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Das Bianimale Nomadic Museum, New York, von Shigeru Ban

Architektur aus Schiffscontainern und Pappe für »Ashes and Snow«
Bianimale Nomadic Museum, New York

Ein privater Geldgeber ermöglichte die Umsetzung eines Ausstellungskonzepts, das die Kunst zum Betrachter bringt: Das Ausstellungsgebäude für die Werkschau »Ashes and Snow« des Fotografen Gregory Colbert ist transportabel, es besteht aus Schiffscontainern und Pappe. Der Bau stand für drei Monate in New York, an der nächsten Station, Santa Monica, wird er in erweiterter Form aufgebaut.

A private sponsor made it possible to realize an exhibition concept which brings art to the people: the exhibition building for the collected work “Ashes and Snow” of the photographer Gregory Colbert is transportable and consists of shipping containers and cardboard. The building stood for three months in New York and at the next station, Santa Monica, will be erected in extended form.

Text: Fred Bernstein
Fotos: Michael Moran
Große öffentliche Bauvorhaben dauern – wenn sie denn überhaupt realisiert werden – in New York immer etwas länger; unzählige Diskussionen inbegriffen. Und manches Mal kommen sie über den Status der Auseinandersetzung nicht hinaus. Vier Jahre nach dem 11. September ist der Kampf um den Freedom Tower voll entbrannt und das auf Ground Zero vorgesehene Kulturzentrum kurz vor dem Aus. Der geplante Wiederaufbau von Edward Durell Stones Kunst- und Design-Museum aus den sechziger Jahren am Columbus Circle hat es auf mittlerweile mindestens acht Gerichtsverfahren gebracht. Die Pläne der Vereinten Nationen, ihrem symbolträchtigen Sekretariat, einem Fünfziger-Jahre-Bau am East River, ein Hochhaus zur Seite zu stellen – stecken geblieben im Sumpf innerbürokratischer Kämpfe. Die Entwürfe des aus dem Wettbewerb siegreich hervorgegangenen Fumihiko Maki – verstaubt in Schubladen. Das Whitney Museum hat die Erweiterungsvorschläge sowohl von Michael Graves als auch von Rem Koolhaas erfolgreich abgewehrt und hofft nun auf einen weniger Aufsehen erregenden Entwurf von Renzo Piano. Der Reigen ließe sich beliebig fortsetzen. Jedes öffentliche Bauvorhaben wird zum Medienereignis – was der Sache selten förderlich ist.
So glich es fast einem Verstoß gegen die »guten Sitten«, als im vergangenen Frühjahr, praktisch ohne Vorankündigung, und, noch verwunderlicher, ohne Widerspruch, eines der wegweisenden Gebäude der letzten Zeit Gestalt annahm. Und mehr noch, das Nomadische Museum des japanischen Architekten Shigeru Ban erwies sich überdies als bestes Ausstellungs-Ambiente in der an Museen so reichen Stadt.
Bans »stählerne« Ankunft in New York begann schon im letzten Winter, als plötzlich Fracht-Container auf einem Pier an der Lower West Side auftauchten. Auf den ersten Blick nichts Besonderes. Als die Container jedoch zu zehn Meter hohen Wänden aufgetürmt wurden, begannen die Passanten sich zu fragen, ob sich hier Hafenarbeiter einen Spaß erlaubten. Fast gleichzeitig überzogen großformatige, in Sepia-Tönen gehaltene Anzeigentafeln mit Motiven von Elefanten, Zebras aber auch buddhistischen Mönchen das Stadtgebiet von Manhattan. Im März offenbarte sich dann der Zusammenhang zwischen dem Weltlichen und dem Mystischen, zwischen Cargo und fesselnder Fotografie: Die Container-Stapel am Pier waren nichts weniger als eine groß dimensionierte Galerie für die ebenfalls großformatige Präsentation der Fotografien des kanadischen Künstlers Gregory Colbert – eine Ausstellung mit dem mehr als viel versprechenden Titel »Ashes and Snow«.
Schon 2002 hatten Colberts Fotografien, erstmals während der Biennale in Venedig, in den riesigen Räumlichkeiten des Arsenals präsentiert, für großes Aufsehen gesorgt. Durch den Uhrenmanufakteur Rolex ermutigt und finanziell unterstützt, wagte sich Colbert daran, seine Ausstellung in die Welt zu schicken. Dafür beauftragte er Shigeru Ban mit dem Entwurf eines temporären Museums – eines Gebäudes, das die beeindruckenden, die Wirkung seiner Kunst unterstützenden Qualitäten des Arsenale mit der Option verbinden würde, dieses Raumerlebnis an anderen Orten entstehen zu lassen. Ban erwies sich als die richtige Wahl. Seine herausragendsten Entwürfe temporärer Gebäudehüllen hat er nicht nur bei papierenen Konstruktionen für Erdbeben- und Tsunami-Opfer vorgelegt, seine Kirche aus Papier im japanischen Kobe und sein Japanischer Ausstellungspavillon auf der Expo in Hannover 2000 sind mehr als technische Meisterwerke. Sie überzeugen durch ihre formale, fast klassische Strenge. Auch wenn sich in seinen Händen Asche nicht in Schnee verwandelt, wird in ihnen das Alltägliche zum Immerwährenden.
