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Offenheit zulassen

Gespräch mit Prof. Dörte Gatermann
Offenheit zulassen

Dem äußeren Erscheinungsbild des Kölner Bürokomplexes »Dominium« mit seiner historisierenden Formensprache steht im Innern ein Gestaltungskonzept gegenüber, das vom Architekturbüro Gatermann + Schossig dezidiert gegen die gravitätisch wirkende Gebäudestruktur gesetzt wurde. Reinhart Wustlich traf sich vor Ort mit Dörte Gatermann und ihrem Projektleiter Holger Thor, um deren Gestaltungshaltung im Gespräch und im Gebäude selbst nachzuspüren.

Interview: Reinhart Wustlich Fotos: Gatermann + Schossig

Ihre eigene Herkunft als Architektin ist mit Gottfried Böhms Züblin-Haus (1981-85) in Stuttgart verbunden; Sie waren dort Projektleiterin. Wie unterscheidet sich jenes Bürogebäude mit gläsernem Hallenraum und skulptural strukturierter, in Joche unterteilter Fassade vom Dominium, in dem wir uns heute aufhalten?
Dörte Gatermann Zur Haltung, die Gottfried Böhm vermittelte, gehörte die Achtung vor der emotionalen Seite der Architektur, die Sensibilität dafür, das Individuum in seinem sozialen Kontext zu verstehen. Für mich hatte das Züblin-Haus mit Grundfragen der Architektur zu tun: Was macht eine Gemeinschaft aus? Was machen Räume aus? Wie können sie zu besserer Kommunikation führen? Das hat mich in den 25 Jahren seitdem nicht losgelassen.
Auch der Denkansatz, der die Struktur bestimmt, wurde von diesen Fragen geleitet. Bei der Entwicklung der skulpturalen Fertigteil-Fassade ging es – über die technischen Merkmale der Profilierung und Fügung hinaus – darum, Fertigteilen etwas Besonderes zu geben, was diese zuvor nicht hatten: emotionalen Mehrwert.
Worin liegt der Unterschied zur Struktur und zum Äußeren des Dominiums?
Einerseits schätze ich den Qualitätsanspruch bei diesem Projekt, und das hat die unterschiedlichen Ansätze, die hier zusammentreffen, auch verbunden. Die Herleitung ist andererseits eine völlig andere: Eine historisierende Fassade gibt vor, sie habe skulpturalen Anspruch. Sie greift Reminiszenzen einer anderen, vergangenen Zeit auf. Sie will emotionale Werte anklingen lassen, schafft es aber nicht – es bleibt eine vorgehängte Fassade. Mit dem, was wir für das Innere entwickelt haben, hat das nichts zu tun.
Wie gestaltete sich der Einstieg in das Projekt?
Ich war schon sperrig damit. Lehnt man etwas ab, stellt sich doch die Frage, warum? Eigene Auseinandersetzung ist gefordert, die Begründung der eigenen Ansicht. Wie würde man selbst an ein solches Projekt herangehen, wie begründete man die eigene Position?
Dass das Ensemble Zustimmung wie Aversion provoziert, ist im Interesse der Architekturentwicklung zu begrüßen.
Die Frage ist: Weshalb reagieren Menschen auf die äußere Erscheinung relativ zustimmend, während sie historisierende Anmutungen im Inneren gerade nicht wünschen?
Sind dem Betrachter die gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen dessen, was als Botschaft in der Gestalt der Fassade erscheint, bewusst?
Die der historischen Realität sicherlich nicht – einer vermeintlich »guten Zeit«, die doch hierarchisch orientiert war, keinen demokratischen Ansatz vermittelte. Wer das unbedacht lässt, gibt sich »entlastet« davon, mit einer eigenen Haltung etwas zum Wesen der Stadt von heute beizutragen. Diese Paradoxie findet ihr Leitprojekt in der Gestalt des Berliner Stadtschlosses.
Dass es beim Dominium ein historisierendes Äußeres gibt, zugleich aber ein zeitgenössisch-modernes Inneres, ist Ausdruck der klaren Haltung eines Auftraggebers, der Generali Deutschland Holding, die Kommunikation anders verstehen will. Historisierende Elemente wurden als Zeichen hierarchischer Strukturen gelesen, als Bedingungen, unter denen man eine Holding nicht führen kann. Die äußere Erscheinung wurde als Widerspruch zu den angestrebten Formen der Kommunikation analysiert.
Bei einem Projekt mit städtebaulicher Bedeutung geht es auch nicht nur um dezidierte Ansprüche eines Auftraggebers, sondern, im Sinne von Nachhaltigkeit, auch um sozio-kulturelle Ansprüche der Gemeinschaft und der Stadt. Dass wir immer einen Beitrag für eine Gemeinschaft planen, führt auch zu der Frage, was diese braucht, was der Einzelne braucht. Und welches der Beitrag für die Stadt ist.
Ein ähnlich gelagertes Projekt ist das Hafenamt im Rheinauhafen, das zwar von anderer Dimension, aber ein historisches Original ist. Was unterscheidet die Anmutung des Dominiums von der des Hafenamts?
Als Verwaltungsgebäude vergleichbar, ist das Hafenamt ein Original vom Ende des 19. Jahrhunderts – noch nicht einmal ein besonders reinrassiger neo-romanischer Bau. Aber wir spüren unmittelbar, dass es den Ausdruck einer spezifischen Zeit trägt. Es hat die unverfälschte Sprache eines Originals, eine Grammatik mit den dazugehörigen, authentischen Materialien. Man spürt den massiven Bau. Massiv erscheint nicht nur »massiv«. Den Aufbau haben wir erhalten, die rückwärtigen, neuen Flügelbauten zu einem Hofensemble verlängert. Ein neu geschaffener, lichter Großraum bildet das Innere.
