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Zeitgemäss und doch zeitlos

Jugendbildungsstätte in Windberg (1991)
Zeitgemäss und doch zeitlos

Die db-Augustausgabe 1992 charakterisiert den Bau als nüchtern, beinahe spröde, merkt aber an, dass die »energiebewusste Gestaltung hier eine eigene Qualität gewonnen« hat, »die völlig selbstverständlich wirkt«. So sind Technik, Gebrauch und Schönheit auch die drei Schlüsselbegriffe, die Thomas Herzog seit jeher in seinen Bauten in gelungener Symbiose vereint. Und das immer unter dem Aspekt der Einfachheit, hier geschehen über die simple Ausrichtung und unterschiedliche »Ausrüstung« von Süd- und Nordfassade – die Verwendung einer transparenten Wärmedämmung zählte zur damaligen Zeit allerdings noch zum High-Tech.

    • Architekt: Thomas Herzog
      Tragwerksplaner: Natterer und Dittrich

  • Kritik: Roland Pawlitschko
    Fotos: Peter Bonfig, Klaus Kinold u.a.
Gebäude, die auf dem verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen und der Nutzung erneuerbarer Energien basieren, gibt es keineswegs erst seit den autofreien Sonntagen und der »Atomkraft? Nein Danke«-Bewegung. Die Grundprinzipien des solaren Bauens – etwa die konsequente Ausrichtung der Aufenthaltsräume nach Süden und der Nebenräume nach Norden, massive Speichermassen im Innern, intelligente Sonnenschutzvorrichtungen, Isolierfenster und gedämmte Außenwände – gehörten bei Architekten wie Richard Neutra bereits in den dreißiger Jahren zum Standardrepertoire. Von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen wurden »Ökohäuser« dennoch erst in den Achtzigern. Für die meisten Architekten waren die romantischen Zurück-zur-Natur-Visionen mit Wintergarten und Grasdach verständlicherweise nicht von Interesse. Ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Notwendigkeit nachhaltigen Handelns, wie es der »Club of Rome« bereits 1972 mit den »Grenzen des Wachstums« formulierte, gab es aber auch nicht.
Die »Entwicklung baulicher Systeme mit Einsatz erneuerbarer Energien« hatte sich der Münchner Architekt und langjährige Professor am Lehrstuhl für Gebäudetechnologie der TU München, Thomas Herzog, bereits bei der Bürogründung 1971 zum Ziel gemacht und bei einigen Wohnhäusern auch erfolgreich umgesetzt. Das zwischen 1987 und 1991 realisierte Gästehaus der Jugendbildungsstätte Windberg zählt dabei zu den Archetypen einer Architektur, die ökologisch-bauphysikalische Aspekte, ›
› experimentelle Technologien und soziale Verantwortung ganz selbstverständlich mit hohen ästhetischen Ansprüchen vereint. In Zusammenarbeit mit dem Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) diente das Projekt als Forschungsobjekt – insbesondere für die damals kaum erprobten transparenten Wärmedämmsysteme. Bemerkenswert ist nicht nur, dass das Gebäude in fast zwanzig Jahren nahezu unverändert geblieben ist, tadellos funktioniert und noch immer irgendwie zeitgemäß wirkt (verräterische Modefarben oder -materialien sucht man vergeblich), sondern dass es nach wie vor Vorbildcharakter hat, wenn es um nachhaltiges Bauen mit angemessenen Mitteln geht.
Klösterliches Idyll
