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Wohn- und Geschäftsgebäude »Elbdeck« in Hamburg

Wohn- und Geschäftsgebäude »Elbdeck« in Hamburg
Wohnen an der Elbe Auen

Die Tiefgarage des nah am Fluss gelegenen »Elbdecks« bildet einen Flutschutzpolder, die Außenraumgestaltung dient als Wellenauslaufschutz. Darüber liegen – sicher und im Trockenen – rund 100 hochwertig ausgestaltete Wohnungen, Büros und Ladenflächen. Die im Kontrast zu den strahlend weißen Putzflächen stehende hellrote Farbigkeit der Ziegelwände lässt das Gebäude selbst an trüben Tagen heiter wirken.

    • Architekten: Carsten Roth Architekt
      Tragwerksplanung: Wetzel & von Seht

  • Kritik: Claas Gefroi Fotos: Klaus Frahm
Es war kein Geringerer als Baudirektor Fritz Schumacher, der einst den Leitsatz formulierte, dass in Hamburg auf der Geest gewohnt und in der Marsch gearbeitet wird. Seine Maßgabe, wonach die niedrigliegenden Marschgebiete an der Elbe infolge der beständig wiederkehrenden Sturmfluten als Siedlungsraum ungeeignet seien und daher wirtschaftlichen Nutzungen wie dem Hafen vorbehalten bleiben sollten, blieb über viele Jahrzehnte sakrosankt. In der Folge wurden die Hamburger Elbgestade v. a. als Gewerbegebiete genutzt. ›
› Die Architekten von Gerkan, Marg und Partner zeigten in einem Gutachten von 1973, welche Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten Hamburg dadurch entgingen, doch es dauerte bis in die 80er Jahre, als unter Oberbaudirektor Egbert Kossak von Schumachers Dogma abgerückt und die pittoresken Wasserlagen Hamburgs wiederentdeckt wurden. Kossak entwickelte die Vision der Hafencity, eines neuen Stadtteils auf kaum noch genutzten innenstadtnahen Hafenflächen, die eben vor der Hauptdeichlinie liegen und bei Sturmfluten überspült werden. Seinerzeit verteidigte die Hafenwirtschaft die Flächen noch standhaft und es blieb seinem Nachfolger Jörn Walter vorbehalten, die Idee wahr werden zu lassen. Kossak selbst setzte seinen Plan einer Rückkehr der Stadt an die Elbe an anderer Stelle um: die sogenannte Perlenkette am Altonaer Elbufer. Das lag seit Jahrzehnten in Agonie: Der Altonaer Hafen war größtenteils zerbombt worden; nur wenige Speicher und Fabriken hatten überlebt. Kossak ergriff Anfang der 90er Jahre die Chance und ließ auf dem lang gestreckten, aber schmalen Uferstreifen unterhalb des steilen Geesthangs vom Fischmarkt bis nach Övelgönne zahlreiche neue Gebäude errichten und Altbauten sanieren – ein Prozess, der bis heute andauert.
Genutzt werden sie für Büros, Einzelhandel und Restaurants. Das Wohnen hingegen fand lange nicht seinen Weg an diesen einzigartigen Ort. Zum einen erfordert der auf der anderen Elbseite lärmende Containerhafen umfangreiche Schallschutzmaßnahmen, zum anderen erweist sich die tiefe Lage am Strom als Problem: Das Altonaer Elbufer wird bei Sturmfluten regelmäßig vom Wasser überspült. Wohnhäuser müssen also besonders gegen die Fluten geschützt und so angebunden werden, dass sie auch in diesen Extremsituationen erreichbar bleiben – für die Bewohner, aber auch für Rettungskräfte. Erst seitdem die Nachfrage nach hochpreisigem Wohnungsbau groß genug ist, lohnt sich der aufwendige Wohnungsbau auch in solch exponierten Lagen. Zu Jan Störmers Stadtlagerhaus, der Clipper Elblodge (Schweger & Partner) und Kees Christiaanses »Kristall«-Wohnturm am Holzhafen gesellt sich nun das vom Hamburger Architekten Carsten Roth geplante »Elbdeck«.
Zur schönen Aussicht
Es ist dies eine der letzten Lückenschließungen am Altonaer Elbufer, was auch der langwierigen Planungsgeschichte zuzuschreiben ist. Das Grundstück liegt nicht direkt am Ufer, sondern in zweiter Reihe hinter dem historischen, vor einigen Jahren sanierten und für Büros umgenutzten Kaispeicher D. ›
› Die Immobiliengesellschaft AUG. Prien plante hier eine Mischung aus Wohnungen, Büros, Einzelhandel und Gastronomie. Carsten Roths Entwurf beruhte ursprünglich auf der Idee, die große Baumasse möglichst kompakt unterzubringen: Um einen hohen lang gezogenen Riegel zu vermeiden, der die Sicht vom Geesthang auf die Elbe verstellt, plante er eine Massierung in mehreren Baukörpern, von denen einer als fast 60 m hoher Turm ausgebildet werden sollte. Dagegen erhob sich Widerstand von Bürgern, die das Hochhaus als Sichtbarriere geißelten. Es folgten Verhandlungen und Überarbeitungen, an deren Ende nun zwei sechs- und ein achtgeschossiger Baukörper stehen. In den unteren Geschossen sind Büros, Gastronomie- und Ladenflächen untergebracht, darüber (schön abzulesen an den differenzierten Fassaden) 100 Mietwohnungen in verschiedenen Größen und Schnitten. Die Schmalseiten der Gebäude sind in ganz unterschiedlichen Winkeln angeschnitten. Die Winkel sind so gewählt, dass aus bestimmten wichtigen Blickrichtungen, etwa von einem den Hang hinab führenden Spazierweg, der Blick auf die Elbe und den alten Kaispeicher erhalten bleibt. Auswärtigen mag dies übertrieben erscheinen, doch den Hamburgern ist die Geestkante entlang der Elbchaussee mit ihren zahlreichen Parks und Spazierwegen und den immer wieder spektakulären Blicken auf die Flussniederung und den Hafen heilig. Die unterschiedlichen Winkel der Gebäudeseiten haben noch einen anderen angenehmen Effekt: Die Bewohner der Häuser schauen gewissermaßen aneinander vorbei und sich nicht gegenseitig in die Wohnungen.