Beim Dominium fanden Sie ein definiertes Projekt vor. Welche Ziele ergaben sich daraus für Sie?
Das Hafenamt ist eine Einheit, die Offenheit, Großzügigkeit ausstrahlt, die den Bau des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart öffnet. Beim Dominium, das bereits im Rohbau fertiggestellt war, fanden wir eine sehr geschlossen gedachte räumliche Struktur vor. Das Thema der Überhöhung durch den historischen Zitatzusammenhang, in dem sich ein Distanz-Schaffen ausdrückt, ist für mich sehr heikel. Die grundlegende Frage war, wie sich in einem solchen Kontext offene Kommunikation für eine Belegschaft von 400 Mitarbeitern entwickeln kann. Im Umkehrschluss: Wodurch schaffen wir Distanzen ab?
Ihrer Projektbeschreibung nach verstehen Sie »Architektur als Kulturbeitrag«, der Haltung braucht. Sie schreiben: »Bewusst ›
› wird ein Bruch zum Stil der äußeren Fassadendarstellung gewählt und das Innere als fließender Raum aus Glas, Stein, Metall, aus Licht, Materialität und Farbe konzipiert.«
Ja, das ist unsere Haltung. Dieses Ziel zu erreichen, war so einfach nicht. Immerhin galt es zu bedenken, die Fassade, das Äußere, durch das gegensätzliche Innere nicht so weit zu konterkarieren, dass es peinlich geworden wäre. Wir haben versucht, das eine für sich stehen zu lassen, das andere nicht so dagegen zu stellen, dass die Frage der Unvereinbarkeit aufkäme. Der Raum, in dem wir uns gerade befinden, zeigt das exemplarisch, der weite Raum, der von Gauben mit Rundbogenfenstern geprägt ist.
… die aus dem denkmalgeschützten neo-gotischen Fassadenteil am Fuß des Gebäudes »abgeleitet« wurden.
Nein. Die kommen eben nicht aus der historischen Fassade. Die Rundbogenfenster hier oben haben mit dem Original von 1880 nichts zu tun. Gleichwohl wirkt die Hülle über diese Zeichen nach innen. In Abgrenzung dazu wollten wir an dieser Schnittstelle darauf hinwirken, dass der Raum selbst einen eigenen, einen »eigenen anderen« Charakter bekommt.
Das galt wohl auch in den komplexen, stark gegliederten Geschossen darunter; auch dort greifen Sie die Raumprinzipien der Moderne auf.
Natürlich, daher kommt das Prinzip. Zugleich aber kam es darauf an, dem Problem des nicht definierten Raums durch klare Setzungen zu begegnen. Den Außenraum einzubeziehen, als Ausdehnung des Gebauten, finde ich als Prinzip richtig.
Die neue Innenaufteilung betont die Höfe. Sind diese eher introvertiert?
Ich hätte die Struktur gern viel, viel weiter zum Straßenraum geöffnet. Es enttäuscht mich schon, wenn ich vor verschlossenen Durchgängen klingeln muss. Und sich dann erst diese schwere, (bau-)bronzene Tür öffnet. Unser Ansatz war, dass die Türen offen stehen sollten. Genau genommen hätte ich sie gern anders ausgebildet, um die Barrierewirkung geringer zu halten.
Verhindert die Fassade Offenheit?
Tagsüber. Nachts ist die Situation vollkommen anders: dann strahlt das Innere nach außen. Unser Konzept der kommunikativen Räume, die von einem Licht- und Materialkonzept geprägt sind, schafft sich räumliche Abbilder auch nach außen. Das Erscheinungsbild kann sich nachts umkehren, wenn man die richtige Beleuchtung dazu hat …
… wenn man Einblick und Offenheit zulässt.
Wir haben in den Zonen des Eingangsgeschosses weder Vorhänge noch blicksperrende Schiebeelemente. Man kann vom Eingang über den Vorbereich mit den Aufzügen bis in die Glashalle schauen, die als Lichthof konzipiert und nachts beleuchtet ist.
Der Lichthof ist Eingangsbereich und Empfang, Backoffice-Bereiche sind ihm zugeordnet. Er leitet im mittleren Flügel zu den Sitzungssälen weiter, die man zusammenschalten kann. Ein zweiter Hof folgt, offen ausgebildet als steinernes Geviert, an das die Cafeteria angrenzt. Dahinter, in Verbindung mit einem weiteren kleinen Hof, dem Skulpturenhof, folgt die Kantine.
Eine Kammstruktur kann hermetisch axial wirken, hier erscheint hinter der Eingangssituation eine lichte Querachse.
Ziel war, eine Verbindung von emotional unterschiedlichen Räumen zu schaffen. Das bedeutet, die übergreifende Kammstruktur in ihrer Hauptorientierung durch Querverbindungen im Eingangsgeschoss, durch Außenraumbeziehungen in den Obergeschossen aufzulockern. Vergleichbare Freiheitsgrade wurden durch Aufweitungen von Flurbereichen gesucht, in denen Teeküchen eingebaut sind. Das Generali-Rot der Aufzugskerne – das Bild der roten Vertikalen, das auch nach außen wahrnehmbar ist, betont die Haupterschließung in die oberen Geschosse. Bedruckte Glasverkleidungen statt Holzvertäfelung. Deren Rot ist im Druck mit einem abstrakten Bildmotiv unterlegt – es zeigt ein Muster gestockten Natursteins. Kleines Augenzwinkern von mir. •
Das Interview führte Reinhart Wustlich am 5. Mai in Köln.
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