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Stadtentwicklung mit Augenmass

Architekten als Sachwalter
Stadtentwicklung mit Augenmass

Strategische Masterpläne haben Konjunktur. Duisburg hat es mit Norman Foster vorgemacht, Köln arbeitet daran mit Albert Speer und selbst die Jahrestagung des weltweiten Expertennetzwerks der Immobilienwirtschaft Urban Land Institute widmete sich im Juni in Washington D.C. dem Thema »Developing Master-Planned Communities«. Zielvorstellung ist die dichte, an-sprechend gestaltete, ökologisch ausgerichtete Stadt, die eine Lebensgrundlage für alle Einkommenschichten bietet, denn nur sie habe Aussichten auf eine erfolgversprechende Zukunft.

Gudrun Escher

Solche Kriterien sind, bis auf die »grüne« Ausrichtung, nicht neu, die Verfahren haben sich jedoch gewandelt. Nicht allein der Plan, sondern seine Um- und Durchsetzung machen den Unterschied aus. So blieben die Planungswerkstätten der neunziger Jahre wie beispielsweise zum Universitätsviertel in Essen ohne Ergebnis, weil es weder Geld noch eine Organisationsform für die Weiterbearbeitung gab. Duisburg dagegen hat kurzerhand die erfolgreiche »Innenhafen Entwicklungsgesellschaft« als »Innenstadt Entwicklungsgesellschaft« mit erweiterten Aufgaben betraut. Stadtentwicklung kann unter heutigen Bedingungen nur im Verbund mit privatwirtschaftlichen Investoren gelingen und diese engagieren sich nur, wo gute Renditen zu erwarten sind. So haben einige Städte Mühe, überhaupt Be-achtung zu finden, andere sehen sich Ansprüchen gegenüber, die sie nicht erfüllen können oder wollen. Da ist die öffentliche Verwaltung gut beraten, die sich Rückendeckung von professioneller Seite verschafft; ob in der Klein-stadt Klütz in Mecklenburg-Vorpommern, wo ringsum Einfamilien- und Ferienhaussiedlungen sich in die Landschaft fressen, oder in Algier mit einem derzeit erwarteten Bevölkerungswachstum von fast drei Millionen bis 2020 auf 15 Millionen und arabischen Anlegern, die ihre Milliarden in einer islamischen Wachstumsregion unterbringen wollen.
KLÜTZ – EINE STADT INDIVIDUALISIERT SICH
Solange man den Klützer Kirchturm sieht, befindet man sich im Klützer Winkel, sagt der Volksmund. Das Städtchen mit 3500 Einwohnern liegt drei Kilometer südlich von Boltenhagen an der Ostseeküste – auf halber Strecke zwischen Lübeck und Wismar. Dazu kommen sechs Dorfschaften im Umkreis. Bereits um 1230 gab es das Kirchspiel Clutse zwischen ausgedehnten Wäldern, Stadtrechte genießt Klütz erst seit 1938. Von Feudalbesitz im Klützer Winkel kündet das 1726 nach englischem Vorbild am Ortsrand errichtete Schloss Bothmer, dessen Dreiflügelanlage einschließlich Festonallee und Park fast unverändert erhalten ist. Nach einem gescheiterten Privatisierungsversuch nach der Wende kaufte Anfang 2008 das Land das Ensemble zurück, um es für kulturelle Zwecke wiederherzustellen.