Trockenen Fusses
Die drei Bauten stehen auf einem gemeinsamen Flutschutzpolder, der in seinem Innern 280 hochwassersichere PKW-Stellplätze birgt. Er ersetzt eine Spundwand, die bislang die rückwärtigen Teile des Uferstreifens schützte. Der alte Kaispeicher vis-à-vis hingegen steht, vor der Deichlinie gelegen, bei Hochwasser weiterhin in den Fluten, weshalb Roth zwei stählerne Fußgängerbrücken entwarf, die nun als Rettungsweg vom Kaispeicher D auf den Polder führen. Vor einigen Jahren entstanden auf dem östlich benachbarten Grundstück die ebenfalls von Carsten Roth gestalteten Columbia-Twins-Bürohäuser – auch sie auf einem schützenden Polder. Damit die zahlreichen Spaziergänger nicht an einer geschlossenen Wand entlang flanieren müssen, wurde damals gleich der gesamte Straßenraum auf das sichere Niveau angehoben. Auch beim Elbdeck hat man sich für diese Lösung entschieden. Die rückwärtige Straße steigt auf das Niveau der drei Neubauten an, um von deren östlichem Ende aus den steilen Elbhang zu erklimmen; Bewohner und Besucher können somit auch bei Sturmflut trockenen Fußes in die höher gelegene Stadt gelangen. Auch im Westen schließt ein Flutschutzsockel an (Polderbauten Neumühlen). So gehen nunmehr drei Polder in ein einziges langes, begehbares Flutschutzbauwerk über. Doch nur der Elbdeck-Polder besitzt wirkliche Aufenthaltsqualität: Die angeschrägten Stirnseiten schaffen zwei Freiflächen, von denen die eine nach Süden zum Speicher und die andere nach Norden zum grünen Geesthang orientiert ist. Zusätzlich zu den Treppenläufen und Rampen wurde fast die gesamte Südseite des Sockels mit Sitzstufen versehen, die an schönen Tagen zum Verweilen in der Sonne einladen. Anders als in der Hafencity, wo die hochwassersicheren Erschließungen zu nah an die historischen Gebäude wie das Alte Hafenamt oder die Speicherstadt heranrücken und sie quasi in einer Grube versinken lassen, hält der Polder hier einen respektvollen Abstand zum Bestand. Umso bedauerlicher ist es, dass sich die Fläche zwischen Polder und Kaispeicher als notwendige Straße nicht ebenso ansprechend zu einem Platz umgestalten ließ, sondern vorwiegend als Stellfläche dient. Um die Massivität des Polders so gering wie möglich zu halten, endet er genau auf der Hochwasserlinie. Die Freiflächen sind als Wellenauslaufzone konzipiert und steigen zur Mitte hin an. Doch Sturmfluten gehen in Hamburg oft mit starken (West-)Winden einher. So mussten die besonders exponierten Wohnungen an der westlichen Stirnseite mit Prallschutzscheiben gegen Wellenschlag geschützt werden. ›
› Alle Oberflächen des Sockels bestehen aus zartrot eingefärbten hochwertig wirkenden Beton-Fertigteilen. Sie korrespondieren trefflich mit den Fassaden aus hellrotem Ziegel, (der die zum Hang gerichteten Seiten dominiert) sowie der Kombination aus weißem Putz und großzügiger Verglasung nach Süden, zum Fluss hin. Kein Baukörper gleicht dem anderen, jeder besitzt einen eigenen Charakter und doch klingen sie schön zusammen. Roth setzt mit diesen hellen, differenzierten Fassaden dem strengen, an grauen Tagen geradezu düsteren Klinker-Hamburg Schumachers eine heitere, fast mediterrane Note entgegen. Wer einmal das Treppenviertel von Blankenese in seiner beinahe schon italienischen Anmutung gesehen hat, versteht, dass der Architekt hier an alte lokale Traditionen anknüpft. Städtebaulich und architektonisch darf das Elbdeck als eine makellose Perle in der Kette der Neubauten am Altonaer Elbufer gelten. Eine, die allerdings ihren Preis hat: Für die Wohnungen mit weitem Blick werden Kaltmietpreise von bis zu 26 Euro pro m² aufgerufen. Die Zeiten, als beispielsweise am Fischmarkt noch Genossenschaftswohnungen mit herrlichem Blick auf den Hafen gebaut wurden, liegen eben ein paar Jahrzehnte zurück. Die Ladenflächen werden wohl v. a. an die am Elbufer ohnehin omnipräsenten Edelgastronomen vermietet – der Fernsehkoch Steffen Henssler z. B. wird im Sommer hier eröffnen. Normalsterblichen bleibt somit nur, sich sommers aufs öffentlich zugängliche Polderdeck zu setzen und sich – die Architektur lädt dazu geradezu ein – ans Mittelmeer zu träumen. •
  • Standort: Neumühlen 1-5, 22763 Hamburg Altona

