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Weil es machbar ist

Glastreppe im Opernhaus in Toronto (CDN)
Weil es machbar ist

Für die von den Architekten gewünschte, völlig transparente Ganzglastreppe von 13,30 Meter Länge für das Opernhaus in Toronto waren Fachwissen und die Erfahrung deutscher Ingenieure gefragt. Aber auch für diese stellte der Auftrag keine Alltagsaufgabe dar; neben seitlichen Stahlgurten als Verstärkung tragen allein Glaswangen und -stufen. Aufgrund größerer Bautoleranzen der Stahlkonstruktion vor Ort ergab sich kurzfristig eine Umplanung hinsichtlich der Stahl-Glas-Verbindungsmittel.

    • Tragwerksplanung: HalcrowYolles mit Schlaich Bergermann und Partner Architekten: Diamond and Schmitt

  • Text: Jens Schneider Fotos: Tim Griffith, Jens Schneider
Das Foyer der neuen Oper in Toronto, dem »Four Seasons Center of Performing Arts« der Architekten Diamond und Schmitt, öffnet sich mit einer großzügigen Ganzglasfassade zu einer der wichtigsten Nord-Süd-Achsen der Stadt. Hinter der Fassade verlaufen drei Galerieebenen, die durch einem Luftraum von dem eigentlichen Opernsaal abgesetzt sind. Die drei Ebenen sollten durch zwei etwa 13 Meter lange und 2,10 Meter breite Treppenläufe verbunden werden, um es den Besuchern zu ermöglichen, das Foyer und die Ausblicke von den verschiedenen Ebenen nach außen und innen zu erleben.
Wichtig war den Architekten, dass die Treppe in dem Luftraum wie frei schwebend erscheint und die Großzügigkeit des Foyers nicht beeinträchtigt. Damit fiel die Wahl schnell auf den Werkstoff Glas; die Treppe sollte möglichst komplett daraus bestehen. Konstruktiver Glasbau ist in Kanada allerdings noch wenig bekannt und die Erfahrungen mit Glas als tragendem Baustoff sind beschränkt. Die Tragwerksplaner Yolles wendeten sich daher zusammen mit den Architekten Diamond and Schmitt an die Firma Gartner und diese wiederum an mich im Büro Schlaich Bergermann und Partner, da ich mich auf den Werkstoff Glas und seine Verbindungsmittel spezialisiert habe und im Büro für kompliziertere Glasprojekte zuständig war. Auch nach meinem Bürowechsel blieb ich in das Projekt eingebunden und habe die ingenieurtechnische Kontrolle übernommen. So konnte ich gemeinsam mit den Kollegen aus Kanada eine Ganzglaskonstruktion für die Treppe entwickeln und umsetzen.
Spannende Konstruktion
Die Besonderheit der Treppe liegt neben ihrer für Ganzglastreppen großen Länge und Breite in der Tragkonstruktion. Jeder Treppenlauf besteht fast vollständig aus Glas und trägt als Trog und Faltwerk. Die gläsernen Stufen und Antritte bilden dabei das Faltwerk, die Glaswangen gemeinsam mit Stufen und Antritten den Trog. Die fünf einzelnen Glaselemente der Glaswangen sind an ihrer Ober- und Unterkante mit durchgehenden, seitlich aufgesetzten Flachstählen (ca. 100 mm x 15 mm) aus nichtrostendem Stahl verstärkt. Hierdurch entsteht eine Art I-Profil als Hybridquerschnitt, bei dem die aus dem globalen Biegemoment resultierenden Druck- und Zugkräfte überwiegend von den Flachstählen aufgenommen werden und die Glaswangen die »Diagonalen« bilden. Die Aussteifung für Horizontallasten aus Holmlast und Stabilisierung des Obergurtes übernehmen die Stufen und Antritte. Hierzu wurde in die Stufen ein »Einbauteil« aus Edelstahl ›
› eingelassen und dieses punktförmig mit je zwei Bolzen in den Glaswangen befestigt. Durch den Höhenversatz der punktförmigen Lager kann so ein Kräftepaar aufgenommen werden, das für die Stabilisierung erforderlich ist. In jeden Treppenlauf ist allerdings eine mittlere Plattform integriert, die für das Tragverhalten ungünstig wirkt: Dort liegen die punktförmigen Befestigungen in einer Reihe, wodurch kein Kräftepaar entsteht, sondern die Horizontallast zu den ersten Stufen ober- und unterhalb verteilt werden muss.