Das Stadterneuerungsprogramm Mecklenburg-Vorpommern identifizierte Klütz 1991 als Sanierungsgebiet, was alle weiteren Schritte einleitete: 1992 erarbeitete das Lübecker Architekturbüro Chlumsky Peters Hildebrand (heute GPK Architekten) im Direktauftrag einen Rahmenplan mit Erhaltungssatzung, 1993 das Konzept einer Gestaltfibel, 2004 die Gestaltungssatzung für die Innenstadt einschließlich Verkehrskonzept und 2006 eine Aktualisierung. Für Werner Peters, der sich hier persönlich engagiert, ist daraus eine Art Lebensaufgabe erwachsen. Einerseits erhielt das Büro kontinuierlich Aufträge für den öffentlichen Bereich und konnte sogar das traditionelle Kopfsteinpflaster auf der Hauptstraße durchsetzen; trotz Lärmbelästigung durch den Schwerlastverkehr, weil sich der Bau einer Umgehungsstraße verzögerte. Andererseits berät Peters bau- und sanierungswillige Hauseigentümer. Diese Leistung wird aus Mitteln der Städtebauförderung finanziert, um personell unterbesetzte Bauämter zu unterstützen. Gelegentlich ergaben sich daraus weitere Architektenleistungen. Nicht zuletzt dank kontinuierlicher Kontakte mit den Bauausschüssen, Vorträgen und Bürgerforen kennt Peters inzwischen drei Viertel der Hausbesitzer der Stadt, die auch bereit sind, sich für Klütz einzusetzen. So konnte die Ansiedlung einer Supermarktkiste am Marktplatz abgewehrt und an den Rand des Sanierungsgebietes verlagert werden, zugunsten des bestehenden Lebensmittelladens. Für eine behutsame und hochwertige Nachverdichtung auf nur 15 definierten Bauplätzen empfiehlt Peters Wettbewerbsverfahren, aber ob die Verwaltung im Einzelfall nicht doch einknickt, bleibt ein Risiko.
Negative Erfahrungen gab es bereits mit dem Neubaugebiet, das zwischen der Stadtgrenze und dem ersten Teilstück der Umgehungsstraße entstand. Dort wurde ohne geregelten B-Plan gebaut »und so sieht es auch aus«, meint Peters. Das soll künftig vermieden werden. 2005 regte er die Ausschreibung eines Bauherrenpreises für Klütz an – mit sehr positivem Echo – , 2006 zog eine Ausstellung auf Schloss Bothmer die Bilanz aus 15 Jahren Städtebauförderung des Landes und 2009 wird die Region externer Standort der BUGA in Schwerin sein. Die Landesauftaktveranstaltung zum »Tag der Architektur« 2008 fand im »Uwe-Johnson-Literaturhaus« statt, einem nach Entwurf des Büros GPK in einem alten Getreidespeicher am Markt ein- gerichteten Kulturtreff. Name und Programm nehmen darauf Bezug, dass Klützer Bürger die Vorbilder für das Personal in Uwe Johnsons Roman »Jahrestage« abgaben. Klütz ist im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Die Bevölkerung wächst, junge Familien, die den Reiz des Ländlichen und noch Preiswerten schätzen, ziehen her, es folgen Handwerker, Gastronomie und sanfter Tourismus. Anders im nahegelegenen Boltenhagen, wo auf 118 000 Quadratmetern ehemaligem Militärgelände für hundert Millionen Euro das »Weiße Wiek« neu gebaut wurde; mit 191 Apartments und 21 Häusern im »TUI Dorfhotel«, dazu ein weiteres Großhotel und eine Marina.
ALGIER – KLEINTEILIGE PROJEKTE AUCH MIT GROSSEm GELD
Vergleichbar ist die Situation in Algier hinsichtlich des über Jahrzehnte angewachsenen Erneuerungsstaus. Auf phönizische und römische Ursprünge zurückgehend, wurde die Stadt 960 neu gegründet und erhielt unter Pascha Khayr ad-Din 1529 sowohl den ersten ausgebauten Hafen als auch eine Festung auf dem Felsen über der arabisch geprägten Altstadt, der Kasbah. Seit der französischen Eroberung 1830 wuchs die jetzt europäische Stadt entlang der Küste nach Osten mit Straßenfluchten à la Haussmann. Dieses heterogene Gebilde hat bis heute Bestand, denn 1938 kamen die Pläne von Le Corbusier für eine radikale Überformung – aus heutiger Sicht glücklicherweise – nicht zur Ausführung. Die staatliche Unabhängigkeit wurde erst 1962 erreicht, gefolgt von Unruhen und starkem Bevölkerungsschwund. Dies und das Fehlen eines juristischen Rahmens ›
› für Bebauungspläne verhinderte eine anspruchsvolle Weiterentwicklung, zumal alle Baumaterialien importiert werden müssen. Da lag die Entscheidung für billige chinesische Baufirmen nahe, was sich mit schlechter Bausubstanz rächte. Erst in jüngster Zeit ermöglicht der wirtschaftliche Aufschwung einen Neubeginn; notwendig geworden durch eine überlastete Verkehrsinfrastruktur sowie dramatische Wasser- und Luftverschmutzung in der Stadt, die einmal »die Weiße« genannt wurde. Zu besonderen Anstrengungen spornen zudem das 2012 anstehende fünfzigjährige Jubiläum des Staates Algier sowie die Kandidatur für die Olympischen Spiele 2016 an. Fernziel ist die »Ökometropole des 21. Jahrhunderts am Mittelmeer«.
