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Leuchtender Zwischenraum

Kultur | Sakral
Leuchtender Zwischenraum

Die Neugestaltung des Klosterhofs Wedinghausen besteht aus drei Teilen: dem Klosterhof, dem so ge-nannten Lichthaus und einem Garten, der eigentlich Teil des Gebäudes ist. Das Lichthaus markiert die Grenze des historischen Klosterhofs und bezieht sich formal auf die umgebenden Satteldachhäuser.

    • Architekten: Kalhöfer-Korschildgen Architekten Tragwerksplanung: Schlaich Bergermann und Partner

  • Text: Klaus Dieter Weiss Fotos: Jörg Hempel
Die Bedeutung dieser kleinen gläsernen »Lichtinsel«, eines diaphanen, durchscheinenden Raumes, offenbart sich nicht auf den ersten Blick. Der neu gestaltete Außenraum des Klosterhofs Wedinghausen in Arnsberg, im Jahr 2002 als Konzept Preisträger des Wettbewerbs »Stadt macht Platz – NRW macht Plätze«, ist die Fortsetzung einer Arbeit, die im Innenraum mit der Umnutzung des Westflügels zum Stadt- und Landständearchiv im selben Jahr begann. Zentrale architektonische Aufgabe dieser ersten Annäherung der Architekten an das Klostergebäude war der Einbau einer öffentlichen Besucherplattform in das barocke Hängetragwerk des elf Meter hohen Dachstuhls (2004).
Ging es in dem durch wilde Einbauten völlig überformten Innenraum darum, den ursprünglichen Zustand durch Rückbau zurückzugewinnen und durch filigrane gläserne Einbauten zu sichern, bestand die Neugestaltung des Klosterhofs nun vor allem darin, den nach der Säkularisation des Klosters (1803) im 19. Jahrhundert entfernten Südflügel samt Kreuzgang räumlich und vor allem metaphorisch zu ersetzen bzw. neu zu markieren. Ganz nach der Devise der Architekten: »Gegensätzliches nicht gegeneinander auszuschließen, sondern eher als Bereicherung zu betrachten und im Dialog zusammenzubringen«. Denn das Kloster lag in seiner aktiven Zeit anders als heute außerhalb der Stadt und wurde erst durch eine klassizistische Stadterweiterung während der Säkularisation Teil der Arnsberger Altstadt. Die Neugestaltung des Klosterhofs mit einem Multifunktionsraum für Konzerte, Lesungen, Kirchfeste, Theateraufführungen und Ausstellungen verbindet darum die räumlichen Widersprüche zwischen Geschlossenheit und Offenheit. Der bei Tag wie bei Nacht leuchtende, neue Zwischenraum besteht aus drei Elementen: dem Klosterhof als Ort der Ruhe und Besinnung, dem »Lichthaus« an der Stelle des ursprünglichen Südflügels und dem »Gartenzimmer«, das als Kontrapunkt zum Klosterhof im Rhythmus der Natur auf den ehemaligen Klostergarten und den nah gelegenen Wald verweist. Eine Metamorphose des Raumes von der Architektur zur Natur und umgekehrt.
Nicht nur der 1886 aufgegebene begrenzte Klosterhof wird so wieder erlebbar. Zuletzt war davon nur noch ein asphaltierter Parkplatz übrig geblieben. Anlass genug, mit einem städtebaulichen Wettbewerb den ursprünglich sozialen Ort zurückzugewinnen. Der Besucher wird durch eine quadratische Pflasterung aus Betonplatten und deutlich abgesenkte ›
› Schotterfugen (Kalkstein des örtlichen Steinbruchs) an die Typologie und Begrenztheit des Kreuzgangs erinnert. Die geistige Stimmung des Ortes im Hinblick auf Glauben, aber auch Vernunft manifestiert sich im grafisch verrätselten Fassadentext, der den Beginn des Johannesevangeliums zitiert: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.« Gleichzeitig entsteht eine lineare Raumfolge, die von der ursprünglichen Innenwelt des Klosters in die Außenwelt führt. Was früher Gärten und freie Landschaft bedeutete, ersetzt heute allerdings auf kurze Distanz ein dicht verstricktes Konglomerat aus Gymnasium (die ehemalige Klosterschule des Mittelalters), Bibliothek, Pfarramt, Kirche und einem Seniorenheim, das den kulturellen Rahmen dieser Einbettung nicht nur funktional, sondern mit einer wenig glanzvollen Erweiterung im unmittelbaren seitlichen Anschluss des Neubaus leider auch architektonisch sprengt.
Kunstobjekt
Umso wichtiger war es, die Aufgabe Klosterhof nicht nur konservatorisch, nicht nur architektonisch und baulich, sondern vor allem intellektuell und künstlerisch zu lösen. Letztlich ist dieser diaphane Raum trotz seiner dem Kunstobjekt einbeschriebenen Funktionalität eine begehbare Skulptur, deren konkreter Inhalt durch ihre metaphorische, nicht auf Anhieb greifbare Dimension weit übertroffen wird. Das kleine beton- und stahlverstärkte Glashaus mit seinen dahinter aus einem geneigten wie gewellten Schwarzbelag (epoxydharzgebundener Kalkstein des örtlichen Steinbruchs) erst spärlich den Himmel an Drahtseilen erklimmenden Schlingpflanzen (Humulus, Clematis vitalba) umreißt nicht weniger als die Ideengeschichte des Archetyps Kloster. Kein Wunder also, dass die mitunter zu populistischen Torheiten neigende Do-it-yourself-Datenbank Wikipedia anmerkt: »Die Nutzung des neuen Baukörpers ist allerdings noch nicht wirklich geklärt und die Gestaltung blieb nicht ohne Kritik in der lokalen Öffentlichkeit.«
