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20 Uhr: Einchecken in Zuos

Hotel Castell in Zuos (CH)
20 Uhr: Einchecken in Zuos

Die Sanierung des einstigen Luxushotels in den Engadiner Bergen war nur über den Bau von Eigentumswohnungen in direkter Nachbarschaft zu finanzieren. Der trutzige Bau behielt, bis auf den Umbau der Zimmer seinen Charme aus den zwanziger Jahren. Provokante Irritationen durch Kunsteingriffe und der Einbau eines türkischen Bades lassen aus regionaler Tradition und Moderne etwas ungewöhnlich Neues entstehen.

The renovation of the former luxury hotel in the Engadiner mountains could be financed only by building owner-apartments in the immediate vicinity. The imposing edifice retains – apart from the refurbishment of the rooms – the charm of the 1920s. From regional tradition and the modern movement, with provocative artistic intrusions and incorporation of a Turkish bath, something unusually new has been created.

Castell heißt das Hotel, und in der Tat thront es wie eine Burg hoch über dem Ort im Engadin. Vom Bahnhof Zuos aus fährt der Shuttlebus zunächst durch den Ort, dann die schmale und steile Zufahrt- straße den Hügel empor, um schließlich auf dem Vorplatz zu wenden. Nikolaus Hartmann, Protagonist der Heimatschutzarchitektur in Graubünden, hatte den wuchtigen, 1912/13 errichteten Bau als Kurhotel entworfen. Mit seinen Anklängen an die heimische Bauweise, an Wehranlagen und Engadiner Häuser, sollte das Castell einen bewussten Gegensatz zu den italianisierenden Hotelpalästen des nahen St.Moritz darstellen. Ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg eröffnet, war das Castell gleichsam Abgesang auf die mondäne Welt der Belle Epoque. Spätere Zeiten sahen andere Leitbilder; nach einer Blüte in der Zwischenkriegszeit wurde das Hotel in den fünfziger Jahren vom Migros-Genossenschaftsbund übernommen und als Familienhotel geführt. Nach einem Brand 1961 in seiner äußeren Erscheinung purifiziert, unterlag schließlich auch das Innere diversen Umbaumaßnahmen. Als ich auf dem Vorplatz stand, entsann ich mich meines letzten Besuchs vor sechs Jahren. Damals hatte ich günstig in einem Zimmer übernachtet, in dem Teppich- fliesen ringsum an den Wänden klebten. Der Muff der Siebziger traf auf die bodenständige Gemütlichkeit der Heimatschutz-Ästhetik, doch schon damals setzte die rote Bar von Gabrielle Hächler mit einer Installation von Pipilotti Rist das Zeichen eines Aufbruchs. Hin- zu kam die phänomenale Felsenbad-Sauna von Tadashi Kawamata, die über einen schmalen Pfad in einem Seitental zu erreichen war.

