Architekten: Nieto Sobejano Arquitectos
Tragwerksplanung: PIKE, Andres Hirve
Kritik: Ulrike Kunkel
Fotos: Roland Halbe
»Tabula Rasa«, produziert von Manfred Eicher, erschien 1984. Die Platte bedeutete den internationalen Durchbruch für den 1935 geborenen Komponisten, der vier Jahre zuvor aus der Estnischen Sowjetrepublik emigriert und über Wien mit einem Stipendium nach Berlin gelangt war: Arvo Pärt. »Tintinnabuli« nannte Pärt den Stil, den er in den Jahren zuvor entwickelt hatte und der seine Werke unverkennbar macht. Der Titel Tabula Rasa war programmatisch zu verstehen, denn zur Melodiestimme tritt lediglich eine zweite Stimme aus Dreiklängen, durch die der für den Komponisten typische glockenartige und suggestive Sound entsteht. Verfechtern der Neuen Musik, die gemeinhin die Abkehr von der Tonalität als Grundkonsens ansehen, war die Pärt‘sche Melodik und Harmonik stets in höchstem Maße verdächtig, zumal ihr Schöpfer noch in der UdSSR in die orthodoxe Kirche eingetreten war. Dessen ungeachtet gelang Pärt etwas, was ihnen versagt blieb: Seine langsamen und meditativ anmutenden Klänge, die von ostkirchlicher Spiritualität beseelt zu sein scheinen, sind fast populär geworden; Arvo Pärt gilt als der meistaufgeführte zeitgenössische Komponist.
Mehrere Jahrzehnte befand sich sein Lebensmittelpunkt in Berlin, bis er sich um das Jahr 2000 entschloss, in seine inzwischen unabhängige Heimat Estland, in die Gegend von Laulasmaa, 35 km westlich von Tallinn, zurückzukehren. Auch sein umfangreiches Archiv wurde zunächst dort untergebracht. Doch es stellte sich die Frage, was damit langfristig geschehen sollte.
Die Akademie der Künste Berlin, die Pärt als Mitglied aufgenommen hatte, signalisierte Interesse, aber der Komponist wünschte sich einen öffentlicheren Ort – ein angesichts des notorisch schwierigen Zugriffs auf Akademie-Archivalien nachvollziehbarer Wunsch. Der Staat Estland brachte sich ins Spiel und es entstand die Idee eines »Arvo Pärt Centre«, mit dem das Land seinen prominentesten lebenden Kulturschaffenden ehrt. Als Bauplatz wählte man ein küstennahes Waldgebiet bei Laulasmaa.
Gegliedert und differenziert wird die Raumfolge durch die Höfe, die auf fünfeckigen Grundrissen aufbauen. Deren größter besteht aus drei zu einem Kontinuum verbundenen Fünfecken und birgt eine schlichte orthodoxe Kapelle.
Gewissermaßen die Umkehrung der eingeschnittenen Fünfecke ist der ebenfalls auf einem fünfeckigen Grundriss aufbauende und separat vor der Westseite des Gebäudes stehende Aussichtsturm, der ab nächstem Frühjahr geöffnet ist. Pärt versteht ihn als Zeichen der Transzendenz, als Symbol der Verbindung von Himmel und Erde. Steht man oben, so geht der Blick bis zum nahen Meer. Die Küstennähe prägt das Gebiet um Laulasmaa, mit dem der Komponist seit Langem verbunden ist. Zu Sowjetzeiten besaßen Komponisten und andere Vertreter der Intelligenzija vorzugsweise hier ihre Sommerhäuser. So auch Heino Eller, seinerzeit Lehrer am Tallinner Konservatorium. Er brachte Freunde und Bekannte mit in diese abgeschiedene Gegend – darunter eben auch seinen Studenten Arvo Pärt. Die Liebe zur estnischen Landschaft mit ihren endlosen Wäldern und den fast menschenleeren Küsten war es, die Pärt bewog, in diesem Umfeld nicht nur sein Domizil zu beziehen, sondern auch das Musikzentrum mit seinem Nachlass errichten zu lassen.
Und die Lage inmitten des Waldes ist es auch, die den besonderen Reiz des Gebäudes ausmacht. Das Erlebnis des Orts haben die Architekten gekonnt in Szene gesetzt. Auf die nordische Landschaft antworten sie mit einem Bauwerk, dessen organische Formen nicht zuletzt an Alvar Aalto erinnern. Man hält sich gerne hier auf, auch wenn es gar nicht viel an Exponaten zu sehen gibt; blättert in der Bibliothek in Büchern, genießt die Abendstimmung im Café und geht dann vom Duft der Kiefern umgeben zurück zum Parkplatz oder zur Bushaltestelle, um entspannt die Rückreise anzutreten.
- Standort: Kellasalu tee 3, EST-76702 Laulasmaa
Bauherr: Sihtasutus Arvo Pärdi Keskus / Arvo Pärt Centre Foundation
Architekten: Nieto Sobejano Arquitectos, Madrid, Berlin
Projektleitung: Alexandra Sobral
Architekten vor Ort: Luhse & Tuhal, Tallinn
Tragwerksplanung: Inseneribüroo PIKE, Tallinn
HLS-Planung: HEVAC, Tallinn
Akustikplanung: ARAU Acustica, Barcelona
Lichtplanung: Ignacio Valero, Barcelona
Projektleitung Bauherr: Sulev Lepp, TELORA, Tallinn
Bauunternehmer: Ehitustrust, Tartu
BGF: 2 850 m²
Baukosten: 6,7 Mio. Euro
Bauzeit: Februar 2017 bis Juni 2018 - Beteiligte Firmen:
Glasfassaden: Warmeco, Keila, https://warmeco.ee
Fensterprofile, Aluminium: Reynaers Aluminium, Duffel, www.reynaers.de
Metall-Dachdeckung: Rheinzink, Datteln, www.rheinzink.de
Streckmetallgitter, Turm: Rau Streckgitter, Sinsheim, www.rau-streckgitter.de
Aufzug: Kleemann, Kilkis, https://kleemannlifts.com
Elektroschalter: JUNG, Schalksmühle, www.jung.de;
Berker, Schalksmühle, www.berker.com
Die herbstliche Reise in die Wälder westlich von Tallinn war für db-Chefredakeurin Ulrike Kunkel nicht nur in architektonischer Hinsicht ein besonderes Erlebnis: Denn auch sie konnte sich der Suggestion der Musik von Arvo Pärt Ende der 80er Jahre nicht entziehen.
Nieto Sobejano Arquitectos
Fuensanta Nieto
Architekturstudium an der UPM, Madrid, und der Columbia University, New York. 1983 Abschluss.
1985 Bürogründung mit Enrique Sobejano. 1986-91 Mitherausgabe der Zeitschrift ARQUITECTURA. Professur an der Universidad Europea de Madrid.
Enrique Sobejano
Architekturstudium an der UPM, Madrid, und der Columbia University, New York. 1983 Abschluss, 1985 Bürogründung. 1986-91 Mitherausgabe der Zeitschrift ARQUITECTURA. Professur an der UdK, Berlin.