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Wohn- und Empfangsgebäude des Bundeskanzlers in Bonn von Sep Ruf

… in die Jahre gekommen
»Kanzlerbungalow« in Bonn

Ludwig Erhard hatte sehr konkrete Vorstellungen davon, wie das Wohn- und Empfangsgebäude des Bundeskanzlers die Tugenden der jungen Bonner Republik repräsentieren sollte: transparent, modern und zurückhaltend sollte es sein. In den 60er Jahren eine Provokation, heute ein Teil der deutschen Geschichte.

  • Kritik: Uta Winterhager
    Fotos: Paul Swiridoff, Tomas Riele
Ursprünglich war nicht vorgesehen, dass der Regierungssitz in Bonn Baugeschichte schreiben sollte. Das vom Bundestag 1956 verabschiedete »Baustoppgesetz« schränkte die Bautätigkeit des Bundes so sehr ein, dass die junge Demokratie keine Gelegenheit hatte, hier ein architektonisches Selbstverständnis zu entwickeln. So etablierte sich das 1949 beschlossene Bonner Hauptstadtprovisorium bis in die Mitte der 60er Jahre baulich unter rein wirtschaftlichen und funktionalen Aspekten. Einzig die Amtssitze des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten, zwei prächtige in einem Park am Rhein gelegene Villen aus dem 19. Jahrhundert, sprengten mit ihrem Pomp den engen Rahmen der demonstrativen Zweckmäßigkeit. Doch Ludwig Erhard wollte mehr, als er den Anspruch des Bundeskanzlers auf eine Dienstwohnung geltend machte. Schon mit der Wahl des Architekten Sep Ruf bezog er eine eindeutig progressive Position. Ruf hatte bereits auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 bewiesen, dass seine Architektur hilfreich war, die Bundesrepublik in ein gutes Licht zu rücken. Da Erhard selbst in einem von Ruf gebauten Haus am Tegernsee wohnte, wusste er, worauf er sich einließ, als er ihn mit dem Bau des Wohn- und Empfangsgebäude des Bundeskanzlers beauftragte. Mit seinem Architekten wollte der zweite Bundeskanzler der noch jungen Republik seine Vorstellung vom modernen Bauen für ein modernes Deutschland realisieren.
Gebaute Demokratie
Um dem Nebeneinander privater und dienstlicher Funktionen des Wohn- und Empfangsgebäudes des Kanzlerbungalow gerecht zu werden, entwarf Ruf zwei versetzt aneinanderstoßende eingeschossige Atriumhäuser. Dabei war die gebäudeinterne Hierarchie subtil, aber eindeutig angelegt: Der Quader mit den repräsentativen Räumen – Foyer, Arbeitszimmer, Empfangsraum mit Musikzimmer sowie Kamin- und Speisezimmer – ist mit einer Kantenlänge von 24 x 24 m in beide Richtungen 4 m länger als der private Quader, der Kanzlerwohnung und Personal- bzw. Gästezimmer aufnimmt. In der Ansicht ist der Größenunterschied wegen der versetzten Anordnung der Baukörper kaum erkennbar. Eindeutig dagegen ist der Höhenunterschied von 65 cm, gerade so viel, dass sich die kräftig dimensionierten und weit auskragenden Dachränder an ihrer Schnittstelle übereinanderlegen können und damit die Dominanz des repräsentativen Gebäudeteils innen wie außen wirksam wird.
Die filigrane Stahlskelettkonstruktion ermöglichte es, die interne Organisation und die Fassaden entsprechend dem jeweiligen Anspruch an Offenheit zu zestalten. So ist der Wohntrakt kleinteilig und vollkommen introvertiert auf sein Atrium ausgerichtet. Der repräsentative Gebäudeteil mit flexiblem Grundriss rund um den größeren Innenhof erhielt dagegen mit seinen raumhohen Verglasungen ein Höchstmaß an Transparenz, die die umgebende Parklandschaft mit in das Raumkontinuum einbezieht. Schwellenlos dehnt sich der helle Travertinboden der Innenräume auch über Atrien und Terrassen aus, die Holzriemendecke scheint die Fassade zu durchstoßen, um bis zur Traufe durchzulaufen. Die Geste des ebenerdigen Haupteingangs möchte man heute geradezu als demütig bezeichnen. Und Ruf verzichtete auch auf sonstige Insignien der Macht: Weder Raumachsen, noch Dekor dienen einer Überhöhung des Gebäudes. Vermeintlich unedle Materialien wie Ziegel, Glas, Stahl, Holz und Stein adelt allein die Klarheit und Perfektion ihrer Gestaltung und Verarbeitung. Auch eine herrschaftliche Vorfahrt gibt es nicht, ganz unvermittelt taucht der Bungalow hinter Bäumen auf, die ihn um ein Vielfaches überragen. Ruf spielte mit den Sehgewohnheiten, ließ Grenzen verschwimmen, stellte Größe infrage und präsentierte neue Werte, besser und ästhetischer konnte er kaum provozieren. »Nicht die Repräsentation ist das Entscheidende hier, sondern die menschliche Begegnung«, erklärte Erhard das allgegenwärtige Understatement. Für ihn war klar, dass nach den in der Vergangenheit errichteten Zeugnissen des deutschen Weltmachtanspruchs die Angemessenheit der Mittel neu definiert werden musste. Doch die der Architektur der Moderne innewohnende formale Zurückhaltung birgt das große Risiko als karg und spröde missverstanden zu werden: »Erhard wohnt wie ein Maulwurf«, titelte die Bildzeitung nach seinem Einzug. Mit diesem Spott lebte er knapp fünf Jahre bis zu seinem Rücktritt mit seiner Frau Luise im Kanzlerbungalow.
