erft, einem südwestlichen Nebenfluss des Rheins, erwerben. Hier begann er für seine Kunstsammlung und zur Gestaltung des Geländes mit mehreren bildenden Künstlern zusammenzuarbeiten. Die Bauten plante der Düsseldorfer Bildhauer Erwin Heerich (1922–2004). Für die Ausführung verantwortlich war der Düsseldorfer Architekt H. Hermann Müller. In einer ersten Bauphase entstanden die Orangerie (7), der Graubner Pavillon (6) und die Hohe Galerie (5).
Landschaft und Kunst
Zusammen mit dem Landschaftsarchitekten Bernhard Korte konnte ab 1984 ein dazugekauftes größeres Areal rekultiviert werden. Es entstand entlang der Erft eine sensibel und kenntnisreich gestaltete Park-, Auen- und Terrassenlandschaft. In die Natur eingebunden liegen hier weitere Architektur-Skulpturen von Erwin Heerich: Das Labyrinth (3), die Cafeteria (16), der Turm (2), der Tadeusz Pavillon (13), die Schnecke (15), das 12-Räume-Haus (14) und das Eingangsgebäude (1). Einige dieser Bauten bergen nichts, wirken nur für sich, in anderen sind große Teile der wunderbaren Kunstsammlung von Karl-Heinrich Müller untergebracht: von Hans Arp, Alexander Calder, Paul Cézanne, Eduardo Chillida, Lovis Corinth, Jean Fautrier, Gotthard Graubner, Yves Klein, Henri Matisse, Francis Picabia, Rembrandt, Kurt Schwitters und anderen. Müller wurde nicht nur beim Aufbau seiner Sammlung von dem Maler Gotthard Graubner beraten, dieser entwickelte auch ein spezielles Ausstellungskonzept. Weder chronologisch oder nach Stilrichtungen sortiert, hat Graubner in einigen Pavillons mit alter Kunst der Khmer und aus dem alten China und moderner europäischer Kunst außergewöhnliche, spannende Dialoge inszeniert. Außerdem wird überall in den Ausstellungen auf Hinweisschilder zu Urheber und Entstehungsjahr verzichtet, was einen sinnlichen Zugang zu den Exponaten fordert und fördert.
Entdeckungsreise
Der Zugang ist oberhalb der Auen gelegen, direkt an der Hangkante. Das winkelförmige Eingangsgebäude öffnet sich mit einer empfangenden Geste dem ankommenden Besucher. Es ist die erste Begegnung mit dem wichtigsten Baumaterial der Architekturen: roter Abbruchziegel, der hier sein »zweites Leben« findet. Bis ins Detail stimmen die Signale: Die Fenster sitzen außenbündig, die Laibung gehört schon zum Museum. Eine Gitterrost-Treppe geleitet hinunter in die Auenlandschaft. Von jeglichen Hinweisschildern und Wegweisern ist man wohltuend entlastet, nichts zwingt zu einem Rundgang.
Als erstem Gebäude begegnet man dem Turm (2, 1988). Mit seiner quadratischen Grundfläche steht er auf einem strengen Fadenkreuz im sonst mäandrierenden Wegesystem der Kieswege. Vier hohe Türen – eine von jeder Seite – führen axial ins Innere. Der Turm ist eine begehbare Skulptur, die Erwin Heerichs künstlerische Themen Raum, Licht, Richtung, Innen, Außen, Verschränkung und Auflösung haptisch erlebbar macht. Das Innere mit seinem glatten weißen Putz kontrastiert mit der rauen roten Ziegel-Außenhaut. Zwei orthogonale Ausnehmungen am oberen Ende des Kubus stehen sich diagonal gegenüber und sind innen rätselhaft über zwei Stützen und durch das Oberlicht schimmernd wahrnehmbar. Überall stimmt die strenge geometrische Ordnung, alles geht auf: Die Maße der Ziegelsteine, die Fugen des Marmorfußbodens und die Sprossen der Lichtdecke; ein sich in allen Gebäuden Heerichs wiederholendes Motiv.
Das folgende »Labyrinth« (1985–86) ist ein großer Sammlungsbau für Müllers wunderbare Schätze. Seine geschlossenen roten Ziegelwände sind von einer gleichhohen, grünen Heckenwand umstellt. Auch hier kein Hinweis, das Labyrinth darf wirklich eines sein. Hier begegnet man den unter Oberlicht gezeigten musealen Exponaten.
Die Bauten in der Folge interpretieren weiter das unerschöpflich wirkende Vokabular räumlicher Untersuchungen Heerichs, ein begehbarer Experimentierkasten skulpturaler und architektonischer Phänomene. Dazwischen ist es – ganz souverän – den eisernen »Subversionen« des vor Ort arbeitenden Künstlers Anatol Herzfeld gestattet, sich niederzulassen. Anatol arbeitet nahe der »Scheune« (11), einem als Veranstaltungs- und Konzertraum genutzten einfachen Holzhaus. Das beweist, beinahe wie nebenbei, dass stimmige räumliche Konzepte, kräftige Raumvolumen und Variationen natürlich auch mit strukturellen (hölzernen) Stabwerken zu zeigen sind. Das schlanke Galeriegebäude (5) spielt mit Richtung und Höhe, zwei gegeneinander versetzte Pultdachhälften variieren das Gebäudeprofil. Hier werden Skulpturen von Erwin Heerich gezeigt. Die verschiedenen Oberlichtsituationen steigern die Licht- und Schattenwirkungen der Bodenarbeiten.
Ateliers auf dem Museumsgelände besitzen, beziehungsweise besaßen neben Anatol Herzfeld auch Erwin Heerich und Gotthard Graubner. Auf der benachbarten Raketenstation lebte der jung verstorbene Lyriker Thomas Kling.
