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Möbel-Saison 2009

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Möbel-Saison 2009

Eher zurückhaltend und schlicht oder doch effekthascherisch und üppig? Grob oder fein, farbenfroh oder gedeckt, Retro oder Futurismus? Die Redaktion war für Sie auf der imm in Köln und dem Salone del Mobile in Mailand unterwegs, um Tendenzen und Trends der diesjährigen (Möbel)-Saison herauszufiltern und Branchen-Stimmungen auszuloten.

Text: Ulrike Kunkel

Trotz viel beschworener Krisenzeiten, die Möbelmesse in Mailand bleibt ein Publikums- und Ausstellermagnet: Mit über 300 000 Besuchern verzeichnete der »Salone« einen neuen Rekord, das Messegelände Rho war mit 2720 Ausstellern ausgebucht; ganz zu schweigen von den wie immer zahllosen Ausstellungen, Aktivitäten und Events auf dem Triennale-Gelände, in der Zona Tortona und den Showrooms in der Stadt. Die Stimmung war gut, und wie auch nach der imm Cologne zogen die meisten Hersteller eine positive Bilanz. Im vergangenen Jahr hatten viele ihre Umsätze sogar steigern können und auch für das Jahr 2009 rechnet zumindest der Verband der deutschen Möbelindustrie mit einer »schwarzen Null«. – Die Möbelindustrie als Gewinner der Krise? So pauschal lässt sich das wohl leider nicht sagen. Doch einiges spricht dafür, dass zumindest die Hersteller von Wohnmöbeln durchaus profitieren, denn in Zeiten der Unsicherheit steigt das Bedürfnis der Menschen nach Geborgenheit. Die amerikanische Trendforscherin Faith Popcorn prägte dafür bereits in den achtziger Jahren den Begriff »Cocooning« (sich einpuppen). Oder eben: es sich zu Hause gemütlich machen. Dazu passt, dass die Sofas wieder größer werden. Auf beiden Messen war eine deutliche Zunahme an raumgreifenden Sofalandschaften zu verzeichnen. Da wird nach Herzenslust gereiht, über Eck gebaut und durch Chaise Longue sowie Ottoman ergänzt. Als Farben kommen naturnahe Töne zum Einsatz oder allenfalls gedeckte und satte; die Bezugsstoffe werden wieder deutlich gröber.
So präsentierte Vitra mit Jasper Morrisons Sofa »Place« in Mailand sein erstes Wohnlandschafts-System. Charakteristisch für das Place Sofa sind die breiten, voluminösen Polster mit ihren weich gerundeten Kanten. Durch die vergleichsweise niedrige Rückenlehne wird die Horizontale betont. Ein mehrschichtiger innerer Schaumaufbau mit darüber liegenden, mit Federn und Polyurethanschaum-Stäbchen gefüllten Kammerkissen verleiht den Polstern einen hohen Sitzkomfort. Durch den modularen Aufbau lassen sich aus den verfügbaren Elementen neben einem Zwei- und einem Dreisitzer auch Ecklösungen konfigurieren. Diese können noch durch eine Chaise Longue und einen Ottoman ergänzt werden.
Ein weiteres, fast schlicht zu nennendes Polstermöbelsystem wurde von Cor auf der imm und dem Salone gezeigt. »Kelp« – ein ungewöhnlicher Name für ein ungewöhnliches Programm: Die Wasserpflanze Kelp breitet sich zu schier endlosen Unterwasserwäldern aus. Und so umfasst das System der Cor-eigenen Designabteilung Sofas und Sessel in verschiedenen Maßen, Armlehnen, Hocker sowie Eck- und Liegeelemente, die sich individuell kombinieren und beliebig erweitern lassen. Die klaren, kantigen Konturen werden durch die Zweifarbigkeit der Bezüge oder die Kombination von Materialien besonders hervorgehoben. Langgestreckte, niedrige Rückenkissen sowie die Armlehne lassen sich unterhalb des Rückenteils einstecken und wahlweise versetzen.
