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Dorfzentrum Steinberg am Rofan von Bernardo Bader Architekten

Einfach, stark
Dorfzentrum Steinberg am Rofan (A)

Im Auftrag der kleinen Tiroler Gemeinde Steinberg errichtete Bernardo Bader ein Dorfhaus mit Gaststube, Multifunktionssaal und Bauernladen, das den Ortskern stärkt, die Gemeinschaft fördert und den Tourismus belebt. Seine gestalterisch extreme Zurückhaltung lässt das Haus in voller Absicht als einen »besseren Stall« erscheinen.

Architekten: Bernardo Bader Architekten
Tragwerksplanung: Merz Kley Partner

Kritik: Klaus Meyer
Fotos: Günter Richard Wett

Bernardo Bader baut keine Häuser mit Ausrufezeichen. Vielmehr versucht er seine Entwürfe so in ihre jeweiligen Umgebungen einzubinden, dass sie – wie treffende Wörter im Satzgefüge – das Ganze überhaupt erst richtig zum Klingen bringen (s. auch Kapelle Salgenreute in db 9/2017, S. 30). Es gehe ihm darum, sagte er einmal, »die Qualität des Alltäglichen sichtbar zu machen« und eine Art »poetische Normalität« zu erzeugen. Diesen Anspruch hat der 44-jährige Vorarlberger in den vergangenen Jahren v. a. mit seinen vielfach prämierten Wohnhaus-Entwürfen sehr eindrucksvoll untermauert. Welchen Zauber solch eine auf den ersten Blick völlig unscheinbare Architektur entfalten kann, zeigt sich auch in Steinberg, wo Bader ein Dorfhaus errichtet hat, das der Tiroler 300-Seelen-Gemeinde am Rofangebirge in jeder Hinsicht den Rücken stärkt. …

Abschwung
Um die soziale, ökonomische und ästhetische Bedeutung des Bauwerks wirklich würdigen zu können, ist es unerlässlich, die Ortschaft ein wenig kennenzulernen, die sich in Fremdenverkehrsprospekten und auf Touristikwebsites gern als »schönstes Ende der Welt« präsentiert. Tatsächlich liegt Steinberg verkehrstechnisch gesehen am Ende einer 10 km langen »Sackgasse«, die von der Bundesstraße 181 im Achental abzweigt und in ein weites, von mächtigen Gipfeln (Rofangebirge, Guffert, Unnütz) eingefasstes Hochtal hinaufführt. Die Bewohner der abgelegenen Streusiedlung lebten jahrhundertelang von Viehzucht und Holzwirtschaft. Erst im 20. Jahrhundert sorgte der Tourismus für zusätzliche Einnahmequellen.

Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs wurden Wanderwege und Loipen angelegt, Skilifte gebaut und Gastbetriebe gegründet. Auf dem Höhepunkt der Touristikwelle gab es acht florierende Wirtschaften und etliche Pensionen in Steinberg, bis hin zum 2005 modernisierten Hotel ASI Lodge Tirol (Heinz & Mathoi & Streli), einem ansehnlichen 80-Betten-Haus. Doch die noble Herberge, eher für erholungsbedürftige Naturfreunde als für feierwütige Skiverrückte konzipiert, ist seit einiger Zeit geschlossen. Seither suche man nach einem Käufer, der »eine schöne Vision für diesen touristischen Leitbetrieb« habe, sagt der Steinberger Bürgermeister Helmut Margreiter. Ohne die Lodge bleiben im Ort nur noch rund 160 Gästebetten.

Der Rückgang des Fremdenverkehrs, der bereits in den 90er Jahren einsetzte, hat nicht zuletzt auch das Gesicht der Dorfmitte verändert. Da die allermeisten Erwerbstätigen nicht nur zur Arbeit, sondern auch zum Einkaufen ins Tal fahren, hat der im Gemeindezentrum gelegene Krämerladen bereits vor vielen Jahren zugesperrt. Die Schließung des Gasthofs »Kirchenwirt« brachte den Dorfkern um eine weitere Attraktion, zudem klaffte nach dem Abriss des maroden Gebäudes eine riesige Baulücke. Bestehen blieben nur noch die kleine barocke Pfarrkirche, das Pfarrhaus und das 1976 errichtete Schulgebäude, das außer der Volksschule und einem Kindergarten auch die Büroräume der Gemeindeverwaltung beherbergt.