Der Graubner Pavillon (6, 1983–84) steht hinter blühenden Gewächsen in einer Art Staudengarten. Sein organischer Grundriss aus zwei sich überschneidenden Kreisen ähnelt dem Thaleskreis. Geschlossen und massiv ist der größere der beiden Kreise, transparent und filigran der kleinere. Die dahinter gelegene Orangerie (7) aus der gleichen Zeit mit ihren drei nach innen geneigten Pultdachflächen zeigt alte Khmer-Skulpturen, große Köpfe, die sich in den engen Raum ducken.
Zu einem malerischen Grundthema – der Ateliersituation – bietet der Tadeusz Pavillon (13, bis 1993) eine vorzügliche Studie. Der große, rechteckige Hallenraum unter einem Satteldach wird quer zur Hauptrichtung von einem kleineren Raumvolumen durchstoßen. Dieser obere, von außen zugängliche Raum bietet Ausblick zur Landschaft, während das Erdgeschoss die Konzentration auf die riesigen Bilder von Norbert Tadeusz unter Oberlichtern fördert. Aus der gleichen Zeit stammen der Sammlungsbau mit zwölf Räumen (14) und die Schnecke (15), die sich um ihren dreieckigen Innenhof windet. In ihr befindet sich das grafische Kabinett; hier profitieren die Exponate vom kontrollierten Lichteinfall über das Atrium.
Die Cafeteria (16, 1985–86) schließlich dient der Restauration. Auf ihrer großen quadratischen Grundfläche erheben sich als Eckrisalite vier Turmbauten. Drei von ihnen sind in Ziegelmauerwerk, einer aus Glas. Raffinierte Spiegelungen ergänzen die schräge Wintergartenverglasung zu einem geometrischen Ganzen. Das gastfreundliche Angebot einfacher, regionaler Speisen – im Eintrittspreis ist die Bedienung an diesem Buffet inbegriffen – passt zum Museum Insel Hombroich: Kein Schokoriegel trübt den Kunstgenuss. Mit einem Kaffee kann man sich nach draußen setzen – oder in die grünen Pavillons der Hängeeschen (Landschaftsarchitekt Bernhard Korte), die mit ihren hermetischen Grünräumen aus hängenden Zweigen Schatten spenden und einen neuen Begriff vom Baumhaus definieren.
Die Farben der Insel
Diese Grünräume erwecken Gedanke über die Farbigkeit der Insel. Eigentlich sind es nur drei Töne: das Rot der Ziegelbauten und das üppige Grün der Vegetation im Komplementärkontrast, dazu das silbrig spiegelnde Licht der Wasserflächen. Alle weiteren Farben bleiben der Kunst vorbehalten.
Räumliche Erlebnisse zweidimensional mitzuteilen ist nicht einfach. Auch hier erlebt Hombroich einen Glücksfall mit den kongruenten Fotos von Tomas Riehle (geboren 1949). Wie keinem anderem gelingt es dem Kölner Architekturfotograf, einem Meisterschüler Erwin Heerichs, der Hombroich seit Beginn fotografiert, mit seinen Aufnahmen die komplexen Bezüge der Bauten einzufangen und so die Botschaft der Insel hinauszutragen.
Die Insel als Ort und der Kulturraum Hombroich
Seit 1996 ist das Museum Insel Hombroich eine gemeinnützige Kulturstiftung des Landes Nordrhein-Westfalen, gegründet durch den Zusammenschluss von Karl-Heinrich Müller, des Kreises und der Stadt Neuss und mit finanzieller Hilfe des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Stiftung ist ihrem Selbstverständnis nach Träger eines »Kulturraumes«.
Seit ihrem Entstehen wirkt die Insel als Keimzelle der weiteren kulturellen Aktivitäten in der Gegend. Eine wichtige Rolle für die zukünftige Ausrichtung spielt die nahe gelegene Raketenstation, ein Gelände, auf dem bis in die frühen neunziger Jahre Pershing-Raketen stationiert waren. 1994 konnte Karl-Heinrich Müller das Areal erwerben. Hier ließ er die bestehenden Gebäude umbauen.
Mit Neubauten und Skulpturen entstand ein »Arbeitslabor«, Ateliers für bildende Künstler, Werkstätten, Veranstaltungsräume, Büroräume für Wissenschaftler, Seminargebäude und eine klosterartige Übernachtungsmöglichkeit. Außerdem ist seit 2004 auf dem Gelände der Raketenstation das von Tadao Ando gebaute Kunst- und Ausstellungshaus der Langen Foundation zu besichtigen.
Zukünftig wird sich der Ort noch um das Gelände zwischen der Raketenstation und der Museumsinsel Hombroich erweitern. Dort sollen Gebäude für mehrere Institutionen, wie ein Literatur- und ein Filmdokumentationsinstitut sowie weitere Bauten entstehen. Ein von Álvaro Siza und Rudolf Finsterwalder entworfenes Architekturinstitut, in dem sich auch der Nachlass Erwin Heerichs befindet, wird in wenigen Monaten eingeweiht werden. Das Museum Insel Hombroich wirkt für all dies wie eine alte Essigmutter, ihr Geist sorgt für die kulturelle Würze der ganzen Gegend. Hombroich wurde und ist ein ganz besonderer Ort von besonderer Atmosphäre, die sich auch auf den Besucher überträgt, eine Stimmung, die man nirgendwo erleben kann. Er ermutigt, im eigenen Alltag auf die Umgebung zu achten, die natürliche und die artifizielle. Und dies tut gut, dort in Hombroich, und es würde auch anderswo gut tun. Bei der Museumsinsel stimmt beides. Sie ist in die Jahre gekommen und: Ihre Jahre werden noch kommen. •
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