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»Verpackungs-Architektur«

Von der Suche nach dem Mehrwert in der Hülle
»Verpackungs-Architektur«

Der politische Wandel hat auch die Architektur Sloweniens maßgeblich beeinflusst. Junge Büros, unbelastet vom Formenkanon ehemals staatlicher Monumentalarchitektur, geben öffentlichen Bauten ein neues, bürgernahes Gesicht. Aber die »Freiheit des Kapitalismus« hat auch ihre Schattenseiten; vorkonfektionierte Investorenarchitektur überlässt Architekten oftmals nur die Fassade als letztes Gestaltungsrefugium. Die interdisziplinär arbeitende Architektin Mika Cimolini betrachtet die Anstrengungen ihrer Kollegen in Slowenien, aus der dünnen Haut zwischen innen und außen mehr herauszuholen als nur eine gefällige Ansicht.

~Aus dem Englischen von Nora von Mühlendahl

  • Architekten: Sadar Vuga Arhitekti; bevk perović arhitekti
  • Text: Mika Cimolini
    Fotos: Miran Kambič, Hisao Suzuki
Die aktuelle Architektur in Slowenien ist ein Spiegel des tiefgreifenden gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Wandels, den das Land in den letzten 15 Jahren erfahren hat. Eine neue Konsum- und Kapitalorientierung hat gerade im Bereich des Bauens Spekulanten angezogen, die mit der Aussicht auf große Rendite – aber ohne Rücksicht auf Landschaft und Umgebung – ganze Vororte mit nahezu identischen Einfamilienhaussiedlungen überziehen oder in den Innenstädten diesem Konsumdenken die entsprechenden Verkaufstempel bauen und dabei das Verhältnis von öffentlichem zu privatem Raum grundlegend verschoben haben. Und doch entspricht dieser Investoren-Wohnungsbau ebenso wie derjenige der öffentlichen Hand den Vorstellungen der meisten Auftraggeber.

Aber auch die Architekturszene selbst hat sich gewandelt; viele der ehemals großen, »staatlich geförderten« Architekturbüros mussten aufgeben, was jüngeren Architekten die Gelegenheit gab, erfolgreich an öffentlichen Wettbewerben teilzunehmen. Den 1996 ausgeschriebenen Wettbewerb für die Handelskammer gewann das eigens hierzu gegründete Büro Sadar Vuga. Die eindrucksvolle Gestalt des Gebäudes, seine spielerische Leichtigkeit und Farbgebung, zeigte den Slowenen, dass öffentliche Gebäude nicht länger ideologische Manifestationen darstellen, sondern für ihre Nutzer konzipiert sind. Dies war der Durchbruch für eine neue Generation von Architekten, die damit die Vorherrschaft der funktionalistischen Architektur der Nachkriegszeit und die Postmoderne der achtziger Jahre überwanden.

Die meisten »Jungen« haben ihr Studium im Ausland an weiterführenden Institutionen wie der Architectural Association, dem Berlage Institute, der University of California Los Angeles abgeschlossen und kamen mit der Vision zurück, überkommene Denkweisen und belastende Traditionen aufzubrechen. Die der alten Ideologie verhaftete Generation wurde abgelöst von einer der Vielfalt verpflichteten, die neue Perspektiven, aber auch Fragen mit zurückbrachte; die danach sucht, Innovatives zu gestalten – selbst bei knappen Budgets und unter Berücksichtigung traditioneller Wertvorstellungen –, die gezielt auf der Suche nach einer eigenen slowenischen Architektur ist.

Wollte man eine Gemeinsamkeit der aktuellen slowenischen Projekte benennen, die mittlerweile auch internationale Anerkennung erfahren haben, ließe sich diese am prägnantesten als »Verpackungs-Architektur« charakterisieren. Diese Bauten haben nicht den Anspruch, Räume und Raumbezüge programmatisch neu zu definieren, sondern wollen von ihrem Innenleben »erzählen«, neugierig machen; ähnlich der Verpackung industrieller Produkte. Ihre Fassadenmaterialien sind sehr bewusst unter dem Gesichtspunkt gewählt, den Bauten Identität und Wiedererkennungswert zu verleihen. Es sind Artefakte, die sich nur selten in ein städtisches System oder eine Stadtstruktur integrieren. Wie bei Venturis dekoriertem Schuppen scheint auch hier das Zeichen wichtiger zu sein als der Inhalt.