Die 1975 gegründete Jugendbildungsstätte Windberg befindet sich im Kloster Windberg auf einem Hügel am Rand des Bayerischen Waldes. Als es für die ursprünglich dort situierten Gästezimmer Mitte der achtziger Jahre zu eng wurde, beschlossen die Mitbrüder der Prämonstratenser-Abtei die Errichtung eines Neubaus für rund hundert Gäste jenseits der östlichen Klostermauer. Als Sieger eines kleinen Architektenwettbewerbs plante Thomas Herzog schließlich mit seinem damaligen Mitarbeiter Peter Bonfig einen dreigeschossigen, in einen Südhang eingebetteten Baukörper, der mit seiner linearen Struktur den Wünschen der Auftraggeber nach einfachen funktionalen Zusammenhängen entsprach und zugleich die Grundvoraussetzung für das solare Energiekonzept bildete. Die 2-, 4- und 6-Bett-Zimmer sowie Aufenthaltsräume an den Stirnseiten blicken nach Süden auf eine wunderbare Wald- und Wiesenlandschaft, während die gemeinsam genutzten Nasszellen sowie Abstell- und Technikräume zur Gebäudenordseite, hin zu einem Platz zwischen Kloster und einem weiteren Nebengebäude zeigen.
Einfach und doch wirksam
Hinsichtlich der direkten Sonnenenergienutzung wurde der südliche Bauteil mit Kalksandsteinwänden und Betondecken in Massivbauweise ausgeführt. Dabei speichern die thermisch trägen Materialien die durch große Fenster einfallende Solarstrahlung und geben diese um einige Stunden zeitversetzt, also abends und in der Nacht, als Wärme wieder an die Räume ab. Wärmeverluste der Außenwände werden durch gemeinsam mit der Fraunhofer-Gesellschaft und einem Industriepartner entwickelte Glaspaneele mit transparenter Wärmedämmung (TWD) minimiert. Vor sommerlicher Überhitzung schützt ein großer Dachüberstand, die TWD-Paneele erhielten zusätzlich kleine, manuell steuerbare Jalousien. Vom Massivbau konstruktiv strikt getrennt, realisierten die Architekten den nördlichen Bauteil in Holzskelettbauweise. Wegen des insgesamt wesentlich niedrigeren Temperaturniveaus und der nur wenige Stunden am Tag bei höheren Temperaturen genutzten Nassbereiche waren hier nur geringe Speichermassen erforderlich – Bäder wurden daher mit einer schnell reagierenden Warmluftheizung und Wärmerückgewinnungsanlage ausgestattet. Der Warmwasserbedarf wird zum großen Teil über die auf dem Dach installierten Kollektoren gedeckt, der Rest über gasbetriebene Kessel.
Dass dieses Energiekonzept im harmonisierten Zusammenspiel aus Gebäudetechnik und Baukörperkonfiguration erstaunlicherweise tatsächlich in allen Details wie geplant funktioniert, wies das Fraunhofer-Institut mit den Ergebnissen einer 1993 veröffentlichten Langzeitstudie nach. Vom Heizenergieverbrauch des gesamten Gebäudes werden demnach 11,6 Prozent durch die Gewinne über die TWD gedeckt. Betrachtet man die Übernachtungsräume isoliert, sind es sogar 23,9 Prozent.
Von Anfang an gehörte es zum pädagogischen Konzept der Jugendbildungsstätte, das Energiekonzept des Gebäudes erlebbar zu machen. Und so befindet sich die Schautafel, die, neben erläuternden Plänen, mit rot leuchtenden Zahlen seit jeher die aktuellen Temperaturwerte innerhalb der südlichen TWD-Außenwand zeigt, noch heute im Eingangsbereich. Datenprotokolle von mehreren aufeinander folgenden Wintertagen machen überdies deutlich, dass die untertags aufgeheizte Außenwand um Mitternacht immer noch deutlich wärmer ist als der Innenraum – es also kaum Wärmeverluste nach außen gibt.
Viel wichtiger als der rechnerische Nachweis über ein bauphysikalisch funktionierendes Gebäude erscheinen allerdings die Aussagen der Nutzer. Pater Andreas beispielsweise, der einst als Bauherrenvertreter agierte und noch bis vor einigen Jahren im Kloster Windberg tätig war, kann nichts beanstanden und gibt an, dass er heute im Prinzip alles wieder genauso machen würde wie vor 18 Jahren. »Weder gab es seit Fertigstellung relevante bauliche Veränderungen, noch technische Nachrüstungen. Lediglich einige der eleganten Vakuumröhrenkollektoren mussten gegen inzwischen wesentlich effizientere Flachkollektoren ausgetauscht