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Wohnhaus am Mühlbach in Taufers (I) von Pedevilla Architekten

Wohnhaus am Mühlbach in Taufers (I)
Ein Herrenhaus

Wie ein aufragendes Bergmassiv fügt sich das Gebäude in die alpine Landschaft des Ahrntals ein: Mit dem »Haus am Mühlbach« haben Pedevilla Architekten einen Solitär von außerordentlicher Ausdruckskraft geschaffen, der außen wie innen durch seine regionale Verbundenheit und seine handwerklich geprägte Materialität beeindruckt.

    • Architekt: Pedevilla Architects
      Tragwerksplanung: Ingenieurteam Bergmeister

  • Kritik: Klaus Meyer
    Fotos: Gustav Willeit
Klar hebt sich der Baukörper vom erdigen Grund ab, vornehm distanziert er sich vom reißenden Wildbach an seiner Flanke, einsam steht er vor der erhabenen Bergkulisse – als kristalline Schönheit, die sich mit heroischem Gestus einem »frostigen Himmel« entgegenreckt. So präsentiert sich das Haus am Mühlbach auf den Bildern, die kurz nach Abschluss der Bauarbeiten im November 2014 angefertigt wurden. In der Realität des Spätsommers 2015 sieht das alles ein wenig anders aus: Der Himmel strahlt azurblau, der Rasen vorm Haus dämpft die Kontraste, das Plätschern des Bachs beruhigt die Nerven, das Grün des Waldes nimmt den Steilhängen im Hintergrund alles Schroffe, und von Einsamkeit kann keine Rede sein. Denn das Gebäude steht, unweit des Feuerwehrhauses und der Kirche, inmitten der Südtiroler Gemeinde Mühlen in Taufers; an seiner Rückseite wächst gerade ein Mehrfamilienhaus lärmend zu imposanter Größe heran und vis-à-vis schiebt sich das im traditionellen Stil errichtete Domizil der Schwester des Bauherrn ins Blickfeld. Die Realität ist profan, voller disparater Reize und Eindrücke. Umso erstaunlicher, dass der Baukörper sich im realen Umfeld letztlich doch ganz genauso behauptet wie in der fotografischen Inszenierung: Eine vornehme Erscheinung von kristalliner Schönheit ist das Haus auch in Wirklichkeit.
Dabei bringt es der fünfeckige, sich von Norden nach Süden aufspreizende Grundriss mit sich, dass das Haus ganz unterschiedliche Ansichten bietet. Wer sich dem Gebäude vom Kirchplatz her nähert, bekommt als Erstes die nördliche Schmalseite zu Gesicht. Da es hier außer dem Tor der tiefer gesetzten Garagenzufahrt keinerlei Öffnungen gibt, wirkt das hoch aufragende Volumen fast wie ein Bergfried. Burgartig verschlossen gibt sich auch die westliche, nur mit zwei kleinen Fenstern bestückte Längsseite. Wegen der Bauarbeiten nebenan lässt sie sich allerdings nur eingeschränkt in Augenschein nehmen, und schon bald wird das Nachbarhaus diese Seite fast ganz verdecken. Als eigentliche Schauseiten verbleiben somit die zum Mühlbach ausgerichtete Südfront und die abknickende, nach Osten weisende Hauptfassade. Der Anblick der letzteren löst verschiedene Assoziationen aus. Mal sieht man in der Formation scharfkantiger Flächen ein Bergmassiv, das sich harmonisch in die alpine Landschaft einfügt, mal erweckt der weiße Monolith den Eindruck eines jener stolzen Herrenhäuser, die in Südtirol Ansitz genannt werden.
Genau danach stand dem Bauherrn auch der Sinn, als er vor gut zwei Jahren die Architekten Armin und Alexander Pedevilla mit dem Entwurf seines künftigen Wohnhauses beauftragte, das auf einer Randparzelle des großen, familieneigenen Grundstücks am Bach errichtet werden sollte. Gewünscht war ein moderner Ansitz, ein Solitär von großer visueller Präsenz, der die Nachbarhäuser gleichsam überstrahlt. »Umso wichtiger ist bei solch einem Wohnsitz der Bezug zur Landschaft«, sagt Alexander Pedevilla. Dieser Bezug wird durch die vertikale Ausrichtung, die Wuchtigkeit und die Materialität des Baukörpers erzeugt und betont.
