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Das Laubholz-Experiment

HOUSE OF NATURAL RESOURCES DER ETH ZÜRICH
Das Laubholz-Experiment

Mit dem kürzlich bezogenen »House of Natural Resources« (HoNR) testet die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich nachhaltige Konstruktions- und Betriebssysteme im Maßstab 1:1. Darunter eine neue, adaptive Fassaden-Photovoltaik. Das Habitat dient als Prüfmodell für Innovationen verschiedener Lehrstühle der ETH.

Text: Manuel Pestalozzi; Fotos: ETH Zürich, Mario Carocari

Seit den 60er Jahren hat die ETH ihren Campus auf dem Hönggerberg, auf einem Hügelrücken etwas außerhalb der Stadt Zürich. Momentan wird die sogenannte Science City energisch ausgebaut. Das im Juni 2015 eingeweihte, schlichte HoNR befindet sich mit seinen vier Geschossen direkt neben den Institutsbauten HIF und HIA und bietet 28 Büros mit 53 Arbeitsplätzen für die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW). Das HoNR ist aber auch ein Labor, in dem verschiedene Forschungsprojekte der ETH auf ihre Tauglichkeit untersucht werden.
Das Potenzial von Laubholz
V. a. für den Holzbau signalisiert das neue Gebäude einen Aufbruch. Bei den oberen beiden Geschossen kam ein experimentelles Tragsystem zur Anwendung. Entwickelt und hergestellt wurde es nur wenige Schritte entfernt, im hauseigenen Institut für Baustatik und Konstruktion. Die herausragende Besonderheit des Systems aus Stützen und Unterzügen, die sich auf dem Bauplatz schnell »wie Legosteine« zusammensetzen lassen, ist die Verwendung von Laubholz. Dies ist eine Weltneuheit, mit der man auf die klimabedingte Verdrängung des Nadelholzbestands in unseren Breiten reagiert. Die Stützen bestehen aus Eschen-Brettschichtholz, die vier untersten Schichten der ebenfalls aus Brettschichtholz bestehenden Unterzüge stammen auch von diesem Laubbaum. Zur »Grammatik« des Bausystems gehört außerdem die zentrisch geführte Vorspannung der Unterzüge über Stahlkabel. Das System, das sich optimal die hohe Druckfestigkeit des Laubholzes zunutze macht und bis zu zehn ›
› Geschosse ermöglichen soll, ist experimentell und noch unerprobt. »Wir bauten auf eigene Verantwortung«, kommentiert Prof. Andrea Frangi vom Institut für Baustatik und Konstruktion die Pioniertat. Der Bauingenieur ist einer der geistigen Väter des HoNR. Man konnte sich nicht auf gängige Normen verlassen und muss nun laufend prüfen, wie sich das System verhält. Deshalb ist es mit zahlreichen Messpunkten versehen.
Eine weitere Weltneuheit, die im Experimentalbau erprobt wird, ist die Holz-Beton-Verbunddecke. Eine verlorene Schalung aus Buchenholz wird dabei mit Beton ausgegossen. Vertiefungen in dieser Schalung, die an eine Kassettendecke erinnern, stellen den Verbund her.
PV als dynamische Beschattung
Das HoNR dient auch anderen ETH-Lehrstühlen als Experimentierfeld. So installierte das Team des Lehrstuhls Architecture and Building Systems (ITA) von Prof. Dr. Arno Schlüter in einem Versuchsfeld der rundum verglasten Gebäudehülle eine adaptive Solarfassade; ein Feld rhombenförmiger, mit Dünnschicht-Photovoltaikzellen beschichteter »Blätter« reagiert als Kraftwerk und Sonnenschutz über Aktuatoren auf Sonnenstand, Witterung und Wünsche der Nutzer des betreffenden Raums.
Die adaptive Solarfassade hängt an einem Drahtgeflecht und wiegt sich im Wind. Sie gewinnt Strom, der hilft, den Energiebedarf für das Heizen und Kühlen des Gebäudes zu decken. Wichtiges Element des Systems sind die erwähnten Aktuatoren. Sie bestehen aus Kunststoff und sind für die Beweglichkeit der einzelnen Paneele verantwortlich. Durch das Zu- und Wegführen von Druckluft bildet sich zwischen der Befestigung an der Unterkonstruktion und jener am Paneel eine Blase. Diese übernimmt die Funktion eines Gelenks und lässt sich individuell steuern. Auf diese Weise ergeben sich für das Fassadenfeld beinahe unzählige Szenarien der Beschattung und der Durchlässigkeit – und für die Nutzung an Gebäuden.
Holz in Bewegung
Auf dem Dach wurden Solarmodule konventionellerer Art installiert. Doch auch mit ihnen wird eine neue Erfindung getestet. Unter der Leitung von Prof. Ingo Burgert vom Institut für Baustoffe (IfB) entstand ein System, mit dem sie dem Sonnenstand nachgeführt werden können. »Motoren« sind in diesem Fall spezielle zweiteilige Holzlamellen. Die Wissenschaftler nutzen dabei die Eigenschaft des Holzes, bei Änderung der relativen Luftfeuchte aufzuquellen oder zu schwinden. Sie klebten zwei Holzschichten mit unterschiedlicher Faserorientierung aufeinander. Verändert sich die Luftfeuchte, verbiegen sich die Schichten entsprechend, und es entsteht ein bewegliches Holzelement. Da die relative Luftfeuchte an sonnigen Tagen abnimmt und am späteren Nachmittag und nachts ansteigt, können die Holz-Doppelschichten als eine Art natürlicher Motor zur Solarmodulnachführung eingesetzt werden. Das IfB hat außerdem neuartige Oberflächenbeschichtungen für die Holzfassaden entwickelt, die verbesserten UV-Schutz bieten und wasserabweisende Eigenschaften aufweisen. Sie sollen am Gebäude auf ihre Witterungsbeständigkeit getestet werden.
Die neuen Erfindungen am HoNR werden auf Herz und Nieren überprüft. Auch ihre Alltagstauglichkeit steht unter enger Aufsicht. »Wir werden genau dokumentieren, wie die Nutzer mit dem Gebäude zufrieden sind«, erklärt Projektleiter Andrea Frangi. Er erhofft sich von den Erkenntnissen des Projekts v. a. Impulse für die Holzverarbeitungsindustrie. •
  • Standort: Campus ETH Zürich, Gustave Naville Weg 9, CH-8049 Zürich Bauherr: ETH Zürich, Infrastrukturbereich Immobilien Architektur: mml architekten, Zürich Fachplaner Holzbau: Häring Projekt, Eiken Fassadenplanung: Neuschwander + Morf, Basel Energie und Automation: Jobst Willers Engineering, Rheinfelden Gebäudevolumen: 4 350 m3 Energiestandard: Gebäudestandard 2008 und Minergie-ECO Planungs- und Baukosten: rund 7 Mio. CHF
  • Weitere Informationen: www.honr.ethz.ch

  • Energie (S. 66)
    Manuel Pestalozzi , s. db 3/2015, S. 103
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