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Jüdisches Gemeindezentrum Regensburg, Staab Architekten

Haus der Nähe und des Lichts
Jüdisches Gemeindezentrum mit Synagoge, Regensburg

Die scheinbaren Widersprüche sind aufgelöst: Ein komplexes Raumprogramm ist auf beschränkter Grundstücksfläche untergekommen, eine zeitgemäße Architektursprache ließ sich in die Altstadtstruktur einfügen und es entstand ein offenes und gleichzeitig gesichertes Haus für das jüdische Gemeindeleben. Gestaffelte Volumen bilden zusammen mit überlegt gesetzten Öffnungen und der diaphanen Kuppel überzeugend einfache und zugleich würdevolle Formen, die den Neubau gleichermaßen kraftvoll wie kommunikativ erscheinen lassen.

Architekten: Staab Architekten
Tragwerksplanung: IB Drexler + Baumruck; Dr. Gollwitzer – Dr. Linse Ingenieure

Kritik: Ira Mazzoni
Fotos: Marcus Ebener

Autos rumpeln dicht vor dem Fenster des Gemeindesaals über das Kopfsteinpflaster. Mütter schieben ihre Kinderwagen über den schmalen Gehsteig. Auf der anderen Straßenseite strömen junge Leute zum Mittagstisch in ein veganes Café. Ab und zu bleiben Passanten stehen, schauen herüber auf das neue, mit hellen, aufrecht stehenden Backsteinen ummantelte Haus. Manche queren die Straße, betreten den kleinen Vorhof, der von dem niedrigen verglasten Bibliothekstrakt im Norden, dem Eingangsgebäude im Westen und dem dreigeschossigen Hauptbau im Süden gebildet wird. Dort heben sie die Köpfe und drehen sich im Kreis, um das sich aufwärts windende bronzene Schriftband zu lesen, das den Luftraum des Hofs umzirkelt: »Vergesst nicht Freunde, wir reisen gemeinsam …« Mit den vier Strophen des Gedichts von Rose Ausländer, gestaltet vom Künstler Tom Kristen, zieht die jüdische Gemeinde Regensburg jeden Eintretenden in ihren Kreis.

In keiner Stadt ist eine neue Synagoge so eins mit ihrer Nachbarschaft wie in Regensburg. Das ist dem historischen Bauplatz geschuldet, der keine Insellage erlaubt und keine weitgesteckten Absperranlagen. Im Schwarzplan der kleinteiligen Altstadt fällt der Neubau gar nicht auf. Auch im Straßenbild fügt sich die sorgsam gestaffelte Gebäudegruppe in das Auf und Ab der Traufen und Giebel. Der geschlämmte Klinker sucht farblich den freundlichen Zusammenklang mit Sandstein- und Putzfassaden nebenan. Diese uneingeschränkte Nähe ist aber auch der offenen Haltung der Jüdischen Gemeinde zu verdanken: »Willkommen sind alle, die in guter Absicht kommen«, sagt die Vorsitzende Ilse Danziger. »Wenn es nach uns gegangen wäre, hätte es noch nicht einmal eine Sicherheitsschleuse am Eingang gegeben.« Aber der beratende Zentralrat der Juden in Deutschland insistierte.

Mit großem Selbstbewusstsein verweist sie auf die lange Geschichte jüdischen Lebens in der Stadt. Mindestens seit 981 gab es eine jüdische Gemeinschaft. 1227 wurde die erste Synagoge in Regensburg fertiggestellt, von Baumeistern der Reimser Dombauhütte. Die Talmud-Schule hatte im Mittelalter internationalen Ruf. »Wir sind Teil des Weltkulturerbes«, erklärt Danziger. Dies wird dieses Jahr in zahlreichen Veranstaltungen in der Stadt thematisiert.

