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Grundschule in Mulan (Guangdong) von Rural Urban Framework

Grundschule in Mulan (Guangdong)
Spieglein auf dem Lande

Entgegen dem Trend, kleinere Schulen zu größeren Einheiten zusammenzulegen, durfte das Dorf Mulan im subtropischen Süden Chinas seine Schule behalten und von einem Planerteam aus Hongkong zu einer Art Dorfplatz ausbauen lassen. Mit Ziegeln aus Abbruchhäusern der Umgebung und unter Nutzung einfacher Techniken entstand ein Gebilde, mit dem sich die Ortsansässigen leicht identifizieren können.

  • Kritik: Christiane Lange Fotos: Rural Urban Framework
Auch in den ländlichen Gegenden Chinas hat die Verstädterung Einzug gehalten. Schnell und schonungslos bahnt sich ein Spinnennetz aus Infrastruktur seinen Weg durch die Landschaft. Halbfertige Ziegel- und Betonrohbauten mit vier und fünf Geschossen schießen wie Pilze aus dem Boden. Auf Rodungsflächen entsteht Baugrund, auf dem riesige Tafeln das Wachstum im Kreis Huaiji (Provinz Guangdong) preisen. Auch die Felder werden bebaut, traditionelle Dorfhäuser stehen leer. In diesem Spannungsfeld zwischen sozialem Wandel und rapidem Wachstum, das im ländlichen Raum zumeist ohne die Einbindung von Architekten vonstatten geht, wirken die Partner von Rural Urban Framework (Rufwork) und die Universität von Hongkong. In kleinen Eingriffen wird dabei Architektur zum Experimentierfeld und auch zur Rezeptur.
Prozess UND Einbindung
Irgendwo zwischen den beiden Millionenstädten Guangzhou und Guilin, nur 40 m von der Baustelle der Schnellbahntrasse entfernt, liegt das Dorf Mulan. Noch vor drei Jahren, als Rufwork von der Stiftung »Power of Love« mit der Erweiterung der Dorfschule in betraut wurde, war Mulan eine acht- bis zehnstündige Busreise von Hongkong entfernt. Heute erreicht man das Dorf in fünf Stunden, bereits im nächsten Jahr sollen es nur noch drei Stunden sein.
Der von der Politik vorangetriebene Verstädterungsprozess bewirkt, dass Schulen in die Städte verlagert werden. Die Grundlagen für Instandhaltung, Ausbau und Bildungsförderung werden den Dörfern entzogen, Familien können sich die Ausbildung ihrer Kinder in den Städten nicht leisten und sind zudem in der Schulausbildung durch das Hukou-Gesetz (Wohnsitzkontrolle) an ihr Dorf gebunden. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, setzen sich manche Behörden, einige soziale Institutionen, Stiftungen und auch Universitäten für die Erhaltung der Schulbauten und die Bildung auf dem Land ein.
Die Größe von Mulan ist schwer zu erfassen. Das Dorf erstreckt sich idyllisch am Abhang eines Bergs entlang eines Flusses. Ein Pfad und dicht gedrängte Häuser und Gärten definieren den Kern des Dorfs. Das Schulensemble liegt am Ende des Pfads.
Ursprünglich waren sich Schulamt, Dorfbewohner und der Geldgeber Power of Love einig, die Schule als Einzelbau zu errichten und den Bestandsbau nach der Fertigstellung abzureißen. Schneller als die Architekten auf die Bauaufgabe reagieren konnten, war ein Teil der Hügelspitze für den zukünftigen Baugrund abgetragen worden. Die Architekten entschlossen sich jedoch gegen den Abriss und fügten stattdessen auf einer unbenutzten Restfläche ein Gebäude mit einem zusätzlichen Hof geschickt zwischen Altbau und einer Häusersequenz ein. Das dichte Dorfgefüge erfährt dadurch eine selbstverständlich wirkende Vervollständigung. ›
› Die Außenanlagen der Schule und die Brachfläche bieten bisher noch ein trostloses Bild. Ein weiterer Stifter ist jedoch gefunden, mit dessen Hilfe das Gelände in den kommenden Monaten mit einem Basketballfeld und neuen sanitären Anlagen ergänzt werden kann. Eine Pflanzenkläranlage soll dabei nicht nur die natürliche Abwasserregulierung übernehmen, sondern auch dem Hochwasserschutz dienen. Seit dem Bau der Bahntrasse ist der natürliche Regenwasserabfluss unterbrochen, und es kam bei Monsunregen vermehrt zur Überflutung der Schule. Der Ausbau der bisher eher kargen Klassenräume, Bücherei und Gartengestaltung warten jeweils noch auf Unterstützung durch stiftungswillige Namensgeber.
Bewährtes UND Raumerweiterung
Der etwa 20 Jahre alte Bestandsbau zeigt eine sehr einfache Variante des bewährten Typus‘ eines traditionellen Hofhauses. Zusammen mit der Ummauerung bildet der eingeschossige Lehmbauriegel mit Ziegel-Satteldach den Schulhof, zu dem hin die Klassenräume orientiert sind. Dachüberstand und dicke gelbe Lehmziegel-Mauern sorgen im heißen Sommer für Schatten und Kühlung. Im subtropischen Klima fallen die Temperaturen nicht unter 0 °C, dafür ist es im Sommer sehr heiß und feucht.
Für den Neubau bedienten sich die Architekten der lokal gebräuchlichen Architekturelemente und führten diese in traditionell bewährten, aber auch neuen Entwurfselementen und Materialien in einer verspielten Hofhausform fort. Die Hofsituation selbst und weite Dachüberstände sorgen für Schatten und Kühlung im Sommer – im Gegensatz zu den mit neuen Ziegeln ausgefachten Außenwänden, die wenig Schutz gegen Aufheizung bieten und den traditionellen Lehmziegeln nicht das Wasser reichen können. Mit der rohen Ziegelfassade zum Dorfpfad hin fügt sich der Neubau jedoch unauffällig in die Dorfsubstanz ein. Allein die klar definierte Form der Wände und die gegeneinander versetzten Fenster verraten eine andere Haltung.
