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Postmoderne Brotzeit

Brotmanufaktur in der Autostadt Wolfsburg
Postmoderne Brotzeit

Wie lässt sich kulinarische Qualität durch gebaute Form vermitteln? Man nehme hochwertige Materialien, verarbeitet durch exklusive Fachfirmen, und füge diese auf 170 m² zu einem transparenten Ganzen zusammen. Als Bäckerei der besonderen Art gelingt mit »Das Brot« ein Bogenschlag zwischen ehrlichem Back- und ebensolchem Handwerk.

    • Innenarchitekten : DESIGNLIGA

  • Kritik: Hartmut Möller Fotos: Autostadt Wolfsburg / DESIGNLIGA
Aufgrund ihrer Historie als »Stadt des KdF-Wagens« genießt Wolfsburg nicht unbedingt den allerbesten Ruf. Dabei hat die auf dem Reißbrett geplante Stadt kulturell und baugeschichtlich durchaus einiges zu bieten: Neben etlichen Bauten von Alvar Aalto und Hans Scharoun sowie einem hervorragenden Kunstmuseum sorgt der ansässige Volkswagen-Konzern als potenter Sponsor regelmäßig für Konzerte und Veranstaltungen von internationalem Rang. Zudem lockt die im Jahr 2000 eröffnete Autostadt jährlich gut 2 Mio. Besucher an. Der von HENN Architekten Ingenieure konzipierte, 28 ha große, Themenpark dient dem Autokonzern als Kommunikationsplattform für seine diversen Marken. Herzstück der Anlage ist das Kunden-Center mit seinen zwei 48 m hohen, gläsernen Autotürmen, in denen über 800 Neuwagen zur Auslieferung bereitstehen. Für dessen Ausfahrt hat man sich jüngst eine opulente Überdachung in Form eines »Kartoffelchips« von Graft Architekten gegönnt. Zur Erbauung zukünftiger Kunden sorgt neuerdings zudem ein kinderfreundlicher Kletter- und Erlebnisparcours von J. Mayer H. Architekten. Hauseigene Restaurants sorgen auch außerhalb der Öffnungszeiten der Autostadt für die kulinarische Versorgung. In dem Zusammenhang wurde im Dezember 2012 die Bäckerei »Das Brot« eröffnet. Sie führt den Manufakturgedanken bei den Gastronomie-Konzepten konsequent weiter. Wie bereits die Eismanufaktur »Cool and Creamy« und die Pastamanufaktur »La Coccinella« beliefert nun die Brotmanufaktur sämtliche anliegenden Gaststätten. ›
Draussen Autos, drinnen (Bio-)Geschmack
Vom Bahnhof her kommend führt der Weg durch eine hügelige Betonlandschaft unterhalb Zaha Hadids »phaeno« zur Autostadtbrücke und über den Mittellandkanal. Vorbei an der riesigen, gläsernen Entreehalle befindet sich »Das Brot« im EG des Service-Hauses auf der Grenze zwischen Kanal und artifizieller VW-Welt und ist somit jederzeit auch für externe Kunden zu erreichen. Eine durchgängige, raumhohe Glasfassade, die nur durch Wandscheiben im Raster des Gebäudes unterbrochen wird, erlaubt die totale Einsicht in den Bistrobereich. Auf der linken Seite kann man den in drei Schichten arbeitenden Bäckern von draußen bei der Arbeit zusehen, rechts daneben liegt der Eingang. Die unbedingt gewünschte Transparenz setzt sich im Innern fort. Der offene Raum ist lediglich optisch durch seine Einbauten zoniert. Im über Eck gelegenen Verkaufsbereich werden verschiedene Brot- und Backwaren sowie Aufstriche aus der Region feilgeboten. Besonderer Wert wird auf die 100 %-ige Bio-Qualität gelegt. Dabei ist die Volldeklaration fester Bestandteil des Services: Auf dem Kassenzettel ist im Einzelnen aufgeführt, welche Rohstoffe in welchen Produkten verarbeitet wurden. Im Backraum erreicht der mit hellem Tuff bekleidete Ofen schnell hohe Temperaturen, verfügt aber über gute Dämmeigenschaften. Platten, ebenfalls aus vulkanischer Erde der Eifel, erlauben seine Unterteilung und ermöglichen es auch kleinere Stückzahlen ökonomisch abzubacken. Die Trennwand zwischen der sogenannten Schaubackstube und der Ladentheke ist vollverglast. Rechterhand schließt sich der Gastraum an.
Zitatesammlung
Einen internen Gestaltungswettbewerb konnte das Münchener Büro Design- liga für sich entscheiden. Um den Gästen das Thema Brot nahezubringen, entwarf es ein Corporate Design, bei dem sich das ehrliche, handgemachte Produkt in der Architektur und den verwendeten Materialien widerspiegelt. Mit dem Leitmotiv »Vom Feld zum Ladentisch« versinnbildlichen die Planer den Wertschöpfungsprozeß des Brots. Am eindrucksvollsten ist dies in der Bodenfläche ablesbar. Über die Längsseite des Raums breitet sich ein Mosaik aus, das sich augenmerklich nur minimal wandelt. Erst beim näheren Betrachten wird der Verlauf in der organischen Form sichtbar, der die fließende Metamor- phose – vom Feld zum Korn, das wiederum zu Mehl gemahlen in Kombination mit Wasser zu Brot wird – symbolisieren soll. Das durchgehend ausgebildete Fliesenkunstwerk, das hinsichtlich der Rutschfestigkeit hohe Anforderungen erfüllen muss, setzt sich aus über 25 000 handgeschnittenen Einzelteilen zusammen und erinnert ein wenig an die Zeit des Rokoko. ›
› Den aus drei Blöcken zusammengesetzten, kolossalen Verkaufstresen bezeichnet die ausführende Fachfirma als Edelstahl-Origami. Die gefaltete, teilweise handgebogene Konstruktion scheint mit ihren lediglich drei kleinen Stützenauflagern zu schweben. Der »Gastraum« wird von einer hellblauen, 6 m langen Eichenholztafel dominiert. Hier bieten Birkenholzstühle angenehmen Sitzkomfort. Oberhalb der aus einem Stück bestehenden Tischplatte verbreitet ein weißes Dach in inverser Biberschwanzpfannen-Optik eine heimelige Atmosphäre. Ein Stuckateur hat die mittels Silikonwannen erstellten Einzelmatrizen vor Ort mit feinem Mörtel an die Trockenbaudecke geklebt und dabei nahtlos zu einem Ganzen gefügt. Die handgefertigten Einbaumöbel aus Vollholz der Robinie und Birke wurden mit einem Korbgeflecht aus geschältem Rattan versehen und stellen in ihrem Farbwechsel eine Reminiszenz an das niedersächsische Fachwerkhaus dar. Gepolsterte Nischen laden zum Verweilen und Ausruhen ein, kleine »Holzblöcke« lassen sich als Beistelltisch aus der Schrankwand ziehen. Erstaunlich, wie intensiv und erfolgreich sich die vorwiegend aus dem Münchener Raum angereisten Firmen mit der norddeutschen Bautradition beschäftigt haben. Ob sich die abstrakten Zitate jedem unbedarften Besucher erschließen, bleibt indes ungewiss. Macht aber auch nichts, denn der Raum überzeugt mit seiner schlüssigen Gestaltung in solider Handwerkskunst auch so. Außerdem geht die »Haus-im-Haus-Taktik« auf: Schnell kommt man an der langen Tafel miteinander ins Gespräch. Dank der schallschluckenden Wände und Decken ist die Akustik wohltuend gedämpft.
Kaum eine Branche ist so um ihr Nachhaltigkeitsimage bemüht wie die Automobilindustrie. Über die Präsentation von ökologischer, sozialer und ökonomischer Verantwortung soll die eigene Reputation aufgepeppt werden. »Das Brot« erfüllt die selbst auferlegten Kriterien mit Bravour – dass sich diese Ideen auch im Fahrzeugbau fortsetzen ist wünschenswert.