Architecture parlante

Der Raum zwischen außen und innen ist das zentrale Thema aller Projekte der Architekten Bevk Perović, die systematisch das Phänomen der Gebäudehülle erforschen. Dies zeigt sich in einer perfekten Materialwahl und sorgfältigen Detaillierung ihrer Bauten. Wie viel Anerkennung sie sich damit national und international verdient haben, zeigen die vielen Auszeichnungen, die Bevk Perović in letzter Zeit erhalten haben, zum Beispiel als »Emerging Architect« beim Mies van der Rohe Award.
»Ein Detail, ein Bauwerk« ist das Leitmotiv fast aller ihrer Sozialwohnungsbauten, aber auch für die Sanierung und Erweiterung der Fakultät für Mathematik und Physik und das Studentenwohnheim in Ljubljana. Beim Fakultätsgebäude aus den siebziger Jahren ließen sie die innere Erschließungsstruktur fast unangetastet und stockten es um vier Geschosse auf. Lediglich vor den Hörsälen nahmen sie kleine Eingriffe vor, um dort einen größeren gemeinschaftlich zu nutzenden Bereich zu schaffen. Bestand und Neubau wurden – den Bestimmungszweck verrätselt mitteilend – mit einer Glasfassade »bekleidet«, die ein Barcode-Streifenmotiv aufweist.
Je nach Funktion der dahinter liegenden Räume wurde das Glas in variierender Dichte bedruckt, die präzise festgelegt war: Computerräume 54 Prozent (nicht transparent), Vorlesungssäle 38 %, Büros 27 % und öffentliche Bereiche transparent. So wird das Gebäudeinnere von außen ablesbar; Dekoration aus Notwendigkeit – oder die Notwendigkeit zur Dekoration? Laut Aussage der Architekten ist der »Mehrwert«, den die Nutzer empfinden, nur eine Folge der Materialwahl und nicht beabsichtigt. Trotzdem wird das Muster auf allen inneren Wandflächen in den öffentlichen Bereichen wiederholt und erzeugt eine strenge und laborähnliche Atmosphäre, die nur gelegentlich durch farbige Möbelstücke aufgelockert wird.
Bevk Perovićs Entwurf für das Studentenwohnheim thematisiert die klare Trennung von gemeinschaftlich genutzten Bereichen und privaten Schlafräumen. Im Erdgeschoss sind die öffentlichen Räume, Studienbereiche, Fernsehzimmer und Versorgungsräume um einen klösterlich anmutenden Innenhof gruppiert, dessen verglaste Hülle den Ort betont, Durchblicke eröffnet und eine soziale Kontrolle erlaubt – hier bleibt nichts im Verborgenen. Auf den Erdgeschosskubus sind, wie zwei separate Kisten, die beiden Schlaftrakte gesetzt. Entlang eines Mittelgangs sind hier jeweils zu beiden Seiten die Wohneinheiten angeordnet. Je vier Studenten teilen sich eine solche Einheit, die aus einer Küche, einem Bad und zwei kleinen Doppelschlafzimmern besteht.
 
Dieses vom Bauherrn rigide vorgegebene Raumprogramm entspricht dem von Studentenheimen der sechziger Jahre, die den Nutzern wenig Individualität oder Privatheit zugestanden. Derartig restriktive Typologievorgaben ließen den Architekten nur die Möglichkeit, sich auf die detaillierte Gestaltung einer besonderen Außenhaut zu konzentrieren. Und gerade in diesem »äußeren« Bauteil gelang es ihnen, einen Hauch von Privatheit zu entwickeln, indem sie den Schlafzimmern schmale Balkone vorlagerten und diese geschosshoch mit einem beweglichen Sonnenschutz aus Metallgittern versahen. Die so entstandenen Zwischenräume haben eine an Follies erinnernde Aufenthaltsqualität und durchbrechen mit ihren sich verändernden Fassadenansichten die rigide Struktur des Gebäudes.