Bans Idee, das Nomadische Museum aus Fracht-Containern entstehen zu lassen, war im Prinzip nicht neu. Kaum ein junger amerikanischer Architekt, der nicht eine der ungefähr 12 x 2,30 x 2,25 Meter messenden Kisten mit ihrer gewellten Außenhaut zu einer Behausungen umgebaut hätte. Aber es gab einen großen Unterschied: Statt die Kisten als Baukörper zu verwenden, setzte Ban sie als überdimensionierte »Bausteine« ein, um daraus ein 5000 Quadratmeter großes Gebäude entstehen zu lassen. Die nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Container bedurften keiner Verschönerung, ihre Gebrauchsspuren wurden nicht überarbeitet. Es waren gerade die Kratzer und Beulen, die den Reiz ausmachten, ihre Geschichte sichtbar werden ließen und ihnen so jene Zeitlosigkeit verliehen, die Colbert und Ban einfangen wollten.
Im Inneren trugen riesige Papprollen die Träger des Daches, das 15 Meter über dem historischen Pier, dem Ort, am dem die Überlebenden des Titanic-Untergangs wieder Land betreten hatten, in den Himmel ragte. Sie bildeten eine Art papierenen Kolonnadengang, der in seiner Eindrücklichkeit und Einzigartigkeit allenfalls mit dem Raumerlebnis der vor vierzig Jahren abgerissenen Pennsylvania-Station vergleichbar war. Aber es waren nicht nur Größe und Anordnung der Papprollen, die einen fast mystischen Raum entstehen ließen. Auch die erfinderische Sorgfalt bei der Ausgestaltung selbst der kleinsten Details trug dazu bei. So strukturierte und unterteilte Ban den Raum durch transparent wirkende Vorhänge, die aus mehr als einer Million Teebeuteln gefertigt waren – gebrauchter Teebeutel, die, fleckig und verfärbt, eine fast altertümlich zu nennende Atmosphäre erschufen. In den so entstandenen Nischen hingen Colberts überdimensionale Fotografien an schlichten Seilkonstruktionen.
Mit Kies bedeckte Bodenflächen unterstützten den Eindruck eines in Zeitlosigkeit versetzten Raumes. All dies wurde verstärkt durch eine ausgeklügelte Beleuchtung – klar konturierte Schatten der großformatigen Bilder zeichneten trapezförmige Muster in die Kiesbetten. Architekturbegeisterte pilgerten wieder und wieder zum Pier, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, wie Shigeru Ban – vor Ort unterstützt vom New Yorker Architekten Dean Maltz – mit so wenigen Mitteln so viel Wirkung erzielen konnte.
Colberts Anteil war nicht weniger beeindruckend. Über 13 Jahre ist der Fotograf durch die Welt gereist und hat so unterschiedliche Orte wie Burma, Äthiopien, aber auch die Antarktis besucht, um mit in Bildern gebannten Eindrücken zurückzukehren, die eindringlich vom Wechselspiel des Menschen mit der Natur erzählen. Shigeru Bans Bauwerk gab ihnen durch die Einfachheit der Materialien und zurückhaltenden Farben den angemessenen Rahmen, zollte ihnen so den Respekt, den sie verdienen. Doch bei aller Kraft der Bilder, viele Besucher sahen in dem Gebäude die noch größere künstlerische Leistung.
Das Projekt ist in vielfältiger Weise raffiniert durchdacht. So kann die gesamte Ausstellung in einigen der Container untergebracht und auf die Reise in weitere Städte geschickt werden, es ist Gebäude und Verpackung gleichermaßen. Doch ist es weniger die Raffinesse, die begeistert als das deutlich spürbare Bekenntnis zu Maßstäblichkeit und Ausgewogenheit, Qualitäten, die der Raffinesse anderen Orts häufig zum Opfer fallen.
Im Juni verschwand das Nomadische Museum so schnell wie es gekommen war. Zurzeit ist es unterwegs an die kalifornische Westküste, nach Santa Monica, wo es neben dem legendären Santa Monica Pier auf einem Parkplatz neu entstehen wird. Im Januar soll Eröffnung sein. Als weitere Orte sind Rom, Paris, aber auch Peking im Gespräch. Egal, wohin die Reise gehen wird, wohl nirgendwo wird Bans Gebäude eine so große Wirkung erzielen können wie in New York, wo es die industriellen und seefahrerischen Wurzeln der Stadt berührte und zum klingen brachte, New Yorks kulturelle Vielfalt spiegelte. Begeisterung auslösen wird es jedoch überall. F. B.
Übrsetzung aus dem Amerikanischen: Elisabeth Plessen
Bauherr: Bianimale Foundation (BNM), New York Architekten: Shigeru Ban Architects, Tokio, mit Dean Maltz Architect, New York Mitarbeiter: Kelvin Lit, William Bryant, Chad Kraus, Kirsten Hively, Lim Yan Ling, David Takacs, Kyle Anderson Tragwerksplanung: Buro Happold, New York Nutzfläche: 3020 m2 Bauzeit: Dezember 2004 bis Februar 2005 Ausstellungsdauer: 5. März bis 6. Juni 2005
Projekt Santa Monica