Demokratischer Prozess
Mit dem Kauf des »Kirchenwirt«-Grundstücks, das einen Großteil des Geländes zwischen Schule und Pfarrhof einnimmt, schuf die Gemeinde die Basis für eine künftige gemeinwohlorientierte Nutzung des Areals. Die Fragen zum Wie und Ob, und zu ggf. viel drängenderen Problemen, wollte der Gemeinderat im Jahre 2012 klären – aber nicht über die Köpfe der Bürger hinweg.

Um sie in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, bediente man sich eines damals noch ganz neuen Instruments der partizipativen Demokratie – des »BürgerInnenrats«: Nach dem Zufallsprinzip wurden 60 Einwohner ausgewählt und eingeladen, anderthalb Tage lang gemeinsam mit einem professionellen Moderator die Zukunft des Dorfs zu diskutieren. Aus diesem Plenum fanden sich dann 15 Personen, die in Klausur gingen und die Anregungen zu drei konkreten Vorschlägen ausarbeiteten. In einer Vollversammlung entschied sich die Bürgerschaft gegen den Ausbau der Wanderwege oder die Instandsetzung der Skilifte, stattdessen mit überwältigender Mehrheit für die Belebung des Dorfplatzes durch ein Dorfhaus. Anschließend entwickelte ein weiterer Ausschuss das Raumkonzept mit Gaststube, einem Laden und einem vielfältig bespielbaren Saal.

»Mit diesem Plan sind wir an das Land Tirol herangetreten, das im Rahmen des Programms ›Dorferneuerung‹ einen geladenen Architektenwettbewerb organisiert hat«, sagt Bürgermeister Helmut Margreiter. Angefragt wurden vier Tiroler Büros – und der Vorarlberger Bernardo Bader. Dass ausgerechnet der einzige Nicht-Tiroler im Wettbewerb reüssierte, liegt nicht nur an der gestalterischen Qualität seines Entwurfs. Mitentscheidend war die kluge Positionierung des Gebäudes: »Der Neubau tritt mit der Bestandsarchitektur in Dialog und schafft durch Orientierung Richtung Kirche einen attraktiven Platz«, heißt es in der Jury-Begründung. In der Tat: Während das mächtige Volumen des ehemaligen Gasthofs »Kirchenwirt« den Raum zwischen Schule und Pfarrhof fast vollständig okkupiert hatte, bildet der um einige Meter zurückgesetzte und zudem quer gestellte Neubau zusammen mit den Bestandsbauten ein bogenförmiges Ensemble, das einen zur Landschaft offenen Platz gleichsam in seine Arme schließt.

Soziales Engagement
Dass die Finanzierung des mit rund 2 Mio. Euro veranschlagten Projekts schließlich gelang, verdankt die Gemeinde dem Land Tirol, das zwei Drittel der Baukosten übernahm – und privaten Mäzenen aus Steinberg, die insgesamt fast 700 000 Euro beisteuerten. Im April 2015 begannen die Bauarbeiten, und bereits zu Weihnachten konnte Bürgermeister Margreiter in der fertig eingerichteten Gaststube das erste Bier zapfen. Ein Gebäude war entstanden, von dem Bernardo Bader kürzlich bemerkte: »Manche Steinberger sagen noch immer, ich hätte hier einen besseren Stall gebaut, was mich freut und sie wiederum irritiert.«

Tatsächlich ist der Stall-Vergleich nicht abwegig: Mit seiner Hülle aus sägerauen Lärchenbrettern, seinem schwach geneigten Satteldach und dem Betonsockel wirkt das südwestseitig leicht in den Hang hineingeschobene Dorfhaus zumindest aus der Ferne wie ein ganz gewöhnliches bäuerliches Nutzgebäude. Als modernes Gast-Haus gibt sich der aus vorgefertigten Holzelementen errichtete »Stall« erst auf der Südostseite zu erkennen, wo sich die Holzfassade mit einem großen, dreigeteilten Fenster zur gepflasterten Terrasse und zum Dorfplatz öffnet. Der Eingang liegt in der Mitte des gläsernen Triptychons. Er führt auf einen zentralen Gang, von dem links der Saal und rechts die Gaststube abgeht. Die Dreiteilung des Grundrisses entspricht dem traditionellen Raumschema Tiroler Bauernhäuser. Dabei mutierte der Stall zum Saal, die Tenne zum Entree und der bäuerliche Wohntrakt zur Gaststube nebst Küche und Funktionsräumen.

