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Die Arbeit am »White Cube« - »Weinraum Kobler« in Margreid (I)

»Weinraum Kobler« in Margreid (I)
Die Arbeit am »White Cube«

Der asketisch gestaltete Multifunktionsraum, in dem ein kleines Südtiroler Weingut seine Produkte präsentiert und verkauft, zieht durch den Kontrast zum Bestandsbau die Aufmerksamkeit auf sich. Gleichzeitig erweist er sich als glaubhafter Botschafter der Weinkultur, indem er auf künstlerischer Ebene die anspruchsvolle Haltung des Winzers erlebbar macht.

    • Architekten: Lukas Mayr und Theodor Gallmetzer
      Tragwerksplanung: Klaus Seeber, Team 4, Bruneck

  • Kritik: Peter Volgger
    Fotos: Jürgen Eheim
Direkt an der Weinstraße, am Rand der kleinen Gemeinde Margreid, hat sich das Weingut Kobler einen Verkaufs- und Verkostungsraum für die hofeigenen Weine einrichten lassen. Der Architekt Theodor Gallmetzer kennt den Bauherrn und seine Frau schon seit Längerem und hat für die gemeinsame Bearbeitung des Projekts seinen Freund Lukas Mayr hinzugezogen.
Noch bevor man den Raum betritt, erschließt sich die klare Haltung, mit der der »Weinraum« in den Bestand geschnitten ist. Seine Raumbegrenzungen treten als Stahlkonstruktion aus dem Gebäude heraus und bilden eine Art Loggia, die kaum merklich über dem Pflaster zu schweben scheint und den Innen- mit dem Außenraum verzahnt. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet die großflächige Frontverglasung, eine raffinierte Hebescheibe: Sie verschwindet nach Bedarf bündig im Boden und erweitert so den Innenraum nach außen. »Manchmal sitzt man drinnen draußen, manchmal draußen drinnen«, erklären die Architekten. Halb oder nur schlitzartig geöffnet hält die Scheibe den Wind ab und sorgt für die Belüftung. Einer eigenen Kühlung für den Raum bedarf es nicht, die Scheibe lässt sich durch ein Sonnenschutzrollo verdunkeln, für Wärme sorgt die Bodenheizung im Terrazzo.
Im Innern öffnet sich eine puristische Bühne, karg und unprätentiös. Das Motiv der Weinverkostung ist hier in den Formenkanon der Minimal-Art verpackt, der Raum auf das neutrale Weiß reduziert.
 
Alles wirkt einfach und klar. Wand- und Deckenflächen sind aus weißem »Marmorino« (ein Putz mit Marmormehl), der Boden aus venezianischem Guss-Terrazzo. An den starken Hall, der in dem »leeren« Raum zwangsläufig entsteht, musste sich der Bauherr erst gewöhnen. Den dominanten Hauptraum nimmt ein langer, weißer Tisch ein, dessen Höhe sich mithilfe von Gasfedern verstellen lässt. Rechts öffnet sich beim Eintreten ein Nischenraum mit Theke und Küchenausstattung. Raumkonzept, Materialien und Farbwahl steuern auf etwas Metaphysisches zu.
Der Hausherr schwenkt seinen Chardonnay mit experimentierender Neugier im Glas und zeigt, wie sich der edle Tropfen vor dem neutralen Hintergrund in immer neuen Nuancen färbt. »Weiß ist der ideale Kontrast zur Klarheit der Weinfarben«, erklären die Architekten, »alle Nuancen des Weinrot und des Weinweiß werden in Kombination mit der optimalen Beleuchtung sichtbar«.
Kobler, der selbst in der Weinforschung tätig war, zieht die Parallele zu den Qualitäten eines Sensorikraums, der in der Strenge von Laborlicht entsteht. Es wird ein Grad an Neutralität erreicht, der den Wein und dessen Herstellung neu reflektiert.
Diese konzeptuelle Effizienz lässt die Weinflasche zum fast sakralen Gegenstand werden, den Raum zum Tabernakel. Der Besucher wird auf das sinnliche Wahrnehmen selbst fokussiert. Behutsam öffnet sich der stille Dialog mit dem Wein, das Verhältnis von Konsument und Produkt wird auf eine fast meditative Ebene gehoben.
 
