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Wohnen an der alten Stadtmauer in Berlin von Atelier Zafari

Ein Haus wie eine Stadt
Wohnen an der alten Stadtmauer in Berlin

Mit dem markanten Wohnhaus in der Waisenstraße hat das junge Berliner Architekturbüro Atelier Zafari ein bemerkenswertes Ausrufezeichen in einem heterogenen baulichen Umfeld gesetzt. Die hohe Qualität des skulpturalen Baukörpers mit seiner strahlend weiß verputzten Fassade setzt sich auch in der Innenraumgestaltung fort.
  • Architekten: Atelier Zafari
    Tragwerksplanung: Ingenieurbüro K. J. Meyer
  • Kritik: Jürgen Tietz
    Fotos: Werner Huthmacher, Christian Dammert
So richtig viel Altstadt gibt es in Berlin bekanntlich nicht mehr. Was der wilhelminische Stadtumbau und v. a. die Bomben des Zweiten Weltkriegs übrig gelassen haben, das wurde im östlichen Teil der Stadt vom sozialistischen Wiederaufbau weitgehend entsorgt. Insofern ist man hier für ein paar gebaute Geschichtsorte recht dankbar. Sie erinnern daran, dass die späte Metropole Berlin nicht erst im 18. Jahrhundert entstanden ist. Und so finden sich im Bezirk Mitte, etwas abseits der touristischen Rennstrecken, neben der Ruine der mittelalterlichen Klosterkirche und der turmgekappten, barocken Parochialkirche auch einige Reste der alten Stadtmauer aus Feldstein.
Worauf sollte sich der Berliner Architekt Sohrab Zafari (Atelier Zafari) im heterogenen Quartier mit seinem neuen Wohnhaus beziehen angesichts der benachbarten Fassaden aus Putz, Ziegel und Glas? Und als ob dies noch nicht Aufgabe genug gewesen wäre, erwies sich der ungewohnte Zuschnitt des Grundstücks in der Waisenstraße mit seiner schmalen Straßenfront und den vielen Ecken als zusätzliche Herausforderung. Hinzu kamen die Wünsche des Bauherrn. Jenseits der klassischen Berliner Blockrandbebauung wollte er ein Wohnensemble verwirklichen, das sich öffnet und dennoch Privatheit bietet sowie qualitätvolle Grundrisse liefert. Diese Rahmenbedingungen erwiesen sich als so ambitioniert, dass ein kleiner Wettbewerb im Nichts endete und der Bauherr auf private Empfehlung einen neuen Anlauf mit Sohrab Zafari unternahm, der schließlich zum Erfolg führte.
Südliche Anmutung
Wer sich die strahlend weiß verputzte Straßenfront mit den drei tiefen, stufenförmig übereinander versetzten Loggia-Einschnitten an der Waisenstraße anschaut, der merkt sofort, dass der Berliner Block mit Lochfassade hier eine ganz eigene Interpretation erfahren hat. Zafari hat eine dreifach nach oben zurückgestaffelte Skulptur verwirklicht, bei der er auch die räumlichen Ideen seiner persischen Wurzeln reflektiert, wie er im Gespräch erläutert. Die glatten weißen Putzwände verleihen dem Haus jedenfalls einen kantig monolithischen Charakter. Die Entscheidung des Architekten, einzig an einem der rückwärtigen Wohntürme eine konventionelle Attikazone mit Blechabdeckung auszuführen, beruhte auf dem hier realisierten Gründach und der damit verbundenen möglichen Schmutzentwicklung durch Spritzwasser. Ansonsten hebt sich lediglich die Sockelzone der Straßenfront mit ihren weißen Metallgitterstäben von der durchgängigen Putzfassung ab.
Gegen ein anderes Fassadenmaterial als den weißen Putz sprachen allein schon die großen Brandwandflächen zum unbebauten Nachbargrundstück, das derzeit als Parkplatz genutzt wird. Ehe hier ein Haus entsteht, dürfte es angesichts des ungünstigen Grundstückszuschnitts wohl eine Weile dauern. Für diesen Zeitraum präsentiert sich Zafaris Stahlbetonkonstruktion – mit WDVS auch an den Brandwänden – als weißer Monolith. Unter dem mineralischen Außenputz mit seinem abschließenden feinkörnigen Glattputz liegen 14 cm Dämmung. Der zweifache Egalisierungsanstrich mit »selbstreinigender« hydrophober Fassadenfarbe (RAL 9010) läuft der hydrophilen Qualität des mineralischen Putzes darunter jedoch zuwider und könnte damit über die Jahre sogar zu einem erhöhten Algenbewuchs führen, was es zu beobachten gilt.