Zum Hof hin bilden die Wände kleine, überschaubare und damit kindgerechte Nischen aus. Hier wird eine Sitzlandschaft zum Klassenzimmer, der Lichthof in der Bücherei zum Lesegarten, und ein Teil des Dachs zur offenen Freilichtbühne. Der Hof wird zeitweise für Feste genutzt und somit zum Dorfplatz, was die Aneignung durch die Dorfbewohner erleichtert. Der entstandene Raum unter der »Dachtreppe« spendet Schatten und ergänzt gleichzeitig die angrenzende kleine Bücherei um einen geschützten Eingang mit Garten.
Material UND Integration
Unter dem Eindruck der rasanten Verstädterung zählt in den Augen der Dorfbewohner nicht nur die Größe eines Wohnhauses, auch die Schnelligkeit des Baufortschritts wird zum Statussymbol. Bereits ein Rohbau zeugt von ausreichend viel Geld, um Achtung zu erlangen. Dabei gilt: je höher, desto besser. Fertiggestellt werden kann das Haus auch später noch – um dann mit allerlei Zierrat, im besten Falle mit einer Fliesenfassade geschmückt zu werden.
Um die Status-Symbolik des weithin Sichtbaren zu konterkarieren, experimentierten die Architekten im Innenhof der Schule mit dem allgemeinen Materialverständnis des ländlichen Raums: Statt der (unauffälligen) ›
› äußeren Fassaden betonten sie den Hof als wichtigste Außenseite des Gebäudes, indem sie dessen Oberflächen komplett in verspiegelte Fliesen kleideten. Drei verschiedene Fliesenarten erzeugen – abwechselnd spiegelnd, opak und grau – eine lebendige Fläche und nehmen Bezug auf die traditionellen grau-grünen Ziegel, die mehr und mehr durch Beton und industriell gefertigte Baumaterialen verdrängt werden. Durch den Spiegeleffekt entgehen sie dabei der Gefahr der Romantisierung des Traditionellen, der sie durch die Applikation einzelner Wandelemente mit traditionellen Mauerwerksmustern dann letztlich doch erliegen.
Den Schulleiter stört die Theorie nicht, er ist begeistert und stolz auf seine Schule. Sie ist anders, und ihr Charakter ändert sich mit der Jahreszeit und dem Lichteinfall. Er freut sich auf den kommenden Sommer, wenn sich die Fliesenfassade durch die Spiegelung des Sonnenlichts und des blauen Himmels räumlich auflöst und dadurch den Hof in seiner Erscheinung erweitert.
Vieles ist anders UND vieles ist unerwartet
Die hellen Holztüren im Landhaus-Stil und die Delfin-Motive auf den Rollläden waren so von den Architekten nicht vorgesehen. Der Verlauf im Verlegemuster für die Fassade gefiel dem Fliesenleger nicht – er änderte es nach eigenem Gutdünken ab. Überhaupt gibt es auf dem Land nur wenig Regulierung. Das lokale Designinstitut überprüft und bestätigt Statik und Sicherheit des Gebäudes. Der Bauverlauf wird dann mit dem Architekturmodel, ein- bis zweimal im Monat direkt auf der Baustelle mit den Handwerkern diskutiert und beiderseits angepasst. Zeichnungen werden im Maßstab 1:200 ausgegeben.
Spezialisten für traditionelle Holz- oder Lehmbauweise sind schon lange in die Stadt abgewandert, wo das Arbeiten lukrativer, das traditionelle Handwerk jedoch nicht gefragt ist. Dagegen sind die oftmals ungelernten Handwerker auf dem Land beim Umgang mit den neuen industriellen Baumaterialen meist überfordert. Der Projektablauf ist unvorhersehbar und bringt wenig Sicherheit für alle Beteiligten. Finanziert und gebaut werden die Projekte schrittweise. Absprachen und Einigung werden am runden Tisch mit Reiswein gesucht. Verträge, E-Mail-Korrespondenz oder Protokolle existieren nicht. Ausführungsvarianten, die so nicht vereinbart waren, lassen wenig Spielraum für Änderung im Nachhinein. Und dennoch ist alles stimmig in Mulan und die Schule wird mit Freuden angenommen. Das Zusammenspiel von Architekten, Dorfbewohnern, Geldgebern, Behörden und Handwerkern zwischen Beschränkung und Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten wird hier nicht zum Kompromiss, sondern überraschenderweise nach dem Motto »weniger ist mehr« zum ausgewogenen Raum.
Das Praxismodel von Rufwork ist eher ungewöhnlich und der unermüdliche Einsatz der Beteiligten ist beeindruckend. Die Universität Hongkong ermöglicht dabei die Arbeit frei von kommerziellen Zwängen, und involviert Architekturstudenten, aber auch junge Architekten, die nicht nur wissenschaftlich, sondern auch praktisch Ideen und Impulse entwickeln. ›
› Bauen auf dem Land zwingt die Architekten zu Einfachheit im Bauprozess und Klarheit im Entwurf. Mit einem klaren Entwurf reagieren sie auf die lokal zur Verfügung stehenden Mittel, aber auch die zukünftige Aneignung durch die Nutzer. Einfachheit in der Projektkommunikation ermöglicht Flexibilität im Bauprozess und Umgang mit den vorherrschenden Beschränkungen – aber auch Freiheiten und Möglichkeiten – die das Bauen auf dem Land mit sich bringt.