werden«. Dies ist umso bedauerlicher als die vom Vorplatz aus sichtbaren Geräte besonders bildhaft für Thomas Herzogs Symbiose von »Technik, Gebrauch und Schönheit« stehen. Im Gegensatz hierzu erscheinen die kahlen Rückseiten der neuen Flachkollektoren eher als störende haustechnische Notwendigkeit. Ansonsten blieben die ebenfalls vom Büro Herzog geplanten Möbel bis heute ebenso unangetastet wie die Fassaden. Allein die Nordfassade aus vorgefertigten Lärchenholz-Elementen erhielt vor einigen Jahren einen braunen Anstrich, weil sie allzu unregelmäßig vergraut war. ›
Harmonisieren der Funktionen
Dass die Genügsamkeit der Mitbrüder etwas damit zu tun haben könnte, dass das Gästehaus trotz intensivem Dauerbetrieb bis heute nicht nennenswert verändert wurde, weist Pater Andreas zurück. Stattdessen spricht er vom außergewöhnlichen Engagement der Architekten, »das auch alle anderen Beteiligten angespornt und motiviert hat«. Grundlage hierfür bildet Herzogs Zielvorstellung, »alle Funktionen zu harmonisieren, so dass das Bauwerk als in sich stimmiger Gesamtorganismus entwickelt und verstanden werden kann«. Dazu gehört auch die für das Büro bis heute typische Entwurfssystematik einer stets nachvollziehbaren Logik und Klarheit: Gewissermaßen nach dem Baukastenprinzip werden einzelne Teile unter Berücksichtigung relevanter Kriterien entwickelt und zu einem Ganzen gefügt. Auf die gleiche Weise könnten die Gebäude später dann relativ einfach auch wieder zerlegt werden, etwa um defekte Einzelteile auszutauschen. Diesem Prinzip gehorchen in Windberg nicht nur die aus modularen Fertigteilen aufgebauten Fassaden, sondern auch die Gebäudetechnik, die in der Regel sichtbar (und frei zugänglich) in die Gebäudestruktur integriert wurde – beispielsweise unter dem Pultdach des nördlichen Gebäudetraktes, wo sich die Leitungskreisläufe der Kollektoren, Wassertanks, Wärmetauscher und Lüftungsleitungen der Nassbereiche befinden.
Um die persönlichen Entwurfsfreiheiten zu vergrößern, wird Energieeffizienz bei vielen »grünen« Architekturbeispielen unserer Tage weniger über vermeintlich einschränkende logische Gebäudekonzeptionen als vielmehr über Technik- und Materialinnovationen und den Glauben an digitale Regelsysteme erzielt. Demgegenüber wirkt das Windberger Gästehaus mit seinem in fast allen Einzelaspekten konzeptionell wie gestalterisch plausiblen Gebäudekonzept geradezu »analog« – trotz aller technischer Finessen. Gerade deshalb ist aber zu erwarten, dass sich das Gebäude auch in den nächsten zwanzig Jahren kaum verändern wird. Welche Halbwertszeit hingegen die heute mit allerlei Öko-Gütesiegeln versehenen Bauten dereinst haben werden, bleibt abzuwarten.


  • Bauherr: Kloster Windberg
    Architekt: Thomas Herzog, München Mitarbeiter: Peter Bonfig
    Bauleitung: Walter Götz, Regensburg
    Tragwerksplanung: Natterer und Dittrich, München
    Landschaftsplanung: Anneliese Latz, Kranzberg
    Energiesimulation: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme der Fraunhofer-Gesellschaft, Freiburg
    Haustechnik: Ingenieurbüro Bauer, Unterschleißheim
    Bruttogrundfläche: 1720 m² Bruttorauminhalt: 6009 m³
    Baukosten: 4,5 Mio. DM Bauzeit: 1987 bis 1991
  • Beteiligte Firmen: TWD-Elemente Fassade: Okalux, Marktheidenfeld, www.okalux.de
    Massivbau: Feldmeier, Schwarzach, www.okalux.de
    Holzbau: Holzbau Münchsmühle, Laaber, www.okalux.de
    Wärmerückgewinnung: Genvex, Moreton (GB), www.okalux.de
    HLS: Karl Lausser, Pilgramsberg, www.okalux.de
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