Unverstandene Moderne
Erhards Amtsnachfolger Kurt Georg Kiesinger empfand v. a. den Wohntrakt als unzumutbar und engagierte die Innenarchitektin Herta-Maria Witzemann, damit sie den Bungalow gemütlicher und weniger modern gestalte. Willy Brand schob seine große Kinderschar vor und lehnte einen Einzug in den Kanzlerbungalow ab, nutzte jedoch die offiziellen Räume. Neben politischen Terminen lud Rut Brandt zu vielfältigen kulturellen Veranstaltungen ein. Auch wenn die beengte Wohnung für eine kinderreiche Familie nicht geeignet war, sah das Kanzleramt ganz pragmatisch die Möglichkeit, die nun leerstehenden Räume als Gästehaus für Staatsgäste zu nutzen. Vielleicht hat die dadurch erzeugte mediale Präsenz der öffentlichen Meinung über den Kanzlerbungalow gut getan, Helmut und Loki Schmidt zogen 1974 jedenfalls ohne größere Umbauten dort ein und freuten sich über das »moderne Haus« und die »großartige Verbindung von Haus und Park«. Helmut und Hannelore Kohl wohnten lange im Kanzlerbungalow, auch noch als Gerhard Schröder dort bereits als Bundeskanzler Gäste empfing. Mit ihnen war 1982 eine altdeutsche Gemütlichkeit eingezogen, die zwar dem Geist der Zeit und dem Geschmack des Kanzlers entsprach, Eleganz und Leichtigkeit der Architektur jedoch vollkommen tilgte. Funktional gesehen war das unproblematisch, denn der Bungalow bot weiterhin einen entspannten Rahmen für informelle Gespräche.
Revitalisierter Leerstand
Der Regierungsumzug nach Berlin entzog dem Kanzlerbungalow seine Funktion. So stand das Gebäude sechs Jahre leer bis 2005 die Wüstenrot Stiftung der Regierung anbot, das inzwischen denkmalgeschützte Gebäude mit dem Ziel der »Revitalisierung« in ihr Förderprogramm aufzunehmen. Doch wenn ein Haus von sechs Kanzlern genutzt wurde, ist es kein reines Baudenkmal mehr, sondern ebenso ein Geschichtszeugnis. Um diese ästhetisch-historische Doppelnatur angemessen zu präsentieren, entschied man sich für ein Nebeneinander der empirisch belegbaren Zeitschichten.35 Jahre Bundespolitik sollten am Originalschauplatz dokumentiert werden und sowohl Erhard als auch Kohl einen Platz gewähren. Der Wohntrakt wurde wie vorgefunden belassen, abgewohnt wirkt er in seiner Kleinteiligkeit noch bescheidener. Im Empfangs- und Musikzimmer wurde dagegen das Idealbild der Ära Erhard aufwendig wiederhergestellt: Berberteppiche, Lampen und Vorhänge nach Fotografien neu angefertigt, die ursprüngliche Möblierung restauriert und mit Zukäufen vervollständigt. Die Motoren der beiden versenkbaren Innenwände wurden instandgesetzt und die unter Kohl mit Seide bespannten Ziegelwände wieder frei gelegt. Kamin- und Speisezimmer dagegen blieben mitsamt Lichtdecke, rundem Tisch und Perserteppichen wie von Kohl hinterlassen.
Am äußeren Erscheinungsbild des Kanzlerbungalows hat sich bis heute kaum etwas geändert. Die Dachkonstruktion wurde nach Befund restauriert, die Haustechnik ersetzt. Doch neben der Erhaltung der Substanz galt es auch, den Bungalow einer kulturellen und öffentlichen Nutzung zuzuführen. Nun kann er als Museum seiner selbst auf dem Bonner »Weg der Demokratie« besichtigt werden – großes Interesse und Anerkennung ebenso wie Unverständnis sind ihm dabei noch immer gewiss.

Bei solch staatstragender Bauaufgabe würde man heute vieles anders machen: Ein Wettbewerb wäre Pflicht, dazu wären Dimension, Anspruch und Architektursprache – ein Blick auf die Berliner Bundesbauten genügt – sicherlich fundamental verschieden. Davon einmal abgesehen, lehnten sowohl Gerhard Schröder als auch Angela Merkel den Bau einer Dienstwohnung im Park des Kanzleramtes, wie Axel Schultes sie angedacht hatte, ab. Ungern vermischt man heute Privates und Dienstliches, die Zeit der »Strickjackenpolitik« von Kohl ist vorbei. Wenn die Kanzlerin Merkel heute informell empfängt, dann nutzt sie das Gästehaus Schloss Meseberg. Barock ist eben eine sichere Sache.


  • Standort: Adenauerallee 139, 53113 Bonn

Uta Winterhager
1972 in Bonn geboren. 1992-95 Architekturstudium in Aachen. 1995 Diplom und 1999 Master an der Bartlett School in London. 1997-99 Bürotätigkeit in London, seit 2000 freie Autorin für Architektur und Kinderliteratur.

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