Lastannahmen
Die Treppe ist nach kanadischer Norm für eine vertikal wirkende Verkehrslast (Personenlast) von 4,8 kN/m² ausgelegt. Als horizontal wirkende Holmlast auf den Handlauf wurden 0,75 kN/m angesetzt, als maximale Imperfektion des Obergurtes l/1000 (= 1,3 cm), die vor Ort vermessen wurde. Bild 3 zeigt eine nicht-lineare Finite-Element-Berechnung des kritischen Lastfaktors für Stabilitätsversagen (Faktor 3,25). Für die Berechnung wurden auch umfangreiche Detailanalysen vorgenommen, um die lokalen Spannungen im Bereich der Bohrungen und Lasteinleitung richtig erfassen zu können. Da Glas sehr spröde versagt, wurde für alle Bauteile Verbund-Sicherheitsglas verwendet, das eine gewisse Resttragfähigkeit auch nach dem Bruch der Scheiben aufweist. Verschiedene Ausfallszenarien mit Teilausfall von Einzelgläsern einer VSG-Einheit der Glaswange und einem Totalausfall eines Elementes der Glaswange unter reduzierten Lasten und reduzierter Sicherheit konnten rechnerisch zeigen, dass das Gesamtsystem ausreichend Reserven auch für diese Situationen aufweist. Zur Bestätigung wurden umfangreiche Versuche zur Resttragfähigkeit an einem nachgebauten Teilsystem vorgenommen und die Stufen Stoßbelastungen mit hartem Stoß unterzogen. Das gesamte Bauwerk wurde aus Sicherheitsgründen nach dem Bau zudem mit fünfzig Prozent der Verkehrslast belastet, um einen Vergleich der Verformungen mit den rechnerischen Annahmen zu erhalten.
Verbindungstechnik
Ursprünglich war als Verbindungstechnik zur Lastübertragung zwischen Flachstahl und Glas eine Reibverbindung vorgesehen, die auch erfolgreich im Labor experimentell untersucht wurde. Dabei wird eine Reibschicht, in diesem Fall Sandpapier, zwischen Flachstahl und Glas eingeklemmt und hochfeste Schrauben M16 10.9 voll vorgespannt. Die Last wird dann nur über Reibung aus dem Glas in den Stahl eingeleitet und die Schrauben berühren die Bohrungsränder des Glases nicht (vgl. Abb. S. 54 Mitte). Aufgrund von Ausführungstoleranzen – der verwendete Flachstahl war verwunden und das »doppelseitige« Sandpapier nicht richtig zusammengeklebt – konnte die Konstruktion ›
› dann allerdings nicht wie geplant ausgeführt werden. Die Maßtoleranzen des 13,30 m langen Edelstahl-L-Profiles resultierten aus dem Transport von Deutschland nach Kanada und der Behandlung vor Ort. Dort hängten die Monteure, aufgrund kanadischer Bestimmungen von der »Steel Worker Union« kommend und noch unerfahren mit solch filigranen Stahlelementen, diese nur an zwei Stellen an einen Seilzug.
So wurde kurzfristig umgeplant und die Reibverbindung während der Ausführung durch eine Lochlaibungsverbindung ersetzt (vgl. Abb. S. 54 unten). Bei dieser wird die Last vom Bolzen direkt durch Kontakt in die Bohrungskante eingeleitet. Um den Kontakt zwischen Stahl und Glas sicher auszuschließen, muss dabei ein weicheres Material zwischen Stahlbolzen und Glas eingebracht werden – eine große Schwierigkeit, da die Glaselemente zum Teil bereits montiert waren, bei VSG immer ein Versatz von bis zu 1 mm zwischen den Scheiben auftreten kann und bei der Verwendung von Hülsen so keine gleichmäßige Lasteinleitung gewährleistet ist. Die rettende Idee waren spezielle Bolzen, die je zwei kurze Längsbohrungen in Achsrichtung mit je einer Austrittsöffnung erhielten (Bild 2). Hierdurch konnte ein Mehrkomponentenmörtel an einer Bohrung eingepresst werden, verteilte sich um den ganzen Bolzen und trat an der anderen Seite wieder aus.