Der versiegelnde Anstrich mit »Lotuseffekt« soll besonders an den blechfreien Attiken für einen zusätzlichen kantenfreien Schutz sorgen, deren Ausführung der Architekt detailliert beschreibt: »Die zementgebundenen Bauelementplatten wurden vor Ort passgenau zugeschnitten und auf dem Untergrund des WDVS mit einem mineralischen Klebemörtel befestigt. Sie werden dabei mit leichtem Druck und durch Verschieben (»einschwimmen«) mit leichter Neigung nach innen in die gewünschte Position eingebracht. Dabei muss im Fugen- und Stoßbereich Kleber austreten, sodass die Fugen allseitig geschlossen und die Profilrückseiten vollflächig verklebt sind.« Auf der Suche nach einer geeigneten Lösung für den Gebäudeabschluss war Zafari auf das Projekt eines befreundeten Kollegen gestoßen, der diese Lösung bereits bei einer Putzfassade eingesetzt hatte.
Selbst aus der Nähe betrachtet zeigt sich die blechbefreite, aber wasserdichte Attikazone als Einheit; Stoßkanten sind nicht zu erkennen. Über ihre Haltbarkeit wird die Zukunft entscheiden. Zwar hat der Berliner Regen an der einen oder anderen Stelle bereits ein paar Nasen an den Wänden hinterlassen – aber ein »Wasch mich, aber mach mich nicht nass«, gibt es eben auch hier nicht.
Raffiniertes Raumgefüge
Der ungewöhnliche Auftritt des weißen skulpturalen Baukörpers setzt sich auch im Innern fort, wo neben Sichtbeton im Treppenhaus v. a. der Farb- und Materialwunsch der Bewohner umgesetzt wurde. Angesichts der ambitionierten Aufteilung und Staffelung der Volumina und der Grundrissgestaltung und Detailausformung kommt jedenfalls keine Langeweile auf.
In enger Abstimmung mit seinem Bauherrn hat der Architekt auf dem Grundstück drei Baukörper verwirklicht – zwei Townhouses und fünf Wohnungen unterschiedlicher Größe, die aus der gemeinsamen Basis des EG samt Tiefgarage emporwachsen. So ist jenseits der gemeinsamen Straßenfassade ein zauberhaftes kleines Ensemble entstanden. Mit seiner überraschenden Öffnung zu einem kleinen platzartigen Hof im Blockinnern auf Höhe des ersten OG, den verwinkelten Wegen, Durchblicken und steilen Treppen trägt es in sich selbst schon fast städtische Züge. Es erinnert an die malerischen Momente einer mittelalterlichen Stadt, die es mit einer modernen Gestaltung verbindet. Die Vielgliedrigkeit des Ensembles erschließt sich dabei v. a. von der Gebäuderückseite. Dort fügen sich die gestaffelten weißen Quader mit den schwarzen Fensterrahmen aus Holz und den großflächigen Verglasungen zu einem bemerkenswerten Bauwerk, das in seiner räumlichen und künstlerischen Konsequenz in Berlin nur wenige Vergleichsbeispiele besitzt. Die hohe Dichte entfaltet eine starke Wirkung, wobei die Abgrenzung zwischen Privatheit und gemeinschaftlich genutztem Raum einem Drahtseilakt gleicht. Aber auch das weiß der Architekt elegant zu lösen und schafft räumliche Qualitäten, die weit über die im Wohnungsbau üblichen hinausgehen. Etwa wenn sich hinter der Eingangstüre von einem der beiden Townhouses ein hofartiges Foyer mit Baum anschließt, das sich nach oben hin öffnet. Wer hier zum Himmel emporblickt, der sieht, wie sich die vor- und zurückspringenden Körper und Wandscheiben in einer abstrakten Komposition übereinanderstaffeln, Raumqualitäten schaffen und zugleich Sichtschutz bieten. Nicht weniger charmant ist es, wenn die Bewohner – selbst durch eine Wand vor Blicken geschützt – aus der Badewanne von einer der Maisonettewohnungen durch einen schmalen Schlitz auf die Stadt schauen können.
Nun mag man einwenden, dass solchen räumlichen Raffinessen weit jenseits des Standards des sozialen Wohnungsbaus nur eine begrenzte Vorbildfunktion zukommt. Das mag wohl so sein, und über die Baukosten ist an dieser Stelle zu schweigen. Doch gerade in Berlin und gerade bei der Bauaufgabe Wohnungsbau haben die bekannten Berliner Standardinvestoren in den letzten Jahren vielfach bewiesen, dass man selbst mit viel Geld unfassbar einfallslos bauen kann. Wie es auch ganz anders geht, das lässt sich nun in der Waisenstraße aufs Schönste ablesen. Vielleicht entsteht dabei ja zwischen den Fragmenten des historischen Umfelds eine neue Berliner Tradition der weißen Moderne 2.0. •