Verfolgung und Hoffnung

Der Tag der Einweihung der neuen Synagoge war seit Langem auf Ende Februar 2019 festgelegt, 500 Jahre nach der Zerstörung der ersten Synagoge am heutigen Neupfarrplatz. Kurz nach dem Tod Kaiser Maximilians im Januar 1519, unter dessen Schutz die jüdische Bevölkerung gestanden hatte, beschloss der antisemitisch aufgehetzte Rat der Reichsstadt die Ausweisung der Juden und die Zerstörung ihres Viertels. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ließen sich wieder Juden in der Stadt des ewigen Reichstags nieder. Anfang des 19. Jahrhunderts gewährte das neue bayerische Königtum Religionsfreiheit. 1907 erwarb die stark gewachsene Gemeinde ein Grundstück an der Schäffnerstraße (heute: Am Brixener Hof), um dort ein Ensemble aus Synagoge, Gemeindehaus, Schule nebst Wohnungen errichten zu lassen. Als Architekt wurde der Regensburger Joseph Koch verpflichtet, damals einer der bekannten Baumeister des »malerischen«, späthistoristischen Städtebaus.

In der Reichspogromnacht, am 9. November 1938, steckten Schüler des »Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps« die Synagoge in Brand. Der dabeistehende Bürgermeister Otto Schottenheim hatte der Feuerwehr verboten zu löschen. So brannte der Kuppelbau aus, während das durch einen Vorgarten von der Synagoge abgerückte Gemeinde- und Schulhaus zum Schutz der Nachbargebäude erhalten wurde. Die Abbruchkosten wurden der Gemeinde aufgebürdet, sie selbst gleichzeitig enteignet. Ab Juli 1942 diente das geräumte Areal den Nationalsozialisten als Sammelplatz für die Deportation der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager. Eine große Bronzetafel an der nördlichen Ecke des Neubaus – etwa dort wo sich einst der Eingang zur Synagoge befunden haben muss – erinnert an die NS-Verbrechen.

1950 bildete sich eine neue jüdische Gemeinde, die im alten Gemeindehaus einen Betsaal einrichtete. 1968 war sie bereits so groß, dass auf dem freien Gelände eine Mehrzweckhalle für Zusammenkünfte errichtet wurde. Seit 1994 wuchs die Regensburger Gemeinde durch Zuwanderer aus den ehemaligen GUS-Staaten von 100 auf derzeit 1.000 Mitglieder.

Dass an dieser Stelle jetzt eine neue Synagoge steht, verdankt die Gemeinde dem langjährigen Engagement des Fördervereins Neue Regensburger Synagoge e. V., der Bundesrepublik, der Stadt, der Unterstützung der Kirchen, des Freistaats Bayern, des Bezirks Oberpfalz, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, des örtlichen Rotary Clubs Porta Praetoria und vielen privaten Spendern. Auf diese Synagoge kann die gesamte Bürgerschaft stolz sein.

Einbindung und Hervorhebung

Staab-Architekten – 2015 in einem geladenen Wettbewerb zum Sieger gekürt – ist es gelungen, ein komplexes Raumprogramm auf beschränktem, innerstädtischem Grundstück in eine überzeugend einfache und zugleich würdevolle Form zu bringen, die Alt- und Neubau über einen gemeinsamen, Licht gebenden Innenhof in Beziehung setzt. Das Gemeindezentrum beherbergt neben dem Gemeindesaal und der darüberliegenden Synagoge einen kleineren Konferenzraum, dazu zwei koschere Küchen für die gemeinsamen Essen, eine Bibliothek, ein Spielzimmer für Kinder sowie Schul- und Studienräume. Im restaurierten Altbau sind Büros, Gemeinschaftsräume nebst Laubhüttenhof, eine Hausmeisterwohnung und Gästezimmer untergebracht. Die historische Regenwasser-Mikwe im Keller des Altbaus wurde saniert. Der alte, taghelle Betsaal wurde mit seinen schönen, dreiseitig orientierten Fenstern in der überlieferten Form konserviert.

