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Ornamentale Raumkante

Polizeiinspektion in Wien
Ornamentale Raumkante

Die Fassade der Polizeistation am Karlsplatz folgt dem einfachen Prinzip eines Zauns: Geschuppte Metallpaneele bieten Schutz vor Sonneneinstrahlung und Vandalismus und gewähren doch optimale Belichtung und Aussicht für die dahinterliegenden Räumlichkeiten. So entstand aus funktionalen Anforderungen ein Ornament, das sicher auf dem Grat zwischen Schmuck und angemessener Zurückhaltung balanciert.

    • Text: Oliver Elser Fotos: Wolfgang Thaler

  • Architekten: Arquitectos ZT KEG Tragwerksplanung: Fröhlich & Locher ZT
Was hätte Loos dazu gesagt? Von einem Fensterplatz seines Erstlingswerks, dem Café Museum, ist die Polizeistation zwar nicht zu sehen, liegt aber nur einen kräftigen Steinwurf weit entfernt. Doch wer jetzt als Pointe wittert, dass sich durch die Begriffskette »Ornament – Verbrechen – Polizeistation « ein irgendwie vertracktes Spiel treiben ließe, wird enttäuscht. Das Gebäude der Architekten Heidi Pretterhofer und Dieter Spath hat durchaus Qualitäten, die im Bereich des Paradoxen liegen, aber es nimmt nicht den Pfad auf, den Adolf Loos vom Ornament zum Verbrecher legte. Dort, wo sich die Opernpassage, eine der unansehnlichsten Fußgängerunterführungen der Stadt, zum Tageslicht hin öffnet und nun der Strom der Passanten von einer Reihe von Stahllamellen mit Schwung in den Ressel-Park hineingeführt wird, sind Ornamente nur mit viel Mühe zu finden. Die Fassade der Polizeistation »kann« einfach zu viel, um in den Dunstkreis des reinen Ornaments zu geraten.
Was sie alles können musste, leitet sich aus den Anforderungen von Bauaufgabe und Ort ab. Zusammen mit der Polizeistation wurde ein nicht geringer Teil des Karlsplatzes umgestaltet. Zunächst galt es, Raumkanten zu schaffen, denn diese sind Mangelware am Karlsplatz – einem diffusen Ensemble aus Einzelbauten, das bereits Otto Wagner lieber eine »Gegend« und nicht einen Platz nennen wollte. So schlugen die Architekten im Wettbewerb vor, den Ausgang der Ladenzone, die in den siebziger Jahren am Kreuzungspunkt dreier U-Bahn-Linien in die Erde gebohrt worden war, von sämtlicher Vegetation zu befreien. Statt der sanften Böschung, die das Straßenniveau mit dem des U-Bahn-Eingangs bisher verband, setzten sie mit dem Neubau eine klare Kante. Diese weit geschwungene Raumbegrenzung wird auf dem oberen Niveau von einer zweiten Raumkante gekreuzt. Sie folgt dem Schwung der Straßenbahngleise und wird nach Fertigstellung durch eine beleuchtete Glasbrüstung vor allem bei Dunkelheit die Bewegungslinie der dahinter neu geschaffenen Fußwegverbindung verdeutlichen.
Stärke und Durchlässigkeit
An dieser Stelle mit konventionellen Fenstern zu arbeiten, war von vornherein ausgeschlossen. Durchschlags- und durchschusssicher musste die Fassade der Polizeiwache sein. So kamen Stahlpaneele ins Spiel. Diese sind nur so weit geöffnet, dass die vorschriftsmäßige Menge Licht in die dahinterliegenden Büros gelangt und so stark geschlossen, dass niemand bis zur Glasfassade vordringen kann.
Erste Versuche mit gefalteten Flächen nahmen die Architekten an Papiermodellen vor. Ausgehend von der Wirkung von Papier als diffuser Lichtfilter suchten die Architekten nach einer Möglichkeit, die Transluzenz auf ein hartes Material zu übertragen. So kam es zu dem Muster aus feinen Schlitzen, das in die Stahlpaneele mit einem Laser eingeschnitten wurde. Durch die Schlitze fängt sich das Licht und die mattierten Edelstahlbleche werden in der Nacht zu Leuchtkörpern. Die Ausrichtung der Schlitze unterstützt die Vertikalität der Lamellen. Ihr Muster hingegen ist von Zufallsverteilung bestimmt, um nicht mit der Großform des Lamellenvorhangs zu konkurrieren. Da die Lamellen immer kürzer werden, je weiter das Gelände ansteigt, war ihre schrittweise Transformation ein wichtiges Entwurfsthema.