Wenn es sich auch um keine komplette Wohnlandschaft handelt, so ist das Sofa »Fergana« von Patricia Urquiola für Moroso allemal aufsehenerregend. Gewohnt kreativ und virtuos geht die spanische Designerin mit Stoffqualitäten und Dessins um. Ihre aufwendig gearbeiteten Dekorstoffe überlagern sich, die weichen Sitzpolster sind zum Teil mit einem Patchwork aus verschiedenen Stoffen bezogen und zusätzlich bestickt.
Eine weitere wirkliche Wohnlandschaft zeigte hingegen Walter Knoll. Mit »Living Landscape 740« erweitert der Hersteller seine Living Landscape-Familie durch ein zusätzliches Programm, bei dem, wie bei allen »Mitgliedern« der Familie, die Eckelemente auch diesmal wieder drehbar sind. So öffnet sich die Wohnlandschaft dem Raum, verändert ihr Aussehen und bietet dem Benutzer stets wechselnde Perspektiven. Zu den sieben weiteren von Walter Knoll gezeigten Produkten beziehungsweise Produktprogrammen gehörte auch »MYchair« von Ben van Berkel, nach »Circle« von 2007 sein zweiter Entwurf für den Hersteller aus Herrenberg. Schwungvoll und expressiv steht MYchair wie eine Sitzskulptur im Raum. Schräge, runde, konvex und konkav geschwungene sowie gerade Flächen wechseln sich ab. Intensive Farben und eine Materialkombination aus Leder und Stoff betonen zusätzlich die unterschiedlichen Flächen und Formen, aus denen sich der Lounge Chair zusammensetzt.
Ebenfalls skulptural, der Lounge Chair »Plateau« des Altmeisters Erik Magnussen für Engelbrechts. Die Form des Sessels orientiert sich an der einer linken Hand, die einen empfindlichen Gegenstand oder ein Lebewesen sensibel umschließt. Aus dem bei dieser Handhaltung vorstehenden Daumenknochen leitete Magnussen den seitlichen Einschnitt des Sessels ab. Dieses »Plateau« dient als bequeme Armlehne, auf der sich aber auch mal ein Notebook oder eine Kaffeetasse abstellen lassen, so dass die Übergänge zwischen Arbeits- und Freizeitnutzung fließend sind. Die wahlweise mit Stoff oder Leder bezogene Sitzskulptur wird aus Hartschaum gefertigt, auf dessen Oberfläche eine Schicht Kaltschaum gepresst wird. Der Bezug besteht aus zwei Teilen Stoff beziehungsweise Leder für die Sitzfläche und das Rückenteil.
Hölzern
Vielleicht nicht gleich ein Trend, aber allemal eine Tendenz: Barhocker sind inzwischen fast zum festen Programmbestandteil aller Firmen geworden. Für Thonet erweiterte Stefan Diez sein preisgekröntes Stuhlprogramm »404« um einen dazu passenden Barhocker. Der fließend geformte Sitz erinnert an einen Sattel, der sich der Anatomie anpasst und beim Sitzen angenehm nachschwingt. Ist das Sitzgefühl zunächst auch etwas gewöhnungsbedürftig, gewinnt man zunehmend Vertrauen, da eine leichte Erhöhung im hinteren Teil des Sattels den Rücken entlastet und Halt gibt. Der Fußring verweist auf die Rückenlehne der 404-Stühle. Wie alle Elemente des Programms bestehen der Hocker – und die ergänzenden Stehtische – aus miteinander verleimten Buchen-Formsperrholz- und Schichtholzteilen.
Wie bereits in den letzten Jahren war Holz auch in diesem Jahr wieder präsent, vielleicht sogar noch etwas präsenter. Ebenfalls von Stefan Diez und ebenfalls aus Holz ist der etwas rätselhaft anmutende, nach dem amerikanischen Entfesselungskünstler Harry Houdini benannte Stuhl ♣»CH04 Houdini« für E15. Mit dem Entwurf, der sicher eine der überzeugendsten Neuheiten auf der Messe war, eröffnete der deutsche Hersteller seinen kleinen Showroom in der Zona Tortona. Der Stuhl setzt sich aus drei Komponenten zusammen: einer Basis aus Massivholz mit den Beinen, einem Sitzrahmen und einer Rückenlehne aus Schichtholz. Dabei werden die dünnen Schichtholzteile per Hand um die gefräste Massivholzbasis gebogen. Weder Nägel noch Schrauben kommen zum Einsatz, die schuppenartig angeordneten Teile sind mit der Basis verleimt und bilden eine geschlossene Sitzschale. Der CH04 Houdini ist in Eiche furniertem Schichtholz oder weiß, tiefschwarz oder grau erhältlich sowie als teil- und vollgepolsterte Variante.