So programmatisch die Einbindung des Gemeindezentrums in die Altstadt, so wichtig ist die Hervorhebung der neuen Synagoge auf der zuvor unbebauten Süd-Ost-Ecke des Grundstücks. Während sich der Gemeindesaal, der auch für Lesungen und Konzerte genutzt wird, im EG mit großen Fenstern zur Straße wie zur Gasse hin öffnet (von der großen Glasfront zum geschützten Innenhof einmal abgesehen, deren Schiebelemente es der Gemeinde bei schönem Wetter erlauben, die Hoffläche mit zu bespielen) erscheint die Synagoge in den beiden darüberliegenden Geschossen als geschlossener Quader, überhöht von einem von der Traufe zurückversetzten und aus der Achse gedrehten leicht eingewölbten Lichtgaden, dessen Streckmetallumkleidung gelegentlich golden flimmert.

Was sich außen schon andeutet, bestätigt sich im Innern: Die innere, hölzerne Raumschale des Synagogensaals ist im Verhältnis zu den Außenmauern leicht gedreht, sodass die Wand mit dem Thora-Schrank genau nach Osten ausgerichtet ist. In den Zwischenräumen ließen sich Installationen, Fluchtwege und ein Fluchttreppenhaus unterbringen. Mit der hölzernen Synagoge haben Staab-Architekten einen wunderbaren, taghellen, auf die Lesung der Thora hin konzentrierten Raum geschaffen. Die rötliche, astfreie Hemlocktanne gibt dem Saal einen angenehm warmen Ton. In neun Reihen haben die Architekten die Holzbekleidung angebracht. Sind die Bretter im unteren Bereich noch Stoß an Stoß auf die Metallrahmen montiert, rücken sie von Etage zu Etage weiter auseinander, bis die Lamellen vor den bogigen Glasschilden des Lichtgadens in unregelmäßigem, auf den Lichteinfall berechneten Rhythmus zueinander oder gegeneinander gedreht werden. Durch die Drehung der Holzlamellen und das Streckmetallgitter außen, wird das Sonnenlicht so diffundiert, dass der gesamte Raum in weiches, helles, schattenfreies Licht getaucht wird. Geschlossen wird der Raum von einem in 20 Segmente unterteilten zweifach gekrümmten, leichten Baldachin aus furniertem Brettsperrholz.

Mit der festgefügten Wand unten und dem flirrenden Lichtgaden mit der nahezu textil wirkenden Kuppelschale oben verbindet die Architektur die beiden für das Judentum so wichtigen Erinnerungsbilder an Salomons Tempel in Jerusalem und an das Stiftszelt, das während des Auszugs der Israeliten aus Ägypten als zentrale Versammlungsstätte diente. Die leise Architektur- und Lichtfügung schafft einen konzentrierten, von Klarheit bestimmten Ort gemeindlicher Sammlung, der die Frauen auf der Empore nicht ausschließt. Auch Gäste sind willkommen. Ganz im Sinne des über dem Eingangshof kreisenden Gedichts von Rose Ausländer: »Vergesst nicht/ es ist unsere/ gemeinsame Welt/ die ungeteilte/ ach die geteilte/ die uns aufblühn lässt/die uns vernichtet/ diese zerrissene/ ungeteilte Erde/ auf der wir/ gemeinsam reisen.« Das ganze Gedicht und Informationen zur Autorin Rose Ausländer liegen für jeden Interessierten in der für alle offenen Bibliothek bereit.