Initiatoren des Neuanfangs waren der Zürcher Mäzen Ruedi Bechtler sowie die Galeristen Manuela Hauser und Iwan Wirth, die das Hotel 1996 kauften und mit der »Art Weekends« ein neues Publikum ins Engadin zu holen versuchten. Es kam zwar auch zu den erwarteten Events, eine tragfähige Basis für die Auslastung des Hauses war damit indes nicht gegeben. Sollte das Hotel funktionieren, so musste es umgebaut und von einem Drei- in ein Viersternehaus verwandelt werden. Attraktivere Zimmer, ein gutes Restaurant, Wellness, das waren die wesentlichen Ziele. Um dieses Programm finanzieren zu können, wählten die neuen Besitzer eine Strategie, die inzwischen von mehreren Hotelbetrieben mit Erfolg praktiziert wird: Sie errichteten auf einem Teil des Grundstücks Apartments, mit deren Erlös sich die nötigen Umbauten im Haupthaus umsetzen ließen. Zunächst sprach man mit Gabrielle Hächler, dann mit dem schon im Engadin tätigen Norman Foster; schließlich fiel die Wahl auf Ben van Berkel und sein Amsterdamer Büro UN Studio. Unter der Federführung des Projektleiters Olaf Gipser erarbeitete UN Studio mehrere Varianten für Um- und Anbauten, bis der Apartmentblock endlich die richtige Position und Form fand. Die so genannte »Chesa Chastlatsch« verfügt, auf fünf Stockwerke verteilt, über 17 Apartments unterschiedlicher Größen, die je nach persönlichem Wunsch der Besitzer ausgebaut werden konnten. Das winkelförmige Volumen, das den Grundriss des Hotels gleichsam gespiegelt aufgreift und zugleich der Topografie des Geländes folgt, ist geschickt seitlich und leicht oberhalb des Altbaus platziert; verglaste Wintergärten und Balkons sind geknickt ineinander verschoben, so dass der schon in der Materialwahl angelegte kristalline Charakter deutlich unterstrichen wird.
Über das Untergeschoss und die ebenfalls neu angelegte Tiefgarage gelangt man von der Chesa Chestlatsch in das Hotel Castell, dessen Angebote von den Bewohnern der Apartments mitbenutzt werden können. In einer frühen Phase hatte UN Studio Konzepte für weitreichende Umgestaltungen erarbeitet: Mal hatten die Niederländer Aufbauten auf dem Dach vorgeschlagen, dann skulpturale Anbauten für Restaurant und Konferenzbereiche skizziert. Das trotz Erlöse aus den Apartments begrenzte Budget vereitelte schließlich manchen Höhenflug; mit dem Restaurant blieb alles beim Alten, und wo ursprünglich die Anbauten dem Haupthaus entwachsen sollten, entstand eine bewusst ephemer wirkende Sonnenterrasse von Tadashi Kawamata.
Somit beschränkten sich die Eingriffe von UN Studio vornehmlich auf zwei Bereiche: die Zimmer und ein Hamam. 66 Zimmer bietet das Hotel Castell an – die Hälfte davon wurde vom Büro aus Amsterdam gestaltet. Kräftige sechziger Jahre Farben prägen Möbel und Einbauten, die für UN Studio vergleichsweise zurückhaltend wirken; keine selbstverliebten Formballungen, sondern schlichte, funktionale und überzeugend moderne Interieurs sind entstanden. Gegenüber dem urbanen Charakter dieser Zimmer suchen die übrigen, die von dem in St. Moritz ansässigen Architekten Hans-Jörg Ruch entworfen wurden, mit ihren puristischen Ausstattung aus Arvenholz eher den regionalen Bezug.
Das Hamam im Untergeschoss, erstes türkisches Dampfbad in den Bergen, ist schließlich eine weitere Attraktion, mit dem das Castell Gäste anlocken möchte. Der 250 Quadratmeter große Raum wird durch leuchtende Glaszylinder in verschiedenen Farben gegliedert; die von der klassischen durchbrochenen Kuppel bestimmte, höhlenartige Atmosphäre des Hamam wird von UN Studio, den räumlichen Gegebenheiten entsprechend, suggestiv neu interpretiert. Mit Hamam, Kunst und Architektur hält das Castell ein vielfältiges Angebot bereit, das verschiedene Zielgruppen anspricht. Trotz allem ist der historische Charakter des Gebäudes erhalten geblieben, ob in den Fluren oder im Restaurant. Alles wirkt selbstverständlich, und auch der hochkarätigen Kunst, die in den Fluren, Zimmern und Treppenhäusern verstreut ist, begegnet man eher beiläufig. Damit sticht das Castell wohltuend ab von den üblichen Art- oder Designhotels, bei denen die Inszenierung verkrampft und überpointiert wirkt. Man sieht, es geht eben auch anders. Was wohl damit zu tun hat, das die neuen Besitzer Kunst lieben – und nicht vorrangig als Marketingstrategie verstehen. H.A.

  • Bauherr: Castell Zuos (CH), Ruedi Bechtler
    Architekt: UN Studio, Amsterdam; Ben van Berkel, Caroline Bos
    Projektleiter: Olaf Gipser, Rainer Zimmermann
    Mitarbeiter: Giachen Montalta u. a.
    Innenarchitektur (Zimmer): UN Studio, Amsterdam; Hans-Jörg Ruch, St. Moritz (CH)
    Tragwerksplanung: Bulach, Kaelin, Kuster, Toscano Bauzeit: 2000 – 2004
    Bruttogeschossfläche (insgesamt): 5 500 m²
    Bruttorauminhalt (insgesamt): 24 240 m³
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