Die Fassaden greifen an

Ist die Entwicklung von »Verpackungs«-Fassaden die einzige gestalterische Freiheit zeitgenössischer Architektur, die sich ansonsten nur innerhalb monoton-konventioneller Anforderungen und Raumprogramme bewegen kann? Ist die »Verpackungs-Architektur« gar Grund oder nur die Folge des Beharrens auf traditionellen Typologien, entgegen allem technologischen Wandel und aller gesellschaftlicher Entwicklungen? Woraus resultiert sie und handelt es sich eventuell um ein globales Problem?
In Slowenien ist die Hauptursache sicher im Fehlen jeglicher Stadtplanung und, als Folge davon, in der Zerstörung öffentlichen Raumes durch die Grundstückspolitik von Investoren auszumachen. Öffentlicher Raum ist für den Immobilienmarkt nicht profitabel, deshalb wird ihm keine Beachtung geschenkt. Und renditeoptimierte Quadratmeter bedürfen (noch) keiner besonderen Aufmerksamkeit. Die wichtigste »Währung« im Marktgeschehen ist Flexibilität; Wohnungen, Hotels, Büros oder Läden können, solange entsprechender Bedarf besteht, in der gleichen Hülle untergebracht werden. Wie fast überall in der Welt ersetzen die Regeln des Immobilienmarktes die Stadtplanung und dient eine interessante Verpackung als Verkaufsargument.
Dagegen stehen oftmals historische Quartiere, in denen ein überfürsorglicher, fast musealer Denkmalschutz betrieben wird, der sich nicht als Schutz eines lebendigen Organismus versteht und städtische Entwickung verhindert. Die fehlende Flexibilität städtebaulicher und stadtplanerischer Vorschriften zeigt sich an Wohnbauten, die große Lücken in die historische Stadtstruktur schlagen. Hier sind die Typologien vorgegeben und sogar die Größe der Räume ist genormt. Um unter diesen Vorgaben anspruchsvolle Architektur entstehen zu lassen, müssen sich die Architekten auf die dünne Schicht zwischen der Privatheit der Wohnungen und dem öffentlichen Raum beschränken. Die Fassaden-Verpackung bietet die einzige Möglichkeit zur Individualisierung und Innovation.
 
In Sadar Vugas Wohnbauprojekt Zvezda (Stern) in Nova Gorica geschieht die Individualisierung und damit Identifikation auf drei Ebenen: Fassade, gemeinschaftlich genutzter Garten und Wohnung. Der Garten ist eine Art übrig gebliebener Raum in der Mitte des bogenförmigen Wohnblocks. Hier wird der öffentliche Bereich durch einen in Privatbesitz befindlichen gemeinschaftlichen Erholungsbereich ersetzt. Am spannendsten ist die Ebene der Fassade, die durch das Zusammenspiel von überdimensionierten Fensterrahmen und überartikulierten Balkonen geprägt ist. Die goldfarbenen Metallrahmen und die ebenfalls in Gold gehaltenen, gemusterten Balkonbrüstungen machen diesen Bau zum Wahrzeichen der Stadt Nova Gorica an der Grenze zu Italien.
 