Kunsthandwerk am Bau
Der gewaschene Grobputz aus lokalen Sanden, Kalk und Weißzement, der den Ziegelmassivbau umhüllt, sieht nicht nur blendend aus, sondern ist auch haptisch so ansprechend, dass man unablässig mit der Hand darüberfahren möchte. Dass die ganz eigene Farbigkeit und Körnigkeit so gut zur Geltung kommt, liegt nicht zuletzt am gekonnten handwerklichen Auftrag, betont der Architekt. Mit außerordentlicher handwerklicher Präzision sind auch die Fensterbänke, das Vordach über dem Eingangsportal sowie die rautenförmigen Dachplatten gefertigt worden. Alle diese Elemente sind aus Beton, wobei die Rauten aus Weißzement und Dolomitsanden noch sandgestrahlt wurden, um die Oberflächen auf die Textur der Fassade abzustimmen.
Die asymmetrische Verteilung der unterschiedlich großen, quadratischen Fensteröffnungen gibt Rätsel auf. Ein Muster, das auf eine konventionelle Geschossgliederung schließen ließe, ist jedenfalls nicht zu erkennen. Bevor man jedoch ins Haus eintritt, um den Sinn der Befensterung zu ergründen, stößt man auf ein weiteres Detail von exzellenter kunsthandwerklicher Qualität: das erlesene Eingangsportal aus geschropptem Ulmenvollholz. Das Wellen-Relief des Türblatts kann den Betrachter derart gefangen nehmen, dass er sogar den auf Augenhöhe montierten Bronzeklopfer zunächst ganz übersieht.
Ulmenholz und Bronze begegnen einem auch im Innern sogleich wieder, aber hier ist es zunächst einmal die Raumstruktur, die den Blick unweigerlich auf sich zieht. Die halbstöckig versetzte Abfolge der Räume reicht vom Koch- und Essbereich im EG über ein offenes Wohnpodest und zwei Schlafebenen bis hinauf zum Kaminzimmer im DG. Durch die Schneise zwischen den Ebenen fällt Tageslicht; das Zickzack der Holztreppe im Lichtschacht erinnert zuweilen an eine Stiege in einem Wehrturm. Auf diese Weise klingt auch hier das Thema des turmartigen Ansitzes an. Im Übrigen reagierten die Architekten mit der Offenheit der Split-Level-Struktur auf den Wunsch des Bauherrn, als Single in einem Haus mit möglichst wenigen Abtrennungen leben zu wollen.
Regionale Wertschöpfung
Auf Schritt und Tritt entdeckt man bemerkenswerte Details. Da ist die durch ein Oberlicht an der Nordseite effektvoll erhellte Rückwand des ansonsten fensterlosen Wohnpodests. Da sind die zumeist auf besonders reizvolle Stellen der Berglandschaft ausgerichteten Fenster. Da ist das filigrane Geländer aus Schmiedebronze auf dem Wohnpodest. Und immer wieder: Ulme. Das aufgrund seiner ausdrucksstarken Maserung selten verwendete Holz kam bei Fensterrahmen, Innentüren, Böden, Treppen und speziell angefertigten Möbeln zum Einsatz. Ergänzend dazu prägen Natursteinböden und verputzte Wände das Interieur. Der unter Verwendung von Sumpfkalk, Marmorsanden und Erdpigmenten hergestellte Innenputz, der gespachtelt und anschließend glatt gezogen wurde, verleiht den Oberflächen einen warmen, fast malerischen Charakter. Einen schönen Kontrast dazu bilden die grau-weiß gesprenkelten Flächen der im Römischen Verband verlegten Bodenplatten aus Passeirer Gneis. Wohin das Auge in diesem Haus auch