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Die IBA im Zeichen des Energiewandels

Der Klimawandel als Thema der IBA Hamburg 2013
Die IBA im Zeichen des Energiewandels

2007 startete offiziell die Internationale Bauausstellung (IBA) im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, die 2013 ihren Abschluss findet. Eines der großen Leitthemen ist die Stadt im Klimawandel. Demgemäß wurden bereits einige Projekte realisiert, die sich entweder mit städtisch wie ökologisch sinnvoller und effizienter Energieerzeugung befassen, die als Bestandsbauten energetisch optimiert wurden oder als Neubauten im Sinne der CO2-Reduktion Vorbildcharakter haben. Andere vielversprechende Gebäude mit innovativen Ansätzen stehen noch vor ihrer Fertigstellung. Ein Ein- und Überblick.

Text: Claas Gefroi, Bilder: Martin Kunze u. a.

Hamburg sieht sich als ein bundesdeutscher Vorreiter beim Klimaschutz. Zahlreiche Maßnahmen wie die Verabschiedung eines Klimaschutzkonzepts (2007) und einer strengen, über die ENEV hinausgehenden Klimaschutzverordnung (2008), die Gründung des städtischen Energieversorgers Hamburg Energie (2009) oder die Ernennung zur Europäischen Umwelthauptstadt (2011) rechtfertigen durchaus diese Selbsteinschätzung. So ist es nur folgerichtig, dass Energieeinsparung und Klimaschutz auch bei der Internationalen Bauausstellung IBA 2013, die im Stadtteil Wilhelmsburg stattfindet, eine herausragende Rolle spielen: Die »Stadt im Klimawandel« ist eines der drei großen Leitthemen. Die Ziele lauten: Verminderung von Treibhausgasen, Nutzung erneuerbarer Energien, energieeffiziente Versorgungslösungen und Energieeinsparung. Oberstes Ziel ist es, den Stadtteil energetisch unabhängig zu machen und zugleich auf erneuerbare Energien umzustellen. Alle Neubauten sollen in der CO2-Bilanz, gemessen an ihrem CO2-Ausstoß im Betrieb, nicht zu einer Erhöhung des Treibhausgas-Ausstoßes führen. Im Rahmen einer Gesamtenergiebilanz sollen zudem nicht vermeidbare Emissionen durch den Ausbau erneuerbarer Energieprojekte zumindest ausgeglichen, möglichst aber überkompensiert werden. Die Maßnahmen lassen sich räumlich einteilen: Im stärker verdichteten westlichen Wilhelmsburg wird die Entwicklung CO2-effizienter, regenerativer und durch industrielle Abwärme gespeiste Wärmenetze vorangetrieben, im Ostteil wird die Emissionsreduktion eher durch Gebäudesanierungen erreicht.
Energieverbund Wilhelmsburg Mitte: ein lokales Smart Grid
Eine der unauffälligsten, aber effektivsten Maßnahmen ist die intelligente Vernetzung von Gebäuden im Energieverbund Wilhelmsburg Mitte, die im Frühherbst starten soll. Der Zusammenschluss vieler Wärmebezieher mit unterschiedlichen Spitzenlastzeiten und Energiebedarfen (Wohn- und Bürogebäude, Schwimm- und Sporthallen, Hotels) führt zu größerer Versorgungssicherheit und einer besseren CO2-Bilanz. Das nicht zuletzt, weil die Anlagenleistung verringert und der Anteil von Solarthermie und Wärme aus Kraft-Wärme-Kopplung erhöht werden kann – ein klarer Vorteil gegenüber einer konventionellen Einzelversorgung der Gebäude. Die Wärme wird dezentral und diversifiziert in Biomethan-Blockheizkraftwerken sowie solarthermischen Kleinanlagen (u. a. auf Hausdächern) erzeugt; jeder Grundstückseigentümer hat die Möglichkeit, über das Fernwärmenetz Wärmenergie einzuspeisen. Der Projektträger, die stadteigene Hamburg Energie, steuert das Netz über eine Energiezentrale, die sich unterirdisch nahe des Neubaus für die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt befinden wird. Dort entsteht auch ein Blockheizkraftwerk als Back-up, falls die Leistung der lokalen Einspeiser einmal nicht ausreicht.