    Bauherr: HBI Hausbau-Immobiliengesellschaft, im Auftrag der GbR Elbdeck, Nottensdorf Architekt, künstl. Oberbauleitung: CARSTEN ROTH ARCHITEKT, Hamburg
    Mitarbeiter: Christine Andreae, Thomas Maiss, Beeke Picksak, Cord Marquardt, Antje Bielefeldt, Carsten Gäbler, Fabian Dieterle, Andrea Schulz, Caroline Nachtigall, Katharine Wienicke, Marie-Louise Seifert
    Tragwerksplanung: Wetzel & von Seht, Hamburg
    TGA: energie & technik, Sittensen; HSGP, Hamburg; TWP, Hamburg
    Freiraumplanung: Bendfeldt Herrmann Franke, Kiel
    BGF: 32 200 m² (gesamt),
    TG: 15 500 m² Nutzfläche: 24 700 m² (gesamt),
    TG: 12 000 m² BRI: 96 000 m³ (gesamt),
    TG: 40 000 m³
    Baukosten: keine Angabe
    Bauzeit: Oktober 2011 bis Juli 2014, weitere Abschnitte bis Anfang 2015
  • Beteiligte Firmen: Generalunternehmer: AUG. PRIEN Immobilien Gesellschaft für Projektentwicklung, Hamburg, www.augprien.de
    Verblendklinker: Wehrmann Ziegel, Weyhe-Sudweyhe, www.wehrmann.de
    Fensterprofile: Schüco International, Bielefeld, www.schueco.com
    Gebäudetechnik, Entrauchung: Gira, Radevormwald, www.gira.de
    Aufzug: Lutz, Hamburg, www.lutz-aufzuege.de
    Sanitärausstattung: Duravit, Hornberg, www.duravit.de; Kaldewei, Ahlen, www.kaldewei.de
    Armaturen: Hansgrohe, Schiltach, www.hansgrohe.de
1 obere Sollhöhe des Flutschutzes: 8,25 m 2 Höhe mittleres Niedrigwasser

Hamburg (S. 20)

Carsten Roth Architekt


1958 in Hamburg geboren. Studium an der TU Braunschweig, der Kunstakademie Wien und am Virginia Polytechnic Institute in Blacksburg und Alexandria (USA). Seit 1987 eigenes Atelier in Hamburg. 1998-99 Gastprofessur an der GH Kassel, seit 2003 Professur an der TU Braunschweig. Mitglied des Beirats für Stadtgestaltung in Linz (A) und Bremerhaven.
Claas Gefroi
s. db 7-8/2014, S. 96
 
 
 
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