Wedinghausen, das mit seinen romanischen, gotischen, barocken und klassizistischen Elementen eher eine Reise durch die Stilgeschichte verkörpert als einen baugeschichtlich homogenen Ort, war Entstehungs- und Aufbewahrungsort bedeutender mittelalterlicher Handschriften, die heute zum Unesco-Weltdokumentenerbe zählen. Das bedeutendste Ereignis war die Aufnahme und Rettung des Kölner Domschatzes samt Dombibliothek und Domarchiv während der napoleonischen Kriegswirren in den Jahren 1794 bis 1803. Heute geht es jedoch weniger um die bauhistorische oder kirchengeschichtliche Bedeutung des 1170 als Sühnekloster von Graf Heinrich I. von Arnsberg gegründeten, aus einem Gutshof entstandenen Prämonstrantenklosters als vielmehr darum, einen konkreten Ort geistesgeschichtlicher Auseinandersetzung für die Zukunft neu zu aktivieren. Ende des 19. Jahrhunderts waren das Kloster wie seine historischen Räume als solche nicht mehr erkennbar. Gerhard Kalhöfer und Michael Gosmann, der Leiter des Archivs, beschreiben diesen Ansatz in einem von der Stadt Arnsberg herausgegebenen kleinen Band zur Umgestaltung des Klosters: »Die Architektur des Klosters ist ein Archetypus, der in seiner Abgrenzung sich selbst genügt und trotzdem im Anspruch seiner universellen Ordnung über sich hinausweist. Er ist ein konkreter endlicher Ort, der als Mikrokosmos gleichwohl die gesamte Welt repräsentiert. Für uns heute bietet die Architektur des Klosters eine Chance, da sie unmissverständlich die Defizite unserer Moderne entlarvt. ‘Zu viel Lärm, zu wenig Rhythmus, keine Melodie’ – der französische Philosoph Michel Serre liefert die treffende Beschreibung unserer Zeit.« ›
Lichtkonzept
Das zentrale Gestaltungselement der Architekten war vor allem das Licht, daneben die Tiefe und Orientierung zum Naturraum, nicht die Form. Formale Bezüge an die bestehenden Gebäudeflügel waren bis auf den angedeuteten Hausquerschnitt samt Steildach weder möglich noch sinnvoll. Atmosphärisch fügt sich der neue Abschluss des Klosterhofs dank der von der Konstruktion weitestgehend gelösten, mit Punkthaltern geschuppt angebrachten, weiß bedruckten Glastafeln sehr gut in die Helligkeitskontraste der historischen, weiß verputzten Gebäudeflügel ein. Die Abendstimmung des Gebäudes lässt sich mit einem Bussystem, das jede Leuchte einzeln ansteuert, feinjustieren. Die Wirkung des künstlichen Grünraums lässt noch auf sich warten, die konstruktiv minimierte Stahl- und Seilkonstruktion der Tragwerksplaner Schlaich und Bergermann steht noch viel zu dominant im Vordergrund.
Mit dem Begriff des diaphanen Raums bezieht sich Gerhard Kalhöfer auf die »diaphane Struktur« des Kunsthistorikers Hans Jantzen (1881–1967), der die gotischen Kathedralen anders als Hans Sedlmayer nicht primär über das Gewölbe erklärt, sondern mit Tiefenschichtungen, die in ein sprituelles Dahinter überleiten und die Grenzen des realen und fiktiven Raums zum »Erlebnis einer Überweltlichkeit« verschwimmen lassen. Eben diese Experimente mit Tiefe und Licht, die Auflösung konkreter Raumgrenzen und die scheinbare Präsenz von weiteren Orten am konkreten Ort sind im neuen Raumquerschnitt von Wedinghausen umgesetzt worden. Das Licht erreicht den Innenraum durch mehrere Schichten. Der Einsatz von Glas erschöpft sich nicht in reiner Transparenz. Verwirrende Überlagerungen bzw. die »Durchdringungs- und Überdeckungstransparenz« (Walter Benjamin) lassen mehrere Bilder gleichzeitig existieren. •
  • Bauherr: Stadt Arnsberg Architekten: Kalhöfer-Korschildgen Architekten, Gerhard Kalhöfer, Köln Mitarbeiter: Holger Gossner, Heike Prehler, Ulli Wallner, Sabrina Latsch, Anne Schroeder (Architektur), Marc Rogmans (Fassadenbild) Tragwerksplanung: Schlaich Bergermann und Partner, Stuttgart Lichtplanung: Dinnebier Licht GmbH, Silvia Quintiliani, Wuppertal Bauzeit: 2003–2007
  • Beteiligte Firmen: Stahlseile: Carl Stahl, Süßen, www.carlstahl.de Leuchten (Bodenstrahler): Bega, Menden, www.carlstahl.de; (Langfeldleuchten und Spots): Erco, Lüdenscheid, www.carlstahl.de
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