  • Standort: Autostadt, Stadtbrücke, 38440 Wolfsburg

    Bauherr: Autostadt, Wolfsburg
    Betreiber: Mövenpick, Baar
    Innenarchitekten und Corporate Design: DESIGNLIGA, München
    Projektleitung: Sasa Stanojcic, Christina Koepf
    BGF: 170 m²
    Bauzeit: Februar bis Dezember 2012
    Baukosten: keine Angabe
  • Beteiligte Firmen: Bodenfliesen: Royal Mosa, Maastricht, www.mosa.nl
    Entwicklung, Herstellung, Verlegung Fliesenboden: Mayer’sche Hofkunstanstalt, München, www.mosa.nl
    Edelstahl-Tresen: Steelworks, Borken, www.mosa.nl
    Korbflechtarbeiten: Korbmacherwerkstatt Susanne Thiemann, München, www.mosa.nl
    Bestuhlung Gastraum: Maruni Wood Industry, Hiroshima, www.mosa.nl
    Textilbezüge Sitzpolsterungen: kvadrat, Ebeltoft, www.mosa.nl
Fliesenkonzept 1 Feld 2 Korn 3 Mehl 4 Wasser 5 Brot

Wolfsburg (S. 18)


DESIGNLIGA


Saša Stanojcic
Christina Koepf
2001 Gründung des Büros für visuelle Kommunikation und Innenarchitektur in München durch den Produktdesigner Saša Stanojcic und den Kommunikationsdesigner Andreas Döhring. Heute arbeitet in dem Büro ein Team aus Designern, Beratern und Innenarchitekten.
Hartmut Möller
s. db 7-8/2013, S. 96
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