Parallel zu einem Masterplan-Wettbewerb für den Stadtteil unterhalb der Burg, den das portugiesische Büro Parque Expo gewann, war das Pariser Büro Arte Charpentier 2005 erfolgreich in dem beschränkten Wettbewerb für die städtebaulichen Pläne zur Restrukturierung der Küste, gefolgt Ende 2007 von einem Vertrag in einem Planungskonsortium mit der Distriktregierung des Wilaya d’Alger. Damit hat ein auf 15 Jahre angelegter Prozess begonnen, der primär nicht auf Neubauten ausgerichtet ist, sondern auf das Herausarbeiten von Möglichkeiten mit der Zielrichtung, die Stadt ökologisch aufzuwerten und wieder mit dem Meer zu verknüpfen. Diese Aufgabe ist zweigeteilt in kurzfristige Maßnahmen, deren Planung im Juli abgeschlossen wird und die innerhalb von sechs bis 18 Monaten in die Reali- sierung gehen werden, und einen langfristigen Rahmenplan. Einer der ersten Schritte ist die Verwandlung der jetzigen Autobahn entlang der Küste in einen städtischen Boulevard unter Beibehaltung des historischen Arkadensystems. Hier ermöglicht es die Verlagerung des Industriehafens, die »Terrasse du Port« samt Fährhafen als Promenade anzulegen und mit dem traditionellen, viel besuchten Strand Bab el Oued zu verbinden. Der andere Schwerpunkt ist der »Platz der Märtyrer« zu Füßen der als Welterbe registrierten Kasbah. Er wird nicht nur Knotenpunkt der neuen Metro- und Straßenbahnlinien, sondern birgt unter sich Gewölbe aus osmanischer Zeit, die, mit Verknüpfung zur Promenade, als Bazar neu genutzt werden können. Der dann autofreie Stadtplatz soll künftig seiner ideellen wie stadträumlichen Bedeutung wieder entsprechen. Parallel erfolgen Maßnahmen zur ökologischen Optimierung mit einem passiven Filtersystem für Abwässer, in das landwirtschaftliche Flächen einbezogen werden, was zugleich mit Bewuchs und Grünzonen die Qualität der Stadtluft verbessert. Der langfristige Rahmenplan betrifft ein verträgliches Gesamtkonzept mit mehreren neuen Kristallisationspunkten für fünfhundert bis tausend Meter entlang der bebauten Küste, den das Architektenteam um Emmanuel Pouille bis Anfang 2009 erarbeiten soll. Hierfür mussten sie eine Erfolgsgarantie unterzeichnen. Eine ihrer Aufgaben wird in Abstimmung mit der Wilaya d’Alger dann darin bestehen, Bauvorhaben internationaler Investoren für lukrative Filetstücke in dem betreffenden Bereich zu begutachten beziehungsweise Planänderungen zu empfehlen, wenn nicht die angemessene Qualität erreicht wird, und man wird versuchen, nicht nur Geschäftshäuser, sondern auch Wohnprojekte auf den Weg zu bringen. Hier ist Konfliktpotenzial gegeben, aber auch die Chance für eine nachhaltige Erneuerung der einst für ihre Schönheit berühmten »Baie d’Alger«. •
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