Heute schaut Rufwork auf die Projekterfahrung von sechs Jahren in über 18 chinesischen Dörfern zurück. Entgegen der Beobachtung »Non-for-profit = No Design« beweisen das Büro, dass auch Non-for-Profit-Architektur mit starker Formensprache Wegbereiter für einen nachhaltigeren Umgang im ländlichen Raum in China sein kann.


  • Standort: Huaiji County, Guangdong, China

    Beauftragender Geldgeber: Power of Love Ltd, Hongkong
    Sponsor: Luke Him Sau Charitable Trust
    Architekten: Rural Urban Framework, Hongkong (John Lin, Joshua Bolchover)
    Mitarbeiter: Maggie Ma (Projektleitung); Ho King Hei, Huang Zhiyun, Crystal Kwan, Jessica Lumley, Yau Ching Kit Landschaftsgestaltung: Dorothy Tang, Hongkong
  • Grundfläche: 500 m² Baukosten: 573 000 RMB (67 700 Euro)
  • Bauzeit: Oktober 2011 bis September 2012
  • 1 Schulhof
  • 2 Klassenzimmer Bestand
  • 3 Lehrerbereich Bestand
  • 4 Klassenzimmer neu
  • 5 Bücherei
  • 6 Pflanzenkläranlage
  • 7 Sanitäranlage

Mulan (S. 26)

Rural Urban Framework


Joshua Bolchover
John Lin
2005 Gründung der Non-Profit-Initiative Rural Urban Framework an der Universität Hongkong. Lehrtätigkeit in England, Dänemark und Hongkong. Zahlreiche chinesische und internationale Auszeichnungen.

Christiane Lange
Architekturstudium in Leipzig und Zürich. Mitarbeit in Architekturbüros in London, Zürich und Hamburg. Derzeit Mitarbeit im Büro Community Project Workshop und Lehrauftrag an der Universität Hongkong.
 
 
 
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