Knick- und Kreuzungspunkte der Lamellen addieren sich zu horizontalen Linien, die die Fassade über die ganze Länge zusammenbinden. Das Vorbild war eine Streckmetallplatte. Die Lamellen sollten nicht als Einzelteile in Erscheinung treten, sondern sich zu einem einzigen großen Streckmetallblech addieren.
Passanten, die die U-Bahn-Passage verlassen, blicken der Polizeistation gewissermaßen »unter die Haut«. Die Lamellen sind so gedreht, dass man nächtens vom Lichtschimmer der Polizeibüros an der Kante des dunklen Parks entlanggeführt wird. Bei der entgegengesetzten Laufrichtung wirkt die Fassade hingegen eher geschlossen, man hat ja den beleuchteten Passagenschlund vor Augen.
Die Architekten achteten darauf, jegliche Assoziationen zu vermeiden, die in Richtung »Schießscharten« gehen könnten. Die Polizisten im Innern sind ohnehin kaum damit beschäftigt, ihre Umgebung durch die Schlitze zu beobachten. Entweder sitzen sie vor ihren Computern und legen Aktenvorgänge an oder beobachten die Drogenszene in der Karlsplatzpassage über Videomonitore. Es erscheint kurios, wie unterschiedlich das Sicherheitsbedürfnis der Polizei ausgeprägt ist: Der offizielle Zugang ist eine Schleuse mit strenger Sichtkontrolle. Je weiter hingegen man sich, in der Topografie des Karlsplatzes quasi »bergaufwärts«, in das Gebäude hineinbegibt, desto zwangloser wird die Atmosphäre. Dafür sorgt zunächst ein Innenhof, der die Pausenräume belichtet. Dann hört das Gebäude gänzlich auf, das Stahlband aber läuft weiter, bis es die reguläre Platzoberkante trifft. In diesem Bereich wird die Fassade zum Zaun, sogar zum Gartenzaun, denn die Beamten haben sich ihren Pausenhof mit großen Topfpflanzen möbliert. Ganz am Ende des Polizeigeländes ist das Fassadenband auf die Höhe eines Vorgartenmäuerchens geschrumpft und es wäre kein Problem, darüber zu hüpfen und sich auf diesem Wege Zutritt in die im »offiziellen Bereich« so stark gesicherte Station zu verschaffen.
Aber das ist bisher nicht passiert und die Polizisten scheinen damit auch gar nicht zu rechnen – auch hier reicht zur Sicherheit eine Videokamera. Sie haben wohl die eigentliche Qualität des Gebäudes erkannt: Es tritt vom Karlsplatz aus gar nicht als Gebäude in Erscheinung, sondern bildet eine unaufdringliche Platzraumkante.


  • Bauherr: Wiener Linien GmbH & CO KG
    Architekten: Arquitectos ZT KEG, Wien (A); Heidi Pretterhofer, Dieter Spath
    Mitarbeiter: Peter Foschi, Laszlo Nagypal, Jan Weinold, Christoph Gahleitner, Stefan Klammer, Jaroslav Travnicek Generalplanung: Rüdiger Lainer & Partner, Wien
    Tragwerksplanung: Fröhlich & Locher ZT GesmbH, Wien; ISP Monrath & Tatzber ZT GmbH, Wien Bauphysik: DI Walter Prause, Wien HLS: Wiener Linien GmbH & CO KG
    Wettbewerb: 2004 Bauzeit: Januar 2005 bis April 2006
  • Beteiligte Firmen Bauausführung: Mörtinger&Co, Wien (A), Tel. (0043–1) 58704160
    Metallfassade: Hermes Ing. Carl Novak
    Spezialschlosserei Ges.m.b.H., Wien (A), www.hermes-novak.at
    Leichtmetallbau: Hans Holzer Stahl- u. Leichtbau GmbH, Wien (A), Tel. (0043–1) 6991505
    Lichtband: Elektro Pro Light KG/Sas, Vintl/Vandoies (I), www.hermes-novak.at
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