1 Monat GRATIS testen, danach für nur 6,90€/Monat!
Startseite » Architektur » Wohnungsbau »

Wohnungsbau Erzherzog-Karl-Strasse in Wien (A) | AllesWirdGut

Wohnungsbau Erzherzog-Karl-Strasse in Wien (A)
Neue Wohnformen für den Stadtrand

Angetrieben vom ungebrochen starken Zuzug und gelenkt über ein penibel festgelegtes Wettbewerbswesen floriert der Wohnungsbau in Wien auf hohem Niveau. Um unterschiedliche Wohnformen in funktionierenden Nachbarschaften zu ermöglichen, bietet das Quartier hERZberg im Osten der Stadt eine große Bandbreite an Wohnungszuschnitten und vielfältige Bereiche für Begegnung und Kommunikation. Farbig gefasste Putzoberflächen, Beton, Stahl und Holz bilden einen ebenso bezahlbaren, robusten aber auch wohnlichen Rahmen.

    • Architekten: AllesWirdGut Architekturmit feld72
      Tragwerksplanung: Katzkow & Partner

  • Kritik: Maria Welzig Fotos: Hertha Hurnaus
Das größte Stadterweiterungsgebiet Wiens, Aspern, war bis vor Kurzem noch vorwiegend von freien Ackerflächen und von Einfamilienhäusern geprägt. Die Verlängerung der U-Bahn bildete die Basis für die Entstehung eines neuen Stadtteils. Das Gebiet rund um den U-Bahn-Endbahnhof wird derzeit nach Maßgabe eines städtebaulichen Leitprojekts der Architekten Ceška Priesner aus dem Jahr 2000 bebaut. Das Leitprojekt ist differenziert und flexibel, gibt teilweise nur den Prozentsatz der Bebauung vor, ist inzwischen aber auch der Gefahr nachträglicher Verdichtungen ausgesetzt: Auf geplante Freizeit- und Gewerbeeinrichtungen soll zugunsten des geförderten Wohnbaus verzichtet werden.
Der Soziale Wohnbau wird in Wien als Architekturaufgabe aus einer fast schon hundertjährigen Tradition heraus hochgehalten, aber es gilt genau zu schauen, wo mit klingenden Etiketten oder klangvollen Architekten-Namen heute vorrangig Marketing betrieben wird, und was an Innovation und Qualität tatsächlich möglich ist.
2007 schrieb der Wohnfonds Wien einen Bauträgerwettbewerb innerhalb des Areals für ein Wohnquartier mit ca. 470 Wohnungen an der Erzherzog-Karl-Straße aus – aufgeteilt auf vier Bauplätze. Teilnahmeberechtigt waren »Projektteams bestehend aus Bauträgern und Jungarchitekten«.
Zwei der profilierten jungen österreichischen Architekturteams – feld72 und AllesWirdGut – kooperierten für den Wettbewerb und konnten sich so, zusammen mit zwei gemeinnützigen Bauträgern, als Arbeitsgemeinschaft hERZberg am Wettbewerb für zwei der ausgeschriebenen vier Bauplätze beteiligen.
Das Büro »Raum & Kommunikation«, Experte für innovativen, konzeptionellen Wohnbau, war Wettbewerbsentwickler und Projektsteuerer. Es folgte dem inhaltlichen Ansatz, in dem Stadtrandgebiet, das in seiner Wohnstruktur bisher ausschließlich auf das traditionelle Familienmodell ausgerichtet war, Wohnformen anzubieten, die den gewandelten gesellschaftlichen Bedingungen entsprechen: Wohnraum für Rumpf-Familien, Patchworkfamilien und Singles.
Die Arbeitsgemeinschaft hERZberg gewann einen der beiden von ihnen bearbeiteten Bauplätze. Zunächst einen Städtebau für beide Grundstücke entwickelt zu haben, hat sich dabei als sehr produktiv erwiesen. Denn grundlegende Entscheidungen sind aus dieser großräumigeren Betrachtung heraus gefallen. Die Architekten wagten trotz aller Ökonomie-Maximierungszwänge eine Vielfältigkeit der Typologien, die ihresgleichen sucht. Sie entwickelten eine städtebauliche Collage, die Straße, Plätze, Hof und Wiese integriert.
Auch die Baukörper sind typologisch heterogen: ein hofumschließender Bauteil als offener Laubengang-Typus, ein frei stehender dreieckiger Baukörper an der »Eingangsseite« zur U-Bahn als »Stadthaus« und, zu den bestehenden Einfamilienhäusern überleitend, locker verteilt auf der Wiese, drei Punkthäuser mit je neun Wohnungen. Die Anlage bildet so einen Übergang von der hochverdichteten neuen Bebauung direkt an der U-Bahn zu den bestehenden Einfamilienhäusern. Die Baukörper sind terrassiert, es gibt praktisch kein Regelgeschoss.