Die insgesamt dritte Präsentation von »Ashes and Snow« wird in Santa Monica, der zweiten Station des Nomadischen Museums, nochmals erweitert. Im Gegensatz zu dem 206 Meter langen Riegel auf dem Pier 54 in New York werden für das Gebäude hier zwei, allerdings um die Hälfte verkürzte Ausstellungshallen aufgebaut. Beide werden durch ein Hängedach verbunden, worunter eine dritte, stützenfreie Halle entsteht, die einen großen Kinosaal und den Informationsbereich mit Buchverkauf aufnimmt. Um die zehn Meter hohen Wände mit einer Länge von jeweils 107 Metern aufzubauen, werden 152 Frachtcontainer zum Einsatz kommen, die Breite des Gebäudes auf einem Parkplatz neben dem Santa Monica Pier wird 56 Meter betragen. Zum künstlerischen Ausstellungskonzept gehört neben Gregory Colberts Fotografien auch ein einstündiger Film, dessen Material zusammen mit den Fotos aufgenommen wurde. Dem Film wird in Kalifornien mehr Bedeutung als in New York zukommen. In den Enden der beiden Ausstellungshallen befinden sich jeweils kleine Kinoräume, in denen Ausschnitte aus dem Film gezeigt werden und somit Appetit auf die in der Mttelhalle laufende Vollversion machen.


  • Architekten: Shigeru Ban Architects, Tokio, mit Gensler – Architecture, Design & Planning Worldwide, Santa Monica, CA Projektleitung: David Gensler mit Irwin Miller
    Mitarbeiter: Mike Niemann, Mike Collins, Fong Liu, Toygar Targutay, Mick Johnson, Audrey Handleman Tragwerksplanung: Arup, Los Angeles
    Generalunternehmer: RMS Group, Huntington Beach
    Innenraumgestaltung: Ombra Bruno, Officina di Architettura, Mailand (I)
    Lichtdesign: Alessandro Arena, Catania (I)
    Nutzfläche: 4600 m2
    Bauzeit: November 2005 bis voraussichtlich Dezember 2005
    Ausstellungsdauer: 14. Januar bis 14. Mai 2006
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