1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Architektur » Kultur | Sakral »

Der Herzschlag von Doetinchem

Lichtskulptur »D-toren« in Doetinchem (NL)
Der Herzschlag von Doetinchem

Hohler Zahn oder Hähnchenschenkel? – Der »D-toren« setzt sich aus schalenförmigen Elementen aus glasfaserverstärktem Epoxidharz zusammen. Heute rot, dann wieder grün, blau oder gelb leuchtet er vor sich hin und setzt in der kleinen niederländischen Gemeinde Doetinchem ein auffälliges Zeichen.

Hollow tooth or chicken leg quarter? – The »D-Tower« is assembled from shell-form elements made from fibreglass-reinforced epoxy resin. Today red, then green again, blue or yellow; it glows continuously and creates an eye-catching symbol in the small Dutch community of Doetinchem.

Text: Hubertus Adam

Fotos: Lars Spuybroek

Streugut sei die Kunst im öffentlichen Raum, so formulierte man es 1995 in Doetinchem.
Doetinchem, das ist eine kleine Stadt in der niederländischen Provinz Gelderland. Nicht weit von der deutschen Grenze entfernt, die längst nur noch dadurch zu bemerken ist, dass nicht mehr gelbe Schilder den Ortsbeginn markieren, sondern blaue. Doetinchem: gut zehn Kilometer nördlich von Emmerich, gut zwanzig Kilometer nordwestlich von Bocholt, ein Ort, der für alle Reisenden einen Umweg bedeutet. Und der selbst kaum etwas zu bieten hat, was Besucher anziehen könnte.
Dass dies nicht mehr zutrifft, hat mit der Initiative von 1995 zu tun. Damals nahm sich die lokale Kommission für bildende Kunst der Kunst im öffentlichen Raum an und empfahl der Stadtregierung einen dringenden Kurswechsel: Anstatt irgendwelche Figuren in irgendwelchen Fußgängerzonen oder auf irgendwelchen Plätzen abzustellen, solle man die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel bündeln und ein prägnantes Konzept für Kunstinstallationen in der Stadt entwickeln. Das Konzept wurde gleich mitgeliefert und heißt »Torenplan«. Dieser »Turmplan« fixiert fünf Standorte am Innenstadtring, der der einstigen Stadtbefestigung folgt; fünf Standorte, an denen zukünftig markante Kunstwerke errichtet werden, die nicht zuletzt der Imagebildung der Stadt dienen sollen. Dabei handelt es sich nicht um ein kurzfristiges Projekt, sondern um eine langfristige Strategie. Der Zeithorizont beträgt mehrere Jahrzehnte und tatsächlich wurde der erste der »Türme« auch erst 2004 ein- geweiht.
»D-toren« heißt er, und das D steht nicht, wie man zunächst denken könnte, für Doetinchem, sondern einfach für den Buchstaben D, der auf A, B und C folgt. Auch wenn an vier der projektierten Positionen früher Stadttürme standen und das Projekt sich »torenplan« nennt, wie ein Turm müssen die »toren« nicht aussehen, aber sie sollen auffällig sein. Jedem der fünf »toren« ist ein Motto zugewiesen – die vier Elemente, darüber hinaus die Zeit. Feuer, das war die Vorgabe für den D-toren, mit dessen Konzeption der Rotterdamer Künstler Q.S. Serafijn beauftragt wurde.
Serafijn, 1960 im niederländischen Rosendaal geboren, entwickelte die Idee eines interaktiven Kunstwerks, das sich von der üblichen Kunst im öffentlichen Raum unterscheidet. Basierend auf der seit Beuys geläufigen Idee einer Sozialen Plastik besteht seine Idee darin, die Befindlichkeit der Bewohner von Doetinchem zu analysieren. Serafijn entwickelte einen Fragebogen mit 360 Fragen, der um die Empfindungen von Liebe, Glück, Angst und Hass kreist. Fünfzig Freiwillige erhalten alle zwei Tage per E-Mail jeweils vier Fragen, die sie ebenfalls per E-Mail beantworten; nach einem Durchlauf, der mithin ein halbes Jahr dauert, wechseln die Teilnehmer, die Sequenz beginnt aufs Neue.