Farbe als übergeordnetes Gestaltungsmittel im Sozialen Wohnbau lässt meist den Verdacht aufkommen: Hier soll möglichst kostengünstig etwas kaschiert werden. In hERZberg kann der Einsatz der Farbe aber überzeugen – Grün, das sich nach oben hin heller werdend bis zum Weiß abstuft. Die Farbe fasst ›
› die heterogene Anlage zusammen; zudem ergibt sich durch die abgestufte Farbgebung eine bildliche Assoziation zum steirischen Erzberg, einem terrassierten Natur-/Industrie-Monument bei Leoben, auf den die drei Großbuchstaben im Namen des Wohnquartiers anspielen.
Das Quartier umfasst 121 Wohnungen, die mit »Superförderung« errichtet und vermietet wurden, zusätzlichen Fördermitteln, die besonders günstige Wohnungen ermöglichen, den Selbstkostenbeitrag auf ein Minimum herabsetzen und ebenso den Mietpreis reduzieren. Die Bewohner stammen u. a. aus Ägypten, Serbien, Ungarn, Österreich, der Türkei und Schwarzafrika. Die Stadt Wien unterhält hier ein Familien-Krisenzentrum sowie eine Wohngemeinschaft für familienlose Kinder und Jugendliche. Das Zusammenleben funktioniert ein halbes Jahr nach Fertigstellung bestens. Daran hat die Architektur einen maßgeblichen Anteil.
Schon beim Näherkommen von der U-Bahn teilt sich die einladende, offene Atmosphäre mit: Anstelle hermetischer Fronten öffnet sich die Wohnanlage und bildet vor dem frei stehenden »Stadthaus« einen dreieckigen Vorplatz aus, eine diagonale Wohnstraße lädt zum Betreten ein. Gleichzeitig wird durch den anderen Bodenbelag klar – haptisch-reizvoll der aufgeraute helle Beton – hier beginnt ein eigener, halböffentlicher Bereich.
Im »Stadthaus« sind auch die gemeinschaftlichen Einrichtungen der Anlage untergebracht Der Gemeinschaftsraum mit integrierter Küche ist lichtdurchflutet und entwickelt sich über der Tiefgarageneinfahrt vom EG aus wie eine Kaskade über mehrere Raumstufen hinweg als offener Raum ins 1. OG hinauf. Er wird intensiv genutzt, hier finden von den Bewohnern veranstaltete »Come togethers« statt, private Feste und ein monatlicher Mieter-Treff.
Die Freiraumplanung von Sabine Dessovic (Büro Detzlhofer) entspricht in der Vielfalt der Gestaltung, dem Kommunikationsangebot und der Kinderfreundlichkeit dem architektonischen Ansatz.
Angebot und Grenzen
Die Anlage bietet eine hohe Vielfalt an Wohnungstypen und damit Möglichkeiten für unterschiedliche Lebens-Ansprüche und -formen. Dazu gehören z. B. viele Singlewohnungen, deren begrenzte Fläche durch großzügige Terrassen aufgewertet wurde. Die angestrebte Flexibilität der Grundrisse war aber nur ansatzweise umsetzbar: In den Singlewohnungen fungieren Schiebewände als ›
› Raumteiler. In einem Abschnitt des über Laubengänge erschlossenen Bauteils an der Wohnstraße beträgt die Trakttiefe nur 9 anstelle der üblichen rund 14 m, sodass längs der Fassade großzügige Wohnräume mit mehreren Fenstern entstehen, die sich wahlweise einmal oder sogar zweimal in kleinere Einheiten teilen lassen. Die Bewohner mussten allerdings gleich beim Bau festlegen, ob und wo eine feststehende Leichtbauwand eingezogen werden sollte.
Jede Wohnung hat einen Außenraum: Loggia, großzügige Terrasse oder Mietergarten. Die Wohnungen sind hell und bieten einen großzügigen Wohn-Essbereich als »Kommunikationszentrum« an. Essenzielle Anforderungen an das Wohnen sind erfüllt. Die Gebäude sind an das örtliche Fernwärmenetz angeschlossen und in ein Wärmedämmverbundsystem eingepackt. Der Spielraum hinsichtlich Details und Materialien war aber offensichtlich sehr gering. Statt eines flexibel nutzbaren Stahlbetonskeletts mit Mauerwerksausfachungen entschied sich der Bauträger aus Kostengründen für ein starres System mit Fertigteil-Hohlwänden. Um mehr Flexibilität leisten zu können, müssten die Bauträger und Förderer, sprich die Stadt Wien, viel konsequenter Experimentelles und Qualitatives ermöglichen und fördern. Das gilt auch für die in den Projektbeschreibungen angekündigten Einbaumöbel. Sie wären eine sehr lohnende Investition gewesen, die den Wohnungswechsel tatsächlich erleichtert hätte. Sie wurden aber nicht realisiert.