wandert: Überall sieht es ortstypische, von heimischen Handwerkern bearbeitete oder hergestellte Materialien, Gegenstände, Möbel. Einzig die Tür- und Fensterbeschläge sowie einige individualisierte Beschlagskomponenten stammen von FSB aus dem fernen Weserbergland. Die Besonderheiten seiner Materialität, Raumstaffelung und Kubatur machen das Bauwerk zu einem Kunstwerk, von dem man denken könnte, es sei nicht nur sehr wertvoll, sondern auch sehr teuer. Das stimmt jedoch nicht ganz, denn in gewisser Hinsicht handelt es sich beim Haus am Mühlbach um ein ziemlich einfaches Gebäude. Bewusst haben die Architekten z. B. auf eine aufwendige Haustechnik (Beschattung, Lüftung) und komplizierte Bauformen (Dachterrasse, Balkon) verzichtet, um das eingesparte Geld für perfekt verarbeitete Materialien zu verwenden. »Dem Bauherrn und uns war an einem Haus gelegen, das ohne komplizierte Technik auskommt und daher wartungsarm ist«, sagt Alexander Pedevilla. Sein Kollege Dietmar Eberle hatte unlängst in einem Interview dargelegt, dass LEED-zertifizierte Bauten zuweilen mehr Energie verbrauchen als normale Gebäude, weil Unterhalt und Wartung die Energieersparnis auffressen. »Wir haben die Natur durch eine technische Umwelt ersetzt, anstatt sinnvolle Zusammenhänge für den Nutzer zu entwickeln«, so Eberle weiter. Die Pedevilla-Brüder haben diesen Gedanken aufgegriffen und in ihren Entwurf einfließen lassen. Bei näherer Bekanntschaft entpuppt sich die kristalline Schönheit deshalb als ein Projekt von herzerfrischender Natürlichkeit. •
  • Standort: Florianweg, I-39032 Mühlen in Taufers Bauherr: Privat Architekt: Pedevilla Architects, Bruneck Tragwerksplanung: Ingenieurteam Bergmeister, Vahrn-Neustift Grundstück: 335 m² Wohnfläche: 155 m² (zusätzliche Nutzfläche: 72 m²) BRI: 1 062 m³ Energiebedarf: 41,5 kWh/m²a (Heizwärme), 73,3 kWh/m²a (Primärenergie); Klimahaus Zertifizierung, Klasse B Baukosten (KG 300+400): 430 000 Euro (1 890 Euro/m²) Bauzeit: September 2013 bis November 2014
  • Beteiligte Firmen: Baumeisterarbeiten: Gasser Markus, Mühlen in Taufers, www.gassermarkus.it Hochloch-Planziegel: Wienerberger, Wien, www.wienerberger.de Betondachplatten: Bucher Dachplatten Manufaktur, Fieberbrunn, www.bucherplatte.com Maler- und Putzarbeiten: Decor/Pescoller, Wengen, www.decor.bz.it; Moling, St. Martin de Tor, www.moling.it Fenster, Türen, Treppen, Holzböden und -bekleidungen: Tischlerei Naga, Wengen, www.naga.bz.it Natursteinböden, Arbeitsplatten: südtirol.stein, Terlan, www.suedtirol-stein.com Küchenmöbel: Plankensteiner, Sand in Taufers, www.moebelplankensteiner.it Schmiedebronze, Metallarbeiten: Stockner Laurenz, St.Andrae, www.laurenz.it Fenster- und Türbeschläge, individualisierte Beschlagskomponenten: FSB, Franz Schneider Brakel, Brakel, www.fsb.de Sanitärausstattung: Ceramica Catalano, Fabrica di Roma, www.catalano.itHeizung/Sanitär: Stimpfl, Bruneck, www.stimpflkg.it Elektrik/Beleuchtung: Elektro Leitner, Bruneck, www.leitnerelectro.com Ofenbau: Dietl Michi

Pedevilla Architects

3843259

Alexander Pedevilla
1971 in Sterzing geboren. 1990-98 Architekturstudium an der TU Graz (A). Seit 2005 gemeinsames Architekturbüro mit Bruder Armin.
Armin Pedevilla
1973 in Sterzing geboren. 1994-2001 Architekturstudium an der TU Graz (A). Seit 2005 gemeinsames Architekturbüro mit Bruder Alexander.

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