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»Technisch ein oldtimer«

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»Technisch ein oldtimer«

Seit rund fünfzehn Jahren plant Walter Unterrainer in Vorarlberg nahezu ausschließlich Gebäude im Passivhausstandard. Seine Wohnanlage in Batschuns war 1996 die erste, österreichische Reihenhausanlage in Passivbauweise und wurde 1997 mit dem Vorarlberger Solarbaupreis ausgezeichnet. Während der Bauphase entschied sich der Architekt spontan, selbst eines der Reihenhäuser zu beziehen. Ein Glücksfall, wie sich schnell herausstellte, denn so ließ sich sein eigenes Wohnhaus als Experimentierfeld nutzen. Noch heute, zehn Jahre später, wohnt er dort – und berichtet, wie sich das Leben im selbst geplanten Haus darstellt und was er heute vielleicht ändern würde.

  • Text: Walter Unterrainer, Christine Fritzenwallner
  • Fotos: Margherita Spiluttini, Walter Unterrainer
Die sechs Wohneinheiten in Passivhausbauweise zu je 126 m² Wohnfläche entstanden 1996 in dem mit rund 700 Einwohnern relativ kleinen Bergdorf Batschuns im Bezirk Feldkirch. Die zweigeteilte Wohnanlage besteht aus einem Doppelwohnhaus mit je drei Geschossen und einem Baukörper mit je vier zweigeschossigen Wohneinheiten. Das Projekt stellt in der mit vielen Einfamilienhäusern zerpflückten Gegend einen eher seltenen Fall dar: Zwei private Bauherren hatten auf eigenes Risiko zuerst das Grundstück gekauft, die Planung finanziert und dann die fertige und für manche Interessenten durch ihr Erscheinungsbild und den innovativen Charakter (keine Heizung, kein Kamin) mit vielen Fragen behaftete Wohnanlage vorfinanziert und schließlich verkauft. Die Gemeinde akzeptierte glücklicherweise die hohe Bebauungsdichte von 0,85, da nach Verhandlungen mit den Behörden über achtzig Prozent des zur Verfügung stehenden Bauareals in landwirtschaftliche Fläche zurückgewandelt wurden. Auf diese Weise durfte der obere Teil der Bebauungsfläche verdichtet bebaut werden. [1] ›
Konstruktion und Gestaltung
Über einem Sockel aus Beton (Tiefgarage) wurden Schotten aus zweischaligem Ziegelmauerwerk als Wohnungstrennwände (je 18 cm mit 5 cm Dämmung) errichtet. Das Innere der Häuser blieb stützenfrei und ohne tragende Innenwände – was eine variable Grundrissaufteilung, zugeschnitten auf die Wünsche der Käufer, zuließ, die zum Teil erst nach Rohbaufertigstellung gefunden wurden. Die Stahlbetondecke über dem Erdgeschoss ist mit eingelegten Lüftungsschlangen von 8 cm Durchmesser versehen. Die Gebäudehülle der Anlage besteht aus zellulosegedämmten Holzfertigteilen (U-Wert Dach 0,1, U-Wert Wände 0,11) mit – in Analogie an die verwitterten Holzschindelbekleidungen der umliegenden Bauernhäuser – vertikaler, unbehandelter Lärchenholzschalung sowie dreifachverglasten Fensterflächen (k=0,5) mit Lärchenholzrahmen. Diese wurden aus energetischen Gründen mit PU-Schaum überdämmt (s. u.) und mit einem aufgeklipsten Blech abgedeckt.
Das energetische Konzept in Batschuns ist ein kompaktes Passivhaus mit einem ausgewogenen Verhältnis Oberfläche-Volumen. Voraussetzung dafür, dass die Anlage ohne konventionelle Heizung auskommen kann, ist neben der Kompaktheit und richtigen Ausrichtung der Baukörper sowie der inneren Zonierung eine optimale Luftdichtigkeit bei höchstem Dämmstandard, die Vermeidung von Wärmebrücken und das kontrollierte Belüftungssystem mit Wärmerückgewinnung und Vorerwärmung über Erdwärmetauscher. Dass die im Lüftungssystem eingebaute, eigens entwickelte Miniwärmepumpe (Leistungszahl 3) zur Lufterwärmung ausreicht und auf eine zusätzliche Heizung für den Bedarfsfall verzichtet werden konnte, stellte allerdings erst die Überdämmung der Fensterrahmen sicher.
Pro Einheit gibt es Erdkollektoren von je 25 m Länge, ein Ansaugbrunnen befindet sich integriert in eine Fahrradbox auf dem gemeinschaftlichen Platz. Der Wirkungsgrad des Wärmetauschers (Gegenstrom) beträgt 85 Prozent. Die Luftabsaugung erfolgt im Erdgeschoss in der Küche (Herd) und im WC, die erwärmte Frischluft wird ebenfalls im Erdgeschoss bei der südlichen Verglasung wieder eingeblasen. Im Obergeschoss gibt es raumweise Zu- und Abluft mit Weitwurfdüsen über Türen.
