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Urban statt autark

Solar Decathlon Europe 2014
Urban statt autark

2002 suchte das US-Energieministerium erstmals mit dem Studentenwettbewerb »Solar Decathlon« (SD) energieautarke Häuser. Seither findet der SD alle zwei Jahre statt, dazu kommen Ableger des Wettbewerbs in Europa (SDE), Lateinamerika und China. Standen 2002 Häuser mit negativer Energiebilanz und riesigen Photovoltaik-Modulen auf dem Dach im Mittelpunkt, so zielte der europäische Wettbewerb 2014 auf Häuser für die nachhaltige und energieeffiziente Stadtverdichtung.

Text: Rosa Grewe, Fotos: Solar Decathlon Europe; Knauf

Spätestens seit 2010 sind Plusenergiehäuser im Wettbewerb Standard, v. a. dank einer leistungskräftigen und teilweise gut in die Architektur integrierten Technik. Doch genau diese verspricht derzeit kaum neue, relevante Potenziale für den »Solar Decathlon«, sieht man von verbesserungswürdigen Energiespeichern ab, an denen letztlich auch das energieautarke Haus scheitert. Zugleich stellt sich die Frage nach dem Sinn der Autarkie angesichts der global zunehmenden Verstädterung.
So veränderte Frankreich als Auslober des diesjährigen, dritten »Solar Decathlon Europe« die Zielsetzung und suchte nach Modellhäusern für die nachhaltige und energieeffiziente Stadtverdichtung. Die Vorauswahl der Projekte folgte neuen Kriterien: Verdichtung, Mobilität, Suffizienz, Innovation, Kosten und der regionale Bezug der Häuser. Auch wenn der Wettbewerb selbst in den zehn üblichen Kategorien stattfand, waren die neuen Kriterien richtungsweisend und bereichernd. Sie brachten sehr unterschiedliche Häuser hervor, die sich in drei Entwurfsideen gruppieren lassen: neue Wohntypologien durch Neubauten, Umbau oder Erweiterung von Altbauten und Wohnmodelle für Katastrophengebiete.
Da die drei besten der 20 Wettbewerbsteams in der Punktebewertung so knapp aufeinanderfolgen, müsste man eigentlich von drei Erstplatzierten reden: Rom mit 840,83 von 1 000 Punkten, Nantes mit 839,75 und Delft mit 837,87 Punkten. Den großen Abräumer gab es nicht. Die Top Ten der Gesamtwertung lagen in den Einzeldisziplinen abwechselnd vorne – auch das Mittelfeld zeigte oft nur kleine Punktdifferenzen.
Oben mittendrin: die deutschen Beiträge
Die deutschen Teams aus Berlin und Frankfurt landeten mit zwei sehr ähnlichen Entwurfsideen im oberen Mittelfeld. Sie planten jeweils Dachaufbauten in Holzbauweise, die aber sehr unterschiedlich anmuteten. Eher technisch und leicht präsentieren die Studenten der TU Berlin und der UdK Berlin ihren Beitrag »RoofTop« [1]. Das Haus glänzt v. a. durch seine 49 m² große Photovoltaik-Fassade aus CIGS-Dünnschichtzellen sowie mit einer schwarzen, rahmenlosen und sehr ästhetischen Dachhaut. Der damit erwartete Ertrag lag bei 4 600 kWh/a (Stromverbrauch 3 480 kWh/a), ähnlich also wie bei Projekten mit monokristallinen Siliziumzellen. Außerdem integrieren die Berliner verschiedene Stromspeicher (zwei Batterien und Elektrofahr-zeuge) und einen 3 m² großen Röhrenkollektor. Die Fassade lässt sich nach Bedarf stufenlos aufklappen und bildet entweder eine geschlossene Hülle oder aber große Sonnenschutzdächer. Das Dachmodul ist mit dem Altbau technisch vernetzt, bildet aber räumlich eine eigene Einheit mit einem mittigen Kern und offenen Räumen sowie großen Dachterrassen. Eine Innovation stellt die Filterung von Brauchwasser mithilfe großer Schilf-Wasserbecken dar. Durch diese Becken laufen auch Leitungen mit Kühlmittel, die zu den mit Phasenwechselmaterialien (PCM) ausgestatteten Deckenmodulen führen und so eine energiesparende Raumtemperierung erlauben.