Energieberg Georgswerder: Von der Wegwerf- zur Recyclinggesellschaft
Der 40 m hohe Müllberg Georgswerder, bei dem Kriegstrümmer, Haus- und Industrieabfälle und sogar Rückstände aus der Pflanzenschutzmittelproduktion abgeladen wurden, steht für den jahrzehntelangen sorglosen Umgang mit Abfällen. Als man in den 80er Jahren Dioxin fand, dichtete man ihn ab, installierte Auffanganlagen und ließ im Wortsinn Gras über die Sache wachsen. Vier große Windräder kündeten zudem von einer sauberen, grünen Zukunft. Im Rahmen der IBA wurde die Energienutzung des Bergs nun verstärkt: Auf der Bergkuppe ging Ende 2011 eine neue Windkraftanlage mit ca. 3 MW Leistung in Betrieb, am Südhang entstand eine 16 000 m2 große PV-Anlage. So werden über 4 000 Haushalte mit Strom versorgt. Selbst das Sickerwasser wird über eine Wärmepumpe als Wärmelieferant genutzt. Ein bereits fertiggestelltes Ausstellungszentrum, eine Illumination durch einen lang gestreckten Leuchtring sowie ein Rundweg (Konermann Siegmund Architekten und Häfner/Jiménez Landschaftsarchitekten) sollen den Berg zum Ausflugsziel und seinen Wandel von der Altlast zum Energieträger sichtbar machen.
Energiebunker: Mahnmal und Ökokraftwerk
Ein weiteres weithin sichtbares Zeichen des Wandels wird die Umnutzung eines riesigen Flakbunkers aus dem Zweiten Weltkrieg, der, im Innern durch Sprengungen verwüstet, bis heute Wilhelmsburg dominiert. Er wird saniert und als Mahnmal gesichert (Architekten Hegger Hegger Schleiff). Eine Ausstellung in den Flaktürmen soll die Geschichte des Bunkers und der damaligen Anwohner dokumentieren und ein Café in 30 m Höhe einen weiten Blick über Hamburg bieten. Doch v. a. wird der Bunker zum Energieträger: Auf der Südfassade entsteht eine Solarthermie- und auf dem Dach eine PV-Anlage. Im Innern wird ab Ende des Jahres eine Kombination aus Holzhackschnitzelkessel, Biomethan-Blockheizkraftwerk und Abwärme eines Industriebetriebs die Wärme- und Stromerzeugung ergänzen. Herz der Anlage ist ein Großpufferspeicher mit 2 000 m3 Fassungsvermögen. Die verschiedenen Energieerzeuger des Bunkers werden stufenweise ab Oktober in Betrieb gehen, bis die Anlage 2013 ihre volle Kapazität von 22 500 MWh Wärme und fast 3 000 MWh Strom erreicht, was dem Wärmebedarf von rund 3 000 Haushalten und dem Stromverbrauch von etwa 1 000 Haushalten entspricht. So wird eine CO2-Einsparung von 95 % oder 6 600 t CO2 im Jahr erreicht.
