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Stadt, Haus, Dorf

Bodenständige Bautypen für Berlins Bürgertum: drei kontroverse Beispiele
Stadt, Haus, Dorf

»Townhouse« ist eines der Lieblingsworte auf dem Berliner Immobilienmarkt. Die Makler werben mit großstädtischem Lebensgefühl und dörflicher Ruhe um eine wohlhabende Klientel. Dagegen möchte die Politik die Mittelschicht mit Stadthäusern in der Innenstadt halten. In den Nachbarschaften lösen die Projekte oft Angst vor Verdrängung aus. Symbol für Abgrenzung und Rückzug ist dabei der Zaun, der »Gated Communities« wie das »Urban Village« Marthashof umschließt.

Kritik: Carsten Sauerbrei Fotos: Werner Huthmacher, Christoph Gunßer

Dort, wo alles begann, wird nur auf wenigen Parzellen noch gebaut. Das Berliner Pilotprojekt der »Townhouses Friedrichswerder« ist fast fertig. Was vor zehn Jahren unvorstellbar schien, ist schon Alltag geworden – die Rückkehr des Innenstadtwohnens in Form von Einfamilien-Reihenhäusern. Dicht an dicht stehen die 4,50 bis 9,75 m breiten und bis zu fünf Geschosse hohen Häuser auf den 47 Parzellen. In zwei Baublöcken, mitten im historischen Zentrum zwischen Plattenbaumoderne, Gründerzeithistorismus und 30er Jahre Monumentalität entschied sich die Stadt, das Experiment zu wagen und die Mittelschicht als Bauherren zu gewinnen. Hier sollte nach dem städtebaulichen Konzept von Bernd Albers ein dichter, innerstädtischer Stadtteil auf altem Grundriss entstehen. Die Skepsis war anfangs groß, ob es überhaupt eine Nachfrage nach den engen, hohen Gebäuden mit handtuchgroßem Garten geben würde.
»Wir hatten die Befürchtung, die Baugrube wieder zuschütten zu müssen«, so die mit der Umsetzung beauftragten Planer. Es kam aber ganz anders. Die Parzellen wurden in Windeseile verkauft, alle Häuser innerhalb von fünf Jahren errichtet und bezogen. Das Ziel, Bauherr gleich Bewohner, ist für zwei Drittel aller Häuser tatsächlich erreicht worden. Nur bauten bei Preisen von mehr als einer Million Euro für 300-400 m² Nutzfläche wohl eher keine Durchschnittsverdiener, wie anfangs gewünscht.
Das neue Luxusquartier verstärkt die ohnehin vorhandenen Ängste vor Mietsteigerungen, vor allem bei den Bewohnern der Plattenbauten nebenan. In den zwei neu angelegten Parks könnten sie und ihre neuen Nachbarn miteinander ins Gespräch kommen. Allerdings scheint das beim Spaziergang oder bei einer Begegnung auf dem Spielplatz nicht zu funktionieren. »Ja, man sehe sich. Nein, man rede nicht miteinander. Jeder bleibe für sich«, so die Anwohner.
Den Eindruck von Rückzug und Distanz vermittelt dann auch das Straßenbild an der östlichen, dem Altbau des Außenministeriums gegenüberliegenden Seite. Entlang des Nordparks verläuft eine schmale Spielstraße, dann folgen Vorgärten mit sauber gestutzten Hecken, Stellplätzen sowie Garagen zwischen denen die Eingänge versteckt sind. Den Fassaden der Häuser hätte Zurückhaltung sicherlich gut getan. Hier jedoch regiert das Chaos. Jeder Bauherr und Architekt pflegte die eigenen Vorlieben. Da verspringen die Traufen und Geschosshöhen von Haus zu Haus. Da wechselt der Ausdruck vom verschinkelten Neoklassizismus in Putz oder Naturstein, über Art- Deco-Zitate in Klinker bis hin zu verspäteter, papageienbunter Postmoderne. Dazwischen einzelne durchaus gelungene Beispiele einer sachlichen, zeitgenössischen Formensprache. Insgesamt jedoch vermittelt die Gebäudezeile den Eindruck vorstädtischer Verzettelung und kann der gegenüberliegenden, monumentalen Fassade der ehemaligen Reichsbank nichts entgegensetzen.