Standort: Waisenstraße, 10179 Berlin
Bauherr: Just Living GmbH, Berlin
Architekten: Atelier Zafari, Berlin, Sohrab Zafari
Projektleitung, Innenarchitektur: Sohrab Zafari
Projektteam: Thomas Zeissig, Daniel Behnke, Roger Mandel
Bauleitung: Roger Mandel, Holger Vicent
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro K. J. Meyer, Altdöbern
TGA: Equipplan, Berlin
Brandschutz: Peter Stanek, Berlin
BGF: 1 700 m²
BRI: 7 990 m³
Baukosten: keine Angabe
Bauzeit: 2011 bis 2013

Beteiligte Firmen: WDVS-Fassade mit Glattputz: Saint-Gobain Weber, Düsseldorf, www.sg-weber.de Zementgebundene Attikaplatten: Sto-Dekoplan, Stühlingen, <a href="http://www.sto.de“ target=“_blank“ title=“www.sto.de„>www.sto.de Egalisierungsanstrich zweifach: Lotusan, RAL 9010, <a href="http://www.sto.de“ target=“_blank“ title=“www.sto.de„>www.sto.de Terrassenaufbau: eska-Drain, Eggersdorf, www.eska-drain.de Aufzüge: Schmitt+Sohn, Nürnberg, www.schmitt-aufzuege.com Holzböden: Dinesen, Rødding, www.dinesen.com Bodenbelag, Schiefer: Artesia, Moconesi, www.slate.it Stufen und Platten, Weißbeton: Godelmann, Fensterbach, www.godelmann.de

Atelier Zafari

Sohrab Zafari
1972 im Iran geboren. 1994-2000 Studium der Architektur und des Bauingenieurwesens in Karlsruhe und Heidelberg. Zusammenarbeit u. a. mit Enric Miralles in Barcelona und Otto Steidle in München. Diverse Auszeichnungen.

Der Autor: Jürgen Tietz

Studium der Kunstgeschichte, Promotion. Arbeitet in Berlin als freiberuflicher Autor und Kurator zu den Themen Architektur und Denkmalpflege. Regelmäßige Veröffentlichungen, u. a. in der Neuen Zürcher Zeitung und zahlreichen Fachzeitschriften.


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