Wärme aus Wilhelmsburgs Untergrund
Ein unscheinbares, weil den Blicken der Öffentlichkeit entzogenes Projekt zur Energieerzeugung bildet das Tiefengeothermie-Programm der IBA. Der Wunsch der Planer ist es, mehrere tausend Wohnungen und Gebäude mit Strom und Wärme aus der Erde zu versorgen. 130 °C heißes Wasser ›
› soll dazu aus dem Rhät, einer ca. 3 500 m tiefen Gesteinsschicht, gefördert werden. Wärmetauscher entziehen dem Wasser die Wärmeenergie, die als Fernwärme genutzt oder mittels Turbine und Generator Strom aus Wasserdampf erzeugt. Das abgekühlte Wasser soll anschließend wieder in den Untergrund geleitet werden. Schalluntersuchungen der Erdschichten zeitigten Ende 2010 positive Ergebnisse: Es gibt eine zur Förderung und Wärmegewinnung ausreichende Menge Tiefenwasser. Nach positiv verlaufenen Untersuchungen des Projektträgers Hamburg Energie zur Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit des Vorhabens laufen nun Gespräche mit Gebäudeeigentümern zur Abnahme der Energie. Noch vor dem Sommer soll eine abschließende Entscheidung zur Förderung fallen; mit der ersten Bohrung für das dann größte Geothermieprojekt Norddeutschlands könnte 2013 begonnen werden.
Energieeinsparungen im Bestand
Große Effekte bei Energieeinsparungen und Treibhausgasreduktion erhofft sich die IBA durch die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden und durch optimierte Neubauten. Ein Modellprojekt für die Vereinbarkeit von »optimalem Energiedesign und höchster Wohnqualität« in alten Einfamilienhäusern ist das »Velux Model Home 2020 LichtAktiv Haus«: Dafür wurde eine aus den 50er Jahren stammende Doppelhaushälfte auf der Basis eines Studentenentwurfs an der TU Darmstadt von Architekt Manfred Hegger und Lichtplaner Peter Andres komplett umgebaut, der Energiebedarf drastisch gesenkt und mit erneuerbaren Energien (Solarthermie und Photovoltaik) gedeckt. Die Wohnqualität hat sich durch Grundrissoptimierung, Fensteröffnungen und einen Anbau erhöht, wobei die Bescheidenheit des Ursprungsbaus leider verloren ging. Das Leben einer Testfamilie im Haus wird durch ein Monitoring begleitet, um Erkenntnisse über den Praxisbetrieb zu sammeln.
Neben diesem Modellprojekt finden zahlreiche Sanierungen im Bestand statt, von denen beispielhaft die Sanierung denkmalgeschützter Klinkerwohnbauten in der Wilhelmsburger Straße in Abstimmung mit dem Denkmalschutz genannt sei. Als Anreiz für die Hauseigentümer hat die IBA die Kampagne »Prima-Klima-Anlage« gestartet, die Wilhelmsburger Hauseigentümern kostengünstig Rat und Hilfe, aber auch Zuschüsse von bis zu 10 000 Euro pro Wohneinheit bei der Sanierung bietet.
Energetisch vorbildliche Neubauten
Das IBA Dock, die schwimmende IBA-Zentrale im Müggenburger Zollhafen, war das erste Gebäude der IBA und ist zugleich ein Modellprojekt (Entwurf Han Slawik, Hannover): Dank 25 cm Wärmedämmung, Solarthermie, Photovoltaik, Wärmerückgewinnung und einem Wärmetauscher, der dem Hafenwasser Wärme entzieht, kann sich das Gebäude fast vollständig über die Energie des Flusses und der Sonne versorgen. Ein Wermutstropfen: Die technische Innovation findet keine ausreichende Entsprechung in der Gestaltung des Gebäudes.