Urbaner wirken im Vergleich dazu die Häuserreihen im Westen. Die Gebäude stehen hier direkt am Bürgersteig in der historischen Bauflucht – ein dichtes Gegenüber von privatem Wohnhaus und Gründerzeitgeschäftshaus entsteht. Büros und Läden beleben die ersten beiden Geschosse. Einige der Türen und Tore sind bewusst als Übergänge zwischen öffentlichem und privatem Raum gestaltet. Auch hier gibt es gelungene und weniger geglückte Lösungen für die innerstädtische Fassade. Allerdings verhindert die Enge des Straßenraums den allzu kritischen Blick. Das Experiment, städtischen Raum wieder zu gewinnen, scheint an dieser Stelle zu gelingen.
Einige Kilometer entfernt, unmittelbar am früheren Grenzstreifen zwischen Ost und West, vermitteln gereihte Gartenhäuser eher ein Gefühl südeuropäischer Dichte denn Berliner Urbanität. Zu ihnen gelangt man über einen Durchgang in der Blockrandbebauung an der Strelitzer Straße. Vor dem Besucher öffnet sich ein kleiner Hof mit einem schmalen Wohnweg, der sich zwischen drei- bis viergeschossigen Reihenhäusern hindurchschlängelt. Kleine Stege, Podeste oder Treppen führen zu den Eingängen. Eine intime, fast dörfliche Situation, der Besucher ist halb Eindringling, halb gern gesehener Gast. Am Ende des Wegs öffnet sich unvermittelt ein weiter Freiraum – die zukünftige Gedenklandschaft im ehemaligen Mauerstreifen. Der Blick zurück zeigt eine kleine, in sich geschlossene Gebäudeinsel am Rand der Gründerzeitbebauung. ›
› Bevor die sechzehn Parzellen an Bauwillige vergeben wurden, hatten die Stadt und der Eigentümer bereits grundsätzliche Fragen geklärt – die städtebauliche Struktur war festgelegt, eine Gestaltungssatzung schrieb einheitliche Traufhöhen und eine zurückhaltende Fassadengestaltung vor, der Wohnweg wurde als öffentliche Verbindung ausgewiesen. Heute, nach Fertigstellung fast aller Gebäude, fügt sich das Implantat nicht ohne Schwierigkeiten in den Stadtkörper ein. Im Innern entspricht es stimmig dem Bedürfnis nach ruhigem Wohnen. Nach außen, an der Schnittstelle zur Öffentlichkeit, wird jedoch die Ambivalenz der Randlage deutlich. Die Häuser dort besitzen alle zwei Eingänge, einen vom Wohnweg aus und einen am Mauerstreifen. Um letzteren ohne Umwege zu erreichen, müssten Besucher allerdings zunächst eine niedrige, die Grundstücksgrenze markierende Hecke überwinden. Nicht Rückzug, sondern Hinwendung zur Stadt seien ihnen jedoch wichtig, sagen die Bewohner übereinstimmend. Der öffentliche Wohnweg ist für sie eine willkommene Möglichkeit, in Kontakt mit Nachbarn und Besuchern zu treten. Schließlich sei man privilegiert, sich den Wunsch nach innerstädtischem und grünem Leben im selbst gestalteten Haus erfüllen zu können. Dass es dafür ein großes Bedürfnis gibt, davon sind die Architekten Jens und Laura Ludloff überzeugt. Und Kai Hansen, der neben dem eigenen fünf weitere Gebäude entworfen hat, betont die Möglichkeit, relativ günstig und selbstbestimmt zu bauen – der Preis lag für rund 200 m² Nutzfläche bei 400 000 Euro. Mit dem in Berlin selten angewandten Erbbaupachtmodell konnte der Grundstückspreis eingespart werden. Hier gelingt, was auf dem Friedrichswerder scheiterte: Das eigene, innerstädtische Haus zu einem vertretbaren Preis. Auch der architektonische Ausdruck unterscheidet sich wohltuend vom anderen Quartier. Scheinen dort die einzelnen Fassaden einen Wettbewerb um Aufmerksamkeit zu führen, so ergibt sich hier ein harmonisches Gesamtbild. Die Beschränkung auf wenige Materialien – Sichtbeton, Putz, Holz, Metall – ein neutrales bis warmes Farbspektrum und die klare, sachliche Formensprache sind die Gründe dafür. Das Reihenhaus erscheint darüber hinaus hier in Randlage und zweiter Reihe angemessener als in Citylage und der ersten Reihe auf dem Friedrichswerder.