Alles in allem erreichte das Projekt eine konstant gute Platzierung für seine Architektur (Platz drei), für die Funktionalität des Hauses (Platz vier) sowie für die Konstruktion, den Städtebau und die Innovation (jeweils Platz fünf). So landeten die Berliner auf einem guten vierten Platz in der Gesamtwertung.
Markanter war die Architektur der FH Frankfurt: Der Dachaufbau »OnTop« [2] aus Holz ragte über den Bestand, mit mehrfach geneigten Hüllflächen, einem Panoramafenster zur Stadt und einer Verkleidung aus Faserzementplatten. Sie erreichten Platz acht für die Architektur und Platz zehn für den Städtebau. Was die Gesamtenergieeffizienz betrifft, punkteten beide deutschen Projekte genau gleich und landeten auf Platz fünf. Die gute Energiebilanz war aber die Stärke der Frankfurter. ›
› Sie setzten auf einen Passivhausstandard mit 24,57 m² monokristallinen Siliziumzellen, einem Batteriespeicher (5,5 kWh) und einem etwa 4 m² großen Röhrenkollektor.
Wettbewerbsentscheidend war übrigens weder die Höhe des Stromgewinns noch die Leistung der Solarzellen. Hier lagen die Projekte zumindest in der Vorausberechnung bis auf ein paar Ausnahmen auf ähnlichem Niveau. Weit wichtiger war die zeitliche Abstimmung von Stromverbrauch zu Stromertrag, die Justierung der Netzlast und die Strombilanz in der Praxis. Das beherrschten die Frankfurter sehr gut und holten so bei den Kriterien Strombilanz und Wohnkomfort Platz vier.
Neue Wohntypologien
Mit dem Siegerentwurf »RhOME for denCity« des Teams der Universität Rom [3] gewinnt ein Projekt, dessen Innovation eher in der Wohntypologie als in der Energietechnik steckt.
Die Studenten suchten eine Lösung für die Zersiedelung der römischen Peripherie mit illegal und planlos gebauten Häusern. Viele Bewohner dort leben in instabilen Verhältnissen, weil sich ihre Wohnviertel entsprechend schnell und ungerichtet verändern. Die Studenten planten ein Mehrfamilienhaus, das den Lebenssituationen mit einem flexiblen Grundriss gerecht wird. An einem Kern mit Küche und Bad gruppieren sich wahlweise offene oder geschlossene Räume und drei Loggien, die bei Bedarf die Räume erweitern.
Das römische Team belegte gleich mehrere vordere Plätze in den Einzelkategorien: Platz eins für die Funktionalität des Hauses, Platz zwei für die Architektur und den Wohnkomfort, Platz drei für die Innovation. Architektonisch überzeugte der Holzbau mit betont einfacher Kubatur, großen Fassadenausschnitten und einem technikreduzierten Design. Sie setzten auf passive Energiesparmaßnahmen wie Verschattung, Querlüftung und auf 1,8 m² große Flachkollektoren. Auch die Holzrahmenkonstruktion mit einer 24 cm dicken Holzwolledämmung ist eher bewährt als innovativ. Funktional und ästhetisch sehr gut gelang die architektonische Integration der Photovoltaik in Form eines verschiebbaren Sonnenschutzes, bespannt mit 75 flexiblen Photovoltaik-Modulen.
Insgesamt boten die beim »Solar Decathlon 2014« vorne platzierten Beiträge nur durchschnittliche Strombilanzen, so auch Rom. Das Team setzte auf monokristalline, sehr leistungsstarke Siliziumzellen mit einem Wirkungsgrad von über 22,5 % und einem berechneten Jahresstromgewinn von 4 547 kWh/a. Das Timing von Verbrauch zu Ertrag fiel den Römern schwer, zumal sie keinen Stromspeicher besaßen. Für die Strombilanz gab es so nur Platz 13, bei der Gesamtenergiebilanz, also mit Wärme- und Kühlenergie, Platz fünf. Die nur durchschnittliche Energiebilanz verhinderte aber keinen Platz auf dem Siegertreppchen.