Nicht weit davon entfernt entstand das Projekt »Open House« – eine baugemeinschaftliche und genossenschaftliche Wohnanlage mit 44 Wohnungen nach Plänen des Groninger Architekturbüros Onix (mit Kunst und Herbert, Hamburg). Das Gebäude wurde als »Passivhaus Plus« entwickelt, produziert also unter günstigen Bedingungen mehr Energie als es verbraucht. Möglich wurde das durch zwei Mikroblockheizkraftwerke, von denen eines, unterstützt durch einen Spitzenlastkessel (Gas-Brennwerttherme), eine Biogas-Anlage heizt. Die Wärme für Zimmer und Warmwasser kann so zu 40 % durch Biogas erzeugt werden, eine PV-Anlage auf dem Dach produziert zusätzlich Strom. Die eingeschränkten Möglichkeiten zur Gestaltung von Passivhäusern zeigen sich auch hier: kompakte Bauweise, Lochfenster und undifferenzierte Fassadenflächen, die hier allerdings durch einen stetigen Wechsel der Fensterformate belebt wurden. Experimentierfreudiger zeigen sich in den Zeichnungen die »Klimahäuser Haulander Weg« der Architekten Spengler Wiescholek (Hamburg), eines der ambitioniertesten und größten Bauvorhaben der IBA. Die Gebäude inmitten der Wettern (Entwässerungsgräben des Marschlandes) werden einmal einen bunten Mix aus Wohnungen unterschiedlicher Typen und gewerblicher Nutzungen bieten. Die Punkthäuser sind für eine CO2-neutrale Energieversorgung sowie eine intelligente und sparsame Nutzung der Ressource Wasser konzipiert. Die Projektentwicklung verzögert sich jedoch, weil eine Wohnbebauung erst nach der Verlegung der Stadtautobahn Wilhelmsburger Reichsstraße möglich ist.
Keine Zukunftsmusik sind die »Smart Material Houses«, bei denen »intelligente Baustoffe der Zukunft« erprobt werden sollen. Von den acht Architektenentwürfen werden zunächst nur drei realisiert. Smart Materials sind Baumaterialien, die sich nicht statisch, sondern dynamisch verhalten. Entsprechend sollen neue Haustypologien entstehen, bei denen anpassungsfähige Baukonstruktionen sowie intelligente Technologien und Baustoffe kombiniert werden. Für eines der drei Häuser, das »BIQ« der Architekten splitterwerk, wurde vor Kurzem die Fassadenkonstruktion vorgestellt, bei der absolutes Neuland betreten wurde: Hier soll die weltweit erste Bioreaktorfassade der Welt entstehen. In plattenförmigen Glaselementen vermehren sich Mikroalgen, die durch Photosynthese und Solarthermie Biomasse und Wärme produzieren. Die Wärme steht dem Haus als Heizenergie durch Wärmetauscher zur Verfügung, die Biomasse wird zu Biogas konvertiert.
Ein »Zwischen«-fazit
Für eine abschließende Beurteilung der IBA-Aktivitäten im Bereich »Stadt im Klimawandel« ist es noch zu früh, doch ist erkennbar, dass die IBA in Wilhelmsburg tatsächlich einen grundlegenden Wandel hin zu erneuerbaren Energien und Energieeinsparungen eingeleitet hat, der Modellcharakter und Nachahmungspotenzial besitzt. Die Breite der Ideen und Maßnahmen beeindruckt. Als Handicap könnte sich erweisen, dass die effektivsten Maßnahmen wie z. B. der Aufbau eines Energieverbunds oder die sensible Sanierung des Gebäudebestands in den Medien keine großen Schlagzeilen erzeugt. Deshalb ist eine Verdichtung in Symbolbauten wie dem Energiebunker oder dem BIQ-Algenhaus zur Erzeugung der heute so wichtigen Pressebilder von enormer Bedeutung. Ob die IBA auf diesem Gebiet mit Vorgängerveranstaltungen mithalten kann, wird sich zeigen. Wer aber nicht nur an Symbolprojekten Interesse hat, sondern erfahren will, wie Städte zukünftig Wachstum und Klimaschutz miteinander vereinen können, der sollte 2013 Hamburg-Wilhelmsburg besuchen. •
Weitere Informationen: www.iba-hamburg.de

Energie (S. 62)
Claas Gefroi
1968 in Berlin geboren. Architekturstudium in Hamburg. Freier Autor, Kritiker und Kurator. Referent für Pressearbeit der Hamburgischen Architektenkammer.
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