Einen weiteren schlichten Holzstuhl konnte man bei Zeitraum entdecken: Beim »Morph« vom Münchner Büro Formstelle trägt das Gestell aus Vollholz eine leichte Formholzschale. Dank seiner zierlichen Erscheinung beansprucht der Stuhl, zu dem es auch einen passenden Tisch gibt, nicht viel Platz. Auch mit einem sich an die Sitzschale anschmiegenden Polster wirkt der Stuhl noch immer elegant. Die Firma Zeitraum aus Wolfratshausen profitierte übrigens, wie gut zehn weitere deutsche Hersteller, vom Wegzug der Poltrona-Frau-Group von der Messe in eine riesige Industriehalle in der Zona Tortona, wodurch in den Messehallen an die 3000 Quadratmeter frei geworden waren. Bereits seit Jahren hatte Zeitraum vergeblich auf eine Zusage aus Mailand gewartet.
Nils Holger Moormann, der Möbelproduzent aus Aschau im Chiemgau, hat es hingegen schon vor einiger Zeit nach Mailand geschafft. Sein Messestand, bei dem die Transportkisten der mitgebrachten Möbel zur Präsentationsfläche wurden, war mit Abstand der originellste in diesem Jahr. Nicht weniger einfallsreich ist sein Hocker »Strammer Max« von Max Frommeld: Drei Multiplex-Scheiben und eine Querverstrebung werden zusammengesetzt und durch eine Schnur gehalten. Die Schnur wird dabei so lange gedreht – zum Beispiel mittels eines Kochlöffels (!) – bis aus der lockeren Verbindung eben der stabile (Stramme) Max wird.
Fast extravagant
Während viele der ansonsten progressiven Hersteller in diesem Jahr plötzlich ihre Liebe zu handwerklichen bis bodenständigen Techniken und Entwürfen entdeckten, entzog sich der italienische Hersteller Magis diesem Trend und wartete gleich mit einer ganzen Fülle innovativer Neuheiten beziehungsweise gekonnter Abwandlungen und Neuinterpretationen auf. Eine davon ist Jasper Morrisons »Trattoria«-Familie. Mit diesem Stuhl-Tisch-Ensemble nimmt der britische Designer Bezug auf das traditionelle italienische Restaurantmobiliar, wobei er bei den Holzstühlen das herkömmliche Bastgeflecht durch farbige Polycarbonat-Elemente in Flechtoptik ersetzt. Er spielt hier mit einem Alltagsklassiker, wie er es bereits 2008 mit seinem Basel Chair für Vitra getan hat.
Beim finnischen Hersteller Artek kam es zu einer erfolgreichen Neuauflage der Zusammenarbeit mit dem experimentierfreudigen japanischen Architekten Shigeru Ban, der ihm 2007 bereits den Ausstellungpavillon auf dem Triennale-Gelände entworfen hatte. In diesem Jahr zeigten die Finnen ein modulares Möbelsystem des Architekten, das durch eine ungewöhnliche Materialwahl besticht: »10-Unit« besteht aus UPM ProFi, einem stabilen, wasserfesten Verbundstoff aus recyceltem Papier und Kunststoff. Schmale, L-förmige Profile bilden dabei den Basisbaustein, aus dem sich Stühle, Bänke oder ein Tisch zusammensetzen lassen.
Fazit
Die Hersteller überboten sich zwar nicht gerade mit spektakulären Neuheiten, dafür hatte das Gezeigte Substanz. Präzise sowie technisch und handwerklich meist hochwertig gefertigt, solide mit einem Hang ins (zu) Bodenständige. Gemütlich eben und wahrscheinlich deshalb genau im Trend. ~uk
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