Grundriss EG: Staab Architekten, Berlin
Grundriss 1. OG: Staab Architekten, Berlin
Grundriss 2. OG: Staab Architekten, Berlin
Lageplan: Staab Architekten, Berlin
Schnitt: Staab Architekten, Berlin

  • Standort: Am Brixener Hof 2, 93047 Regensburg

    Bauherr: Jüdische Gemeinde Regensburg (K.d.ö.R.)
    Architekten: Staab Architekten, Berlin
    Mitarbeiter: (Wettbewerb) Petra Wäldle, Jacob Steinfelder, Sönke Reteike, Paulin Sensmeier; (Realisierung) Per Pedersen (Projektkoordination), Florian Nusser (Projektleitung), Jacob Steinfelder, Dirk Wischnewski, Claudia Trott, Dirk Brändlin, Dirk Richter, Sabine Zoske, Alexander Braunsdorf, Daniel Unterberg, Roger van Well, Manuela Jochheim
    Tragwerksplanung: IB Drexler + Baumruck, Straubing; (Holz-Dachschale)
    Dr. Gollwitzer – Dr. Linse Ingenieure Ber. Ingenieure im Bauwesen, München
    Bauleitung: ERNST2 Architekten, Stuttgart
    Haustechnik: (LP 2-4) WBP Winkels Behrens Pospich, Münster;
    (LP 5-9) Melzl Planung, Pentling
    Wärmeschutznachweis, Raum- und Bauakustik: ARUP Deutschland, Berlin
    Lichtplanung: Licht Kunst Licht , Bonn
    Brandschutzplanung: ASW Wolf + Partner Architekten, Regensburg
    Freiraumplanung: (LP 2-5) Levin Monsigny Landschaftsarchitekten, Berlin; (LP 6-9) Wamsler Rohloff Wirzmüller FreiRaumArchitekten, Regensburg
    Kunst am Bau: »Gemeinsam« von Tom Kristen (Gedicht: Rose Ausländer)
    BGF: 2 400 m² (Neubau: 1 050 m², Altbau: 1 350 m²)
    Nutzfläche: 1 700 m² (Neubau: 750 m², Altbau: 950 m²)
    BRI: 8 700 m³ (Neubau: 3 250 m³, Altbau: 5 450 m³)
    Baukosten: 9 Mio. Euro
    Bauzeit: August 2016 bis Februar 2019 (Fertigstellung)

Unsere Kritikerin Ira Mazzoni empfand den Blick in den Hof mit dem alten Betsaal lohnender als ein Selfie, zumal ihr die Restaurierung des Gemeindehauses und die Anbindung an den Neubau, wie auch die gesamte stadträumliche Situation, als äußerst gelungen erscheinen. Nur mit der Streckmetall-Ummantelung der Kuppel konnte sie sich, bei allen Vorteilen der Lichtdiffusion und des Preises, nicht so recht anfreunden.

Ira Mazzoni
Literatur- und Kunsthistorikerin. Freie Journalistin und Fachbuch-Autorin, u. a. mit Schwerpunkt Baukultur (Denkmalpflege, Architektur, Städtebau, Landschaftsplanung). 2004 Journalistenpreis Deutsches Nationalkomitee für Denkmalpflege, 2011 Literaturpreis DAI.

Staab Architekten


Volker Staab

1977-83 Architekturstudium an der ETH Zürich.
Seit 1991 eigenes Büro, seit 1996 mit Alfred Nieuwenhuizen. Ab 2002 Gastprofessuren an der TU Berlin, der FH Münster und der Kunstakademie Stuttgart, seit 2012 Professur an der TU Braunschweig.

Alfred Nieuwenhuizen

Architekturstudium an der RWTH Aachen, 1984 Diplom. Seit 1987 eigenes Büro, seit 1996 mit Volker Staab, seit 2007 als Partner. 2005 Mitbegründung der Laborrunde, interdisziplinärer Expertenkreis für Laborbau.

Per Pedersen

Studium an der Arkitektskolen in Aarhus und der University of Buffalo (USA). Seit 1996 Mitarbeit bei Staab Architekten, seit 2008 als Geschäftsführer.
Wiss. Mitarbeit und Lehrauftrag an der UdK Berlin und der Universität Kassel. Seit 2017 Mitglied des Lübecker Gestaltungsbeirats.

Hanns Ziegler

Architekturstudium an der TU Berlin, 1995 Diplom. Seitdem Mitarbeit bei Staab Architekten, seit 2008 als Geschäftsführer.


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