Nantes: Den Bestand puffern
Die Nächstplatzierten, Team Nantes und Team Delft, belegten mit ähnlichen Energiekonzepten bei sehr unterschiedlichen Bautypologien Bestnoten in Sachen Energiebilanz.
Die Studenten aus Nantes [4] planten unter dem Titel »Philéas« exemplarisch für viele alte Fabrik-areale den Umbau eines Industriegebäudes zu einem mischgenutzten Ort für Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Sie entkernten das Gebäude bis auf die Tragstruktur und schnitten tiefe Spalten in das Volumen, um Tageslicht in die Gebäudetiefe zu leiten. Dann stellten sie mit Glaswolle isolierte Holzboxen als Wohn- oder Büroeinheiten auf die Geschossflächen. Dazwischen schufen sie halböffentliche Garten- und Infrastrukturflächen im Gebäude, überdacht mit Glas. So entstanden zwei Atrien und ein großes Gewächshaus auf dem Dach, die als thermische Pufferzonen den Energieverbrauch des Hauses reduzieren. Zusammen mit einer Rückgewinnung von Wärme aus Brauchwasser, eines 2,3 m² großen solarthermischen Flachkollektors und einer Bauweise auf Passivhausniveau schafft es das Gebäude, die maximal mögliche Punktzahl und damit Platz eins für seine Energieeffizienz zu holen. Die Bauweise optimiert auch die Strombilanz, v. a. dank des niedrigen Stromverbrauchs (Platz zwei beim Stromverbrauch mit errechneten 2 946 kWh/a). Doch es hapert auch hier an der zeitlichen Abstimmung von Verbrauch zu Ertrag, trotz fast 24 m² monokristalliner Siliziumzellen und eines 5,76 kWh starken Batteriespeichers. So gibt es für die Strombilanz lediglich Platz sechs. Funktionalität und Nachhaltigkeit wurden jeweils mit Platz drei belohnt. Insgesamt also eine gute Bilanz für den Zweitplatzierten, auch hier v. a. dank einer energiesparenden Bauweise.
Delft: Reihenhaus rewrapped
Die Studenten der TU Delft [5] suchten mit »Prêt-à-Loger« eine Umbaulösung für das in den Niederlanden typische Reihenhaus, Mitte des 20. Jahrhunderts gebaut und inzwischen energetisch wie auch hinsichtlich des Komforts in die Jahre gekommen. Der Umbau sollte aber die Identität der Häuser und Stadtviertel erhalten, die Maßnahmen am Altbau sind entsprechend zurückhaltend: eine auf Teilflächen der Fassade angebrachte Polystyroldämmung, eine Dachinnenraumdämmung mit Zellulosewatte. Die eigentliche Modernisierung findet vor dem Haus statt: Die Studenten überzogen den Altbau mit einer Glashaut, die sich nach Bedarf und entsprechend den Jahreszeiten öffnen oder schließen lässt. Sie schufen, wie das Team Nantes, einen thermischen, akustischen und sozialen Puffer, eine temporäre Flächenerweiterung ›
› und eine Tragkonstruktion für die Energietechnik. Auf der nach Süden geneigten Dachfläche liegen 43,61 m² monokristalline Siliziumzellen und 5,4 m² große Flachkollektoren für die Solarthermie, die nördliche Dachseite ist begrünt. Für die Energieeffizienz gab es Platz zwei, Platz eins sogar für die Nachhaltigkeit und die sozialen Aspekte der Idee. Und wenn auch weder die Architektur, die Konstruktion, die Innovation oder die Strombilanz punkteten, so erreichte das Team Delft dennoch Platz drei in der Gesamtwertung. Die Zeit des solartechnischen Wettrüstens beim SD scheint passé.
Vielfalt mit sozialem Hintergrund
Die Häuser standen im regionalen Kontext zu ihren Herkunftsländern und waren meist mit Bestandsbauten verknüpft. Daher ist ein objektiver Vergleich kaum möglich. Der rote Faden einer nachhaltigen und sozial relevanten Entwurfsidee war letztlich entscheidender als die Technikinnovation und eine mögliche Energieautarkie. So war der Wettbewerb eigentlich kein Solar Decathlon mehr. Und trotzdem – oder gerade deshalb – hat er sich gelohnt. •
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