Sadar Vuga glauben daran, dass Architektur die Gesellschaft verändern kann, daran, dass ein Gebäude einen Wandel auslösen kann, zuerst in seinem unmittelbaren Umfeld und später im größeren städtischen Kontext. Unter dieser Prämisse bauten sie inm Ljubljaner Stadtteil Krakowo, einem ehemaligen Fischerdorf, ein exklusives Wohnhaus an der Gradaška. Die eher ländlich geprägte Umgebung ist eine denkmalgeschützte Enklave innerhalb der Stadtstruktur. Der große, inmitten der geschützten kleinmaßstäblichen Struktur platzierte Baukörper forderte in der lokalen Architekturszene einigen Widerspruch heraus. Um eine Kommunikation zwischen außen und innen zu ermöglichen und so gesellschaftliche Aktivitäten im Umfeld anzuregen, wurden die Fassaden fast vollständig geöffnet und verglast und auf vorgelagerte Balkonbereiche und Terrassen verzichtet. Alle Bereiche, Schlafräume, Bäder und die zwei Geschosse hohen Wohnzimmer sind so einsehbar. Die Fassade fungiert als Mediator und stellt den Lebensstil der Bewohner zur Schau, die überwiegend der »neureichen« Elite angehören. Diese Einladung zum Voyeurismus regt die (Miss-)Kommunikation zwischen den neuen und den alten Nachbarn an, die nun ein und denselben sozialen Raum miteinander teilen – an einem Ort, wo sich Land zu Großstadt wandelt. Das »grobe« Volumen wird von Glas und grünem Stein getarnt, worin sich die Gärten der Umgebung spiegeln – als schäme es sich der perversen Zurschaustellung modisch möblierter Wohnungen. Die Fassaden-Verpackung, von Sadar Vuga als »Umschaltfläche« bezeichnet, weil sie zwischen Innen und Außen, Land und Stadt umschaltet, erzeugt bewusst eine Art verwirrender Schizophrenie – eine subversive Verpackung.
 
Von Skandinavien bis Spanien, von Prag bis Paris, von Slowenien bis nach Deutschland führt Verpackungs-Architektur zu einem Reklame-Städtebau, der das allgemeine Publikum anspricht. Wo programmatische Vorgaben fehlen, wird Architektur instrumentalisiert, da sich Kubikmeter hinter risikofreien Fassaden-Verpackungen besser verkaufen. Wie können Architekten, statt als Schönheitschirurgen von Investoren zu agieren, Eingriffe vornehmen, die über die bloße Verschönerung der Kiste hinausgehen? Einige slowenische Architekten liefern hierzu überzeugende neue Antworten.


Slowenische Industrie- und Handelskammer in Ljubljana
    • Bauherr: Slowenische Industrie- und Handelskammer in Ljubljana (SLO)
      Architekten: SVA (Sadar Vuga Arhitekti), Ljubljana (SLO)
      Gesamtnutzfläche: 18 189 m²
      Bauzeit: 1996 bis 1999
Studentenwohnheim Poljane in Ljubljana
    • Bauherr: Ministerium für Bildung und Sport
      Architekten: bevk perovi´c arhitekti, Ljubljana
      Mitarbeiter: Matija Bevk, Vasa J. Perović, Ana Čeligoj, Ursula Oitzl
      Gesamtnutzfläche: 13 000 m² (inkl. Tiefgarage), 56 Wohneinheiten, 220 Betten
      Bauzeit: 2005 bis 2006
Fakultät Mathematik und Physik in Ljubljana
    • Bauherr: Universität Ljubljana
      Architekten: bevk perović arhitekti, Ljubljana; Matija Bevk, Vasa Perović
      Mitarbeiter: Nika Prešeren, Robert Loher, Maja Valič Bauzeit: 2004 bis 2006
Apartment House Gradaška in Ljubljana (SLO)
    • Bauherr: Lesnina Inženiring d.d., Ljubljana (SLO) Architekten: SVA (Sadar Vuga Arhitekti), Ljubljana (SLO) Mitarbeiter: Beno Masten, Tadej Žaucer, Goran Golubič, Tomaž Čeligoj, Lucijan Šifrer, Ana Struna
      Nutzfläche: 3800 m²;12 Apartments, max. 350 m², min. 90 m²
      Bauzeit: 2003 bis 2006
Apartment House Zvezda in Nova Gorica (SLO)
  • Bauherr: Primorje d.d., Ajdovščina (SLO)
    Architekten: SVA (Sadar Vuga Arhitekti), Ljubljana (SLO)
    Mitarbeiter: Beno Masten, Goran Golubič, Milena Monssen, Miha Pešec, John Paul Americo, Tomaž Krištof, Vid Mozina, Lucijan Šifrer
    Nutzfläche: 4320 m² unterirdisch; 6281 m² oberirdisch
    Bauzeit: 2004 bis 2006
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