Zur einfachen Struktur passt die minimalistische Anmutung der Innenräume. Der bis unters Dach reichende Saal präsentiert sich als nüchterner, ganz mit Lärchenpaneelen bekleideter Raum. In der Gaststube setzen zwei Sichtbetonwände Akzente. Für ein gemütliches Flair sorgt hier die Möblierung mit gepolsterter Fensterbank, robusten Wirtshaustischen sowie den »Landluft«-Stühlen, die Markus Faißt (Bregenzerwald) nach dem Vorbild traditioneller Bauernschemel entworfen hat. Mit Wärme wird das Dorfhaus von der jüngst erneuerten Pelletheizung im Gemeindehaus nebenan versorgt.

Ein Besuch der Schenke lohnt sich allein schon wegen der grandiosen Aussichten. Das Panoramafenster gegenüber des Tresens gewährt einen freien Blick auf die Bergwelt, ein weiteres Fenster auf der nordöstlichen Giebelseite orientiert sich zur Dorfkirche hin.

Seit zwei Jahren bereichert das Haus jetzt schon das Leben der Dorfbewohner und ihrer Gäste. Im Saal finden Hochzeitsfeiern, Vorträge, Filmabende, Tanzkurse und Konzerte statt. Die Wirtschaft lockt mit durchgängig warmer Küche und köstlichen Torten längst auch zahlreiche Besucher von außerhalb an. Demnächst soll ein Bauernladen in die Gaststube integriert werden. Durch das Dorfhaus habe Steinberg einen »Riesenschub« gemacht, sagt Helmut Margreiter. Es geht aufwärts im »schönsten Ende der Welt« – nicht zuletzt dank eines »besseren Stalls«.


In Steinberg erkundete unser Kritiker Klaus Meyer ein bemerkenswertes Gebäude, von dessen Architektur und räumlicher Einbindung ins Dorfgefüge er sehr angetan war, wie auch vom ganzen Planungsprozess. … und entdeckte ganz nebenbei ein hervorragendes Gasthaus: Allein wegen des fabelhaften Apfelkuchens lohnt sich ein Abstecher zum »schönsten Ende der Welt«.

über den Autor »
1954 geboren. Studium der Germanistik und Geschichte. Zehnjährige Tätigkeit als Werbetexter in Hamburg. Mitarbeit als Redakteur bei Architectural Digest in München. Seit 1999 Tätigkeit als freier Journalist.

Grundriss EG: Bernardo Bader Architekten, Dornbirn
Lageplan: Bernardo Bader Architekten, Dornbirn
Längsschnitt: Bernardo Bader Architekten, Dornbirn
Querschnitt: Bernardo Bader Architekten, Dornbirn

  • Standort: Steinberg 2, A-6215 Steinberg am Rofan

    Bauherr: Gemeinde Steinberg am Rofan
    Architekten: Bernardo Bader Architekten, Dornbirn
    Mitarbeiter: Joachim Ambrosig, Johannes Derntl
    Tragwerksplanung: Merz Kley Partner, Dornbirn
    Bauleitung, Freiraumgestaltung: Stefan Heiß, Stans
    Bauphysik: FIBY, Innsbruck
    Brandschutz: K & M Brandschutztechnik, Lochau, www.km-brandschutz.at
    HSL-Planung: Planungsteam E-Plus, Egg
    Elektro-Planung: Bernhard Brugger, Innsbruck
    BGF: 560 m² (Nutzfläche: 465 m²)
    BRI: 2 900 m³
    Baukosten: 2,15 Mio. Euro (Dorfhaus inkl. Dorfplatzgestaltung)
    Bauzeit: April 2015 bis Dezember 2015 (Eröffnung)

bernardo bader architekten


Bernardo Bader

Bernardo Bader »
1993-2001 Architekturstudium an der Universität Innsbruck (A). Seit 2003 eigenes Büro in Dornbirn. Mitglied in mehreren Gestaltungsbeiräten, gegenwärtig in Salzburg . Tätigkeit als Gastkritiker u. a. an der ETH Zürich, 2012-17 als Dozent an der Universität Liechtenstein und seit 2018 an der Hochschule St. Gallen (CH).

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