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Restaurant Tantris in München

… in die Jahre gekommen
Restaurant Tantris in München

Ein vielfach ambitionierter Bauherr, ein ebensolcher Architekt und ein Erneuerer der Kochkunst mit klaren Vorstellungen gestalteten zusammen ein Gesamtkunstwerk, dessen Ausformung trotz der extrem zeittypischen Gestalt vier Jahrzehnte überdauern konnte und noch heute ein Ambiente bietet, das hohe Qualitätsansprüche und ungezwungene Gastlichkeit zu vereinen vermag.

    • Architekten: Justus Dahinden; Stephan Braunfels

  • Kritik. Ira Mazzoni Fotos: Sigrid Neubert, Roman Job, Ira Mazzoni
Kommen wir gleich zur Hauptsache: In der Küche wird immer noch an dem Edelstahl-Herd gekocht, den sich der junge Eckart Witzigmann im Frühjahr 1971 vom Bauherrn und Architekten gewünscht hat. Der Inselherd war seine Bedingung, um von Washington nach München zu wechseln; er sollte im Zentrum stehen, nicht am Rand in einer Zeile. Seitdem wird in der Küche des Tantris Kochkunstgeschichte geschrieben. 1973 erhielt Witzigmann seinen ersten Guide-Michelin-Stern, ein Jahr später waren es schon zwei. Darunter ist das Tantris nie wieder gerutscht. Die Zeit im Tantris seit seiner Eröffnung im Dezember 1971 bemisst sich nach der Zeit der dort regierenden Sterneköche. Die Ära Witzigmann währte acht Jahre. Dann folgte Heinz Winkler, der zum zehnjährigen Jubiläum des Hauses sogar mit drei Sternen auftrumpfen konnte. Seit 1991 ist Hans Haas Zwei-Sterne-Küchenchef am Inselherd. So gibt es eine sorgfältig gepflegte Kontinuität höchster Qualität und dazu passt, dass der erste Gourmettempel Deutschlands sich architektonisch außen wie innen treu geblieben ist. Gewiss, irgendwann waren die langen, orangefarbenen Teppichzotteln, die von der Saaldecke herabhingen, nicht nur total out, sondern auch verrußt. Aber der Bauherr und Restaurantbesitzer Fritz Eichbauer blieb stur. 2002-04 verpflichtete er Stefan Braunfels zur Generalüberholung der Interieurs – denn Braunfels war der einzige der angefragten Architekten, der für den bedingungslosen Erhalt, beziehungsweise die originalgetreue Erneuerung des Gesamtkunstwerks Tantris plädierte. Nur die Bar hat er neu gestaltet. Die Treppe zur Galerie tauschte er mit der Garderobe. Im Gartensaal trat ein gedimmter Spiegel an die Stelle geraffter orangefarbener Wandvorhänge, und die mit Goldkettchen umhängten weißen Kugelleuchten wurden von ›
› einer Leucht-Schlange aus Glasstäben ersetzt. Ansonsten wurden die Teppiche und Stoffe von den Original-Firmen nachgewebt, die Stühle aufwendig restauriert. So konnte das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege die Institution im Herbst 2012 als Baudenkmal und als Ort der Zeitgeschichte würdigen. Mit dieser Auszeichnung wirbt das Amt symbolträchtig für die immer noch umstrittene Inventarisierung von Bauten aus der jüngsten Vergangenheit. Kräftig unterstützt vom Bauherrn und Inhaber sowie vom Architekten, die dem offiziellen Qualitätssiegel freudig höchsten Respekt zollen. Mit einem kräftigen »sauguet!« quittiert der 87-jährige Architekt Justus Dahinden, die Unterschutzstellung seines Genuss-Tempels.
Experimentelle Vollkommenheit
Das Tantris war ein Wagnis. Es entstand im urbanen wie kulinarischen Niemandsland. Eine exotische Insel weit nördlich von der Münchner Freiheit, zunächst am Rande eines Güterbahnhofs, dann in unmittelbarer Nachbarschaft einer Polizeistation, einer Tankstelle und eines Großmarkts. Doch Ende der 60er Jahre war München im Olympia-Fieber und traute sich, ein bisschen modern und utopisch zu sein. Bauunternehmer Fritz Eichbauer ließ damals neuartige Atrium- und Terrassenhäuser errichten. Durch Tausch mit der Stadt erhielt er das Grundstück in Nordschwabing und die Genehmigung für ein zwölfstöckiges Wohnhochhaus, mit der Auflage einen niedrigen Gebäudetrakt vorzulagern. Der weit gereiste Hobby-Koch und Gourmet Eichbauer träumte schon länger von einem Restaurant der Spitzenklasse, bei dem man bequem vorfahren und das Auto auf dem hauseigenen Parkplatz abstellen konnte, mit Holzkohlengrill und offener Küche. Die Zubereitung saisonaler Speisen sollte ein Schauspiel werden. Heute, wo im Fernsehen eine Kochshow die andere jagt, ist das eine Selbstverständlichkeit, vor 45 Jahren war es ein Experiment.
Das Wohnhochhaus baute Hans-Busso von Busse. Für das vorgelagerte Restaurant verpflichtete Eichbauer den Züricher Architekten Justus Dahinden, dessen Restaurant »Baron de la Mouette« in Genf nachhaltig Eindruck auf ihn gemacht hatte. Dahinden kam mit der Expertise, für die ersten Mövenpicks in der Schweiz eine unverwechselbare Corporate Identity geschaffen zu haben. Seine Philosophie vom Raum als nicht nur zweckbestimmte Einheit, sondern auch als sinnliches Medium entsprach den Vorstellungen des Bauherrn vollkommen. Dazu kam eine deutlich fernöstliche, indische Inspirationswelle, die auch zur Namensgebung »Tantris« führte. Das »Streben nach Vollkommenheit« wurde architektonisch und kulinarisch Programm. ›
› Das Tantris ist bis heute eine Insel im Niemandsland der Stadt. Wenige Stufen heben den vielgestaltigen Bau vom Straßenniveau ab. Schwergewichtige Blähbeton-Fabeltiere von Bruno Weber wuchten ihre Echsenleiber über den Inselrand in Richtung Eingang. Der Bau gibt sich als spröde Bastion aus sägerau verschaltem Sichtbeton und darauf abgestimmten, sorgfältig gefalzten Kupferblechen, die – inzwischen dunkel patiniert – Traufe und Dachaufbauten regensicher bekleiden. Man muss den Bau schon umschreiten, um die gegenseitige Durchdringung der einzelnen Raumglieder zu erfassen. Nach Westen vorgestellt und durch eine Glasfuge vom höheren Lounge-Bereich getrennt, ist das Sanktuarium des Tagesweinkellers. Der Küchentrakt schließt sich zurückgesetzt im Norden an und wird von einem Fensterband gerahmt. Nach Osten schließt der querliegende Gartensaal die Raumstaffel ab. Auf der anderen Seite des Eingangsbereichs greift ein Gastraum nach Süden aus. Ein weiterer Saal riegelt die rückwärtige Gartenterrasse zur Straße hin ab. Auch die Dachlinie ist dramatisch gestuft. Fast wie das Proszeniumsgebäude eines Theaters ragt die Mittelhalle des Restaurants auf und fällt schräg zur Gartenseite ab und wird dabei von einem noch höheren Querbau geschnitten, der Küchenesse und Kaminabzug aufnimmt.
Wer das Tantris durch die rote Türtrommel betritt, befindet sich in einer anderen Welt. Damals wie heute. Heute fällt man aus der Zeit in die hochflorig gepolsterte Vergangenheit seiner ersten Tanzstunden. Zu Füßen der braune Teppichboden, über dem Kopf eine mit orangefarbenem Teppich belegte Decke, die kirchenhoch ansetzt und mit rasanter Schräge zu dem niedrigen Separee abfällt. Dazu ein Vielzahl orangefarbener Kugellampen, hummerrote und kaviarschwarze Lackflächen für Wandbekleidungen und Sideboards. Vor einem breitet sich eine plüschige Wohnlandschaft der 70er Jahre aus, die trotz ihrer enormen Größe nicht zuletzt wegen der verschiedenen Ebenen ganz intim wirkt. Die Stofflichkeit – v. a. der Teppich an der Decke, der nach der Renovierung nicht mehr so langflorig ist wie das Original und auch aus gutem Grund die Lüftungsschlitze frei lässt – diese Stofffülle bewirkt, dass man sich an den Tischen jederzeit versteht, auch wenn rundum geredet und gelacht wird. Die Raumdisposition des Tantris umfängt einen warm und führt in die Tiefe eines diskreten Futterals.