Im Weinraum scheint die grundsätzliche Haltung des Winzers gegenüber seiner Weinproduktion auf: Traditionen werden hochgehalten, gleichzeitig aber auch bereinigt und als Notwendiges in die Gegenwart geführt. Für den noch jungen Produzenten bedeutet das: Man muss keine Tradition erfinden. Er erklärt z. B.: »Das Etikett unserer Weine enthält in seiner Einfachheit schon das Ganze«; schwarze Flächen stehen für die Katasterflächen des Gutes, nur eine ist farbig, sie verweist auf den Ursprung des Weins, seine Lage im Weingut.

Bilder an der Wand und im Kopf

Im Umgang mit Raumerlebnissen ist der »White Cube« – das Konzept, Kunstwerke in weißen Räumen zu präsentieren – Dreh- und Angelpunkt. So einfach dieses Konzept zunächst erscheint, ist es doch ein komplexes System von Bezügen, das im Betrachter intentionale Muster freilegt. Schließlich ist der White Cube nie »Nichts«, nie eine einfache »Leere«, weder als reine weiße Mauer, an der sich z. B. die Schatten der Besucher zeigen, noch die absolute Stille, die von Schritten oder vom eigenen Pulsschlag gebrochen wird.
 
Die Stärke der architektonischen Intervention in Margreid liegt darin, dass sie mit dem Vokabular der Minimal-Art spielt und dabei einen vielschichtigen und assoziativen Bedeutungs- und Interpretationshorizont entfaltet. Sie nutzt Materialien, die an hochwertige Designgegenstände denken lassen: glatte Oberflächen, akkurate Kanten, Glanz. Und sie trifft damit bereits eine Aussage, wie das Produkt Wein gesehen und platziert werden soll, wenn auch sehr viel weniger explizit als dies andere Weingüter tun. Um beim Besucher Assoziationen zu Weingenuss und -herstellung hervorzurufen, bedarf es in Margreid keiner spezifischen Formen oder Materialien. Allein über die Bespielung des White Cube werden die gewünschten Informationen vermittelt und Stimmungen erzeugt.
 
Dazu hat der Hausherr verschiedene Kameras über das Weingut verteilt und im Weinraum einen Beamer installiert, über den sich auf der Wand gegenüber dem Eingang beliebige Bilder erzeugen lassen. »Über diese Projektionen kommt Farbe in den Raum. Mit Fotos, aber auch mit direkten Einblicken in die Weinproduktion«, erläutert Gallmetzer die Idee. So bekommt man den Eindruck, plötzlich mitten in den grünen Rebflächen zu sitzen oder live im Weinkeller. »Es lassen sich aber auch Fußballspiele oder Konzertaufnahmen in geselliger Runde anschauen«, meint er schmunzelnd.
Im Stile der Ambient-Art wird der Raum mit einer bestimmten Atmosphäre aufgeladen, unterstützt von zwei Beleuchtungsvarianten: einmal mit von der Decke abgehängten Leuchtstoffröhren über dem Tisch für ein scharfes, laborähnliches Licht, und einmal mit speziellen, von den Architekten entworfenen Röhren-Leuchten für eine stimmungsvolle Kerzenlicht-Atmosphäre, beide mit Dimmer und getrennt schaltbar.

Vervielfältigung der Bedeutungsebenen

Die Projektion löst die Trennung zwischen ortsspezifischer und ortsbezogener Intervention auf. Sie hinterfragt das Paradigma, dass ein Werk für einen bestimmten Ort geschaffen sein müsse, mit dem es für immer untrennbar verbunden sei. Sie öffnet Kontaktstellen, erzeugt den Blick auf das Dorf, den man ohne die Wand hätte, und bringt die Wand damit zum Verschwinden. Die Projektion spielt mit der Spannung von Vorder- und Rückseite und kann einen Eindruck vom »Produkt Wein« an der Stelle entstehen lassen, wo der »Ort der Herstellung« und die Rebflächen im Außenraum virtuell zusammenfinden. Dafür reicht ein Bild vom Keller bereits aus. Wie bei einer russischen Matrjoschka-Puppe entsteht ein Raum (Keller-Video) im Raum (Verkostung) im Raum (Haus).
 