Weitere Versuche zeigten dann, dass diese Verbindung aber gegenüber der Reibverbindung nur etwa die Hälfte der Zugkraft übertragen kann. Daher musste die Stützweite von ursprünglich 13,30 Meter durch zwei Zwischenunterstützungen aus Abhängern (Bild 4) reduziert werden, das statische System wandelte sich vom Einfeldträger zum Dreifeldträger. Glücklicherweise waren diese Unterstützungen von uns bereits vorgesehen – eigentlich für den Fall, dass die Treppe bei Schwingungen aus Personenanregung noch gestützt werden müsste, da dieses wegen des großen Einflusses der Verbindungen schwer vorherzuberechnen war.
Tücken im Detail
Die scheinbar einfache Aufgabe des Baus einer Treppe erwies sich bei der Verwendung von derart viel Glas als sehr komplex – wie immer bei diesem Baustoff haben sich die Tücken im Detail gezeigt. Gerade in der Verbindungstechnik wären neue Möglichkeiten wie Schweißen, Ultraschallschweißen, bessere Kleber oder ähnliches wünschenswert, um dem Werkstoff entsprechend gerecht zu werden. Nach den Problemen während der Ausführung stand kurzzeitig sogar die ganze Treppe zur Disposition, da der Bauherr ein Verschieben des Eröffnungstermins nicht akzeptiert hätte und die Treppe für das reine »Funktionieren« des Gebäudes nicht erforderlich ist. Die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten verlief aber auch in den »kritischen« Phasen sehr gut und zielorientiert.
Und zur obligatorischen Frage, warum es denn eigentlich so viel Glas sein muss, kann ich als Ingenieur nur sagen: »Weil es machbar ist.« Und natürlich freut es auch einen Ingenieur, wenn die Architekturkritik schreibt: »Mit diesem Bau hat Toronto ein Haus erhalten, das zu den schönsten der Welt gezählt werden muss, und dazu trägt die elegante Architektur, die einem fast vollständig dunkelgrau verschieferten Hauptbau ein federleichtes Treppen- und Foyerhaus vorsetzt, viel bei« (Andreas Platthaus, FAZ, 11.10.2006). •
  • Bauherr: Canadian Opera House Cooperation Architekten: Diamond and Schmitt Architects, Toronto Tragwerksplaner: HalcrowYolles, Toronto, John Kooymans, mit Schlaich Bergermann und Partner, Stuttgart, Jens Schneider, Darmstadt Laborversuche: Professor Bucak, FH München Fertigstellung: 2006 Baukosten Treppe: ca. 1,2 Mio. Euro
  • Beteiligte Firmen: Ausführung Stahlkonstruktion: Josef Gartner GmbH, Gundelfingen, Projektleiter Franz Heger Glas: Firma Eckelt, Linz (A)
  • Aufbau Verglasung:
Antritte:
  • 10 mm thermisch vorgespanntes Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG)
  • 1,52 mm PVB-Folie
  • 10 mm ESG, geätzt
Stufen und Podeste:
  • 8 mm ESG
  • 1,52 mm PVB-Folie
  • 15 mm ESG
  • 1,52 mm PVB-Folie
  • 15 mm ESG
  • 1,52 mm tempered glass
  • 8 mm ESG, geätzt, weiße Teilbedruckung
Wangen:
  • 12 mm ESG
  • 1,9 mm PVB-Folie bzw. 1,85 mm ein- laminierte Aluminium-Schicht, Höhe 100 mm an Ober- und Unterseite
  • 12 mm ESG
  • 1,9 mm PVB-Folie bzw. 1,85 mm ein- laminierte Aluminium-Schicht, Höhe 100 mm an Ober- und Unterseite
  • 12 mm ESG
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