In einem wesentlichen, für das Verständnis der Architektur wichtigen Punkt hat sich das Tantris geändert: Es gibt schon lange keine Feuerstelle mehr im Zentrum der Anlage. Anstelle des Holzofengrills befindet sich die Schauvitrine der edlen Destillate. Dass das Feuer im Zentrum der windmühlenartig konzipierten Vierflügelanlage des Genusstempels steht, war dem Architekten aber wichtig, der damit an den Ursprung allen Bauens und der Kultur anknüpfen wollte. Das Feuer in der Mitte, bekrönt vom Tantris-Symbol am Abzug, hob zudem die »emotionale Temperatur« im Raum unmittelbar an. Nachdem aber Grillfeuer zur Allerweltsausstattung auch nachlässiger Gastronomie geworden sind, mag man gerne davon absehen. Die Stofflichkeit des Raums, seine allseitigen Ausstülpungen bis zur geschützten Gartenterrasse und v. a. die nahezu familiäre Gastlichkeit eines traditionsbewussten und doch subtil innovativen Küchenteams sorgen dafür, dass man sich vom ersten Schritt an in der abgeschirmten Welt verblüffend geborgen fühlt. Dass der Ort inzwischen aus der Zeit gefallen wirkt, unterstreicht nur das einmalige Image. Solange die besten Köche um den Inselherd in der orangefarbengefliesten Küche versammelt sind, und solange die Familie Eichbauer die von ihr gestiftete Tradition selbstbewusst fortsetzt, muss man sich um die Zukunft des Denkmals Tantris keine Sorgen machen.


  • Standort: Johann-Fichte-Straße 7, 80805 München

… in die Jahre gekommen (S. 56)
Ira Mazzoni
1960 in Wiesbaden geboren. Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaften in Mainz und München. Freie Journalistin.
 
 
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