Für die Warmwasseraufbereitung wurden Kollektoren sowohl in die Fassade integriert als auch auf dem Flachdach angebracht. Jede Einheit verfügt über einen eigenen 500 l-Speicher, der mit einem Durchmesser von weniger als einem Meter gut im Obergeschoss untergebracht werden konnte. Auf dem Dach ist eine Photovoltaikanlage für die spätere Montage vorgesehen – sie wurde allerdings bislang nicht errichtet, da Unterrainer, der sich selbst »als Anhänger zentraler Systeme« bezeichnet, bei der örtlichen, für alle Dorfbewohner nutzbaren PV-Anlage auf dem Dach eines Bildungswerkes »einkauft«.
Im Dialog
Mittlerweile haben Sie rund fünfzig Gebäude geplant und gebaut, nahezu ausschließlich in Passivhausbauweise. Die Wohnanlage in Batschuns war Ihr erstes Passivhausprojekt. War das zur damaligen Zeit explizit so vom Bauherrn gewünscht?
Der Bauherr wollte einfach ein radikal energieeffizientes Gebäude, Passivhäuser kannte er noch nicht. Die Anlage war tatsächlich mein erstes und gleichzeitig das erste Passivhausprojekt in der Größe in Österreich. Sie steht nun seit zehn Jahren. Die Wohnungen sollten zunächst in Niedrigstenergiebauweise entstehen, den restlichen Heizenergiebedarf sollte eine Hackschnitzelanlage gewährleisten. Erst im Laufe der Planungen kam es zum Passivhausstandard.
Gab es Schwierigkeiten während der Bauzeit?
Viele Probleme entstanden aus Unerfahrenheit. Damals gab es weder ein Passivhausberechnungsprogramm – die Anlage wurde aufwändig thermisch simuliert–, noch akzeptable Fenster für diesen Bedarfsfall und auch keine Wärmepumpe mit so kleiner Leistung, sie wurde daher eigens für das Projekt entwickelt. Zudem gab es größte Vorbehalte von den Handwerkern gegenüber der geforderten Luftdichtheit. Gelöst wurden die Probleme durch anstrengende Beharrlichkeit und den Pioniergeist der Errichter sowie einzelner Beteiligter.
Sie sprachen das zögerliche Interesse am Kauf der Wohnungen an. Und zogen schließlich selbst ein.
Beim Verkauf war es ein Nachteil, dass wir ein Passivhaus bauten, die Leute kaufen nichts, was sie nicht kennen, und es glaubte kaum jemand, dass das Konzept komfortabel funktioniert. Ich bin selbst eingezogen, weil mir der Ort immer besser gefiel und im Laufe der Planungszeit auch das Energiekonzept immer kompromissloser wurde. Mit der geplanten Hackschnitzelheizung hätte sich das halbe Dorf versorgen lassen, durch die Umplanung in ein Passivhaus ganz ohne Heizung und die daraus resultierende, vielfach prophezeite Aussage »Ihr werdet alle frieren« hat es mich schließlich umso mehr gereizt, dort zu wohnen. Es stellt für einen Architekten einen Glücks-
fall dar, wenn er sein eigenes Haus plant, ohne es zu wissen. Die Entscheidung fiel während des Rohbaus. Ich habe als vierter von sechs das halbfertige, sehr kostengünstige Haus gekauft, wie meine Nachbarn als ganz normaler Kunde. Bislang ist niemand ausgezogen, noch immer leben hier die ursprünglichen Eigentümer.
Nun wohnen Sie also zehn Jahre in der Reihenhausanlage. Welche besonderen Erfahrungen haben Sie anfangs gemacht? Gibt es Dinge, die Sie aus heutiger Sicht ändern würden?
Ich war erstaunt, wie gutmütig das energetische Konzept ist und wie wenig man falsch machen kann: Ich habe mein Haus zwei Jahre lang als Experimentierfeld benutzt und alles gemacht, was man angeblich in einem Passivhaus nicht machen darf, also bewusst energetisch Unsinniges getan, viel gemessen und dabei sehr viele Erfahrungen für meine anderen Bauten gemacht. Ich habe zum Beispiel im Winter das Schafzimmerfenster längere Zeit gekippt. Oder ich bin über zwei Wochen im Winter in Urlaub gefahren und schaltete einfach die Lüftung aus. Dennoch waren es danach 19 Grad in der Wohnung, die minimalen solaren Gewinne reichten – das Haus kühlte nicht aus. Meine gesammelten Erfahrungen waren also hauptsächlich Bestärkungen dessen, was ich vermutet hatte. Dies betrifft auch die Raumanordnung oder verschiedene Aufstellorte, beispielsweise die von Waschmaschinen, die häufig unsinnig im Keller stehen – statt da, wo die Wäsche anfällt … Ich würde auch heute planerisch nichts ändern, wenngleich das Projekt technisch ein Oldtimer ist und die Kompaktlüftungsgeräte der neuesten Generation wesentliche Vorteile – zum Beispiel Warmwasseraufbereitung mit integrierter Wärmepumpe – besitzen. Ich würde einfach neueste Technik einbauen.