Neue Lebensmodelle und Lebensformen, die sich im Lauf einer Biografie ändern, verlangen v. a außerhalb der Wohnungen ein zusätzliches Angebot: Kommunikationsräume, ausgelagerte Funktionen. Das ist in hERZberg mehrfach erfüllt: mit den differenzierten Außen(spiel)räumen, mit dem großzügigen und räumlich so reizvollen Gemeinschaftsraum, mit den breiten, sorgfältig und »wohnlich« gestalteten Laubengängen, mit Waschküchen an den Gebäudeecken, denen jeweils ein Kinderspiel- bzw. Loungebereich angeschlossen ist und die so nach Art eines Waschsalons Begegnungsmöglichkeiten bieten.
Die Freiraum-Planer wollten einer Konterkarierung des kommunikativen Außenraum-Konzepts durch individuelle Umzäunungen der Mietergärten vorbeugen. Sie sahen stattdessen niedrige Pflanztröge vor, die dann jedoch ebenfalls eingespart wurden. Nun versuchen die Mieter, mit anderen Mitteln nachträglich etwas von der notwendigen (!) Privatheit für ihren Außenraum herzustellen.
Damit ein Quartier mit einer solch diversen Bewohnerschaft und einem solch breiten Kommunikations-Angebot funktioniert, ist es wichtig, eine Betreuungs- und Ansprechperson vor Ort zu haben. Wenn man dafür auf eine unvoreingenommene, offene und kommunikative Person wie den Hausbetreuer von hERZberg zurückgreifen kann (der leider nur für einen der beiden Bauträger tätig und somit nur für einen Teil der Anlage verantwortlich ist), so ist dies ein Glücksfall und trägt erheblich zum Gelingen des Zusammenlebens bei.
Letztlich sind es die Mieter selbst, die sich in ihrer Herkunfts-Vielfalt so gut organisieren und mit dem Angebot der Architektur so viel anzufangen wissen. Es bleibt spannend, wie sich das (Zusammen-)Leben in der Anlage weiter entwickeln wird – hERZberg könnte ein Modell sein. •
  • Standort: Aspernstraße 62-66 / Lavaterstraße 9-11, A-1220 Wien
    Bauherr: EGW Heimstätte + ÖVW Österreichisches Wohnungswerk
    Architekten: ARGE hERZberg, Wien: AllesWirdGut Architektur und feld72
    Mitarbeiter: Jan Schröder, Robert Müller, Johann Wittenberger, Daniel Payer; Christof Braun, Jirka Becker, Nikola Savic Tragwerksplanung: Katzkow & Partner, Wien
    Landschaftsplanung: Anna Detzlhofer Landschaftsplanung, Wien
    Projektentwicklung: raum & kommunikation KORAB KEG, Wien
    Baupysik: TB Wilhelm Hofbauer, Wien Haustechnik: BPS Engineering, Wien
    BGF: 20 212 m² Baukosten: keine Angabe Bauzeit: September 2009 bis März 2011
  • Beteiligte Firmen: GU: Arge Voitl/Swietelsky, Wien, www.voitl.at, www.voitl.at
    Betonfertigteile Treppen, Loggien: Franz Oberndorfer, Gunskirchen, www.voitl.at
    Betonfertigteile Wand: Maba Fertigteilindustrie, Wöllersdorf, www.voitl.at
    Aluminium-Portale: Schüco International, Bielefeld, www.voitl.at
    Stahltüren: Novoferm, Rees, www.voitl.at
    Türen: JELD-WEN Türen, Spital am Pyhrn, www.voitl.at
    Steinzeugfliesen: Marazzi Group, Modena, www.voitl.at
    Parkett: Weitzer Parkett, Weiz, www.voitl.at
    Linoleum: Armstrong DLW, Bietigheim-Bissingen, www.voitl.at
    Beschläge: Grundmann Beschlagtechnik, Hainfeld, www.voitl.at;
    Dorma, Ennepetal, www.voitl.at Schornsteine: Schiedel Kaminsysteme, Nußbach, www.voitl.at
    Aufzüge: Schindler, Wien, www.voitl.at Sonnenschutz: Valetta Sonnenschutztechnik, Linz, www.voitl.at Außenraumleuchten: Bega, Menden, www.voitl.at Haustechnik: TGA Holding, Wiener Neustadt, www.voitl.at
privat
halbprivat
gemeinschaftlich

Wien (A) (s. 18)

AllesWirdGut

Christian Waldner
Herwig Spiegl
Friedrich Passler
Andreas Marth
Studium in Wien, London (GB), Montréal (CDN), Ann Arbor (USA). Seit 1997 Zusammenarbeit, 1999 Bürogründung.
Maria Welzig
1963 in Wien geboren. Studium der Kunstgeschichte in Wien, 1988 Diplom. Lehrauftrag an der Universität von New Mexico, Albuquerque (USA). 1994 Promotion. Forschungen im Bereich Architektur, Tätigkeit als Ausstellungskuratorin und in der Architekturvermittlung. 2002–03 Lehrauftrag an der TU Graz, Architekturfakultät, 2006-07 an der UdK Berlin, Lehrstuhl Adolf Krischanitz. 2008-09 Gastprofessur an der Universität für angewandte Kunst, Wien.
Tags
Aktuelles Heft
MeistgelesenNeueste Artikel

Architektur Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Architektur-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de