Das von Serafijn erdachte Konzept ließe sich problemlos im virtuellen Raum abwickeln: Die Umfrageteilnehmer geben ihre Antworten passwortgesichert auf der website www.d-toren.nl ein, die interessierte Öffentlichkeit erfährt die Ergebnisse im frei zugänglichen Bereich. Um die physische Präsenz des Projekts im Stadtraum zu gewährleisten, zog der Künstler Lars Spuybroek vom Rotterdamer Architekturbüro Nox hinzu. Spuybroek entwarf eine bizarre, organisch geformte Plastik, die leuchtend jeweils am Abend über die mehrheitliche emotionale Dispositon der Teilnehmenden informiert. Rot steht für Liebe, Blau für Glück, Gelb für Angst, Grün für Hass.
Das knapp zwölf Meter hohe und gut sechs Meter breite Objekt steht im Nordwesten der Innenstadt, dort, wo die Gruutstraat auf die viel befahrene Tangente N 316 trifft. Drei röhrenartige Stelzen – eine davon spaltet sich in zwei – tragen einen amorphen, hinsichtlich seiner Form kaum plausibel zu beschreibenden Hohlkörper. In Zeiten der Vogelgrippe mag man an eine Mutation aus drei miteinander verschmolzenen Hähnchenschenkeln denken oder an einen Zahn mit Wurzeln. Die biologischen Assoziationen sind zumindest nicht völlig abwegig, denn Lars Spuybroek beruft sich als Vergleich auf den Animationsfilm eines pulsierenden Herzens. An Seilen abgehängt, wie es schon Gaudí praktiziert hatte, wurde eine Kugel partiell bandagiert und fixiert – und dann weiter aufgeblasen und somit deformiert. Resultat der digitalen Umsetzung waren Negativformen, die mit einer CNC-Fräse aus Polystyrolblöcken herausgeschnitten wurden. Die Kombination von Standard- und Nicht-Standard-Geometrien erlaubte es, die insgesamt benötigten 19 Teile des D-toren mit sieben Formen zu erstellen. Auf diese Modelle wurden von Hand ein Laminat aus Glasfaser (zur Stabilisierung) und Epoxidharz aufgetragen; dem Harz war zuvor ein Anteil von vier Prozent weißer Farbe beigegeben worden, um Körperhaftigkeit und Leuchtkraft zu unterstützen. Je nach den physikalisch wirksamen Kräften variiert dabei die Stärke der Wandung.
Stege erlaubten es, die einzelnen Elemente ohne weitere Verbindungen zu verkleben. In zwei Teilen vorgefertigt, wurde der D-toren schließlich Ende Juni 2004 vor Ort montiert. Tagsüber milchig-weiss, leuchtet er, erhellt von LEDs, seit dem Beginn des Kunstprojekts Anfang September 2004, in der jeweiligen Farbe des Tages. Ein Alien im städtischen Raum, der sich aber auch nachts von der Lichtorgie aus Scheinwerfern, Ampeln und Neonreklame abzuheben weiß. Folgt man der bisherigen Statistik, sieht es wie folgt aus: 5 Prozent Gelb, 15 Prozent Grün und jeweils 40 Prozent Blau und Rot. Könnte ein besseres Argument für den Umweg nach Doetinchem geben? Hubertus Adam
Bauherr: Gemeinde Doetinchem, NL Projektmanager: Paul van der Lee, Doetinchem Design und Conzept, D-toren: NOX architekten, Lars Spuybroek, Rotterdam, NL Design und Conzept, Website: Q.S. Serafijn, artist und V2_Lab, Simon de Bakker und Artem Baguinski, Rotterdam, NL Bautechnik: Bollinger + Grohmann, Frankfurt/Main Konstruktionsmanagement: Vitri BV, Velp, NL Erstellen der Form: Komplot Mechanics, Delft, NL Kunststoffschalen: Visionmachine, Delft, NL Laminierung: Radius, Etten-Leur; NL Beleuchtungskonzept: Technical Management TM, Amersfoort, NL Beleuchtungstechnik: IBG Fiber Optics, Oud-Alblas, NL Fertigstellung: 2004
Aktuelles Heft
Titelbild db deutsche bauzeitung 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de