Wie hoch ist der Energieverbrauch?
Der rechnerische Energieverbrauch liegt bei etwa 11 kWh/m² a. Der Verbrauchswert stimmt mit dem errechneten nahezu überein; er schwankt natürlich je nach Bewohnerzahl der einzelnen Wohneinheiten. Nachgebessert wurde bei einem Randhaus, wo die Leistung der ›
› Wärmepumpe nicht ganz ausreichte, um die bei uns üblichen 22–23 Grad Raumtemperatur jederzeit zu erreichen.
Sie möchten bei 19 Grad schlafen. Gleichzeitig möchte ein anderer Bewohner aber noch bei 22 Grad im Wohnzimmer Musik hören und lesen. Ist es in einem Passivhaus regelungstechnisch möglich, die einzelnen Räume unterschiedlich zu temperieren?
Das geht nur, wenn man es sehr bewusst angeht, etwa durch die Zonierung, nach Norden lassen sich niedrigere Temperaturen erreichen. Einen großen Temperaturunterschied zu machen, geht aber nicht so einfach – ich halte das aber auch nicht für notwendig und für Pseudoargumente. Wenn jemand unbedingt größere Temperaturunterschiede will, ist es zwar möglich, aber sehr aufwändig, zum Beispiel bedeutet das unter anderem gedämmte Innentüren.
Was hat sich Ihrer Meinung nach im Passivhausbau seither verändert ? Gibt es Dinge, auf die Sie mittlerweile während der Planung oder der Bauphase besonderen Wert legen?
Im Passivhausbau gibt es inzwischen mehr Erfahrungen und heute ist es ungleich leichter, ein Passivhaus zu planen und zu realisieren. Es gibt bessere und einfachere Berechnungswerkzeuge – wir nutzen das Passivhausbe-rechnungsprogramm von Feist –, es gibt bessere Lüftungsgeräte, Strom sparendere und dennoch stimmungsvolle Beleuchtung, etwa LEDs. An den Grundzügen hat sich nichts verändert, manche Details können heute mit meinen Erfahrungen kostengünstiger gebaut werden. Wichtig sind Blower-door-Tests und Thermografieaufnahmen. Mein Büro macht das bei allen Projekten. Vor allem unter Einbeziehung der Handwerker, das steigert deutlich die Qualität der Ausführenden.
In Deutschland ist man heute im Passivhausbau in etwa da angelangt, wo man in Vorarlberg schon vor fünf oder zehn Jahren war.
In Deutschland sind Passivhäuser oftmals todernste Angelegenheiten, die sicher gut funktionieren. Aber es fehlt meist die Leichtigkeit, die Poesie, das Spiel mit Licht und Material. Als Architekt sehe ich das gesamtheitliche Ergebnis. Mir wurde oft von deutschen Experten vorgeworfen, mit geringeren Glasflächen nach Süden beispielsweise hätte ich noch eine bessere Energiebilanz. Allerdings ist das Ergebnis meiner Arbeit (hoffentlich) qualitätvoller Raum, der auch finanzierbar ist – und nicht eine abstrakte Kilowattstundenmathematik im Kommabereich. Ich kenne ein Cepheusprojekt [2], das die Fenster mathematisch optimiert hat – das hat innenräumlich den Charme eines Sozialbaus alten Typs und nach außen den Ausdruck eines Bunkers. Ich möchte dort nicht wohnen. Ein Passivhaus ist typologisch eine Thermosflasche – die Kunst des Architekten besteht darin, dass man keine Sekunde das Gefühl hat, in einer Thermosflasche zu wohnen oder dass das Gebäude den Ausdruck einer Thermosflasche zeigt. •
  • Literaturhinweise: [1] Vgl. auch: db 10/2000 Energiekonzepte, Seite 114 ff [2] Cost Efficient Passive Houses as European Standards. Von der EU gefördertes, länderübergreifendes Projekt, siehe www.cepheus.de
  • Bauherr: Errichtergemeinschaft Amann/Ess, Batschuns (A) Architekt: Walter Unterrainer, Feldkirch (A) Haustechnik, Simulation: IBN – Ingenieurbüro Peter Naßwetter, Zwischenwasser-Batschuns (A) Nutzfläche (gesamt): 780 m² Bauzeit: 1996 –97
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