Die Projektionswand macht das Angebot der Verknüpfung, sie ist ein Ort, »an dem sich Informationen kreuzen« (Mayr), ein »allegorischer Ort«, der Bezüge und Verweise verwebt, Bedeutungshorizonte öffnet über das Werk und seinen Ort hinaus, jenseits der Achsen des architektonischen Koordinatensystems. Subtil werden die Grenzen der Struktur deutlich, sie selbst wird damit als Struktur sichtbar. Es entsteht etwas anderes als das konventionelle Bild vom Raum, in dem Wein verkostet wird. Die Leere des White Cube ist – wenn die Inszenierung stimmt – nicht nur räumlich, sondern lässt ein zeitliches Potenzial entstehen: Moment, Dauer und Transformation.
 
Der weiße Kubus kann sich dadurch zum atmosphärisch dichten Raum mit Mehrfachnutzung wandeln und neben dem Verkauf und der Präsentation von Wein auch für Seminare, für Film- und Videopräsentationen genutzt werden.

Dies alles zählt zur Arbeit am White Cube. Damit zeigt sich, dass Architektur mehr sein kann als eine Art von Selbstbefriedigung im Abstrakten. Die Intervention von Gallmetzer und Mayr aktiviert ein Verweisgeflecht, das vielfältige Interpretationsmöglichkeiten zulässt. Die Architekten spielen mit dem weißen Kubus, dem ideellen Raum par excellence. Sie ironisieren das Ideal des neutralen Hintergrunds und damit ihren eigenen modernistischen Ansatz. Ihre Arbeit in Margreid verdeutlicht eindrucksvoll, dass der White Cube selbst zum Inhalt eines Werkes werden kann. Im »Weinraum« gelingt es den Architekten, dieses Motiv mit architektonischen Mitteln atmosphärisch zu verwerten. Sie bewegen sich mit ihren Lichtkonzepten und der medialen Kopplung zwischen Destruktion und (De-)Konstruktion. Es gelingt ihnen mit ihrer Installation, den Sinn von Weinverkostung als kulturellen Akt neu zu beleuchten.


  • Standort: Weinstraße 36, I-39040 Margreid an der Weinstraße

    Bauherr: Weinhof Kobler, Armin und Monika Kobler, Margreid a.d.W.
    Architekten: Lukas Mayr, Percha, und Theodor Gallmetzer, Bozen
    Tragwerksplanung: Klaus Seeber, Team 4, Bruneck
    Fläche 36 m²
    Bauzeit: Januar bis Juni 2010
    Baukosten: keine Angabe
  • Beteiligte Firmen:
    Hebescheibe, Schlosserarbeiten: H.a.i.tec, Franzensfeste, www.haitec.it
    Bauschreiner: Tischlerei Amegg, Margreid, www.haitec.it
    Tische, Stühle: Haidacher, Percha, www.haitec.it
    Terrazzo: Sgarbossa Dino & Figli, Cassola-Vicenza
    Marmorino: Christian Oberlechner, Percha
    Sonnenschutz: ROMA, Burgau, www.haitec.it

Lukas Mayr
1973 in Bruneck (I) geboren. Architekturstudium an der Universität Innsbruck. Atelier in Percha (I).
Theodor Gallmetzer
1966 in Aldein (I) geboren. Architekturstudium an der Universität Innsbruck. Atelier in Bozen (I).

Peter Volgger
1970 in Ratschings (I) geboren. Studium der Philosophie/Geschichte, Architektur und Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck. Staatsprüfung für Architektur in Venedig. Mitarbeit in verschiedenen Büros, anschließend Arbeit als selbstständiger Architekt. Lehraufträge an der TU Innsbruck und seit 2009 Dissertation zum Thema Migration und Stadt am Beispiel von Bozen.


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