Umzäunter Luxus: »Urban Village« Marthashof
Bei dem nur wenige Straßenzüge entfernten, weitaus größeren Projekt auf dem Marthashof in Prenzlauer Berg sind Abgrenzung und Nachbarschaft die Themen, über die kontrovers diskutiert wird. Für das Wohnen im Grünen, Geborgenheit und Schutz wirbt der Projektentwickler. Von antisozialem Aufwertungsirrsinn, einer »Gated Community« und der Zerstörung von Freiräumen sprechen Anwohner und Nachbarn der Eigentumswohnanlage, die mit Quadratmeterpreisen ab 3 000 Euro, die in anderen Metropolen durchaus üblich sind, in Berlin zum Luxussegment gehört. Obwohl erst ein Bauabschnitt bezugsfertig ist, lassen sich vor Ort die städtebauliche Struktur und das Erscheinungsbild schon gut erkennen.
An die umgebende Blockrandbebauung schließen zwei 7-geschossige Kopfbauten an, zwischen ihnen entsteht ein kleiner Stadtplatz. Der Platz bricht den geschlossenen Straßenraum auf und bildet ein Gegenüber zum historischen Schulgebäude auf der anderen Straßenseite. Im Zusammenspiel mit den angrenzenden Gewerbeflächen kann dadurch ein lebendiger Stadtraum entstehen. Ab dem 2. bzw. 3. OG zeigen Glasbrüstungen umlaufender Loggien die Wohnnutzung an. Die davor angeordneten, faltbaren Metall- paneele – dunkelbraune Lochbleche mit floralem Ornament – geben den Kopfbauten ihr einprägsames Erscheinungsbild. Sie beleben die Fassade durch ihre verschiedenen Öffnungsgrade. Wenn vollständig geschlossen, lassen sie aber auch das Bild einer Festung entstehen. Hinter Platz und Kopfbauten öffnet sich ein großer Gartenhof, umsäumt von einer U-förmigen Reihe vier- bis sechsgeschossiger, schmaler Gebäude. Vom Zaun, der den Hof nachts abschließen soll, ist im Moment noch nichts zu sehen. Versprünge in den Fassaden und bei den Gebäudehöhen rhythmisieren die Gebäudezeile. Gleichzeitig beruhigen die klare Formensprache und die disziplinierte Materialwahl – Putz in verschiedenen Grautönen – das Gesamtbild.
Dieser Gestaltung liegt das Ergebnis eines im Winter 2006 durchgeführten Wettbewerbs zu Grunde. Es ging um hochwertigen Wohnungsbau auf dem rund 12 000 m² großen Grundstück. Außerdem sollte ein öffentlich zugänglicher Grünraum berücksichtigt werden. Den Spagat zwischen den Anforderungen der Öffentlichkeit und denen des Geldgebers schaffte das Konzept von Grüntuch Ernst Architekten am besten. Die Jury lobte die klare städtebauliche Figur, kritisierte jedoch die »kleinstädtische Wirkung« der vorgeschlagenen drei- bis sechsgeschossigen Bebauung. Gebaut wird jetzt im Durchschnitt ein Geschoss höher. Der Investor dürfte sich über die zusätzlichen Flächen gefreut haben.
Alles andere als erfreut über die hohe Verdichtung sind die Mitglieder der Anliegerinitiative Marthashof. Sie wohnen in den angrenzenden Häusern und damit zukünftig auf der Schattenseite. Von einem der benachbarten Höfe aus betrachtet, ragt das »städtische Dorf« tatsächlich auf wie ein Gebirgszug. Seit der Verkürzung der Regelabstandsflächen um 60 % im Jahr 2006 sind in Berlin wieder dunkle und enge Räume möglich, die längst Geschichte waren. Und ob der Gartenhof tatsächlich offen bleibt, wenn das erste Graffiti auftaucht, da haben die Nachbarn so ihre Zweifel. Bei ihnen wächst mit diesem und vergleichbaren Luxusprojekten die Angst vor Verdrängung und der Zerstörung ihrer Lebensräume, genau wie in anderen Teilen der Berliner Innenstadt. Der Abstand zwischen guten und schlechten Lagen vergrößert sich in Berlin seit Jahren. Eigentlich höchste Zeit zum Gegensteuern für Politiker und Planer. Dafür fehlen in Berlin auch, aber nicht nur die finanziellen Mittel – Sanierungsgebiete werden aufgehoben, Sozialer Wohnungsbau findet seit 2003 nicht mehr statt, Mietobergrenzen gibt es nur für einen Bruchteil von Wohnungen. So bleibt die weitere Entwicklung allein dem Markt überlassen und gute Architektur ein für viele unbezahlbarer Luxus. •
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